Kapitel 51. Chemnitz, die bedeutendſte Fabrikſtadt Sachſens.

Nähert man ſich auf einem der verſchiedenen Schienenwege dem am Fuße des Erzgebirges gelegenen und vom Chemnitzfluſſe durchſchnittenen Chemnitzer Thalkeſſel, ſo wird man teils durch die trübe Rauchwolke, die über dem Thale lagert, teils durch die ſchon von ferne ſichtbaren zahlreichen turmhohen Eſſen daran gemahnt, daß man einem großen Fabrikorte zufährt. Iſt der Bahnhof erreicht, ſo erkennt man noch klarer als zuvor, daß man in der That einen Fabrikort erſten Ranges vor ſich hat.

Nicht nur die gewaltige Ausdehnung der Bahnhofsanlage, nicht nur die langen Reihen von Packwagen, die oft turmhoch mit allerhand Maſchinen und Maſchinenteilen beladen ſind oder beladen werden, ſondern auch der Perſonen­ verkehr weiſt darauf hin, daß man an einer Stätte ſtraffer Arbeit und reger induſtrieller Thätigkeit angekommen iſt. Fein geputzte Herren und Damen, wie ſie auf den Bahnhöfen der Bade- und Vergnügungsorte ankommen und abfahren, bilden hier die Minderheit; dafür aber drängen ſich untereinander Geſchäftsreiſende aller Art mit Muſterkoffern und Paketen, ſowie Arbeiter und Arbeiterinnen, die von auswärts kommen, um Arbeit zu ſuchen oder die im Hauſe gefertigten Waren, in Querſäcken, Hocken und Körben verpackt, zur Ablieferung in die größeren Ge­ ſchäfte zu beſorgen.

Hier giebt’s kein gemächliches Plaudern und Schlendern; ſtumm eilen die Angekommenen aneinander vorüber, dem Innern der Stadt zu, denn: „ Zeit iſt Geld.“ Auch wir folgen dem großen Menſchenſtrome, um wandernd die verſchiedenen Bilder der Fabrikſtadt an uns vorüberziehen zu laſſen.

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Schon in nächſter Nähe des Bahnhofes vernehmen wir ein ſtarkes, nerven­ erſchütterndes Getöſe von klirrendem Eiſen. Von Rollwagen, die vor den Thüren eines langen, geſchwärzten, unſchönen Gebäudes ſtehen, werden ſchwere Eiſenbarren zur Erde geworfen. Dieſe Barren ſollen alsdann nach einem großen Raume im Innern des Gebäudes gebracht, zerſtückt, in gewaltigen Ofen geſchmolzen, hierauf in flüſſigem Zuſtande in Erdformen gegoſſen und ſo zu allerhand Maſchinenteilen umgewandelt werden. Wir befinden uns vor einer Eiſengießerei. Rußige Männer wehren uns den Eintritt; denn während der Arbeit iſt jeder Fremde in der Werkſtatt läſtig; auch iſt das Verweilen in der Nähe der feuerflüſſigen Eiſen­ maſſe nicht ungefährlich.

Der Eiſengießerei gegenüber befindet ſich ein Gebäude, aus dem ein wahrer Höllenlärm hervordringt. Rieſenhafte Eiſenplatten werden hier zu Dampf­ keſſeln zuſammengeſchmiedet. Hämmer von Centnerſchwere, durch Dampfkraft gehoben, fallen auf die Platten nieder, die auf einem großen Amboß liegen. Die zuſammengeſchmiedeten Platten, die zu größerer Feſtigkeit noch mit großen Nieten verbunden werden, erhalten, ebenfalls durch Dampfkraft, zuletzt die Form eines Cylinders, und der Dampfkeſſel iſt fertig.

Nur wenige Straßen davon liegt eine der vielen Maſchinenfabriken. In derſelben baut man allerhand kleinere Maſchinen, namentlich Webſtühle. Hier geht es nicht ganz ſo laut zu; doch hört man das Schnurren der Räder, welche die Kraft der Dampfmaſchine übertragen, das Kreiſchen der Drehbänke, der Hobel­ und Bohrmaſchinen und das Raſſeln der Feilen. Hochintereſſant iſt es, der Arbeit einer ſolchen Drehbank oder Hobelmaſchine zuzuſehen. Wie der Hobel des Tiſchlers und das Meſſer des Holzdrehers in das Holz einſchneidet und lockige Späne abſchleißt, ſo hier der Eiſenhobel und der Eiſengriffel, die freilich etwas anders ausſehen als die Werkzeuge des Holzarbeiters. Mit einer majeſtätiſchen Ruhe verrichtet die Maſchine ihre Arbeit, und es ſcheint, als ob zu der gewaltigen Leiſtung nicht mehr Kraft gehöre, als etwa, um von einem Apfel die Schale zu trennen. Die Kraft aber, mit der alle Arbeiten hier vollbracht werden, liefert die Dampfmaſchine, die in dem nahen Maſchinenhauſe ſteht und ſich durch das weit­ hin vernehmbare Ziſchen des dem Dampfrohre entweichenden Dampfes verrät.

