Kapitel 81. Weihnachten im Obererzgebirge.

Unter allen Feſten des Jahres nimmt unſtreitig das Weihnachtsfeſt die erſte Stelle ein. Bereits einige Tage vor dem Heiligen Abende reinigt die Hausfrau mit ihren Töchtern das ganze Haus, putzt Fenſter und Gefäße und fegt die Stube. Auf die Dielen der Wohnſtube ſtreut ſie Stroh, welches auch, ſolange die zwölf Nächte dauern, liegen bleibt. Der Heilige Abend gilt ſchon als halber Feiertag. Erwachſene und Kinder haben ihr Sonntagskleid angelegt. Es werden die am An­ dreas-tag gebrochenen Reiſer herzugeholt, die in der kurzen Zeit bereits kleine Schoß- linge getrieben haben. Kaum iſt die Sonne zu Rüſte gegangen, ſo vereinigen ſich die Familienglieder zum frohen Mahl; denn heute giebt es „Neunerlei“. Die ſonſt ſo ſparſame Hausfrau hat den Ihrigen Semmelmilch, Klöße, Bratwurſt und Linſen, Sauerkraut, Heidelbeeren und ſonſtige erzgebirgiſche Feiertagsſpeiſen, ſo daß ſie neun Gerichte bilden, aufgetiſcht. Nach dem Eſſen beſtreut der Hausvater einige Brotſchnitte mit Salz und Nußkernen und giebt ſie dem Vieh im Stalle; auch dieſes ſoll wiſſen, daß heute Weihnachten iſt. Um die Obſtbäume im Garten ſchlingt er ein Strohſeil, damit die in der Chriſtnacht beſchenkten Bäume reichlicher tragen. Brot und Salz bleibt im Tiſchtuche eingeſchlagen auf dem Speiſetiſche liegen; denn nur dann geht das ganze Jahr hindurch der Segen nicht aus. Viele verbringen die Nacht wachend, um, wie ſie ſagen, die Metten nicht zu verſchlafen.

Das junge Volk vertreibt ſich die Zeit durch allerhand Kurzweil. In ein volles Waſſergefäß gießen die Mädchen durch einen Erbſchlüſſel flüſſiges Blei und ſuchen aus der Form des plötzlich erſtarrten Bleitropfens die Beſchäftigung des zukünftigen Bräutigams zu erraten. Drei Silberpfennige läßt man in einer mit Waſſer gefüllten Schüſſel ſchwimmen; nähern ſie ſich, ſo findet noch im Laufe des Jahres Hochzeit ſtatt, wozu der Pfarrer, welchen der dritte Pfennig darſtellt, ſeinen Segen giebt. Ein Auseinanderſchwimmen bedeutet die Löſung einer an­ geknüpften Bekanntſchaft. Die Zahl zwölf iſt bedeutungsvoll bei verſchiedenen aber­ gläubiſchen Gebräuchen. Zwölf Schüſſeln ſtellt man auf den Tiſch. In der einen liegt ein Brautkranz, in der andern ein Totenkrauz, in der dritten ein Gevatter­ ſträußchen u. ſ. w.; in die vorletzte hat man helles und in die letzte trübes

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Waſſer gegoſſen. Mit verbundenen Augen naht ſich die fragende Perſon; je nach dem Waſſer, wonach dieſelbe greiſt, wird das Jahr trüb oder heiter ſein. Wehe, wenn ſie nach der Schüſſel mit dem Totenkranze die Hand ausſtreckte!

Zwölf Häufchen Salz formt der Landmann in der Chriſtnacht und ſetzt jedes auf eine Zwiebelſchale; nach dem Grade der Feuchtigkeit, welche das Salz bis zum andern Morgen angezogen hat, läßt ſich die Witterung der kommenden zwölf Monate beſtimmen. Sind mehrere Töchter im Hauſe, ſo nimmt eine nach der andern einen Schuh und wirſt ihn nach der Thür; zeigt er mit der Spitze nach dem Aus­ gange, ſo verläßt das Mädchen im Laufe des neuen Jahres die väterliche Woh­ nung. Um Mitternacht hört man auf die durch das Kochen des Waſſers im Ofentopfe verurſachte Muſik; ſie prophezeit auf das ganze Jahr. Mit Glockenſchlag zwölf Uhr aber ſpendet das Brunnenrohr draußen im Hofe lauteren Wein.

