Kapitel 55. Jakob Georg Bodemer, der große Bürger der Stadt Zſchopau.

„Mein Vater, Johann Jakob Bodemer, ein geborener Württemberger, Be­ ſitzer der Kattundruckereien in Großenhain, Eilenburg und der Kattunweberei und Bleicherei, ſpäter — im Jahre 1819 – auch Baumwollſpinnerei in Zſchopau, wohnte zuerſt in Leipzig, dann in Dresden und von 1815 an in Großenhain.

Ich wurde am 26. April 1807 in Leipzig geboren, kam mit dem achten Jahre in das Knabeninſtitut des Paſtors Lenz in Heynitz bei Meißen, ſpäter in Penſion zu dem Rektor Kühn an der Stadtſchule in Großenhain. Mit 14 Jahren nach Erfurt geſchickt, wo ich zwei Jahre Lehrling in der Trommsdorfſchen Apo­ theke war, kehrte ich 1822 in das väterliche Haus zurück, lernte ein Jahr Färben daſelbſt und übernahm ſodann die Couleurküche der Kattunfabrik; hätte freilich in der Eilenburger Fabrik viel lieber gearbeitet, weil dieſe, als unter preußiſchem Schutzzoll gelegen, viel ausgedehnter war und die feinen Kattune drückte, während in Großenhain nur falſchfarbige, ſehr leichte Ware für den Orient mit Haupt­ depots in Trieſt und Smyrna fabriziert wurde.

Die gewerblichen Fortſchritte der Zeit ließen der empiriſchen Arbeit des da­ maligen Koloriſten einer Kattunfabrik indeſſen keinen Raum mehr, da auch das Maſchinenweſen ſich immer fühlbarer machte. In Anbetracht deſſen ging ich im November 1825 auf das Polytechnikum nach Wien und blieb daſelbſt volle vier Jahre. Obgleich Ausländer, genoß ich ohne beſondere Empfehlung alle Vorteile eines Öſterreichers, ſo z. B. bezahlte ich keine andere jährliche Steuer für den Unterricht und die Benutzung der Sammlungen als zehn Gulden.

Bei dem Studium von Mathematik, Mechanik, Phyſik hatten ſich aber Neigung und Wunſch verändert, d.h. ich fand das Koloriſtenfach gar nicht mehr ſchön, und da mein Vater 1830 ſich bewogen fand, die drei Etabliſſements ſpeziell unter ſeine drei Söhne zu verteilen, erhielt ich die Baumwollſpinnerei in Zſchopau in alleinigen Beſitz, nachdem der Einkauf und die Weberei daſelbſt wegen der

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niedrigen Arbeitslöhne in Schleſien in Zſchopau und Umgegend nicht mehr auf­ recht zu erhalten waren.

In Zſchopau bin ich volle 34 Jahre ohne Unterbrechung geweſen. Die Baumwollſpinnerei wurde vergrößert und verſchiedene Male in ihren Maſchinen faſt gänzlich geändert. 1833 führte ich das erſte Sortiment Differenzial-Fleyer

Jakob Georg Bodemer. Jakob Georg Bodemer.

aus dem Elſaß ein, eine Konſtruktion, die ſpäter allein und bis heute Verwendung fand, 1840, nach einer Reiſe in die engliſchen Spinnereidiſtrikte, die breiten Krempeln ſowie die Schlagmaſchinen mit Ventilation und Wickeldoublierung. Bei einer Reiſe in die Schweiz 1852 ergab ſich dort ſchon mehrfache Verwen­ dung der Turbinen zur beſſeren Ausnutzung von Waſſerkräften. Ich verwendete eine ſolche Turbine von 12 Fuß Durchmeſſer im Jahre 1854. Einige Jahre ſpäter wurde der Übergang zu dem Syſtem der Selfaktor-Spinnmaſchinen nötig.

