Kapitel 79. Die Gründung von Johanngeorgenſtadt.

Der Abſchluß des Weſtfäliſchen Friedens im Jahre 1648 brachte den Pro­ teſtanten Böhmens die lang erſehnte freie Religionsübung nicht. Kaiſer Fer­ dinand III. weigerte ſich hartnäckig, den Religionsfrieden auf ſeine Erblande auszudehnen, und ſuchte auf alle Weiſe dem Katholicismus zum Siege zu ver­ helfen. Deshalb wandten ſich die böhmiſchen Lutheraner an den Kurfürſten Jo­ hann Georg I. von Sachſen (1611–1656) und baten ihn um Vermittelung. Gern erfüllte er ihre Bitte; aber alle ſeine Verſuche, den Kaiſer zur Milde zu beſtimmen, ſcheiterten. Ferdinand beharrte bei ſeiner Unduldſamkeit und ließ durch ſeine Beamten erklären, daß er nicht geſonnen ſei, eine andere Religion außer der katholiſchen in ſeinen Landen zu dulden, und daß er lieber ein ver­ wüſtetes, denn ein ketzeriſches Land haben wollte. Dieſe Verhältniſſe veranlaßten den Kurfürſten, zu erklären, daß er bereit wäre, allen denjenigen in ſeinem Lande eine Zuflucht zu gewähren, welche ihrem proteſtantiſchen Glauben treu bleiben und nach Sachſen übertreten wollten. Von dieſem Anerbieten machten namentlich die Bewohner der Bergſtädte Joachimsthal, Gottesgab, Platten und Abertham Ge­ brauch und beſiedelten verſchiedene ſächſiſche Gegenden. So entſtand Johann­ georgenſtadt, über deſſen Gründung hier noch einige nähere Angaben folgen mögen.

Gegen Ende des Jahres 1653 mehrten ſich die böhmiſchen Einwanderungen, welche bisher nur vereinzelt ſtattgefunden hatten. Dies veranlaßte das Patent, welches unterm 10. Oktober 1653 zu Joachimsthal ausgeſtellt worden war, und welches die „Gerichte und beſonders namhaft gemachte Perſonen als Meineidige, Treuloſe, Ehr- und Pflichtvergeſſene aus den kaiſerlichen Landen andern zum Exempel banniſierete, mit dem expreſſen Befehl, daß, wer von ihnen Böhmen be­ treten würde, in Ketten und Banden nach Prag geſchaffet, und was ihre Präten­ ſion und Forderung ſei, liegendes oder fahrendes, in Sequeſtratur genommen, und nichts gefolget werden ſollte.“

Die Lutheraner aus Platten wandten ſich infolgedeſſen nach Sachſen; ſie richteten ihr Augenmerk auf den Faſtenberg, „da nichts denn Stöcke und Steine zu befinden“. Dieſen Punkt wählten ſie wohl deshalb, weil der Berg nur eine Stunde von ihrem Heimatsorte entfernt iſt, und weil auch einzelne der Ihren ſich hier bereits in den Jahren 1651 und 1652 mit kurfürſtlicher Bewilligung an­ geſiedelt hatten; vielleicht hofften ſie auch reiche Silber-, Zinn- und Eiſenlager zu finden.

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Den erſten Anbauern folgten, wie es ſcheint um Ende des Jahres 1653, 39 Hauswirte, unter ihnen 4 Handelsleute, 6 Fuhrleute, 8 Köhler, 2 Glas­ macher, 2 Bäcker, 2 Zimmerleute u. ſ. w. Sie wählten wohl die Nacht zur Flucht, um einen Teil ihrer Habe „in das bittre Elend“ mitnehmen zu können. Ihre Häuſer nebſt Wieſen und Feldern, welche ſie verlaſſen hatten, wurden durch „unparteiiſche Ratsfreunde aus Joachimsthal“ taxiert und verkauft.

