Das Dorf Wernesgrün bei Auerbach hatte im dreißigjährigen Kriege viel von den Schweden zu leiden. Noch zeigt man dort in der Richtung nach Schnarrtanne zu einen hohen, mitten im Walde gelegenen überhängenden Felſen, das Eſtenloch genannt, unter dem die hart bedrängten Einwohner vor den Wüt richen Schutz ſuchten. Nicht weit davon liegt das Hahnhaus, urſprünglich eine Art Sennhütte und einem Wernesgrüner Gutsbeſitzer gehörend, deſſen Hirten einen Teil des Sommers hier zubrachten und erſt im Herbſt mit ihren Herden wieder nach dem Dorfe heimkehrten. Später wurde aus dieſem einzeln ſtehenden Haus ein bedeutendes Wirtſchaftsgebäude, und dieſes bekam den Namen Meierhof, den es aber infolge eines gleich zu erwähnenden Ereigniſſes mit dem Namen „Hahnhaus“ vertauſchte.
Es kamen nämlich — jedenfalls im Jahre 1639 — zwei Wernesgrüner Spitzenhändler von ihrer Reiſe aus dem Erzgebirge zurück und brachten die be trübende Nachricht mit, daß der ſchwediſche Oberſt Slange in Schneeberg auf das ſchrecklichſte hauſe, plündere und morde, und daß dort alles in die Wälder und Bergſchächte flüchte, um den Händen der Feinde zu entgehen; auch werde an einem der nächſten Tage der ſchwediſche Hauptmann Ankerſtröm mit einem Häuflein Soldaten durch das Dorf nach Plauen ziehen. Auf dieſe erſchütternde Botſchaft hin beſchloß man, Weiber und Kinder in die Wälder zu ſchicken, die bedeutendſten Habſeligkeiten in den oben genannten, mitten im Walde gelegenen und von hohen Fichten umſchatteten Meierhof zu ſchaffen und einige zuverläſſige Männer auf Kundſchaft auszuſchicken, die vom Herannahen der Schweden ſchnell Kunde bringen ſollten. Unterdeſſen wollte man Brot, Fleiſch und Branntwein in Bereitſchaft halten, um die ungebetenen Gäſte für den Augenblick zu befriedigen; würden ſie aber trotzdem barbariſch verfahren, ſo ſolle Gewalt mit Gewalt ver trieben werden. Zu dieſem Zwecke unternahm es ein Jüngling aus dem Meier hofe, Gideon Rink, der mehrere Jahre bei den Küraſſieren geſtanden und ſelbſt in einigen Schlachten mitgekämpft hatte, die ſtreitbaren Männer von Wernesgrün in den Waffen zu üben. Was an Feuergewehren aufzubringen war, wurde herbei geſchafft, und die übrigen Mannſchaften wurden mit Senſen und Keulen bewaffnet.
Einige Tage nach dieſen Vorfällen entſtand plötzlich im Dorfe ein un gewöhnlicher Lärm. „Der Feind kommt!“ hieß es, und wirklich kamen einige Reiter das Dorf heraufgeſprengt, aber nicht in ſchwediſcher Kriegstracht, ſondern in einem einfachen Jagdanzuge. Es war der Graf Czettwitz, der früher Haupt mann bei den Sachſen geweſen war und den genannten Rink in ſeiner Compagnie gehabt hatte. Ihm zur Seite ritt ſeine Verlobte, Hermine von Döring. Er er kundigte ſich nach ſeinem früheren Untergebenen, und als Gideon eilig herankam,
ſprang er vom Pferde und verlangte von ihm Schutz für ſeine Hermine. „Ter ſchwediſche Oberſt Slange,“ ſagte er, „der ſie in Zwickau kennen gelernt hat, ver folgt ſie wie ein Habicht; ſie iſt zwar bis jetzt ſeinen Schlingen glücklich ent gangen, aber wir ſind überall von ſeinen Kundſchaftern umgeben; ſelbſt der Ankerſtröm, der hier in der Nähe vorbei nach Plauen ziehen wird, hat Auftrag,ihr nachzuſtellen.“ Man beſchloß nun, ſie in den Meierhof zu bringen und ihr Gideons Geliebte, Marie, als Geſellſchafterin beizugeben. An demſelben Abende kam auch eine Verwandte Rinks mit einem hochbeladenen Wagen, auf dem ſich unter anderem Hühner und ein bunter Hahn befanden, an, um Schutz im Meierhofe zu ſuchen.