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1864 zog ich mich nach Dresden zurück, die Fabrik in Zſchopau an Sohn und Schwiegerſohn übergebend, die ſie auch ſtets in Motoren und Maſchinen voll­ ſtändig um der Höhe der Zeit geführt haben.“

So ſchlicht erzählt der Ehrenbürger der Städte Zſchopau, Chemnitz, Brand, Zwönitz, Scheibenberg, Schlettau, Thum und Oberwieſenthal, Jakob Georg Bodemer, in der Biographie, welche er für ſeinen Sohn niederſchrieb, ſein Leben. Von fremder Hand iſt auf dem nur mit Bleiſtift beſchriebenen Bogen, der obiges enthält, der Todestag, der 27. November 1888, hinzugefügt worden. Von dem maßgebenden Einfluſſe, den Bodemer auf die für das Sachſenland ſo über­ aus wichtige Baumwollſpinnerei ausübte, von den bahnbrechenden Verbeſſerungen innerhalb der Fabrikation, von den hochherzigen Verwendungen ſeiner Mittel, wodurch er ein Wohlthäter des Erzgebirges und unſeres Vaterlandes überhaupt wurde, iſt in dieſer Selbſtbiographie kein Wort erwähnt. Dies entſpricht dem Charakter des Wohlthäters, der ein Feind jeglichen Dankes war, der ſogar drohte, eine weitere Zuwendung zu verſagen, wenn die Kunde davon an die Öffentlichkeit dringen würde.

Verweilen wir zunächſt bei dem Spinner Bodemer. Bereits in einer Biographie des Vaters unſeres Georg, Johann Jakob Bodemer[10], aus Calw in Württemberg gebürtig, welcher ſich zu einem hervorragenden Induſtriellen Mitteldeutſchlands emporgearbeitet hatte, heißt es vom Sohne Georg, daß er damals ſchon zu den wiſſenſchaftlich gebildetſten Baumwollſpinnern Sachſens zu zählen ſei, und Dr. Ernſt Engel in ſeinem Buche „Die Baumwollſpinnerei im Königreich Sachſen“ nennt ihn einen der tüchtigſten Spinner des Landes.

Bodemer, die Überlegenheit des Auslandes erkennend, bereiſte dasſelbe wiederholt; er kannte demnach die Fortſchritte des Auslandes nicht nur vom Hörenſagen, ſondern verfolgte dieſelben mit ſcharfer Aufmerkſamkeit und war erfolgreich beſtrebt, durch Einführung und Verbeſſerung der neueſten Maſchinen die heimiſche Induſtrie zu heben. Dabei war es aber nicht Geſchäftsregel bei ihm, dieſe Maſchinen der öffentlichen Anſchauung zu entziehen, ſondern er war im Gegenteil bemüht, den heimiſchen Maſchinenbau auf neue Konſtruktionen aufmerkſam zu machen und durch weitere Aufträge zu unterſtützen. Im Jahre 1845 wurde der Bodemerſchen Spinnerei die erſte größere Anerkennung zu teil, indem ſie auf der Dresdner Gewerbeausſtellung die goldne Medaille erhielt. In der Begründung heißt es, daß die Bündel geweiſter Garne ungeteilten Beifall fanden, und daß dieſes Geſpinſt hinſichtlich ſeiner Schönheit bei ſehr billigen Preiſen den beſten Leiſtungen dieſer Art an die Seite zu ſetzen ſei; „insbeſon­ dere wegen jahrelang fortgeſetzter Erzeugung von Kettengarnen ausgezeichneter Qualität für Powerlooms, namentlich in Nr. 36 und 40, worin dieſer rühmlich bekannte Spinnereibeſitzer den Vorzug vor andern Spinnereien genießt, und welches den Nachweis ſeines vollkommen geordneten techniſchen Betriebes giebt, wurde derſelbe zu der goldenen Medaille empfohlen.“

