Gewöhnlich wird angenommen, daß der engliſche Geiſtliche William Lee der Erfinder des Strumpfwirkerſtuhles ſei. Die Liebe zu einem jungen, armen Mädchen, welches durch Strumpfſtricken ſich und die jüngeren Geſchwiſter ernähren mußte, ſoll den damaligen Kandidaten veranlaßt haben, die Herſtellung einer Maſchine zu verſuchen, welche geeignet wäre, das Stricken zu erſetzen. Erfand Lee nun auch keine derartige Maſchine, ſo ſtellte er doch gegen das Ende des ſechzehnten Jahrhunderts den bis dahin noch unbekannten Strumpfſtuhl her. Die von ihm erträumten goldenen Berge blieben jedoch aus. Lee teilte das Los ſo vieler Erfinder: die Sorge und die Not um das tägliche Brot verließen ihn nicht bis zu ſeinem Grabe.
Zur Zeit, als Lee den Handwirkſtuhl herſtellte, gehörten Strümpfe, be ſonders ſolche, welche aus Seide gefertigt waren, zu den Seltenheiten. Wird doch erzählt, daß Jakob 1., der Sohn der unglücklichen Königin Maria Stuart, bei ſeiner Krönung zum Könige von England im Jahre 1603 nicht einmal im Beſitz eines Paares ſeidener Strümpfe war, ſondern ſich ſolche erſt von einem ſeiner Hofherren, dem reichen Herzog von Buckingham, leihen mußte, damit er
nicht, wie er ſagte, vor den fremden Geſandten wie „ein gemeiner Kerl“ zu er ſcheinen brauche.
Die Leeſche Erfindung wurde anfangs nur in England und in Frankreich ausgebeutet; in Sachſen iſt das Strumpfgewerbe erſt ſpäter und zwar durch Johann Eſche bekannt geworden. im Turmknopfe der Kirche zu Limbach bei Chemnitz, in dem Orte, wo die Strumpfwirkerei in Sachſen zuerſt eingeführt ward, findet ſich aus dem Jahre 1745 folgende Notiz: „Sonderlich haben wir dieſes Ortes Güte zu rühmen, die ſich einige Jahre daher durch eine geſegnete Strumpf-, Seiden- und Wollen-Fabrique veroffenbaret hat, welche unter Direktion Herrn Johann Eſches, eines angeſeſſenen, wackern, unbetrüglichen und dienſt fertigen Mannes ſich angefangen hat und bis dahero mit göttlichem Segen glücklich fortgeſetzt worden, alſo, daß ſich bei und neben uns, ja über Meilen weit, außer uns mit Wirken, Spinnen, Nähen ſehr viele Menſchen beiderlei Geſchlechts davon profitieren und ihr Brot verdienen. Dieſer Herr, 63 Jahre alt, iſt ein Sohn Haus Eſchens, des letzten Schwarzfärbers in Limbach.“
Die Nachkommen des Johann Eſche ſind dem von ihrem Vorfahren ein geführten Induſtriezweige treu geblieben, und ein Urenkel, Eugen Eſche, iſt heute Chef der Weltfirma: Moritz Samuel Eſche. Johann David Eſche (geb. 1709, geſt. 1782) gab der von ſeinem Vater Johann Eſche eingeführten Strumpfwirkerei immer weitere Verbreitung; im Jahre 1777 übernahm ſein Sohn Johann Samuel Eſche (geb. 1746, geſt. 1834) das väterliche Geſchäft und betrieb es kaufmänniſch in größerem Umfange, überließ es dann aber ſeinen beiden Söhnen, Moritz Samuel und Reinhold, die es bis zum Jahre 1836 gemeinſchaftlich weiterführten. In dieſem Jahre ſpaltete ſich dasſelbe in zwei ſelbſtändige Geſchäfte unter den Firmen „Moritz Samuel Eſche“ und „Reinhold Eſche“.