Schon am nächſten Morgen brachte ein ausgeſandter Kundſchafter die Nachricht zurück, daß Ankerſtröm nicht über Wernesgrün, ſondern über Schönheide und Auerbach nach Plauen ziehen werde. Und es verhielt ſich auch wirklich ſo. Durch mancherlei Umſtände am Vordringen verhindert, gelangte er erſt bei herein brechender Nacht in das von ſeinen Bewohnern verlaſſene Dorf Schnarrtanne, wo er Halt machen und ſeine Soldaten in den leeren Häuſern Unterkunft ſuchen ließ. Mitternacht war vorüber, als einer derſelben, der nicht ſchlafen konnte, unter die Thür trat und, wie er öfters zu thun pflegte, das Krähen eines Hahnes nach ahmte. Bald antwortete ihm vom Thale herauf ein wirklicher Hahn. Sogleich vermutete man ein Verſteck, und der Hauptmann befahl, den Wald zu durchſuchen, wobei jener Soldat von Zeit zu Zeit krähte. Der verräteriſche Hahn verfehlte nicht zu antworten, und ſo war der Meierhof bald entdeckt und von allen Seiten umſtellt. Die beiden Mädchen wurden gefangen, die Koſtbarkeiten eingepackt, die Gebäude niedergebrannt. Darauf zogen die Schweden raſch nach Wernesgrün; hier aber war man von dem Unglücke in Kenntnis geſetzt und hatte die nötigen Maßregeln getroffen. Czettwitz mit ſeinen Reitern und Gideon mit ſeinen Mann ſchaften ſtellten ſich am Taubenberge auf, um die Schweden hier bei ihrem Zuge nach Plauen zu überfallen; auch hatte Gideon die am Hohlwege zu beiden Seiten ſtehenden Fichtenſtämme ſo weit durchſägen laſſen, daß ſie mit Reiſighaken um geworfen werden konnten.
Mittlerweile zogen die Feinde im Dorfe ein, verzehrten die ihnen dar gebotenen Lebensmittel und verlangten eine unerſchwingliche Geldſumme. Sie war nicht aufzutreiben, und ſo wurden denn einige angeſehene Dorfbewohner ge bunden, um als Geiſeln mit fortgeſchleppt zu werden. Den Hohlweg des Tauben berges herauf trabte ſoeben der Zug. Da tönte plötzlich an der Seite des Waldes ein dumpfklingendes Horn; unmittelbar darauf folgte eine Musketenſalve und in einigen Augenblicken eine zweite. Mehrere Schweden fielen. Jetzt ſprang Gideon ſchnell hervor, ſtach die Wagenpferde nieder, befreite die beiden Mädchen und durchſchnitt die Feſſeln der Geiſeln. Unterdeſſen aber hatten die Schweden ſich von ihrem Schrecken erholt und fingen an, die Seiten des Hohlwegs zu erklimmen. Das tapfere Häuflein ſchien verloren — da praſſelten plötzlich die Rieſentannen über den Feinden zuſammen und warfen ſie gräßlich verſtümmelt in den Hohlweg zurück. Keiner entkam. Rinks Meierhof wurde aber bald wieder aufgebaut, und zum Andenken an die Begebenheit befeſtigte man auf dem Giebel des Hauſes einen eiſernen Hahn; daher der Name „das Hahnhaus“.
K.