Kapitel 95. Sachſentreue.

Zu Wittenberg, im alten, got’ſchen Zimmer, Sitzt Meiſter Lukas Cranach ſtill, allein; Vom hohen Bogenfenſter fällt der Flimmer Der warmen Morgenſonne hell herein. Die Elbe rollte wieder ihre Wogen Dahin, von ſtarrem Wintereis befreit, Der holde Lenz war ringsum, weit und breit, Sieghaft in Wald und Fluren eingezogen.

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Dem Meiſter will der Frühtrunk heut’ nicht munden, Ein banger Kummer drückt ſein Herze ſchwer, Die Kunſt, in der er ſonſt in manchen Stunde So reichen Troſt für alles Leid geſunden, Sie dünkt ihm heute elend, nichtig, leer.

Er hebt den Blick: Was er ſchon lange plante, Das Bild ſchaut halb nur fertig von der Wand, Als ob es zur Vollendung ſtreng ihn mahnte: Auf, Meiſter, ſpute dich und rühr’ die Hand!

Er greift zum Pinſel endlich, greift zum Stabe; Wie ſcheint ihm beides jetzo ungewohnt. Ach, traurig ſchaut der holde Jefusknabe, Es ſchaut Maria, die auf Wolken thront, Mit Schmerzen hin auf ihn, den ſie geboren, Auf den ſie, aller Himmelswonnen voll, Die Blicke, göttlich leuchtend, wenden ſoll, Als wär’ er ſchon als Kind dem Tod erkoren.

Doch weh, was zittert die ſonſt ſichre Hand? Was wirfſt du, Meiſter, Stab und Griffel wieder Von dir hinweg? Was ſinkſt du unverwandt Auf deinen Lehnſtuhl wie gebrochen nieder?

Ach, ſeit dem Tage, da der grüne Tann Sich rot gefärbt von deines Herren Wunde, Seit jenem Tag bei Mühlberg, da die Kunde, Die ſchwere, dich getroffen, — da begann Das Leid, das, ob es Nacht war, ob es tagte, An deinem Herzen kummervoll dir nagte!

Er fährt empor, der tiefbeklemmten Bruſt Entringen ſich die ſchmerzensvollen Laute: „O Wittenberg, du meine Freud’ und Luſt, Du meines Herzens Buhle, wonnigtraute, Biſt du nicht jetzt ein ödes, ſtilles Grab, Seit alles, dem mein Sinnen nachgehangen, Aus deinen Mauern jach hinweggegangen, Seit ich des Landes Herrn verloren hab’?

War’s nicht genug, daß in der Schlacht geſchlagen, Mein edler Johann Friedrich unterlag? Das hätte ich, ſo ſchwer es auch, ohn’ Klagen Erdulden wollen. Aber wie vermag Ich das zu dulden in des Alters Tagen,

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Daß er, an dem das Land mit Liebe hing, Gefangen, und des Throns verluſtig ging?

Ja, müſſen nicht des Volkes Thränen fließen? Der Kaiſer will, ich hör’s, auf Albas Rat, Das Todesurteil, früher oder ſpat, An meinem Herrn, den Ketten eng umſchließen, Vollziehn, er will das teure Blut vergießen!

Lukas Cranach. Abbildung zu dem Gedicht „Sachſentreue“. Lukas Cranach. Abbildung zu dem Gedicht „Sachſentreue“.

Und du, bei dem ich Troſt in Gottes Wort, Durch Liebeswerke jederzeit gefunden, Philippe, unſrer teuren Kirche Hort.

Du ſchlugeſt meinem Herzen tiefe Wunden, Als du dich angeſchickt, hinwegzuziehn! Ihr, lieben Freunde, die in allen Stunden Mir hilfreich, willig ihren Schutz verliehn, Was mußtet ihr, da in den ſchweren Zeiten Die Feinde Tod und Untergang bereiten, Aus meinem lieben Wittenberg entfliehn?

