Kapitel 56. Zwickau.

Zwickau, die Hauptſtadt des erzgebirgiſchen Kreiſes, liegt in einem weiten Becken der weſtlichen Mulde, die nach ihr auch Zwickauer Mulde genannt wird. Die Stadt iſt auf dem linken Ufer des Fluſſes erbaut, und auch nach den bedeutenden Vergrößerungen in der Neuzeit hat ſie den Fluß nicht überſchritten. Obgleich zum Gebirge gehörig, iſt doch die Gegend von Zwickau, namentlich nach Weſten hin, verhältnismäßig flach und noch recht fruchtbar. Wer die Reize des Gebirges kennen lernen will, muß erſt eine größere Wanderung unternehmen oder einen Ausflug mit der Eiſenbahn machen. Dann aber wird er ſich gewiß reich belohnt finden.

Zwickau iſt, wie ſchon der Name andeutet, ſlaviſchen Urſprungs und mag wohl ſchon an 1000 Jahre alt ſein. Bereits ums Jahr 1000 taucht ihr Name auf. Damals ſtand die Stadt unmittelbar unter dem Reiche. An das wettiniſche Haus kam ſie unter Markgraf Heinrich dem Erlauchten, der ſie als Unterpfand für die der Braut ſeines Sohnes Albrecht verſprochene Mitgift von deren kaiſerlichem Vater Friedrich II. erhielt. Das Pfand wurde nicht eingelöſt, und im Jahre 1348 wurde das Haus Wettin förmlich mit der Stadt Zwickau belehnt. Zu jener Zeit war ſie eine nicht unbedeutende Handels- und Ge­ werbeſtadt. Sie lag an der großen Verkehrsſtraße von Nürnberg nach Leipzig und bildete eine der Hauptſtationen derſelben. Unter den Gewerben blühten im 14. Jahrhunderte namentlich die der Meſſerſchmiede und der Tuchmacher. Auch die Entdeckung der Schneeberger Silberſchätze war von Einfluß auf den Wohlſtand Zwickaus, da verſchiedene Zwickauer Bürger Anteil an dem reichen Bergſegen hatten.

Aber mit dem dreißigjährigen Kriege ging ſeine Blütezeit zu Ende. Die Einwohnerzahl ſank bis auf 4000 herab, die Gewerbe krankten und der

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Die Marienkirche in Zwickau in ihrer jetzigen Geſtalt. Die Marienkirche in Zwickau in ihrer jetzigen Geſtalt.

Handel war ganz und gar ins Stocken geraten. Faſt bis in unſer Jahrhundert herein verblieb Zwickau in dieſer Bedeutungsloſigkeit, und noch vor 70 Jahren

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betrug die Zahl der Bewohner nicht mehr als 5000. Der gewaltige Aufſchwung, den Zwickau in der Gegenwart genommen hat, datiert erſt von dem Zeitpunkte, da man anfing, die reichen Kohlenlager in der Umgebung in größerem Maßſtabe auszubeuten.

Wie faſt jede Stadt älteren Urſprungs, ſo hat auch Zwickau jetzt noch eine An­ zahl Gebäude aufzuweiſen, welche entweder durch ihre altertümliche Bauart auffallen oder durch berühmte Perſönlichkeiten eine geſchichtliche Bedeutung erlangt haben. Eins der ſchönſten Denkmäler gotiſcher Baukunſt in Sachſen und zugleich die größte Zierde Zwickaus iſt die im Jahre 1118 erbaute Marien­ kirche. Als weitere Zierde der Stadt gilt das Gewandhaus, ein gewaltiges Gebäude, ſeinen mit gotiſch-welſchen Schnörkeln verzierten Giebel dem Markte zukehrend, in dem ſich gegenwärtig das Stadttheater befindet. Am Markte ſtehen zwei weitere Häuſer von hiſtoriſchem Werte. Das eine bewohnte unſer großer Reformator Luther, als er hier gegen die Thomas Münzerſchen Irrlehren zu Felde zog; das andere iſt die Geburtsſtätte eines der größten Komponiſten unſers Jahrhunderts, Robert Schumanns.

Da Zwickau billiges Feuerungsmaterial beſitzt, ſo mußte dies Veranlaſſung zu bedeutenden gewerblichen Unternehmungen werden. In und bei der Stadt wurden zahlreiche Fabriken angelegt, namentlich ſolche, welche viel Kohlen zu ihrem Betriebe nötig haben, wie Glas-, Porzellan-, Steingut-, Chamottefabriken und Maſchinenbauanſtalten. Das bedeutendſte Eiſenwerk Sachſens, die Cains­ dorfer „Königin-Marienhütte“, konnte ſich nur in der Nähe eines Kohlenbeckens entwickeln, wie das Zwickauer iſt. [11]

So vielſeitig die Induſtrie der Stadt iſt, ſo groß iſt auch ihr Verkehr. Welch reges Leben herrſcht allein auf dem Bahnhofe! Die Millionen Centner Kohle, welche man im Zwickauer Becken zu Tage fördert, werden zum größten Teile hier verladen, um in langen Zügen allen den Orten zugeführt zu werden, die ihrer bedürfen. Täglich zählt man gegen 200 Kohlenzüge. Dadurch wird der Zwickauer Bahnhof zum verkehrsreichſten Bahnhofe nicht nur Sachſens, ſondern ſogar ganz Deutſchlands.

Für geiſtige Ausbildung wird in der Stadt durch vorzügliche Schulen reichlich geſorgt. Das Zwickauer Gymnaſium galt bereits im Mittelalter als Muſterſchule. Es hatte die Ehre, vom Reformator Luther als eins der „köſtlich­ ſten Kleinode des Landes“ geprieſen zu werden. Eine Bergſchule bezweckt die Ausbildung unterer Bergbeamter für den Zwickauer Kohlenbezirk.

Als Erholungsort für die Stadtbewohner dient der Park des nahen Eckersbach, eines Dorfes, bekannt durch jenes „Freigut“, welches der dankbare Kurfürſt Friedrich der Sanftmütige von Sachſen dem Retter des Prinzen Albert, dem Köhler Georg Schmidt, ſchenkte. Den Mittelpunkt der ſich im Stadtbezirke vergnügenden Zwickauer aber bilden die Anlagen am Schwanenteich und das Schwanenſchlößchen.

  1. V. Geyer.

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[11] Vergl. den Artikel „Königin-Marienhütte“ in Band II dieſes Werkes.