Kapitel 67. Die Verfertigung von Muſikinſtrumenten in Markneukirchen und Umgegend.

Das obere Vogtland zeichnet ſich gleichwie das obere Erzgebirge durch Rauheit des Klimas und Unergiebigkeit des Bodens aus. Seine Bewohner würden daher trotz der üppigen Wälder und der reizenden Thäler, die im Sommer von den erholungsbedürftigen Großſtädtern aus dem Niederlande ſo gern aufge­ ſucht werden, doch ſehr beklagenswerte Menſchen ſein, wenn ſie nur auf die Be­ wirtſchaftung des Landes angewieſen wären. Aber bereits vor Jahrhunderten iſt ihnen die Induſtrie zu Hilfe gekommen, und ſo kann man heutzutage von einer eigentlichen Not durchaus nicht mehr reden, ſofern nur die Erzeugniſſe der Induſtrie immer den nötigen Abſatz finden oder, wie man zu ſagen pflegt, „das Geſchäft geht“. Unter den gewerblichen Unternehmungen, die im oberen Vogtlande ihren Sitz haben, und auf die das Vaterland förmlich ſtolz ſein kann, ſteht die Ver­ fertigung von Muſikinſtrumenten aller Art offenbar obenan. Dieſelbe iſt in der Hauptſache in Markneukirchen und in deſſen Umgebung, auch in den Städten Adorf und Schöneck, den Marktflecken Klingenthal, ſowie Erlbach und Brambach und einer Anzahl Dörfer, ingleichen in den angrenzenden böhmiſchen Orten Grasflitz und Schönbach zu finden.

Es iſt dieſe Induſtrie eine überaus ſeltene. Einen ähnlichen Induſtriebezirk giebt es nur im franzöſiſchen Lothringen um Mireécourt im Wasgenwald und zu Mittenwald in Oberbayern. Von dieſen drei Bezirken aus wird die ganze Welt mit Orcheſterinſtrumenten verſorgt. Die erzgebirgiſche Induſtrie iſt unter allen die älteſte; ihr Beſtehen läßt ſich bis auf das Jahr 1580, alſo bis 300 Jahre zurückverfolgen. Beſonders erlangte der ſächſiſche Inſtrumentenbau einen merk­ lichen Aufſchwung zu der Zeit, da viele evangeliſche Bewohner der nahen böhmi­ ſchen Städte Schönbach und Graslitz ihres Glaubens wegen die Heimat ver­

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ließen und ſich in Sachſen, namentlich in Markneukirchen und Klingenthal, an­ ſiedelten. Noch heute weiſen die gleichnamigen Firmen ſächſiſcher und böhmiſcher Inſtrumentenfabriken wie die von Glier, Paulus, Heberlein, Reichel u. a. auf die gleiche Herkunft und Abſtammung der Geſchäftsinhaber hin.

Insbeſondere war es der Geigenbau, der von alters her, begünſtigt durch das Vorhandenſein des damals noch geeigneteren Holzes in den rieſigen Wäldern, namentlich am Südabhange des Gebirges, und durch Erfindung eines beſonders guten Lackes, ſehr gepflegt wurde. Die zahlreichen Geigenbauer Markneukirchens vereinigten ſich 1677, die des Ortes Klingenthal 1766 zu Innungen und för­ derten ſo ihr Gewerbe nicht unbedeutend.

Im 17. und 18. Jahrhundert lebten in Italien, zu Brescia Caspar de Salo (1550–1612), Johann Paul Mazzini (1590—–1640) und zu Cremona Nico­ laus Amati (1596–1684), Anton Stradivari (1644––1737) und Joſef Guarneri (1683–1745), die berühmteſten Geigenmacher aller Zeiten, deren Inſtrumente wegen ihres beſtrickenden Klanges unerreichbar daſtehen und heutigestags mit 30000 Mark und mehr bezahlt werden.

