Kapitel 66. Julius Moſen, ein hervorragender Sohn des Vogtlandes.

Julius Moſen wurde am 8. Juli 1803 im Schulhauſe zu Marieney bei Schöneck geboren. Sein Vater, Johann Gottlob Moſen, der am 4. No­ vember 1778 in Arnoldsgrün ebenfalls als Sohn eines Dorfſchulmeiſters das Licht der Welt erblickt hatte, war ein hochbegabter Mann, der, auf der Latein­ ſchule zu Plauen gebildet, mit ſeinem Wiſſen und Können weit über die engen Verhältniſſe eines abgelegenen Dörfleins hinausragte, ſeinen Bauern gewaltig imponierte und ihnen in Zeiten der Not, wie z. B. während der Freiheitskriege, ein unverzagter, ſtets bereiter Helfer war. Julius Moſen hat dieſem Schulmanne von echtem Schrot und Korn, in deſſen feurigem Geiſte ſich tiefe Religioſität, wahre Vaterlandsliebe, Pflichtgefühl und eine hohe, dichteriſche Begabung har­ moniſch verbunden, ein herrliches Denkmal in ſeinen „Erinnerungen“ geſetzt.

Die Mutter des Dichters, die treue, aufopfernde Lebensgefährtin des Vaters, war die am 26. Oktober 1779 in Ölsnitz im Vogtland geborene Sophie Mag­ dalene Eniglein.

Die in der herrlichen vogtländiſchen Bergluft verlebten Tage ungebundener Freiheit, das Herumſchweifen in Wald und Flur, das von dem Vater und ſeinen Söhnen mit gleicher Leidenſchaft getriebene Jagen, Vogelſtellen und Fiſchen legten in den Knaben jenen träumeriſchen, für Waldesdunkel, Wieſengrün und Bachesrauſchen ſchwärmenden Hang, der in ſpäteren Jahren Moſen vor allen anderen deutſchen Dichtern auszeichnen ſollte.

Eines der köſtlichſten Kleinodien der vaterländiſchen Litteratur ſind die von rührendem Heimweh zeugenden „Erinnerungen“ Moſens, die der ſchwerkranke Dichter fern im Norden, in Oldenburg, ſchrieb; Erinnerungen, in denen, wie er ſelbſt ſagt, „ſein erquickungsdurſtiges Auge eine grüne, ruhige, ſonnige Stelle in den erlendurchzogenen Thälern ſeiner Heimat fand“.

Von Oſtern 1817 bis Oſtern 1822 finden wir Julius Moſen auf der ſtädtiſchen Lateinſchule zu Plauen, die damals endlich ihren Umzug aus den klöſterlichen Mauern des Diakonats, in denen einſt der Vater ſeine Bildung er­ halten, in das „vogtländiſche Kreisſchulhaus“ bewerkſtelligt hatte, das heute der Königlichen Baugewerkenſchule dient. Der berühmte Rektor der ſtädtiſchen Latein­ ſchule zu Plauen, Mag. Adolf Friedrich Wimmer, war der Pate Julius Moſens.

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Der friſche Dorfknabe, der beim Abſchied von Marieney ſeine Mitſchüler durch ein ſelbſtverfaßtes Gedicht zu Thränen gerührt hatte, kam in die Tertia und durchlief vorſchriftsmäßig die Klaſſen. Seinen Lehrern und der Schule, der er ſeine Bildung und die Entwicklung ſeiner dichteriſchen Anlagen verdankte, hat Moſen bis an ſein Ende die größte Anhänglichkeit und Liebe bewahrt.