Nach Mitternacht ſteigen einige Mitglieder der Kantoreifraternität die ſteilen Stufen im alten Wachtturme bis zur Türmerwohnung empor und ſingen da Weih­ nachtslieder. Durch die offenen Fenſter ſchallt der Choral „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her“ in die ſchweigende Winternacht hinaus. Noch iſt das Licht der Sterne nicht erblichen, da rufen die Kirchenglocken zur Chriſtmette. Reich und arm, groß und klein geht zum Gotteshauſe; wohl das ganze Jahr hindurch ſieht dasſelbe ſelten eine ſo zahlreiche Menge Andächtiger als an dieſem Morgen. Vom Chore herab ertönt das alte lateiniſche Weihnachtslied:

Quem Pastores laudavere, quibus, Angeli dixero: Absit vobis jam timere, natus est Rex gloriae.

Ad quem Reges ambulabant, aurum, myrrham, thus portabant, immolabant haec sincere, nato Regi glorae.

Exultemus cum Maria in coelesti Hierarchia, jubilando voce pia, dulci cum symphonia.

Christo Regi, Deo nato, per Mariam nobis dato, merito resonet vera, laus, honor et gloria.

(Entſtanden um 1400.)

In der Überſetzung lautet dieſes Lied:

Den die Hirten lobten ſehre Und die Engel noch viel mehre, fürcht euch fürbaß nimmermehre, euch iſt gebor’n der König der Ehre.

Zu dem die Kön’ge kam’n geritten, Gold, Weihrauch, Myrrhen brachten ſie mitte, ſie fielen nieder auf ihre Knie, gelobet ſeiſt du, Herr, allhie!

Freut euch alle mit Maria in des Himmels Hierarchia,

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da die Engel ſingen alle in dem höchſten Thron mit Schalle. Lobet alle Leut zugleiche

Gottes Sohn vom Himmelreiche; uns zum Troſt iſt er geboren,

Lob und Ehr ſei Gott dem Herrn!

Auch die Weisſagung aus dem Propheten Jeſaias, welche im 9. Kapitel ſteht und mit den Worten anhebt: „Das Volk, ſo im Finſtern wandelt, ſiehet ein großes Licht“ u. ſ. w. wird geſungen. Ein jeder Kirchgänger hat ſein eigenes Metten­ licht mitgebracht, der Lichtſtumpf wird ſpäter daheim heilig aufbewahrt; denn zündet man denſelben während eines Gewitters an, ſo ſchlägt der Blitz nicht ein; ſo behauptet wenigſtens der Aberglaube. Die letzten Klänge der Orgel ſind kaum verklungen, ſo eilt ſchon die frohe Kinderſchar den elterlichen Wohnungen zu; in ihrer Abweſenheit hat ja das Chriſtkind ſeine Gaben ausgebreitet. Der Leuchter, welcher auch in der ärmſten Hütte nicht fehlt, iſt angezündet; die Pyramide dreht ſich; der „Berg“ ſtrahlt im hellſten Kerzenlicht. Der „Berg“ iſt ein in der Stubenecke terraſſenförmig aufgebauter Paradiesgarten mit Stall und Krippe, mit Hirſch und Jäger, mit Engel und Stern, kurz, mit allem, was der Vater in den langen Winterabenden für ſeine Lieblinge zuſammenbaute. Heller jedoch als alle die Lichtlein ſtrahlen die Augen der beglückten Kleinen.

In Geyer knüpft ſich an den Mettengottesdienſt nachſtehende Sage.

Ein altes Mütterchen, welches von Kindheit an gewöhnt war, die Chriſt­ matten zu beſuchen, legte ſich am heiligen Abend nicht ſchlafen, damit ſie das Läuten nicht überhöre. Die Wanduhr war ſtehen geblieben; da ſchien es ihr, als ob die Glocken zur Kirche riefen. Raſch machte ſie ſich zum Kirchgang auf, die großen Bogenfenſter der Kirche waren ſchon hell erleuchtet. Wie gewöhnlich hatte ein jeder Kirchgänger ſein Mettenlicht angezündet, die Weisſagung wurde geſungen, ſo auch das Quem pastores. Nur deuchte es ihr, als ob die Andächtigen bleicher als ſonſt ausſähen, und als ſie näher hinſchaute, waren es lauter Verſtorbene. Eine Nachbarin zupfte ſie um Kleide und wiſperte ihr ins Ohr: „Gevatterin, Ihr ſeid zu früh und deshalb in die Totenmetten gekommen; dort ſeht Ihr die Schatten­ bilder derer, die in dem kommenden Jahre die unſern werden. Damit Ihr nicht auch dazu kommt, ſo werft beim Verlaſſen der Kirche den Mantel ab.“ Erſchreckt verließ das Mütterlein das Gotteshaus, that aber, wie ihr die Gevatterin ge­ heißen. Am andern Morgen fanden die Kirchgänger auf jedem Grabe des Fried­ hofes, welcher die Kirche umgiebt, ein Stücklein des Mantels, den die alte Frau beim Beſuche der Totenmetten getragen hatte.

HermannLungwitz.