Kapitel 63. Walpurgisfeier im Vogtlande.

Die Walpurgisfeier iſt jedenfalls ein Überreſt aus dem heidniſchen Götzen­ dienſte; nur hat ſie dadurch, daß auf dem 1. Mai der Tag der vom Papſte heilig geſprochenen Walpurga fiel, einen chriſtlichen Anſtrich erhalten. Die ge­ nannte Heilige war eine Tochter des Königs Richard von England, kam um das Jahr 748 mit ihren beiden Brüdern Wilibald und Wunnibald nach Deutſchland, wurde Äbtiſſin des Kloſters Heidenheim bei Eichſtädt und galt nach ihrer Heilig­ ſprechung als Beſchützerin gegen Verzauberung aller Art. Der Glaube der alten Germanen nahm an, daß in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai die Alrunen (weiſe Frauen, welche mit dem Prieſteramte bekleidet waren, Kräuter zu kochen und allerlei Zauberei auszuüben verſtanden ſich auf dem Hörſel- und Inſelsberge in Thüringen, auf dem Staffelſteine bei Bamberg, beſonders aber auf dem Blocks­ berge im Harz verſammelten, um daſelbſt Beratung mit ihrem Herrn und Meiſter zu pflegen.

Auf dem Hin- und Rückwege nach dem Orte der Verſammlung trieben die Zauberinnen mancherlei Unfug, und die abergläubiſche Menge ſuchte ſich durch verſchiedene Zaubermittel gegen ſie zu ſchützen. Drei Kreuze auf der Thürſchwelle waren für die Hexen ein unüberſteigbares Hindernis, und darum findet neun dieſe auch heute noch da und dort eingeſchnitten. Auch Raſenſtücke, an den Ein­ gang zum Stalle gelegt, oder friſche Birkenreiſer auf dem Düngerhaufen ſind wohl geeignet, die Macht des Zaubers zu brechen. Würde es den böſen weib­ lichen Weſen gelingen, die Kühe zu behexen, ſo erhielte man von dieſen Blut ſtatt der Milch und wäre trotz aller Sorgfalt und Mühe nicht imſtande, das Vieh fett zu füttern.

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Sollen die Hexen auf ihren nächtlichen Streifzügen von einem ganzen Orte abgehalten werden, ſo müſſen kräftigere Mittel in Anwendung kommen; denn wenn ſie einmal am Hauſe ſind, könnten ſie auf leichte Weiſe ihren Gelüſten auf irgend eine Art Genüge leiſten. Kräftige Bauerburſchen müſſen mit möglichſt großen Peitſchen die böſen Frauen ausklatſchen. In den Dörfern iſt darum um Walpurgisabende ein ſolches Durcheinander von Peitſchenknallen zu vernehmen, daß ein nervenſchwacher Menſch dadurch zur Verzweiflung gebracht werden kann.

Schöner und poetiſcher iſt das Anzünden von Walpurgisfeuern auf den Höhen. Wenn am 30. April abends Hunderte von Fackeln in die Thäler herab­ leuchten, ſo gewährt das einen ganz prachtvollen Anblick. Wie unſere heidniſchen Ahnen auf ihren Opferplätzen in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai ihre Feuer zur Ehre der Frühlingsgöttin Oſtara anzündeten, ſo wird jetzt in derſelben Nacht dem nahenden Mai ein Fackelzug dargebracht. Abergläubiſche Leute ſind jedoch noch heute der Meinung, daß der Ernteſegen dort, wo der Schein der Walpurgisfeuer geleuchtet hat, reichlicher ſein werde als an andern Orten.

Zu Walpurgis, wie zu den heiligen Abenden, wird in manchen Wirtſchaften nichts weggegeben, damit nicht der Segen aus dem Hauſe komme. Ein wenig Kuhdünger oder ſelbſt ein Hälmchen Stroh, das aus dem Stalle fortgetragen wird, kann demjenigen, der es mitnimmt, Segen bringen. Wer an dem Glücke eines Nachbarn Anteil haben möchte, borgt von dieſem zu Walpurgis eine Hand voll Salz oder ſucht ſein Licht an einem fremden Lichte anzuzünden. Doch kommt er bei ſolchen Verſuchen oft ſchief an; denn wer den Brauch kennt, geht nicht in die Falle und leuchtet dem Salz- oder Lichtbedürſtigen gehörig heim.

Das Schießen, das um Walpurgisabend gehört wird, gilt weniger den Hexen des Hörſel- und Blocksberges als vielmehr dem Bilmſchneider. Das iſt eine auf den Ernteſegen des Nachbars neidiſche Perſon, die ſich Sicheln an die Füße bindet und damit am frühen Morgen durch die Getreidefelder geht. Was der Bilmſchneider abſchneidet, geht dem Feldbeſitzer verloren, kommt aber dem Schneidenden im nächſten Jahre zu gute. Das abgeſchnittene Getreide wird von ihm nicht mitgenommen. Trifft ihn ein Feldbeſitzer bei ſeiner heimlichen Arbeit und grüßt ihn, ſo muß der Zauberer elendiglich umkommen; aber wenn der Bilmſchneider den, welchen er durch ſein Vorhaben ſchädigen wollte, zuerſt erblickt, ſo tritt der umgekehrte Fall ein, der Beſitzer alſo muß ſterben.

Da der Bilmſchneider zu Pfingſten die Winter-, zu Johannis aber die Sommerſaat durchwandert, ſo muß man ihm beizeiten ſein ſchauerliches Hand­ werk legen. Das geſchieht eben dadurch, daß man zum Walpurgisabend kreuz­ weiſe über die Felder ſchießt. Wo dieſe Vorſichtsmaßregel getroffen wird, da hat der Bilmſchneider keine Macht.

Der Vogtländer gehört zu denjenigen Volksſtämmen, die mit Zähigkeit an den alten Bräuchen feſthalten und ſelbſt die Polizei zu überliſten ſuchen, wenn ſie ihnen in den Weg treten will. Die Zeit der Aufklärung hat zwar manches Abergläubiſche geſtürzt; aber im Herzen der Alten iſt vieles, was uns lächerlich erſcheint, noch ebenſo feſt gewurzelt wie der Glaube an Gott. Die Sympathie­

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kuren erſcheinen heute noch vielen Vogtländern weit wichtiger als die Kunſt der Ärzte, und der Glaube an Zauberei, deren Wirkungen ja durch die Walpurgis­ feier gehoben werden ſollen, geht damit Hand in Hand.

H.Arnold.