Doch täuſcht mich nicht mein Ohr? Drauß’ an der Pforte Erknarrt der Riegel, ſo den Eintritt wehrt?“

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Ein Bote iſt’s, ſchon hört er ſeine Worte. Er tritt hinaus, er ſieht auf hohem Pferd Aus Karols Lager einen Hakenſchützen, Der reicht ihm einen Brief herab zu Hand:

„Vom Kaiſer,“ ſpricht er, „was ſoll ich ihm nützen? Vom Kaiſer Karl ein Brief, an mich geſandt?“

Er lieſt, ob ſeine Augen ihn nicht trügen, Hat er vom Kaiſer wirklich das empfahn?

Er lieſt, da ſteht’s in deutlich großen Zügen, Er ſolle dem Befehl ſich eiligſt fügen Und ſich des Feindes Lagerplatze nahn.

Schon ſitzt der Greis auf andaluſiſchem Roſſe, Schon fliegt er über Wieſen hin und Feld, Gefolgt von ſpan'ſcher Reiter flinkem Troſſe, Und kommt mit Bangen an des Kaiſers Zelt.

Doch welch Empfangen wird ihm hier bereitet! Iſt das des Kaiſers ſtolze Majeſtät, Die ſich durch Blick und Miene ſchon verrät, Die, ohn’ ihn zu beachten, vor ihm ſchreitet? Der Welten Herrſcher lädt zum Sitz ihn ein; Schon iſt geraume Zeit dahingegangen, Glühn jugendwarm des Meiſters greiſe Wangen, Denn nicht von Kriegesnöten nur allein, Von allem Möglichen muß er erzählen, Und immer weiß der Meiſter klug und fein Bei jedem Stoff die Worte auszuwählen.

Indes in ſolcher Rede Allerlei Die Zeit den beiden unvermerkt verronnen, Kommt ſchließlich das Geſpräch auf Malerei, Als Karl zu Cranach alſo nun begonnen:

„Ei, Meiſter, du verſtehſt wohl deine Kunſt Wie ſonſt ein andrer kaum in deutſchen Landen, Bei Fürſten biſt du, biſt bei mir in Gunſt, Iſt mir doch ſelbſt ein Bild von dir zu Handen, Das Sachſens Kurfürſt, der mich ſchwer gekränkt, Zu Speier, in der deutſchen Stadt, der alten, Da wir vor Jahren Reichstag dort gehalten, Zur Kurzweil mir zu jener Zeit geſchenkt.

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Iſt mir das eine Bild ſchon Augenweide. An dem mit Luſt ich, ſinnend, gern verweilt, Heg’ ich ein andres noch wie ein Geſchmeide, Das oft von Trübſal mich und Kummer heilt. iſt in meinen treuen Niederlanden Ein lieb Gedenken an die Jugendzeit,

An dem ich oft mit Rührung ſtill geſtanden: Ich war ein Kind, da du mich konterfeit: Weißt du, wie alt ich damals war als Knabe?“

Der greiſe Meiſter thut es eiligſt kund: „Iſt mir’s doch juſt, ich hätt’ das Bild zur Stund‘ Gemalt, das damals ich vollendet habe!

Zu Mecheln, im ehrwürd’gen, alten Saal, Harrt’ ich, des Dienſt’s bereit, der Majeſtäten. Ganz plötzlich ſeh’ ich durch das Hauptportal, Gott hab’ ihn ſelig, Max, den Kaiſer, treten, Euch, hocherlauchten Prinzen, an der Hand. Es war in jenen Tagen aller Orten,

Da Ihr acht Jahre zähltet, dort zu Land Des Kaiſers Enkel, Euch, gehuldigt worden.

Ich ging ans Werk, ein Seſſel ward gebracht, Der Ältervater hieß ihn Euch beſteigen.

Er ſprach zu Euch: ‚Mein Karl, nun gieb mir acht, Sitz’ ſtill, dem Meiſter folgſam dich zu zeigen!‘

Die erſten Züge warf ich flüchtig hin Und glaubte ſchon das Schwerſte leicht vollendet, Als ihr, in leichtem, jugendlichem Sinn, Voll Ungeduld Euch hin- und hergewendet, ihr machtet, Majeſtät, bei ſolchem Sitzen Den armen Meiſter wahrlich weidlich ſchwitzen!