Im Jahre 1822 bezog er als Student der Rechte die Univerſität Jena. Hier erwartete ihn die Unterſtützung eines mächtigen Gönners, des Hofrats und Profeſſors Hand, der als Freund Goethes und Erzieher der hochſeligen Kaiſerin Auguſta ſich einen Namen gemacht hat und ein Sohn des Superintendenten Jo­ hann Chriſtian Hand in Plauen war, bei dem ſeiner Zeit Julius Moſens Vater als Gymnaſiaſt die Dienſte eines Famulus verſehen hatte. Der junge Student nahm trotz ſeiner Mittelloſigkeit lebhaften Anteil am fröhlichen Leben der Jenenſer Burſchenſchaft, machte z. B. den berühmten Auszug nach Kahla mit, ſtudierte aber auch fleißig und entwickelte eine ſchon ziemlich bedeutende litterariſche Thätigkeit. So verfaßte er eine Novelle, „Der Gang zum Brunnen“, und ſchrieb ein Feſtgedicht auf den Rektor Magnificentiſſimus der Univerſität, den Großherzog Karl Auguſt von Weimar, das von Goethe als das beſte mit dem erſten Preiſe gekrönt wurde; ebenſo beteiligte er ſich an der Herausgabe von Koſegartens­ lyriſchen Dichtungen und veröffentlichte mit zwei Klaſſenbrüdern von der Latein­ ſchule in Plauen, dem ſpätern Rektor Braun in Königſtein und dem nachmaligen Oberpfarrer Ploß in Mittweida, ein Bändchen „Gedichte von einigen Freunden auf der Hochſchule“.

Im Auguſt 1823 ſtarb nach unſäglich ſchweren Leiden, nachdem er auch in Jena vergeblich Hilfe geſucht, der Vater des Dichters im noch nicht vollendeten fünfundvierzigſten Lebensjahre. Julius Moſen und deſſen nächſtälteſter Bruder Eduard, der 1884 als Oberpfarrer in Zſchopau ſtarb, verwalteten eine Zeit lang das Amt des Vaters; dann verzog die Mutter nach ihrer Heimat Ölsnitz, und der vom Tode des Vaters tief gebeugte Student fand Troſt und Zerſtreuung in einer Reiſe, die ſchon ſeit langer Zeit ſein Dichten und Trachten ausmachte und­ die ihm nur durch die bereitwillige Unterſtützung ſeines Freundes Dr. Kluge er­ möglicht wurde. Dieſer uneigennützige Mann, dem Deutſchland vielleicht ſeinen Dichter Julius Moſen verdankt, reiſte mit dieſem nach Italien, verließ ihn hierauf, um Ägypten zu beſuchen, verſah aber zuvor den Reiſegefährten mit den Mitteln, faſt zwei Jahre lang im Lande ſeiner Sehnſucht ſich aufhalten zu können. Glücklicherweiſe hatte Julius Moſen vom ſeligen Vater die Liebhaberei und An­ lage zum Zeichnen und Malen geerbt, und ſein Tagebuch, das er im Süden ge­ führt, und das bis jetzt noch nicht herausgegeben worden iſt, enthielt eine Fülle von Zeichnungen von Landſchaften, Gebäuden, Denkmälern, Porträts von Per­ ſonen, ſogar Nachbildungen von Gemälden aus Kirchen und Galerien. Vom Grabe des Virgil ſchickte er ſeinem alten Lehrer und Paten, dem Rektor Wimmer in Plauen, einen Lorbeerzweig, den dieſer hocherfreut ſeinen Gymnaſiaſten zeigte.

Aus Italien, das er in allen Richtungen durchſtreifte, beſonders aus Rom, wo der Umgang mit Künſtlern aller Art den jungen Vogtländer in das Verſtänd­ nis der klaſſiſchen Kunſt einführte, und wo er mit Hilfe ſeiner Sprachkenntniſſe

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im ſtande war, das Volk in allen ſeinen Schichten zu belauſchen, brachte Moſen die Stoffe zu ſeinen bedeutendſten Werken mit. „Kaiſer Otto III.“, „Cola Rienzi“, „Die Bräute von Florenz“, „Der Kongreß von Verona“, „Ritter Wahn“ ſind direkte Erinnerungen an Italien.

