Schon lange hegte ich den Plan, den „ſchwarzen Diamanten“ einmal einen Beſuch an ihren Fundſtätten zu machen; aber immer hatte ich gewiſſe Bedenken nicht überwinden können, in den finſtern Schlund eines Schachtes hinabzuſteigen. Endlich, im Jahre 1881, benutzte ich einen kurzen Aufenthalt in Zwickau zur Ausführung meines Vorhabens. Nachdem meine Reiſetaſche beim Pförtner des Bahnhofes untergebracht war, that ich ſogleich die nötigen Schritte, um mir die Erlaubnis zur Einfahrt in den „Brückenberg“ auszuwirken.
Da der Markſcheider, an welchen man mich in dieſer Angelegenheit gewieſen hatte, nicht anzutreffen war, verfügte ich mich in die Wohnung des Oberſteigers, der indes auch erſt nach beendigter Mittagszeit für mich zu ſprechen war. Die Zwiſchenzeit verbrachte ich am Schacht und bei der mächtigen Fördermaſchine,
welche einen geradezu überwältigenden Eindruck auf mich machte; etwas ſo Groß- artiges hatte ich auch nicht im entfernteſten vermutet. Noch weiß ich wie mir da mals beim Anblick dieſes Rieſenwerkes menſchlicher Erfindungs- und Thatkraft das Herz höher und freudiger ſchlug. Welch gewaltige Arbeitskräfte ſich doch der Menſch im Maſchinenweſen zu ſchaffen weiß! Und dieſes mächtige Rad von faſt erdrückender Größe, wie leicht und willig bewegt es ſich! Jetzt noch im ungeheuerem Schwunge kreiſend, ſteht es im nächſten Augenblicke ſchon feſt gebannt oder be wegt ſich in entgegengeſetzter Richtung; ein einziger Mann regiert es mit bequemen Griffen. Angeſichts ſolcher vertrauenerweckenden Betriebskräfte würde es mir ſicherlich ſchwer gefallen ſein, hätte ich jetzt noch auf die geplante Fahrt verzichten ſollen. Der Oberſteiger erteilte mir indes nur nach einigem Bedenken – und auf meine eigene Verantwortung hin — die Erlaubnis zur Einfahrt.
Mit welchem Vergnügen ſchlüpfte ich nun in das mir verabreichte Berg mannskoſtüm, beſtehend in weiten Pumphoſen nebſt grobem Leinwandkittel, Gürtel, Schutzleder und einem ſehr dicken, ſchweren Filzhut! Auch das Gruben lämpchen und der Hammerſtock fehlten nicht, und ſo ausgerüſtet, ging ich denn in Begleitung zweier Steiger über den Hof, dem Schachte zu.
Mit raſender Schnelligkeit ſanft hier der eine Drahtgurt in die Tiefe, während der andere nach oben ſchießt. Der Schacht iſt durch eine Wandung in zwei Hälften geteilt, ſo daß ſich in der einen ein Fahrzeug abwärts, in der andern gleichzeitig ein zweites aufwärts bewegt. Obſchon die Geſchwindigkeit der Bewegung ſo groß iſt, daß es dem Auge unmöglich wird, irgend einen Punkt an dem flüchtigen Gurte zu faſſen und zu verfolgen, ſo vergehen doch an zwei und eine halbe Minute, bis das an letzterem hängende Gerüſt mit ſeiner Ladung an den Tag tritt. Es iſt in mehrere Etagen eingeteilt, deren jede zwei „Hunde“ aufnimmt, ſchmale, aber tiefe Kaſtenwagen, mit Steinkohle oder „Berg“ (Erde, Steine) beladen. Nachdem man die Wagen herausgeſchafft und durch leere erſetzt hatte, war für uns der Augenblick des Einſteigens gekommen.