Dieſen Vorbildern eiferten die Meiſter in Markneukirchen, dem ſächſiſchen Cremona, nach, und obgleich ſie dieſelben niemals ganz erreichten, ſo ernteten ſie dennoch die ungeteilteſte Anerkennung ihrer Zeit. Sie zeichneten ihre Fabrikate mit Zetteln, wie J. G. Ficker in Cremona, J. F. Pfretzſchner in Cremona aus, und bis auf unſere Tage hat man infolgedeſſen gemeint, daß die Genannten Schüler dieſer großen italieniſchen Meiſter geweſen ſeien und in Italien gelebt hätten. Ihre Inſtrumente haben gegenwärtig, namentlich wenn ſie geeignete Re­ paratur erfahren haben, ihrem Werte entſprechende, oft ſehr namhafte Preiſe.

Durch Arbeitsteilung pflegt jede Induſtrie an Güte und Billigkeit der Er­ zeugniſſe zu gewinnen, und ſo werden auch beim Geigenbau die einzelnen Beſtand­ teile des Inſtrumentes von hierzu beſonders befähigten Arbeitern gefertigt. Es entwickelten ſich im vorigen Jahrhundert die Darmſaitenmacherei, die gegenwärtig zur Großinduſtrie geworden iſt und ihresgleichen in keinem Lande der Erde hat, die Bogenverfertigung, die Stege-, Hals-, Griffbrett- und Saitenhalterſchnitzerei, die Verfertigung der Geigenkörper und andere Zweiginduſtrien, die namentlich in der Umgebung Markneukirchens ihre Heimat haben.

In Markneukirchen ſelbſt iſt der Sitz des Kunſtgeigenbaues, d. i. Verfertigung ſolcher Geigen, die durch Güte des dazu verwendeten Rohſtoffes und durch Sorg­ falt in der Anfertigung für das Spiel von Künſtlern ſich eignen. Hier iſt ferner auch der Ort, wo an wertvollen Geigen die ſich von Zeit zu Zeit notwendig machenden Ausbeſſerungen mit größtem Sachverſtändnis und peinlichſter Genauig­ keit ausgeführt werden.

Die Werkſtätten, in welchen der Geigenbau betrieben wird, beherbergen ge­ wöhnlich außer dem Meiſter nur einige Geſellen und Lehrlinge. Man nennt eine ſolche Herſtellungsweiſe im kleinen „Hausinduſtrie“.

Neben dem Geigenbau und ſeinen Zweiginduſtrien iſt jedoch das obere Vogtland auch der Sitz der Verfertigung aller übrigen Orcheſterinſtrumente und der ſogenannten Muſikſpielwaren. Die letzteren werden faſt ausſchließ-

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lich in Klingenthal und ſeiner an bevölkerten Induſtriedörfern reich geſegneten Umgebung gemacht; die erſteren haben mehr ihren Urſprung in Markneukirchen und Umgegend.

Zu den Orcheſterinſtrumenten gehören außer den bereits oben genannten Streichinſtrumenten noch die Holzblas-, Blechblas- und Schlaginſtru­ mente. Die Holzblasinſtrumente, welche zu ihrer Herſtellung feiner Berechnung Und beſonderer Kunſtfertigkeit im Bohren harter, zumeiſt fremder Hölzer und in der Anbringung einer Menge metallener Klappen bedürfen, müſſen vom muſik­ geübten Verfertiger angeblaſen und genau ausgeſtimmt werden, ebenſo, wie auch der Geigenmacher ſeine Geige vor der Ablieferung oder Verſendung erſt noch auf ihren Ton prüft. Aber auch der Metallblasinſtrumentenmacher iſt genötigt, das von ihm gefertigte Blechinſtrument auf ſeine Tonſchönheit und Tonrichtigkeit hin anzuſehen und etwaige Mängel vor Ablieferung abzuſtellen.