1826 kehrte Moſen in die Heimat zurück, wo er zuvörderſt das bereits in Italien begonnene Epos vom „Ritter Wahn“ vollendete. Eifrigſt widmete er ſich hierauf unter Entbehrungen mancherlei Art in Leipzig dem Studium der Rechte und beſtand 1828 im Frühjahr glänzend ſein Examen. Er begab ſich

Julius Moſen. Julius Moſen.

alsdann zu einem Freunde ſeines verſtorbenen Vaters, dem Advokaten Schweinitz in Markneukirchen, um daſelbſt ſeinen Acceß zu machen. Drei Jahre lang blieb er in dieſer Stadt, die zur bleibenden Erinnerung an ſeinen Aufenthalt im Jahre 1892 eine Gedenktafel an dem Hauſe anbringen ließ, in dem Moſen damals gewohnt hat. Er verließ Markneukirchen, als die Nachricht von der fran­ zöſiſchen Julirevolution nach Deutſchland kam. Er, der als Knabe die Freiheits­ kriege mit erlebt, der in ſeinem ſtillen Dörfchen Truppendurchmärſche aller Art geſehen, der ſchon auf der Lateinſchule in Plauen zu patriotiſchen Gedichten ſich begeiſtert hatte, hoffte jetzt eine Beſſerung der traurigen politiſchen Verhältniſſe in Deutſchland; er eilte nach Leipzig, nahm lebhaften Anteil an der dortigen

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Bewegung, fand auch einen Verleger für ſeinen Aufſehen erregenden „Ritter Wahn“ und machte, als die Gemüter ſich wieder beruhigt hatten, ſeine Speci­ mina, wie man es damals nannte, wodurch er zur ſelbſtändigen Rechtsanwalts­ thätigkeit und zur Anſtellung als Richter befähigt wurde.

1831 fand Moſen Anſtellung am Patrimonialgerichte zu Kohren. Der Beſitzer der drei Rittergüter Kohren, Sahlis und Rüdigsdorf war Dr. Cruſius, in deſſen Familie der neue Aktuar die liebenswürdigſte Aufnahme fand. Hier entſtand ſeine „Novelle mit Arabesken Georg Venlot“, ſein Schauſpiel „Heinrich der Finkler“ und die herrlichſten, zu wahren, unſterblichen Volks­ liedern gewordenen Gedichte „Der Trompeter an der Katzbach“, „Die letzten Zehn vom vierten Regiment“, „Andreas Hofer“. Zu den beiden letzten erfand Auguſt Schuſter, ein vogtländiſcher Landsmann und Freund des Dichters, der zuerſt Theologie ſtudiert hatte und dann zur Muſik übergegangen war, die Tonweiſen. Jedermann kennt die vom „Andreas Hofer“, und ſo ſei hierdurch dem leider viel zu früh verſchiedenen Komponiſten ein ehrend Denkmal geſetzt.

In Kohren war es auch, wo der Aktuar Moſen ein Orgeldreherweib be­ ſtrafen mußte, weil es ohne Gewerbeſchein ſeine „letzten Zehn vom vierten Regi­ ment“ auf der Straße geſpielt und geſungen hatte.

Das liebenswürdige Beſtreben der Familie Cruſius, den Dichter durch eine Verheiratung mit der Schweſter des Herrn vom Hauſe dauernd an Kohren zu feſſeln, veranlaßte den nach Ruhm und Freiheit ſtrebenden Moſen, ſeine Aktuarſtelle aufzugeben und ſeine Schritte nach Dresden zu lenken, wo er ſich 1834 als Rechtsanwalt niederließ. Hier gab er in der folgenden Zeit ſeine „Gedichte“ und einen Band „Novellen“ heraus, die er ſpäter in den großen Novellenkranz einfügte, den er „Bilder im Mooſe“ genannt hat; ebenſo ver­ öffentlichte er ſein Schauſpiel „Heinrich der Finkler“ und ſein zweites und bedeutendſtes Epos „Ahasver“, das des Schönen ſo viel enthält, daß es in vielen Stellen mit den erſten Meiſterwerken der alten und neuen Zeit verglichen werden kann. Seinen Ruhm beſiegelte außerdem die wohlgelungene und wieder­ holte Aufführung ſeines Dramas „Otto III.“