Moritz Samuel Eſche (geſt. 1854) übergab im Jahre 1843 ſein blühendes Geſchäft ſeinen Söhnen Julius und Theodor, die im Jahre 1853 das erſte ge ſchloſſene Etabliſſement in Limbach erbauten, um die von ihnen aus England und Frankreich eingeführten Rundſtühle und reguläre Kraftſtühle in größerer Zahl aufſtellen und ſelbſt bauen zu können. 1859 wurde Eduard Wiede Teilhaber der Firma und nach dem Tode ſeines Vaters Julius Eſche im Jahre 1867 Eugen Eſche. 1873 ſtarb Theodor Eſche, und im Jahre 1883 wurde Georg Wiede als Teilhaber aufgenommen.
Theodor Eſche hat die für die Strumpfwirkerei neuerfundenen Maſchinen uns England und Frankreich eingeführt. Er zeichnete ſich durch praktiſchen Blick und große. Energie aus, war einer der Mitbegründer der Wirkſchule in Limbach und hat ſich außerdem dadurch ein bleibendes Denkmal geſetzt, daß er eine Stiftung von 150 000 Mark für Volksbildung in Chemnitz errichtete, welche die Mittel gewährt, um befähigten armen, jungen Leuten eine gründliche techniſche Bildung zu vermitteln. Welches Anſehen als Induſtrieller Theodor Eſche genoß, ſieht man unter anderm daraus, daß er auf den Weltausſtellungen zu London 1862 und zu Paris 1867 mit dem Amte eines Preisrichters be traut wurde.
Am 1. Oktober 1870 ſiedelte die Firma Moritz Samuel Eſche, deren Ge ſchäftsräume in Limbach mit der Zeit unzulänglich geworden waren, nach der in Chemnitz neu erbauten großen Fabrik über, während die Firma Reinhold Eſche in Limbach verblieb. Bei dieſer Gelegenheit wurde das ohnehin ſchon bedeutende Geſchäft Moritz Samuel Eſche ſo vergrößert, daß es unſtreitig nunmehr das
Theodor Eſche.
größte Strumpfgeſchäft Deutſchlands war. Aber die anfänglich viel zu groß erſcheinenden Gebäude erwieſen ſich bei dem ſtets zunehmenden Umfange des Geſchäfts bald als den Bedürfniſſen nicht mehr entſprechend, und ſo mußten mehrfache An- und Erweiterungsbauten vorgenommen werden, bis im Jahre 1886 der mit allen Erforderniſſen und Verbeſſerungen der Gegenwart ganz in Stein und Eiſen ausgeführte Neubau errichtet wurde.
Die Fabrik iſt gegenwärtig mit den neueſten und beſten Maſchinen verſehen, die untadelhafte Erzeugniſſe liefern. Innerhalb der Fabrik werden jetzt gegen
800 Arbeiter und Arbeiterinnen, außerhalb derſelben gegen 2500 Perſonen be ſchäftigt. Viele von dieſen bilden einen ausgewählt tüchtigen Arbeiterſtamm, und wie bei den Firmenträgern, ſo ſind auch bei den Angeſtellten Generationen dem Stammhauſe treu geblieben. Die Firma hat bisher nur die Induſtrieausſtellung in Leipzig beſchickt, dabei aber auf ihre Fabrikate die goldene Medaille erhalten. Verarbeitet werden bei Moritz Samuel Eſche Baumwolle, Vigogne, Merino, Wolle und Seide zu Frauen- und Kinderſtrümpfen, Männer- und Knabenſocken und zu Unterkleidern in ſtarken und feinen Waren, roh, gefärbt, buntgärnig und buntgeſtreift. Echt Schwarz ſpielt gegenwärtig die Hauptrolle.
Die Fabrikate der Firma, die über den ganzen Erdball verbreitet ſind, er freuen ſich überall des beſten Rufes, und es iſt das oberſte Beſtreben des Hauſes Moritz Samuel Eſche, dieſen Ruf aufrecht zu erhalten und dem alten Wahlſpruche „Nunquam Retrorsum“ treu zu bleiben.