Kein Wunder, daß man, durch Markneukirchen gehend, aus dem einen Fenſter den ſummenden Klang eines Streichbaſſes oder einer Tuba, aus dem andern die ſchrillen Laute des Piccolo oder die klaren Töne der Oboe, hier die ſchneidende Schärfe einer Violine, dort das Kreiſchen einer Klarinette, bald wieder die vollen Klänge eines Waldhornes, die näſelnden eines Fagottes oder den ſchmetternden Schall der Trompete und der Poſaune hört. Und wenn man nun bedenkt, daß nicht bloß Meiſter und Geſellen das Inſtrument zu ſpielen pflegen, das ſie verfertigen, ſondern daß gewöhnlich die Knaben ſchon mit dem 10. Lebens­ jahre oder noch früher ſich auf dem Inſtrumente üben, mit deſſen Bau ſie ſich ſpäter beſchäftigen wollen — was ſie nur dann mit Vorteil thun können, wenn ſie es gut zu ſpielen verſtehen –, ſo wird es erklärlich, daß wohl nir­ gends in der Welt ſoviel Muſik gemacht wird als in dem oberen Vogtland, und daß z. B. in der Stadt Markneukirchen nicht weniger als fünf Muſikchöre vor­ handen ſind.

Auch die Klänge von allerlei Saiteninſtrumenten, welche angeriſſen werden, als Zithern, Guitarren, Mandolinen, Lauten, Bandurias und anderen, kann man vernehmen; denn auch mit dieſen Inſtrumenten verſorgt Markneukirchen die Welt.

In einzelnen kleinen Werkſtätten, vielfach aber auch in großen Fabriken werden die Blechblasinſtrumente gefertigt, die durch ihren goldenen Glanz, ihre ſeltſamen Formen und Biegungen das Auge feſſeln und durch ihren gewaltigen Klang zu dem Gemüte ſprechen. Gar kunſtvoll muß das Maß, der Zuſchnitt des Metalles, die Lötung der Rohre, die Biegung, die Zuſammenſetzung und die Ver­ ſchönerung und Ausſtimmung der einzelnen Teile bedacht und vollbracht werden, ehe die Inſtrumente ſo vollendet ſich darſtellen, daß ſie allen Anſprüchen, namentlich denen der Militärmuſiker, genügen. Deshalb haben die Inſtrumentenmacher eine ſchwere Lehr- und Lernzeit zu beſtehen und bedürfen gründlicher Bildung und eifrigen Weiterſtrebens. Die Königlich Sächſiſche Staatsregierung hat hierzu Ge­ legenheit gegeben durch die Gründung und Unterſtützung von Muſik- und Fach­ ſchulen für Inſtrumentenmacher in Markneukirchen, Klingenthal und Adorf und des Gewerbemuſeums zu Markneukirchen, in welchem ſich mehr als 900 ver­

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ſchiedene Muſikinſtrumente befinden, die aus allen Teilen der Erde und aus den verſchiedenſten Zeiten ſtammen und zum Teil als Muſter gebraucht werden.

Ein ſehr weit verzweigter Teil der vogtländiſchen Muſikinduſtrie iſt auch die Verfertigung von Zungeninſtrumenten, als Harmonikas, Konzertinos, Akkordions u. ſ. w. in Klingenthal und den Dörfern Zwota, Brunndöbra, Georgenthal, Ober- und Unterſachſenberg u.a. Die Verfertigung ſolcher Inſtru­ mente iſt gar nicht alt. Nachdem die Chineſen in ihrem „Schenz“, einer Art Mundorgel, ſchon vor Jahrtauſenden Metallplättchen, welche zwiſchen rahmen­ artigen Ausſchnitten ſchwingen, zur Anwendung gebracht hatten, wurde um das Jahr 1830 zuerſt die Stimmpfeife und ſodann in Wien die Blasharmonika her­ geſtellt; und heutzutage werden in Millionen von Inſtrumenten von der geringſten Blasharmonika, die man auf dem Jahrmarkte für wenige Pfennige kauft, bis zum feinſten Harmonium, ja bis zur großen Kirchenorgel Metallzungen angewendet in einer Länge von 5mm bis 25cm und entſprechender Dicke und Breite. Zum Ausſchneiden, Feilen und Ausſtimmen derſelben wendet man ſogar beſondere Maſchinen an. Auch im Schwarzwalde und in einzelnen großen Städten, wie Wien, Gern und anderen, macht man derartige Inſtrumente. Ein Hauptbeſtand­ teil dabei iſt der „Blasbalg“, deſſen Herſtellung im Vogtlande durch die Haus­ induſtrie geſchieht.