1840 erhielt Moſen wegen ſeiner Verdienſte um das deutſche Theater von der Univerſität Jena die philoſophiſche Doktorwürde honoris causa. Am 4. Januar 1841 verheiratete er ſich mit Minna Jungwirth, der Tochter des 1825 verſtorbenen Landgerichtsdirektors Jungwirth in Wittenberg, die ſeit dem Tode ihrer Eltern eine neue Heimat im Hauſe des Hofrats Kreißig in Dresden ge­ funden hatte. In ihr ſollte der Dichter nicht nur eine gleichgeſtimmte Seele finden, die ihm in ſeinem Streben zu folgen und ſeine tiefſten Gedanken zu verſtehen wußte, ſondern auch eine treue, aufopfernde Lebensgefährtin, die mit ihrem ge­ mütlichen und heiteren Weſen den düſtern Lebensabend des geliebten Mannes verklärte, ſoweit dies überhaupt möglich war.

Während ſeines Brautſtandes hatte der Dichter ein ſchwungvoll lyriſches und zugleich leidenſchaftlich tragiſches Drama vollendet, „Die Bräute von Flo­ renz“– Der Dichter wohnte mit ſeiner jungen Frau in der Rosmaringaſſe, während

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des Sommers in Strehlen, wo ein ſtattlicher Kreis gleichgeſinnter Männer ihn umgab. Es ſeien genannt der Hiſtorienmaler Joh. K. Bähr, dem wir das beſte Bild von Moſen vom Jahre 1838 verdanken, Prof. K. Förſter, A. Ruge, die Bildhauer Hähnel und Rietſchel, H. von Langenn, der Erzieher des damaligen Prinzen und jetzigen Königs Albert, Dr. Herm. Brockhaus, Baron von Weyrauch, Dr. A. Peters u. a. Auch Uhland, Hoffmann von Fallersleben, Em. Geibel und A. Stahr beſuchten hier Julius Moſen. Trotz ſeiner ausgedehnten amt­ lichen Thätigkeit fand er Zeit, im Anfange der vierziger Jahre den großen zwei­ bändigen Roman „Der Kongreß von Verona“, ſowie die Trauerſpiele „Herzog Bernhard von Weimar“, „Cola Rienzi“ und den „Sohn des Fürſten“ zu vollenden. Das letztgenannte Schauſpiel, welches den Zwieſpalt zwiſchen Friedrich dem Großen und ſeinem Vater behandelt, erfuhr ſeine erſte Aufführung in Olden­ burg. Es iſt ein wahrhaft prophetiſches Dichterwerk, welches die Neugeſtaltung Deutſchlands unter Preußens Führung vorausſieht, dieſe vom Dichter ſo erſehnte Einigung des Vaterlandes, für die ſein älteſter Sohn Erich, der freiwillig 1866 und ebenſo 1870 ins Heer eingetreten war, bei Mars la Tour ſein Blut verſpritzte.

Der Großherzog von Oldenburg Paul Friedrich Auguſt war durch den damaligen Konrektor des Oldenburger Gymnaſiums A. Stahr auf Moſen auf­ merkſam gemacht worden; „Der Sohn des Fürſten“ gab den Ausſchlag; der ehe­ malige vogtländiſche Schulmeiſtersſohn wurde 1844 mit dem Titel Hofrat als Dramaturg an das Hoftheater zu Oldenburg berufen.