Wer war der Retter nun aus dieſer Pein? Was keinem in dem Saale glücken wollte, Ja ſelbſt des Kaiſers Anſehn nicht, das ſollte Dein Herrn PräCeptor vorbehalten ſein. Er war’s, der Eures Herzens Neigung kannte, Gar wohl berechnend eines Kind’s Natur Kam er, ohn’ lang zu grübeln, auf die Spur, Wie er den Sinn in ſtrenge Feſſeln bannte.

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Ein Pfeil, von ſelten auserleſ’ner Pracht, Von Elfenbein, mit Goldblech leicht beſchlagen, Ward von dem ſtrengen Herrn herbeigetragen Und an der Wand genüber angebracht. Das wollt’ des Kaiſers Enkelſohn behagen.

Nun ſaht Ihr, die Ihr vorher nur gedahlt, Fein ruhig ſitzend, nach dem Waffenſtücke Und rührtet Euch nicht mehr. Mir war’s zum Glücke, Den Griffel faßt’ ich, herzhaft ward gemalt; Und da wir ſo Euch leichtiglich bezwungen, Kam’s, daß Ihr baß vergnügt darein geſchaut. Bald war das Bild der Tafel anvertraut, Gefiel mir ſelbſt doch, was wir ſo errungen!“

Weil dieſe Worte Karls Gemüt erfreu’n, Spricht er: „Du machſt, da ſich der Kindheit Stunden Durch deine Wort’ erinnernd mir erneu’n, Vom Gram, der an mir naget, mich geſunden, Nie ſoll mich, daß ich dich dahier gefunden, Nie dieſes Tages eine Stunde reu’n!

Du weißt, das Reich, das mir der Herr gegeben, Erſtreckt ſich über der Welten weites Meer, Doch bin ich arm, ſo reich euch dünkt mein Leben, Mein Thron iſt einſam, iſt an Freuden leer! Auf die ich ſonſt geblickt, die wen’gen Lieben, Sie ſanken alle längſt vor mir hinab — Was iſt dein mächt’gen Karl noch übrig blieben, Als was des ärmſten Bettlers harrt, ein Grab!

Geſuchet haben wir in allen Landen, Wo offen uns entgegenſchlüg’ ein Herz, Doch wir gewahrten, ach, zu unſ’rem Schmerz, Daß wir nicht, was wir mühſam ſuchten, fanden! Die Räte alle, die uns rings umſtanden, Die ehrfurchtsvoll vor uns gebeugt das Knie, Die Fürſten, Grafen, die hiſpan’ſchen Granden — Dem Herzen nahe kamen ſie uns nie!

Du aber, deutſch in Fühlen und in Denken, Du trateſt, kaum geſehn, dem Herzen nah, Auf dich mußt’ ich mein Auge freudig lenken, Da ich nach langer Zeit dich wiederſah! O, bleib’ bei mir! Gleich einem zweiten Vater

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Sollſt du an meinem Hof gehalten ſein; Ein Freund mir, ein willkommener Berater, Geh‘ an dem Throne aus bei mir und ein! Nach blut’gem Krieg erſehne ich den Frieden, Der mir ſeit langer, langer Zeit geraubt, Komm’ mit mir, ſei es mir durch dich beſchieden, Gieb mir, was längſt verloren ich geglaubt, Zutrau’n zu Menſchen wieder, gieb mir Frieden!“

Längſt rollten Thränen von des Meiſters Wang’, Sein Buſen keucht, es zittern ihm die Glieder, Aufs Knie ſtürzt er vorm mächt’gen Herrſcher nieder Und ruft, aufſeufzend unter Thränen bang’:

„Ach, allgewalt’ger Herr, übt an mir Gnade, An mir, dem alten, hilfsbedürft’gen Mann, Ob Zorn ich auf mein greiſes Haupt auch lade, Laßt ab von dem, der Euch nicht dienen kann! Zwar weiß ich, was Ihr bietet, voll zu ſchätzen, Weiß, was Ihr mir vor allen andren ſchenkt: Ein Herz, das für mich ſchlägt und edel denkt, Doch kann ich Euch nicht dienen; denn verletzen Würd’ ich dann eine hohe, hehre Pflicht! Durch einen heil’gen Eid bin ich gebunden An einen, dem es jetzt an Macht gebricht, Der, ach, in ſeinen! Kerker bang’ die Stunden Des Lebens, das ihm noch verbleibet, zählt. Der Eine, brauch ich ihn Euch erſt zu nennen, Der ſich in Zweifeln ſchier ſein Herz zerquält, Der Eine iſt’s, ſollt’ ich mich von ihm trennen, Von Johann Friedrich, meinem güt’gen Herrn? Dem treu ich ſtets gedient ſeit langen Jahren, Sollt’ ich im Unglück nicht die Treue wahren? Nur dies verlangt nicht, dieſes ſei mir fern! Ich kann nicht anders, laßt, laßt mich enteilen, Laßt mit dem Fürſten mich den Kerker teilen!“

Ein Schatten legt ſich über Karls Geſicht, Die Stirne decken faſt des Unmuts Falten, Doch weiß er ſich zu faſſen, und er ſpricht:

„Es ſei mir ferne, dich zurückzuhalten. Nun erſt erkenn’ ich deinen ganzen Wert! Gott ſei mir für, ſolch Sinnen muß ich ehren, Die Bitte ſei dir ganz und voll gewährt,

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Zieh hin in Frieden, nicht will ich dir wehren! Ja, ich thu’ mehr, wie du von mir verlangt: Des Zweifels Qual, in der dir ſchmerzlich bangt, Will ich mit einem Male dich entheben. Und daß du ganz mein Innres kennen lernſt, Will ich dir ſagen: Niemals war mir’s Ernſt, Den Fürſten feinen Richtern preiszugeben. Geſchloſſen bleibt zwar jetzo und hinfür Ihm des Gewahrſams leicht gefügte Thür’, Doch, wiſſe, niemals wollt’ ich ihm ans Leben

Leb’ wohl, bring’ in den Kerker ihm die Poſt, Wie mein Gewiſſen reiflich ſie ermeſſen, Leb’, Meiſter, wohl, ſei immerdar getruſt, Ich will der heut’gen Stunde nie vergeſſen!“ —

Vergangen waren Jahre, und die Haft Bot wenig freud‘ge, manche trübe Stunden, Doch ungebrochen blieb die alte Kraft, Da beide Tröſtung im Gebet gefunden. Der Meiſter wußte durch die holde Kunſt Die ſtillen Zeiten freundlich zu geſtalten Und ſich des edlen Fürſten volle Gunſt, Wie einſt im Glück, im Unglück zu erhalten.

Da kam ein Tag, an dem der Sonne Strahl Wie nie ſo wonnig heiter wieder lachte, Ein Tag, der die Erlöſung aus der Qual, Der in der alten Heimat trautem Thal Die nie gehoffte Freiheit endlich brachte.

Und als nun wieder drauf ein langes Jahr Dahingegangen, läuteten die Glocken, Da lag der Meiſter auf der Totenbahr’, Kein Auge blieb bei ſeinem Scheiden trocken. Mit ſeinem Herren und der Kunſt allzeit War er geblieben treu und eng verkettet, Und wurde, unter fürſtlichem Geleit, Zur letzten Ruhe feierlich gebettet In Weimars Kirche, wo ſein ſchönſtes Bild, Der Herr am Kreuz, zum Schiffe niederſchauet, Das alle Frommen ſegensreich und mild Zu Gott erhebt und ihr Gemüt erbauet.

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An jedem Feſttag, wenn von der Empore In mächt’gem Ton die Orgel niederrauſcht, Dünkt es noch heut dem andachtsvollen Ohre, Das unter jenem Bild dem Klange lauſcht, Als ſänge ſie, wie einſt, auch heut’ aufs neue Von Meiſter Cranachs Kunſt und ſeiner Treue.

EmilIrmſcher.