Über die große Ausdehnung und den Aufſchwung des Wirkerei gewerbes in Sachſen mögen die folgenden Zahlen Aufſchluß geben. Im Jahre 1863 gab es in Sachſen 27 000 Handkulierſtühle, 500 Handkettenſtühle, 300 franzöſiſche Rundſtühle, 4200 engliſche Rundköpfe, 50 flache mechaniſche Stühle und 1300 Nähmaſchinen, zu deren Betrieb etwa 32000 Perſonen erforderlich waren. 1882 waren 45000 Perſonen beſchäftigt, und es kamen davon 11500 auf den Fabrikbetrieb und 33500 auf die Hausinduſtrie. Jetzt iſt die Anzahl der mechaniſchen Stühle auf 12000, diejenige der Handſtühle auf 3000 zu ver anſchlagen, an denen 50000 Perſonen beſchäftigt ſind. Dazu kommen aber ſehr viele Arbeiter in den Hilfsinduſtrien, wie Bleichereien, Färbereien, Appretur anſtalten, Cartonnagefabriken, ſo daß die Zahl der überhaupt in der Wirkwaren Induſtrie thätigen Perſonen auf mindeſtens 100000 zu ſchätzen iſt. Die Pro duktion beträgt täglich etwa 50000 Dutzend Strümpfe und Socken, 15000 Dutzend Handſchuhe und 3000 Dutzend Jacken, Hoſen u.dergl. mit einem Geſamt werte von jährlich rund 100 Millionen Mark. Von dieſen Waren werden etwa 20% im Deutſchen Reiche verbraucht, 35% nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika und 45% nach dem übrigen Auslande verſchickt.
Geographiſch verteilt ſich die Strumpfwirkerei auf eine große Zahl von Dörfern und Städten, die in einem breiten, von den Abhängen des Erzgebirges bei Wolkenſtein und Lößnitz bis an die Zwickauer Mulde bei Waldenburg und Penig und weiter reichenden Streifen liegen. ––
Während in früheren Jahrzehnten die Handwirkerei und ſomit auch die Hausinduſtrie eine Hauptrolle ſpielte, hat in der neueſten Zeit, namentlich in der Chemnitzer Gegend, der Fabrikbetrieb die Oberhand gewonnen. In den großen Fabrikſälen ſehen wir heutzutage faſt nur noch die Maſchine arbeiten, und der Menſchenhand iſt faſt nichts weiter geblieben als die Bedienung derſelben, die Beſeitigung etwaiger Unregelmäßigkeiten, die Verſorgung mit Garn und die Ab nahme der fertigen Waren.
Man würde jedoch ſehr irren, wenn man glauben wollte, der Fabrikſtuhl mache den Strumpf, die Unterjacke und die Unterbeinkleider oder die gewebten
Handſchuhe vom einfachen Garn aus ſo weit fertig, daß ſie ſofort in Gebrauch genommen werden könnten. Nein, meiſt iſt noch ſehr viel zu thun, ehe die Ware in dieſen Zuſtand gelangt. Meiſt kommt ſie vom Stuhle als ein ungeformtes breites Stück Zeug oder als ein formloſer Schlauch, und muß nun erſt geſchnitten, genäht, geformt und gepreßt, wohl auch gebleicht und geſärbt werden, ehe ſie ihrer eigentlichen Beſtimmung dienen kann.
Da müſſen noch gar viele verſchiedene Menſchenhände thätig ſein und das beſorgen, was die Maſchine nicht beſorgen kann. Darum umfaßt aber auch das Strumpfgewerbe außer der Wirkerei noch ein ganzes großes Gebiet anderer Ge werbe, die alle eng ineinander greiſen, und darum verdankt auch eine ſo ge waltige Zahl von Bewohnern unſeres Vaterlandes dieſem Geſchäftszweige Nah rung und Unterhalt.