Wohl fiel dem Dichter der Abſchied von Dresden ſchwer; doch die Ausſicht, ganz der Kunſt und ſeinem angebornen Berufe leben zu können, verſüßte den Trennungsſchmerz, und ſo zog denn Moſen mit ſeiner Gattin und ſeinen zwei Söhnen dem Norden zu, nachdem er zuvor der lieben ſächſiſchen Hauptſtadt und ihren Einwohnern als Andenken eine Abhandlung über die Dresdener Gemälde­ galerie hinterlaſſen hatte, die in der Geſamtausgabe ſeiner Werke unter dem Titel „Studien zur Kunſt der Malerei“ enthalten iſt.

Ja Oldenburg trat Moſen mit großer Begeiſterung in ſeinen neuen Wirkungs­ kreis. Er wollte, unterſtützt von einem kunſtſinnigen Fürſten, das Hoftheater zu einer Pflegeſtätte wahrer dramatiſcher Kunſt machen und ſah es als ſeine Haupt­ aufgabe an, die Meiſterwerke aller Zeiten und Völker zur Aufführung zu bringen. Sein Hauptaugenmerk richtete er auf die Leſeproben der Schauſpieler. So ſchreibt Guſtav Moltke, damals erſter Held und Regiſſeur des Schauſpiels: „Wie meiſter­ haft verſtand er ein Kunſtwerk zu erläutern; wie wußte er die Charaktere zu klarer Anſchauung zu bringen! Er durchdrang mit ſeinem feingebildeten Kunſtſinn und ſeinem hellen Geiſte bald den ganzen Aufbau einer Dichtung; bald wirkte er be­ lehrend und bildend auf jede Rolle ein… Freundlich und unermüdlich half er, wo er es für nötig und fördernd hielt, noch privatim weiter.“

Unter ſeiner Leitung gingen die beſten Schauſpiele von Shakeſpeare, Calderon, Leſſing, Goethe, Schiller, Gutzkow, Laube, Scribe über die Oldenburger Bühne.

So ruhmreich auch dieſe Zeit für Moſen iſt, die deutſche Litteraturgeſchichte wird die Größe Moſens in jener Periode finden, wo er noch nicht dem ihm un­ ereichbaren Ziele nachſtrebte, ein deutſcher Shakeſpeare zu werden, ſondern jene

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Perlen vaterländiſcher Lyrik ſchuf, die ihn berechtigten, auf dieſem Gebiet der würdige Nachfolger Goethes zu werden.

Dieſe Saite ſeiner Muſe erklang nochmals, als Moſen 1846 die allerdings ſchon früher, vornehmlich in Dresden geſchriebenen „Bilder im Mooſe“ ver­ öffentlichte, die eine dauernde Zierde unſerer Litteratur bleiben werden. Sie ſind in Proſa geſchrieben, verdienen aber, eine Reihe lyriſcher Gedichte genannt zu werden, denn welch eine Fülle der Liebe, welch eine Tiefe des Gemüts, welche Wärme des Gefühls iſt in dieſen „Bildern im Mooſe“ enthalten, die leider zu wenig bekannt ſind. Wie viele gebildete Deutſche haben des Engländers Tennyſon Gedicht „Enoch Arden“ geleſen, und niemand weiß, daß dies nur eine Umdichtung des „Ismael“ iſt, jener herzergreifenden Erzählung aus den „Bildern im Mooſe“, die ſich in der vogtländiſchen Heimat des Dichters abſpielt!

Von ſeinen eigenen dramatiſchen Entwürfen vollendete Moſen in Oldenburg nur „Don Juan von Öſterreich“, das ein Seitenſtück zu Schillers „Don Carlos“ und Goethes „Egmont“ iſt.

Wer hätte geahnt, daß dieſes Drama das letzte des Dichters ſein ſollte! Im Augenblicke, wo er ſich immer mehr der Höhe ſeines Ruhmes näherte, zeigten ſich bei ihm die Vorboten einer entſetzlichen Krankheit, die als gewöhnlicher Rheu­ matismus begann, ſich aber ſpäter zu einer Lähmung entwickelte, die ſich nach und nach über den ganzen Körper ausbreitete und zwanzig Jahre lang dauerte.

