Kapitel 89. Kleinſtädterleben im Erzgebirge am Ende des 16. Jahrhunderts.

Die Leſer werden nicht ohne Intereſſe nachfolgende Mitteilungen über öffentliche Zuſtande des Volkslebens innerhalb unſeres engeren Vaterlandes vor mehr als 300 Jahren entgegennehmen. Dieſelben ſind in einem Aktenſtücke vom 15. Januar 1584 enthalten, in welchem der Rat der Stadt Schlettau im Erz­ gebirge eine „Stadt-Ordnung“[68] aufgeſtellt hat.

Man kann jene Zeit recht wohl zur „guten alten Zeit“ rechnen. Sie fällt in den von einer faſt 70jährigen Friedensperiode geſegneten Zeitraum von 1553 bis 1618, in welchem in Stadt und Land Wohlhabenheit herrſchte, Handel und Wandel blühte und das Volksleben feurig pulſierte, in dem aber auch allerhand. Ausſchreitungen vorkamen.

Kein Wunder, wenn die Obrigkeiten bemüht waren, der überſchüſſigen Lebenskraft und Luſt durch ſtrenge „Ordnungen“ einen Damm zu ſetzen. So­ wohl die „Straffälle“, wie die „Strafen“ geben ein treues Bild der Zuſtände in jener Zeit. Wir wählen einige Züge aus dieſem Bilde aus.

Zunächſt lag dem Rate die ſittliche und kirchliche Ordnung in der Stadt am Herzen. Er verordnete daher, daß jeder Einwohner an Sonn-, Feſt- und Feiertagen mit Weib, Kindern und Geſinde vor- und nachmittags zur Kirche gehen, auch daß die Wochentagspredigten aus jedem Hauſe von einer oder zwo Perſonen beſucht werden ſollten. Zuwiderhandlungen ſollten mit 5 Groſchen ge­ ſtraft werden, wovon die eine Hälfte dem Gotteshauſe, die andere dem Rate zufallen ſollte.

Sodann wird bekannt gegeben, daß der „Stadtknecht“ mit Eifer darauf zu achten habe, daß in der Kirche niemand „Vermutz (Vorwitz?)“, Plaudern und Waſchen und Mutwillen treibe. Wer dabei betroffen werde, ſolle mit 6 Groſchen oder mit „Gefängnus“ geſtraft werden.

Weiter ſolle in den Winkelzechen und verdächtigen Orten an Sonntagen unter der Predigt Zechen, Völlerei und ſonderlich das Spielen ganz und gar verboten ſein. Ein Hauswirt ſoll in ſeinem Hauſe auf Völlerei und Spielen wohl acht haben, im Betretungsfalle wird er, wie die Betroffenen, mit 5 Groſchen Strafe belegt.

Es ſoll zwar einem Nachbar „vergünnt“ ſein, zum andern zu gehen und eine Kanne Bier zu trinken oder die Tochter und die Magd ſpinnen gehen zu laſſen, doch ſollen dabei keine Thörlichkeiten und Ungebührlichkeiten getrieben oder ver­ dächtige Perſonen zugezogen werden.

Auch warnt der Rat, daß Perſonen, wo zwo einen Abſchied (Vertrag) oder Vereinigung ſchließen, welche den einen nachher nicht „erbaut“, dann den Schreiber, die Gerichtsleut oder gar den Bürgermeiſter und Rat der Lügen bezichtigen. Es ſoll jeder ernſtlich und treulich verwarnt ſein. Würden einer oder auch mehrere mit ſolchen Worten oder Übelmachen betroffen, ſo ſich zur Ver­

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ſchmälerung der Gerichte oder deren Benachteiligung richteten, ſei er, wer er wolle, der ſolle mit einem guten Schock Geldes oder mit Gefängnis geſtraft werden. Wer aber ſolches höre und verſchweige, ſonderlich wenn er mit „Eidespflichten verhafftet“ ſei, der ſolle nach Erkenntnis mit zwiefacher Strafe unnachläſſig geſtraft werden.

Bezüglich der Gaſſenknechte, Gottesläſterer und des Gaſſengeſchreies, „ſo ſehr überhand nimmt“, iſt folgende Ordnung geſchaffen: So ſicher einer oder mehrere um 9 Uhr abends zur Sommer- und Winterszeit zur Nacht mit loſen Worten, Singen, Schreien und andern Leichtfertigkeiten ergreifen läßt, der ſoll mit 30 Groſchen Strafe oder mit 8 Tagen Gefängnis belegt werden, die Gottes­ läſterer ſollen 3 Sonntage vor der Kirche an den Pranger geſtellt oder ſonſt nach den geiſtlichen Konſtitutionen geſtraft werden.