Hunderte von Arbeitern ſind in einer ſolchen Maſchinenbauwerkſtatt thätig, und durch Hunderte von Händen muß eine Maſchine erſt gehen, ehe ſie fertig iſt und ihrem Zwecke übergeben werden kann. Die Gießerei liefert die groben Teile zu den Geſtellen, die Schmiede arbeitet die kleineren Beſtandteile vor. Dieſe wandern hierauf in die Hände der Maſchinenſchloſſer, um geglättet, eingepaßt und zurechtgemacht zu werden; zuletzt wird alles vom Monteur zuſammengeſetzt. In einer ſolchen Werkſtatt hat jeder Arbeiter eine feſtbeſtimmte Beſchäftigung und auch nur dieſe. Der eine z. B. macht nur Schrauben, der andere nur die feinen Nadeln des Webſtuhls, ein dritter fertigt nur Federn u. ſ. f. Durch dieſe Teilung der Arbeit wird die größtmögliche Geſchicklichkeit und Schnelligkeit bei der An­ fertigung der einzelnen Maſchinenteile erzielt, und nur auf dieſe Weiſe kann eine Maſchine ſo vollkommen und dabei ſo billig hergeſtellt werden, wie es heutzutage der Fall iſt.

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Neben dem Eiſen ſpielt in Chemnitz die Baumwolle die wichtigſte Rolle, und die Bearbeitung derſelben hat ſeinerzeit der Stadt Chemnitz die Bezeichnung „ſächſiſches Mancheſter“ eingetragen.

Ganz in der Nähe des Bahnhofes ſteht das ſtattliche, vielſtöckige Gebäude der Aktienſpinnerei, in welchem an 70000 Spindeln im Gange ſind. Hier wird mit Hilfe der Dampfkraft und unter Verwendung feinſter Mechanik faſt ganz ohne Menſchenhände aus der rohen Baumwolle der feine, glatte und von jedem fremden Beſtandteile reine Garnfaden hergeſtellt, der nun anderwärts zur Bereitung der verſchiedenſten Webſtoffe verwendet wird. Beſuchen mir die ein­ zelnen Räume der Spinnerei, ſo ſehen wir zunächſt den „Wolf“, der die rohe Baumwollenfaſer reinigt, die Schlagmaſchine, welche die reine Baumwolle auf­ lockert, ſodann die Krempelmaſchine, aus der ſie, in ein gleichmäßiges Vließ ver­ wandelt, wie der weiße Schaum eines Waſſerfalles hervorquillt. In den oberen Sälen des Gebäudes werden dieſe Vließe zu Garnſträngen ausgezogen, die, von Maſchine zu Maſchine wandernd, immer feiner werden, bis ſie ſich endlich als Feingeſpinſt von den Spindeln auf die Spulen aufwinden. Bei dem allen thun die Arbeiter und Arbeiterinnen nur wenig; ihre Aufgabe beſteht in der Haupt­ ſache darin, etwaige Unregelmäßigkeiten im Gange der Maſchine zu beſeitigen und die fertigen Waren abzunehmen.

Aus dieſer Spinnerei und aus zahlreichen gleichartigen Etabliſſements in den Flußthälern der Zſchopau und Flöha beziehen die vielen mechaniſchen Webe­ reien von Chemnitz, Zſchopau u. dergl., ſowie einige vogtländiſche Fabrikorte ihre Garne zur Bereitung von Wäſcheſtoffen, Kleiderkattunen und anderen Geweben, die in Millionen von Ballen dem In- und Auslande zugeführt werden.

Ein beſonderer Zweig der Weberei iſt die Strumpfwirkerei, die eben­ falls in Chemnitz ihren Hauptſitz hat, jedoch auch in den umliegenden großen Dorfſchaften und in den Städten Limbach, Stollberg und Hohenſtein-Ernſtthal ſchwunghaft betrieben wird. Der Strumpfwirker fertigt auf ſeinen Strumpf­ ſtühlen teils mit, teils ohne Beihilfe der Dampfkraft nicht nur Strümpfe, ſondern auch Unterbeinkleider, Unterjacken, Handſchuhe und mancherlei andere Bekleidungs­ gegenſtände, die mit der Strumpffabrikation gar nicht im Zuſammenhange zu ſtehen ſcheinen. Welche Maſſen von dieſen Waren alljährlich erzeugt werden, davon geben die großen Lagerräume der Fabriken ein deutliches Bild, in welchen ſie bergehoch zum Verſand aufgeſtapelt liegen. Von der Billigkeit einzelner Waren erhält man einen Begriff, wenn man hört, daß man ein Dutzend fertiger Strümpfe, gebleicht, geglättet und in eine hübſche Pappſchachtel verpackt, ſchon für den Preis von 2 Mark kaufen kann.

Daß mit den Webereien und Wirkereien der Stadt Chemnitz zahlreiche Bleichereien und Färbereien, ſowie Appreturanſtalten in Verbindung ſtehen, in denen den rohen Waren Form, Glanz und Farbe verliehen wird, iſt ſelbſtverſtändlich, und im Hinblick darauf wird es auch erklärlich, daß alle Ge­ wäſſer in und um Chemnitz eine ſchmutzige Färbung haben, was wir namentlich um Chemnitzfluſſe und am Gablenzbach beobachten können.

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Schließen wir nach Betrachtung dieſer Werkſtätten unſere Wanderung ab! Zwar haben wir dabei noch lange nicht alles geſehen, was den Chemnitzer Ge­ werbfleiß kennzeichnet; aber einen allgemeinen Begriff dürſten wir doch wohl gewonnen haben von „Chemnitz, dem erſten Induſtrieorte Sachſens“.

MoritzBaron.