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Als Induſtrieller war Bodemer ſtreng und ſparſam, er hielt auf pein­ liche Ordnung und Sauberkeit. Mehr durch Umſicht und große Sparſamkeit als durch weit ausholende Unternehmungen ſuchte er ſich ein unabhängiges Vermögen zu ſichern; doch nachdem dieſes erworben war, galt ſeine fernere Thätigkeit nur dem Erwerb von Mitteln, um ſeinem großartigen Sinne für Wohlthun, für Unterſtützung von unſchuldig Bedrängten und redlich Strebenden, ſowie für Förde­ rung von Volksbildung und allen humanen Beſtrebungen Genüge leiſten zu können. Er tadelte ſcharf das unfruchtbare Leben derer, welche nie einen andern Sinn als den des Erwerbes und des eignen Genuſſes kennen. Der größte Teil ſeiner derartigen Aufwendungen iſt unbekannt geblieben. Selbſt getragen von wahrhaft edler, hochherziger Geſinnung, lieh er allen den Beſtrebungen ſeine that­ kräftige Unterſtützung, welche dem Wohle der Menſchheit zu gute kommen; viel Mühe, Umſicht und Weisheit verwandte er darauf, zu erkennen, was und wieviel in jedem einzelnen Falle nützlich ſei. Oft beteiligte er ſich an öffentlichen Sammlungen nicht, dafür ließ er einzelnen Wohlthaten zukommen. Wie er gab, iſt noch höher an Bodemer zu ſchätzen als die Summen, welche er aufwendete. An 200 Dörfer und Städte haben von ihm Lehrmittelſammlungen und Büchereien für die Schulen erhalten; darunter befinden ſich 17 Städte, in welchen beſondere Bodemer-Stiftungen beſtehen. Auch Schenkungen und Stif­ tungen anderer Art ließ Bodemer Städten, Hochſchulen u. ſ. w. zukommen. So hat Chemnitz in einem geſonderten Raume der Kunſthütte die Sammlung der von ihm geſchenkten Ölgemälde vereinigt; in gleichem Zimmer befindet ſich auch die künſtleriſch ausgeſtattete Adreſſe, welche die Profeſſoren des evangeliſchen Gym­ naſiums zu Hermannſtadt in Siebenbürgen ihrem Wohlthäter zu ſeinem achtzigſten Geburtstage widmeten. Erſt nach ſeinem Tode wurde bekannt, daß er die Hälfte ſeines beträchtlichen Einkommens mehr als 20 Jahre lang für Wohlthätigkeits­ zwecke verwendet hatte; davon kamen allein auf Unterſtützungen an ſächſiſche Torfſchulen, Schullehrerſeminare und an Leipziger Studenten jährlich 12000 Mark, wie ſich aus einer im Beſitz der Bibliothek des Königlich Sächſiſchen Statiſtiſchen Bureaus befindlichen Handſchrift ergiebt.

Das Verhältnis zu ſeinen Arbeitern war ein väterliches. Selbſt un­ ermüdlich thätig, ſchätzte er über alles die redliche Arbeit. Unter ein Bild, welches eine Anzahl alter verdienter Arbeiter darſtellt, und das heute noch das Kontor der Zſchopauer Fabrik ſchmückt, ſetzte er den Spruch:

„Arbeit iſt des Lebens Pflicht! Der Stand, der ehrlich mich ernährt, Der iſt auch meiner Achtung wert.“

Bodemer war beſeelt von einem Patriotismus, wie wenige ihn kannten und heute noch wenige kennen. Die Idee eines großen einigen Deutſchlands unter mächtigen Kaiſern als Trägern des Ruhmes und der Ehre der Nation lebte ſchon lange vor der Wiederaufrichtung des deutſchen Kaiſerreichs in ſeinem Herzen. Seit dem deutſch-franzöſiſchen Kriege das politiſche Heil Deutſchlands in einer ſtarken Armee erkennend, wandte er ſeine Intereſſe auch militäriſchen Dingen zu und machte namhafte Stiftungen an Unteroffizierſchulen.

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Seinen Lebensabend verbrachte er ſtill an der Seite ſeiner ihn treu pflegenden zweiten Gattin. Unter immer lebendig bleibender Teilnahme für die Ereigniſſe der großen Welt, wie auch für die geringſten Vorkommniſſe des täglichen Lebens, war er doch ſtets bereit für den Fall eines plötzlichen Todes. Derſelbe trat denn auch ein, ſchneller, als man geahnt hatte. Inmitten völliger geiſtiger und körper­ licher Friſche machte am 27. November 1888 ein Gehirnſchlag ſeinem Leben ein Ende. Er ſtarb in Dresden im Alter von 81¼ Jahren.

Auf dem Friedhofe in Zſchopau iſt Bodemer beſtattet. Dem letzten Willen entſprechend, waren bei der Beerdigung alle Äußerlichkeiten, Blumenſchmuck und Grabgeleite ausgeſchloſſen; nur ſeine nächſten Angehörigen „und diejenigen, welche mit ihm gearbeitet hatten,“ ein kleiner Zug der älteſten Arbeiter der Fabrik, be­ gleiteten ihn zur letzten Ruheſtatt.

Von Jakob Georg Bodemer gilt das Dichterwort:

„Wer den Beſten ſeiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.“

HermannLungwitz.



[10] Allgemeine Zeitung für National-Induſtrie vom 5. März 1844. Seine wiſſen- ſchaftliche Ausbildung genoß J. J. Bodemer auf der damals hochberühmten militäriſchen Karlsſchule in Stuttgart; zu ſeinen Mitſchülern gehörte der Dichter Schiller.