Wie auf ſittliche und geiſtliche Ordnung, ſo hatte der Rat des „Stedleins Schlettau“ auch auf das leibliche Wohlergehen der Bürgerſchaft ein wach­ ſames Auge.

Darum faßte er das Bierbrauen, ſonderlich das Bierverkaufen und das Bierverzapfen, ins Auge, damit es nicht „etlichen gelinge, welche gern ſchnell teure Zeit, insbeſondere für Malz und Hopfen und anderes Getreyde, welche hoch von nöten ſind, herzuſchicken wollen und das Anſehen des Städtleins ins Verderbnis bringen“.

Zu dieſem Zwecke wird folgende „Ordnung“ aufgerichtet:

(Vorbemerkt ſei, daß das Bierbrauen noch nicht ein geſondertes Gewerbe war, ſondern ein jeder Bürger ſeine „Braupfanne“ hatte, und daß auch ein jeder in beſtimmter Reihenfolge und Zeit Bier verſchenken und verzapfen durfte. Solche Schenkſtellen, die durch ein beſonderes Bierzeichen – eine ausgeſtellte Kugel — bemerklich gemacht wurden, ſind wohl mit den jetzt ganz ungebräuchlich gewordenen weiter unten genannten „Örtern“ gemeint.)

An hohen Feſten und Sonntagen ſollen die „Örter und Zechen“ nur auf­ gethan werden, wenn die Glocken geſchlagen, d. i. wenn der Gottesdienſt beendet iſt, und wer dann in die Örter kommt, ſoll dem Wirte erſt 2½ Groſchen zu er­ legen ſchuldig ſein, ehe er anfängt zu trinken.

Es ſoll auch nur bis 7 Uhr abends getrunken werden und alsdann der Wirt „nicht Macht haben, mehr zu geben“.

Sollten ſich aber „gute Freunde und Nachbarn“ noch länger an einem Trunke Bier „ergetzen“ wollen, ſoll es ihnen „vor ihr Geld“ noch „vergunnt“ ſein, nur nicht länger als bis 9 Uhr. Das Spielen ſoll aber „ganz und gar“ verboten ſein, auch „Braten und gehaltene Mahlzeiten“ mit 5 Groſchen „Straff“ belegt werden.

Daß es auch in der „guten alten Zeit“ an allerlei loſen Leuten nicht ge­ fehlt hat, geht aus der Beſtimmung des Rats in Schlettau hervor, daß, wer in den Örtern dem Wirte die Zeche nicht zahlt, „ohne behelf“ (ohne Widerrede) außer der Zeche noch 5 Groſchen „Straff“ zu zahlen gehalten ſein oder ins Ge­ fängnis geſteckt werden ſoll, bis er bezahle. Ebenſo ſoll, wer dem Wirte heimlich davonſchleicht und ihm zum Fenſter hinein gute Nacht wünſcht und die Thür ver­ ſchließt, mit Gefängnis und doppelter–„Straff“, 10 Groſchen, belegt werden.

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Auch am Mittwoch ſoll Bier aufgethan werden; wer „darüber ſchreitet“ (alſo am andern Tage ſchenkt), ſoll mit 5 Groſchen „Straff“ haften.

Damit immer gutes Bier zu haben ſei, ſoll kein Wirt mehr Bier vom Brauer aufgießen laſſen, als er „tragen“ (verſchenken) mag. Auch ſoll er im Keller „nicht Kofent“ (Dünnbier) zum Biere gießen. Wenn er es verſucht, ſoll ihm das Schenken verboten ſein, damit die Leute vor Schaden behütet werden.

Der Rat hat auch erfahren, daß Leute in der Stadt ſind, welche das Bier auf die Dorfſchaften tragen, wie der Schuſter die „Schuhe“, und es für einen „Kauf“ (Preis) geben, ſo ſie es ſelbſt nicht haben können, ſo daß man nicht wiſſe, ob es Bier oder Kofent ſei (heutzutage Bierpanſcher genannt), dadurch „das Stedlein in Vornehmen“ (ſoll wohl heißen in Verruf) gerät, daß die Dorfſchaften ihr Bier anderswo einladen.

Weil für Malz und Hopfen „jetzund teure Zeit“ iſt, ſoll einer ein Faß gut Bier nicht anders denn um 5 K. (wahrſcheinlich Gülden) verkaufen, und kann er einen höheren Wert erzielen, ſoll es ihm „vergunnt“ ſein; er ſoll ſich aber nach den Preiſen in den umliegenden Flecken richten, „bis der liebe Gott wieder andere Gelegenheit geben möchte“ (d. i. billigere Zeiten beſchert).

Wer aber andern zum Schaden handelt (alſo billiger verkauft), ſoll zwei Jahre ſeiner (Brau-)Gerechtigkeit verluſtig gehen.