Dieſen Exulanten folgten bald andere nach. Als ſie ſich endlich ſicher vor Verfolgungen fühlten, hatten ſie neue Prüfungen zu beſtehen; denn ſie befanden ſich in dem wildeſten Teile des Erzgebirges. Dazu war ein ſtrenger Winter hereingebrochen, und nur wenige und kleine Wohnhäuſer ſtanden ihnen zu Gebote. Es ergreift uns mächtig, wenn wir den Bericht des nachmaligen erſten Pfarrers Polykarp Weber leſen: „Es hat in manchem Hauſe von Menſchen ge­ tönet, indem immer in die 12 bis 14 Paar Eheleute, ohne die Kinder und ledigen Perſonen, bei manchem ſich aufgehalten, daß, wer aufgeſtanden, bald ſeinen Sitz miſſen und ſich nicht wieder hat niederſetzen können.“ Aber trotz dieſer Übel­ ſtände harrten ſie mutig aus, und ihre Ausdauer wurde belohnt. Johann Georgs I. Huld und Gnade bereitete ihnen ein beſſeres Los. Sie beſchloſſen, um den Aufbau eines förmlichen Städtleins nachzuſuchen, uud überreichten dem Kur­ fürſten durch zwei aus ihrer Mitte — es waren Johann Weigel uud Gregor Röber — ein Bittſchreiben (Datum Faſtenberg, den 12. Februar 1654). In dieſem wieſen ſie auf den reichen Bergſegen hin, welchen ſie erhofften, und baten, der Kurfürſt möchte einem jeden gegen leidlichen Erbzins Raum und Bauholz zum Aufbau eines Häusleins gewähren, auch ihnen geſtatten, Kirche, Gottesacker, Pfarre und Schule zu errichten und einen Pfarrer und Schuldiener Augs­ burgiſcher Konfeſſion anzuſtellen, dabei ihnen auch gönnen und zulaſſen eines Bergſtädtleins Freiheit, Zunft und Innungen ſamt allen Handwerksgewohnheiten, ſowie einen Mahl- und Malzgang uud eine Brettmühle; endlich erſuchten ſie ihn, er möchte ihnen zur Ausführung ihres Vorhabens dieſe und jene Erleichterung und Beihilfe bewilligen.

Die vorgetragenen Bitten wurden erfüllt; denn ein kurfürſtliches Schreiben bewilligte unterm 23. Februar/2. März 1654 alles Erbetene mit Ausnahme der Mahlmühle. Die kurfürſtliche Genehmigung hatte folgenden Inhalt:

„Dem ehrenfeſten Unſerm Hauptmann der Ämter zu Schwarzenberg und Grünhain und lieben Getreuen Veit Dietrich Wagner zu Sachſenfeld, Oberſt­ leutnant Georg Wolf von Carlwitz zum Rabenſtein und Chriſtian Perſon, Schöſſer zu Schwarzenberg.[25]

Von Gottes Gnaden Johann Georg, Herzog zu Sachſen, Jülich, Cleve und Berg u. ſ. w., Kurfürſt u. ſ. w.

Ehrenfeſte und liebe Getreue! Was an uns die Exulanten von Platten wegen ihres am Faſtenberge geplanten Anbaues wehemütig und unterthänigſt haben gelangen laſſen, das habt Ihr aus dem Einſchluß mit mehrerem zu verſehen.