Eine Erkältung und zunehmendes Mißbefinden veranlaßten Moſen nach Helgoland zu gehen, aber er kam kränker zurück, als er hingegangen war. 1846 beſuchte er Wildbad im Schwarzwalde, 1847 und 1848 war er mit Frau und Kindern in der Waſſerheilanſtalt Leeſen in Mecklenburg, 1851 und 1852 in Wildbad Gaſtein; alles umſonſt. Trotz alledem ließ er, den die Krankheit brechen, aber nicht beugen konnte, nicht in ſeiner amtlichen und ſchriftſtelleriſchen Thätig­ keit nach; denn er entwarf noch die Trauerſpiele „Chriemhild“ und „Crom­ well“ und begann das köſtliche Kleinod unſerer Sprache „Die Erinnerungen“. Aber dies alles blieb unvollendet.

Nachdem der letzte Verſuch, eine Beſſerung ſeines Leidens herbeizuführen, als geſcheitert angeſehen werden mußte, war Moſen gezwungen, ſeine amtliche Thätigkeit einzuſtellen, obwohl er noch zuweilen auf ſeinem Zimmer Leſeproben abhielt. Die Krankheit verhinderte ihn zuerſt um Gehen, dann vermochte er nicht mehr zu ſchreiben, zu leſen, ja auch das Sprechen wurde ihm zuletzt unmöglich, und unendlich rührend iſt es, wenn wir erfahren, daß der arme Kranke klagte, nicht mehr im ſtande zu ſein, ſich die Thränen abzutrocknen.

Trotz ſeines Leidens ſuchte ſich der Dichter noch den Humor zu wahren, und die fröhlichen Stunden waren aus ſeinem Hauſe nicht ganz verbannt. Wenn er die nie raſtende Liebe der Seinen ſah, die in ihrer treuen, aufopfernden Liebe miteinander wetteiferten, wenn die beiden jugendfriſchen Söhne voller Burſchenluſt von der Hochſchule heim in die Ferien kamen, dann leuchtete ſein ſchönes, tiefes Auge vor Freude über das ihm gebliebene Glück.

Auch ſeine Freunde in Oldenburg ſuchten die Schwere ſeines Leidens zu mildern. Der General Mosle, Geh. Hofrat Günther, Präſident von Beaulieu­

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Marconnay, Profeſſor Laun und ſpäter auch Geh. Rat Jachmann und Präſident Meyer bildeten die ſogenannte „Donnerstagsgeſellſchaft“, die ſich regelmäßig in der Wohnung des Kranken verſammelte.

Die ſchönſte Freude wurde ihm zu teil, als zwei junge Freunde ſeines Hauſes, Aug. Schwartz und Rudolf Berndt, die ſchon längſt geplante Geſamt­ ausgabe ſeiner Werke in die Hand nahmen. War ſchon 1856 J. Scherr für dieſelbe thätig geweſen, ſo hatten doch Schwierigkeiten mancherlei Art das Jahr 1862 herankommen laſſen. Jetzt traten die genannten Schwartz und Berndt mit einer Subſkription auf die zu veranſtaltende Geſamtausgabe zunächſt an die deutſchen Turnvereine heran. Der Plan gelang, und nun begannen, wie ſein Sohn Reinhard Moſen in der Lebensbeſchreibung ſeines Vaters ſagt, für den Dichter Tage und Stunden, „in deren freudiger Aufregung die Krankheit oft faſt zu verſchwinden ſchien. Der kranke Körper richtete ſich auf, die großen dunkeln Augen flammten, und machtvoll klang die ſonſt ſo matte Stimme, ſei es, einen Kraftſpruch zu thun, ſei es, ein fröhliches Scherzwort in die Unterhaltung zu werfen.“ Übrigens war die Geſamtausgabe nicht aus pekuniärer Not unter­ nommen worden; vor ſolchen Sorgen ſchützten den Dichter die Hochherzigkeit ſeines Fürſten und eine Penſion aus der Schillerſtiftung.