Während meine beiden Fahrgenoſſen, die mich in ihre Mitte genommen hatten, mit gleichgiltiger Alltagsmiene am Kaſten lehnten, war es mir ſelbſt an geſichts dieſer ungewohnten Fahrt doch etwas ſonderlich zu Mitte, und mit klopfendem Herzen harrte ich der drei Glockenzeichen, welche der Fahrt vorausgehen; ſie ließen nicht lange auf ſich warten: „bim – — bim — — bim“, ich klammerte mich feſt an, und das Fahrzeug ſenkte ſich. Im Augenblicke war das Tageslicht ab gebrochen; nur der Schein unſerer Lämpchen war geblieben und ermöglichte es, den Ausbau des Schachtes, teils Mauer, teils Holzwand, zu erkennen — aber auch nur auf kurze Zeit; denn das pfeilſchnelle Vorüberſchießen der Umgebung nötigte mich gar bald, die Augen zu ſchließen. Hatte ich zuerſt das Gefühl, als ſei mein eigenes Gewicht nicht ſchwer genug, dem verſinkenden Boden nachzufolgen – eine ſehr lebhafte Empfindung, die mich ſogar bewog, mich aus Leibeskräften nach unten zu ſtummen –, ſo glaubte ich nach einer Weile nicht anders, als daß die Fahrt wieder aufwärts ginge, infolgedeſſen ich endlich ſo ziemlich „verdreht“ unten anlangte. Auf einer Zwiſchenſtation, wo der eine meiner beiden „Kollegen“ ausgeſtiegen war, um in dieſer höher gelegenen Strecke ſeines Amtes zu walten,
hatte ich Gelegenheit zu beobachten, mit welcher Genauigkeit unſer Fahrzeug regiert wurde, indem ſich zwiſchen dem Boden des letzteren und dem der ſich ab zweigenden „Strecke“ auch nicht der kleinſte Höhenunterſchied zeigte.
Einfahrt in den Schacht eines Steinkohlenbergwerkes.
Mit „Glück auf!“ wurden wir bei unſerer Ankunft begrüßt, „Glück auf!“ war unſer Gegengruß. Welch ein Unterſchied iſt doch zwiſchen dieſem „Glück auf!“ Und den entſprechenden Höflichkeitsformen der Oberwelt! Nirgends wohl kann ein Gruß ernſtgemeinter, wahrhaftiger erklingen als hier in den immer gefahr
Verladung der Hunde in einem Kohlenbergwerke am Ausgang der Strecken.
vollen, weltabgeſchiedenen Gängen. An welchen Anblick ich mich nun zu ge wöhnen hatte, zeigte ſich mir ſogleich bei den erſten Schritten. Faſt allerorts hängt das Stützgebälke der Grubenzimmerung von oben herein, geborſten und zerſplittert, ohnmächtig dem Geſteine weichend — ein ſchauerlicher Zeuge des ungeheueren Druckes, der auf dieſen Höhlungen laſtet. Jetzt begriff ich auch, warum man mir den ſchier unbeugſamen Filzhut aufgeſetzt hatte; ohne ſeinen Schutz hätte mir gewiß mancher hereinragende Stein oder Balkenſplitter Kopfweh
Bergleute bei der Arbeit.
verurſacht. Ziemlich ſicher – wenigſtens gegen derlei „Anſtößigkeiten“ — ſühlte ich mich dagegen in den ausgemauerten, gewölbten Strecken.
Nicht lange noch waren wir in einem Seitengange vorgedrungen, da kam uns ein flottes Fuhrwerk entgegen, beſtehend aus Pferd und acht bis neun „Hunden“ nebſt dem dazugehörigen Fuhrmann, welches auf dem Schienenwege zum Schacht eilte. Ich war nicht wenig erſtaunt, auch hier, in einer Tiefe von etwa ſechs- bis ſiebenhundert Meter, das Pferd noch hilfeleiſtend anzutreffen. An einem warmen, behaglichen Stalle fehlt es natürlich auch nicht; ein zweites kleines, aber kräftig gebautes Röſlein erholte ſich darin von den Strapazen, es ſchaute uns neugierig an und war augenſcheinlich froh, in ſeiner Einſamkeit einmal auſgeſucht
zu werden. Mit Behagen atmete ich die Stallluft ein; denn hier hat der läſtige Kohlenſtaub, dem man in den Gruben nicht leicht ausweichen kann, weniger Zu tritt. Je tiefer wir kamen, deſto unbehaglicher wurde die Temperatur, nahezu unerträglich aber war ſie beim unterſten Abbau. Hier arbeiten die Bergleute auch zumeiſt nackt, abgeſehen von der Staubhülle, die ihrem ſchweißtriefenden Körper anhaftet. Inmitten dieſer ſchwarzen, behenden Geſtalten, inmitten der unheimlichen Glut hält es ſo ſchwer nicht, ſich in den Vorhof eines Höllenpfuhls verſetzt zu glauben. Aber auch hier fehlt der Humor nicht; während ich z. B. trotz der Hitze und des Staubes tapfer ſtandhielt, um das Ablöſen der glänzenden Pechkohle, das Einfügen u.ſ.w. zu beobachten, war man ſchon übereingekommen, den Gaſt „anzubinden“, um ihn dann gegen „Löſegeld“ wieder freizugeben. Ich vereitelte allerdings noch rechtzeitig die Ausführung dieſes ſchwarzen Kom plotts und bewahrte mir mit etwas Kleingeld die Freiheit; kommt einem doch da unten die letztere ohnehin nur wenig zum Bewußtſein!