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Um nun dieſen armen bedrängten Leuten billig an die Hand zu gehen, alſo haben Wir gnädigſt bewilligt, daß ſie eine Kirche, Gottesacker, Pfarre und Schule daſelbſt aufbauen und mit Unſers Oberen Conſiſtoriums Vorwiſſen und Ein­ willigung einen Pfarr- und Schuldiener annehmen mögen, ſind auch gnädigſt zu­ frieden, daß Ihr einem jeden, der dieſes Ortes an- und aufbauen will, gegen einen leidlichen Erbzins ein gewiſſes Stück und etwas Holz, deſſen er zum Anbau not­ wendig bedarf, ohne Entgelt anweiſen und das Städtlein, welches Johann Georgens Stadt hinfüro genannt werden ſoll, den andern Bergſtädten gleich mit aller Frei­ heit, Zunft und Innung, Handwerks–Gewohnheiten, Brauen, Malzen, Schlachten, Backen, Schenken und einer Brettmühle verſehen möget. Wir wollen Uns auch betreffs der Bierſteuer, wenn Wir den wirklichen Anbau verſpüren, gebotener­ maßen und auf Euren vorhergehenden unterthänigſten Bericht mit ſeiner gnädigſten Conceſſion heraus wiſſen laſſen. Davon geſchieht Unſre Meinung, und Wir ſind Euch mit Gnaden gewogen. Gegeben zu Annaburg am 23. Februar im Jahre 1654.

Johann Georg, Kurfürſt.“

Eingegangen den 2. März im Jahre 1654.

Dieſer Stiftungsbrief von Johanngeorgenſtadt konnte verſchiedener Verhältniſſe wegen erſt am 11. März in Gegenwart der 39 Verbannten ver­ kündigt werden, welche ſich hocherfreut bedankten, daß ſie der Kurfürſt zu Unter­ thanen aufnehmen wollte; zugleich meldeten ſich 18 neue Exulanten.

Nun ſchritt man rüſtig ans Werk. Sobald es die Jahreszeit geſtattete, wurde — es war am 1. Mai 1654 — mit der Anlage der Stadt begonnen. Die Eingewanderten, deren Anzahl inzwiſchen beinahe bis auf hundert geſtiegen war, bedienten ſich eines Grundriſſes, welchen der Schulmeiſter zu Schwarzenberg, Zacharias Georg, mit vielem Geſchick entworfen hatte. Der Bau wurde raſch gefördert. Am 10. Mai konnte ſchon die Thürſchwelle zu dem erſten Hauſe gelegt werden. Aber es waren große Schwierigkeiten zu überwinden. Der Berg war dicht bewaldet und ſehr hügelig; auf dem Marktplatze waren z. B. 1690 größere Bäume auszuroden; es fehlte anfänglich an Waſſer und Lehm; die ge­ mieteten Maurer und Handwerker waren oft läſſig und überdies recht teuer; auch konnten einige wegen Geldmangels den Bau nicht beginnen; andere wurden von dem zeitigen Winter überraſcht, noch ehe ſie unter Dach waren; noch andere ent­ behrten acht Jahre lang der Fenſter und litten hart unter den Unbilden der Witte­ rung. Die Lage beſſerte ſich etwas, als genügend Waſſer und Lehm beim Grund­ graben aufgefunden wurden, und als der Amtsſchöffer Chriſtian Perſon unterm 25. Juli 1654 eine ernſte Verwarnung an die Arbeiter erließ. Auch beſtellten Veit Dietrich Wagener und der eben erwähnte Perſon vorläufig den ſchon vorher zum Schutze der Anbauer berufenen Georg Röber, der früher Richter zu Platten geweſen war, „zur Beförderung des Kommunweſens und zur Verſicherung vor unbilliger Gewalt“ zum Richter uud gaben ihm ſechs Aſſeſſoren zur Seite. Überdies erhielten einzelne auf ihr Anſuchen die Erlaubnis, im Auslande um Unterſtützung bitten zu dürfen.

Ende Juli 1654 waren bereits 40 Häuſer ziemlich vollendet, und Anfang Juni 1659 waren ihrer 150 vorhanden.

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Am achten Sonntage nach Trinitatis 1654, d. i. am 16.Juli, erhielten die Anſiedler in der Perſon des Polykarp Weber einen Seelſorger und Pfarrer (1654–1680), dem noch in dem gleichen Jahre der aus Platten gebürtige Student der Theologie Georgi als Schulmeiſter zur Seite trat. Im Jahre 1665 machte ſich dann auch noch, da die Einwohnerzahl zuſehends wuchs, die Anſtellung eines Diakonus nötig; der erſte Diakonus war Johann Meißner.