Auch das deutſche Vaterland und vor allem ſein Vogtland nahmen teil an dem Schickſal des Dichters. Die Primaner des Gymnaſiums zu Platten ſchickten regelmäßig einen Glückwunſch zum Geburtstag, ein Dorf der Heimat ſandte dem Leidenden zum Troſt einen vollſtändigen „Waldgeſang“, d. h. ein aus Hänfling, Zeiſig, Fink und Stieglitz beſtehendes Quartett. Der „Lahrer Hinkende Bote“ ließ auf Grund einer von thut veranſtalteten Sammlung dem Dichter am Weih­ nachtsabend 1863 einen koſtbaren Ehrenbecher überreichen, deutſch-amerikaniſche Sänger und Offiziere ſchickten ein prächtiges Album, Freiligrath begrüßte ihn bei der Subſkription auf die Geſamtausgabe mit einem feurigen Gedichte, die Stadt Brake bat ihn, ein dort vom Stapel laufendes Schiff „Julius Moſen“ taufen zu dürfen, und die Tiroler Sängergeſellſchaft Holaus konzertierte nie in Oldenburg, ohne den armen Dichter durch den Vortrag ſeines „Andreas Hofer“ am Krankenbette zu erfreuen.

Das Morgenrot einer neuen Zeit für Deutſchland, das Jahr 1866, hatte Julius Moſen geſehen, den Aufgang der Sonne, das Jahr 1870, ſollte er, der treue Patriot, nicht erleben. Am 10. Oktober 1867 endete der Tod ſein ruhm­ volles und doch ſo unglückliches Leben.

Zwei Fichten aus dem Heimatsdörfchen Marieney rauſchen über ſeinem Grab und dem ſeiner treuen Gattin, die ihm 1880 im Tode folgte.

Eine Zeit lang ſchien der Sänger des „Trompeters an der Katzbach“, des „Andreas Hofer“, der „letzten Zehn vom vierten Regiment“ vergeſſen.

Wohl hatte man im Foyer des Theaters zu Oldenburg ſeine Marmorbüſte aufgeſtellt, die Stadt Plaum eine Straße nach dem Dichter benannt, doch fehlte ein ſeinem Ruhme gebührendes Denkmal. Dieſes geſchaffen zu haben, iſt das Verdienſt des Vogtlandes, der Stadt Plauen und des Vereins Vogtländiſcher Studenten in Leipzig.

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Am 8. Juli 1888, dem Geburtstage des Dichters, wurde in der Mitte der Stadt Plauen, am Poſtplatze, in Gegenwart des Prof. Guſtav Moſen aus Zwickau, des einzigen noch lebenden Bruders, ſowie des Oberbibliothekars Dr. Reinhard Moſen, des einzigen lebenden Sohnes des Dichters, und unter Teilnahme der Behörden und höheren Schulen, ſowie des im Wichs erſchienenen Vereins Vogtländiſcher Studenten ein ſtattliches Denkmal enthüllt, welches die von dem Bildhauer Dr. Kietz in Dresden entworfene Koloſſalbüſte Julius Moſens trägt.

Den Überſchuß des Denkmalfonds überwies man dem Lehrerſeminar, aus dem des Dichters Vater, der wackere Marieneyer Schulmeiſter, hervorging, und dem Gymnaſium, das als frühere ſtädtiſche Lateinſchule den vogtländiſchen Dorf­ knaben zuerſt mit den Muſen bekannt machte, ſo daß aus den Erträgniſſen je einem abgehenden braven Schüler der genannten Anſtalten zu Oſtern jeden Jahres Julius Moſens Werke als Prämie überreicht werden können.

Dr.MaxZſchommler.