Wir nahmen unſere Wanderungen wieder auf. Mein Begleiter ſchien Be denken zu tragen, mich jetzt in eine der jedenfalls gefährlichſten, unwegſamſten Abteilungen mitzunehmen; denn er bat mich, an einer bezeichneten Stelle ſeine Rückkehr abwarten zu wollen. Auf dieſen Vorſchlag ging ich um ſo lieber ein, als ich mir einen eigenen Reiz davon verſprach, an ſolchem Orte ein wenig träumen zu können. Zunächſt um meine Sicherheit bekümmert, wendete ich den kurzen Schein meines Lämpchens nach allen möglichen Richtungen. Freilich, bei näherer Beſichtigung ſchien dieſer Ort nicht mehr ſo recht geeignet zu einer beſchaulichen Betrachtung zu ſein. Die zerdrückten Querbalken, die kaum noch zurückgehaltenen Steinmaſſen über mir, ein wenig hier und da abbröckelnde Erde — das alles war nicht eben dazu angethan, ein Gefühl der Sicherheit oder des Behagens in mir aufkommen zu laſſen. Bedächtig ließ ich mich auf einen ſteinernen Sitz nieder. Rechts von mir führte ein Schlund ſteil hinan; vor mir gähnte die dunkle Höhle, durch welche wir gekommen waren, rückwärts die Fortſetzung derſelben, in welche ich dem ortskundigen Steiger nicht folgen ſollte.
Des letzteren Schritte waren bald verhallt. Grabesſtille und -Finſternis umgaben mich. – In Bergesmitte! – Ich wußte mich im Reiche der Kobolde. Schon war es mir, als zeigten ſich blaue Flämmchen in zahlloſer Menge am Boden, an den Wänden und drängten ſich, wie lauſchend, zuſammen, als kröchen aus Spalten hervor winzig kleine, graubärtige Männchen, geſchürzt und geſtiefelt, die ebenſo argwöhniſch als neugierig den Fremdling betrachten. — Ein unbedachtes Umherleuchten mit meiner Laterne hatte mir leider alle Phantaſiegebilde ver ſcheucht. Doch wie! – ertönen aus einem der urfinſteren Schlünde jetzt nicht dämoniſch-wildjauchzende Weiſen? Ich höre die Höllenmuſik aus „Robert, der Teufel“, ſchaurig, ungleich wirkſamer als in der Oper ſelbſt! – iſt dieſes Plätzchen ſchon geeignet, der Phantaſie einigen Spielraum zu laſſen.
In Gedanken verſetzte ich mich wieder hinauf an des Tages ſonnigen Schein, zurück auf die freie Wanderſtraße, zurück in die lebendige Natur hinein.
Welch ein ſchwerer, freudenloſer Beruf der des Bergmanns iſt, begriff ich erſt jetzt vollkommen.
17
Es mochte wohl ein halbes Stündchen vergangen ſein (etwa 2½ Stunden ſeit unſerer Einfahrt), als mein Begleitsmann zurückkehrte und wir den Rückweg zum Schachte antraten. Der Abkürzung wegen paſſierten wir nun einen ſolchen ſteilanſteigenden Gang, wie der an meiner Warteſtelle ausmündende war. Es fällt ziemlich ſchwer, hier feſten Fuß zu faſſen, und meine Kopfbedeckung hatte wieder manch kräftigen Stoß zu parieren. Die „Hunde“ können an ſolchen Stellen nur durch Maſchinen befördert werden, welche man durch komprimierte Luft — in Röhren vom Tage hergeleitet — in Betrieb ſetzt.
Als wir wieder in dem kleinen Steigerſtübchen in der Nähe des Schachtes angelangt waren, erfuhren wir von dem eben ſtattgehabten teilweiſen Zuſammen ſturz einer „Strecke“. Dieſes Ereignis war jedoch, als in Kürze bevorſtehend, vorhergeſehen, und die entſprechenden Vorſichtsmaßregeln waren getroffen ge weſen.
Nachdem wir uns einigermaßen abgekühlt, zu weiterer Vorſicht auch noch ein Taſchentuch um den Hals gebunden hatten, ſtellten wir uns ein und — flogen empor. Je ſchneller die Fahrt, deſto empfindlicher macht ſich die ohnehin ſchon kühle Schachtluft bemerkbar; ohne die nötige Vorſicht kann man alſo leicht dar unter zu leiden haben. Als ein gutes Zeichen drangen mir bald die Glocken ſchläge ins Ohr, die, wie vorhin unſere Abfahrt, jetzt unſere Ankunft meldeten. Nicht lange darauf war es plötzlich wieder Tag um uns. Froh betraten wir das trauliche Bureauſtübchen und erwiderten das herzlich entgegentönende Glück auf!