Johann Georg I. bewahrte den Bürgern der neuen Stadt ſeine Huld; er unterſtützte ſie auch ferner und gewährte ihnen, was ſie baten, wenn es berechtigt war. Dasſelbe that ſein Sohn und Nachfolger in der Regierung, Kurfürſt Johann Georg II. (1656–1680). Wichtig für die Bewohner war vor allem die Verleihung der Stadtprivilegien, welche am 14. März 1656, alſo noch von der Hand Johann Georgs I. († am 8. Oktober 1656) erfolgte. Es erhielt die „neue freie Bergſtadt Johann Georgens Stadt“ u. a. das Wahlrecht von Bürger­ meiſter, Richtern und Rat, die Erb- oder Untergerichte, ein Stadtſiegel, zwei freie Jahrmarkte, ſoviel Mahlmühlen, als bei der Stadt bedürftig wären, nebſt einer Schneidemühle und ähnliches. Von den gewährten Rechten machte man alsbald Gebrauch; am 21. November 1656 wurden der erſte Bürgermeiſter von Johanngeorgenſtadt — es war Johann Löbell sen. — und die übrigen Behörden gewählt und am 3. Dezember desſelben Jahres von der kurfürſtlichen Landes­ regierung beſtätigt.

Den Grund zur Kirche legte man am 10. Mai 1655 und weihte ſie am 15. Februar 1657 feierlichſt ein. Auch zum Kirchenbaue hatte der Kurfürſt be­ trächtliche Geldſummen beigeſteuert. Über dem Haupteingange war die Inſchrift angebracht: „Jesus nobiscum state.“ Darunter befanden ſich die Worte:

„Weil in Verfolgung viel bei Chriſto ſind geblieben Und die Religion die Plattner hat vertrieben, Macht ihr Exilium, daß hier durch Gottes Gnad Gebauet wurd die Kirch und Johann Georgenſtadt.“

Kurze Zeit darauf (vermittelſt Befehls vom 20. Februar 1657) wurde die Jugeler Glashütte, welche bisher nach Eibenſtock eingepfarrt geweſen war, der Parochie Johanngeorgenſtadt zugewieſen.

Für den Ausbau der Kirche und für die heiligen Geräte ſorgten der Kur­ fürſt Johann Georg II. und ſeine Gemahlin, ſowie andere „gutherzige Leute“. Bei alledem fehlte es doch ſehr häufig an dem nötigen Gelde, ſo daß der Kirch­ turm erſt 1713 äußerlich vollendet ward. Die Bürger erhielten zu den zwei kleineren Glocken, welche in einem Glockenſtuhle auf dem Marktplatze hingen, vom Kurfürſten im Jahre 1671 eine größere von 17 Centner Gewicht und im nächſten Jahre noch eine kleinere von 2 Centner 43 Pfund Gewicht.

Mit dem Rathausbau begann man im Februar 1664 und vollendete ihn im Auguſt 1669; am 31. Dezember 1673 erhielt die Stadt das Recht, im Rat­ hauſe eine Gaſtwirtſchaft zu eröffnen.

Unterrichtet wurde bis zum Bau eines eigenen Hauſes, welcher im Früh­ jahr 1666 in Angriff genommen ward, in einer Wandelſchule; ſeit 1688 waren mehrere Lehrer thätig.

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Das Städtchen blühte trotz der vielen Schwierigkeiten, mit welchen die Be­ wohner anfänglich zu kämpfen hatten, ſröhlich und raſch empor; denn immer ſtrömten neue Exulanten herbei, und der Bergbau warf, namentlich um das Jahr 1670, großen Gewinn ab, ſo daß der Ort im Jahre 1671 bereits 240 Feuer­ ſtätten zählte. Dr.PaulArras.



[25] Dieſe drei Männer nahmen ſich der Verbannten wiederholt mit der größten Liebe an und übermittelten häufig ihre Anliegen an den Kurfürſten.