Mit dieſer großartigen und wunderbaren Induſtrie iſt ein die ganze Welt umſpinnender Handel verknüpft, deſſen Sitz zumeiſt in Markneukirchen iſt. Die Aufgabe beſonderer Händler iſt es zunächſt, für die Induſtrie die Rohſtoffe zu beſchaffen. Die Vielſeitigkeit derſelben ſpottet aller Beſchreibung. Alle Erdteile müſſen Erzeugniſſe hierher abliefern. Einzelne Händler beſorgen z. B. zu Geigen­ decken Fichtenholz aus dem Böhmerwald und den Karpathen; zu Geigenböden Ahornholz aus Tirol, Bosnien, Siebenbürgen; ferner Ebenholz und Elfenbein aus Oſtafrika, Buchsbaumholz aus Perſien und Kleinaſien zu anderen Geigen­ beſtandteilen; Pernambuk-, Pferdefleiſch-, Eiſen-, Schlangen- und andere Hölzer aus Südamerika, Muſcheln, Schildkrot vom Großen Ocean, Horn aus den Pampas Südamerikas, Pferdehaare aus Sibirien und China: dies alles zu Geigenbogen; Schafdärme aus Rußland, Zentralaſien, Sibirien, Schottland und Dänemark, Bimsſtein und Schwefel aus Sizilien und anderen vulkaniſchen Orten zur Saiten­ fabrikation; alle möglichen Harze und Öle aus den verſchiedenſten Teilen der Erde zur Bereitung des Lackes; ſodann Buchsbaum-, Roſen-, Grenadill-, Königs-, Jacaranda-, Nußbaum-, Ceder- und eine Menge anderer Hölzer aus Afrika und beſonders aus Mittel- und Südamerika zur Verfertigung von Holzblasinſtrumenten oder zur Verzierung von Zithern, Guitarren u. ſ. w.

Die Aufgabe anderer Händler beſteht darin, den kaufmänniſchen Vertrieb der von den Meiſtern gelieferten Inſtrumente zu übernehmen. Weithin in alle Teile der Erde werden dieſelben geſchickt. Morgen- und Abendland ſind willige Abnehmer; ganz beſonders aber ſind es Nord- und Südamerika, die engliſchen Kolonien und das große ruſſiſche Reich, wo Unmaſſen von Inſtrumenten abgeſetzt werden.

Bis zum heutigen Tage hat unſere heimiſche Inſtrumenteninduſtrie im­ Wettkampfe mit den gleichartigen Unternehmungen anderer Nationen, namentlich

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der franzöſiſchen, ſich trefflich bewährt und neben der billigen auch die beſte und feinſte Ware hervorgebracht. Unter den Tauſenden von Arbeitern ſind viele, die durch Kenntniſſe, Fleiß und Geſchicklichkeit ſo hervorragen, daß ihre Erzeugniſſe nicht nur gern gekauft, ſondern auch ſehr gut bezahlt werden. Daß die Inſtru­ mentenverfertigung ihre Leute wohl nährt, ſieht man an den ſchönen, ſaubern Häuſern und Gärten, die Markneukirchen zieren, und an den glücklichen, behäbigen Verhältniſſen, die dort obwalten. Freilich wird wohl auch ſelten in irgend einem Orte ebenſo fleißig gearbeitet und ebenſo fürſorgend geſpart.

  1. Avian-Bennewitz.