Wegen richtigen Maßes ſoll, daß dem Armen wie dem Reichen ſein Recht geſchehe, der verordnete Bürgermeiſter ſamt Konſorten (Ratsherren und Viertels­ meiſtern) mit „ernſt darauf ſehen, daß jedem, der Bier verzapfet, ſein richtiges Maß eingeſetzt werde. So aber einer im Verſchulden befunden wird, ſoll er 5 Groſchen ‚Straff‘ zahlen“.

Daß es auch damals „ſtörrige Leut’“ gab, erſieht der Leſer aus der Ver­ ordnung des Rats, daß, „ſo einer durch den Stadtknecht gefordert wird (? aufs Rathaus) und ſich verleugnet oder gar ausbleibt und ſich nicht ſtellt, ohne ſonder­ lich erhebliches Verſuchen (Entſchuldigung), ſoll dem Rate ſobalde zu 5 Groſchen Strafe verfallen ſein, und wenn er zum andern betroffen wird und ſich nicht ſtellt und ſich gegen den Fronknecht unnütze Worte vermerken läßt, der ſoll ohne alle Mittel (Nachſicht) Zwehen (2) Tage in der Dimnitz (Haft) gefanglich gehalten werden und ſeine Straff’ nicht miſſen (entgehen)“.

Betreffs Säumiger im Zahlen der Steuern und Strafgelder wird geordnet:

Wenn jemand durch Ungehorſam (durch) Strafgelderauferlegung in große Schulden geraten, was gegen Rats und gemeinen Nutzen gehe, ſo ſoll der Käm­ merer (Einnehmer) gehalten ſein, „weil (ſobald) ordentlich und gründlich abgerech­ net iſt: den Leuten (Schuldnern) leidliche Friſt zu ſtellen, auch was jeder ver­ willige (in Terminen zu zahlen) annehmen und mit ernſt von ihnen erzwinge, damit es einbracht werde“.

Dazu ſoll der verordnete Bürgermeiſter dem Kämmerer behilflich ſein und thut „Gerichtsſchutz“ mitteilen, ſonſten aber weder Gunſt, noch Freundſchaft oder Feindſchaft umſehen.

Da auch die Viertelsmeiſter (obrigkeitlich mit der Aufſicht über einzelne Stadtteile betraute Männer) klagen, daß ſie das „Wachgeld“ (ſtädtiſche Steuer)

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nicht erlangen können, ſo wird ihnen die Einziehung desſelben abgenommen und jeder Einwohner verpflichtet, ſein Wachgeld unaufgefordert jedes halbe Jahr auf das Rathaus ſelbſt zu bringen bei Vermeidung von 5 Groſchen Strafe.

Von den Landesſteuern ſoll gelten:

„Was unſers gnädigſten Herren (des Kurfürſten) Gefälle anlanget, als Erbzins, Martinizins und Schulzwang, ſo ſoll es ſo gehalten werden:

Der Fronknecht ſoll 8 bis 14 Tage vorher vor den Kirchen ausrufen, wenn der Rat die Gefälle einnehmen will. Wer nicht längſtens 3 Tage nach den Terminen, welche abgewartet werden ſollen, zahlet, ſoll in die Fronveſte ein­ getrieben und nicht eher herausgelaſſen werden, bis daß er bezahlet.“

Auch eine Ordnung über das Hausgenoſſenweſen und über Anmeldung bei An- und Umzug auf dem Rathauſe wird feſtgeſtellt. Namentlich werden auch Vorkehrungen gegen Feuersbrünſte getroffen (Inſtandhaltung der Feuereſſen und Aufſtellen von Gefäßen mit Waſſer vor den Thüren, namentlich zur Sommers­ zeit), gegen Verunreinigung der Straßen, ſowie gegen Begrenzung des Vieh­ ſtandes (niemand ſoll mehr als zwei Ziegen halten, was dem gemeinen [Ge­ meinde-]Walde nur zum Schaden gereiche).

Bemerkenswert dürfte noch ſein, daß der Rat zu Schlettau auch für nötig fand, ſeiner Bürgerſchaft „gute Manieren“ anzugewöhnen. Er verordnet: „Wer vor dem Rate und den Gerichten etwas zu ſchaffen hat, der ſoll mit beſcheidenen Worten vor- und abtreten, auch nicht ohne Erlaubnis und Vorladung in die Ratsſtube eintreten bei 5 bis 20 Groſchen Strafe je nach Verbrechung“.

W.Schilling.



[68] Bemerkt ſei noch, daß das Aktenſtück teilweiſe durch Unterſchriften vom Bürger- meiſter und ſieben Ratsmitgliedern, ſowie durch Beidruckung des Stadtwappens und der Wappen der Mitglieder des Ratskollegiums beglaubigt iſt.