Es war in einer kalten Märznacht des Jahres 1637, als in der Nähe von Wurzen eine rauhe Kommandoſtimme ihr „Vorwärts!“ ertönen ließ. Die Stimme erklang ans der Mitte ſchwediſcher Reiter, welche auf den Ruf denn auch nicht ſäumten, ihre Sporen den Pferden in die Weichen zu ſtoßen, daß die Tiere aufſchnoben.
„Ich ſehe dort Licht!“ ließ ſich dieſelbe Stimme vernehmen. Ein Reiter ritt heran und ſprach: „Mein Oberſt, es iſt das Fährhaus! Ich irre mich nicht, weiter unten iſt die Furt!“
„Durchgeritten!“ erklang es, und ohne ein Wort zu erwidern, ritt der Troß von der Heerſtraße ab. Der helle Hufſchlag der Pferde verſtummte; denn der Weg ging jetzt über weiche Äcker. Es herrſchte in der Reiterſchar tiefe Stille, und nur das Klirren ſchwerer Waffen unterbrach die nächtliche Ruhe.
Da plätſcherte es auf eimnal unter den Hufen der Pferde. Sie ſtanden am Muldenſtrande. Mit Vorſicht ritten die Schweden durch den Fluß und ſprengten dann im Trabe nach der Stadt, deren Bewohner im tiefen Schlummer lagen; denn es war bereits Mitternacht vorüber.
Auf dem Markte angekommen, gab der Oberſtleutnant, mit Namen Rauſcher von Monſchein, Befehl, daß man Wachen an die Thore ſtelle und zwar mit der Weiſung, niemand hinaus- und hereinzulaſſen.
Die Wachen gingen ab. Auf dem Markte wurde es nun lebendig. Aus den Häuſern wurden Stroh und Holz geholt, Lebensmittel begehrt und alles ge than, um für die Nacht auf dem Marktplatze Biwak zu machen.
Kaum war eine Viertelſtunde vergangen, als hohe Feuer aufloderten, von welchen der Oſtwind die Funken weithin ſtreute. Ängſtlich ſtarrten die auf geſchreckten Bewohner hinab, und es bangte ihnen, als ſie die Scharen erblickten, die unter dem Schauer der Nacht eingedrungen waren wie ein Werwolf in die Hürde.
Es waren drei Schwadronen Reiter vom Regiment des ſchwediſchen Oberſt Lesli, Geſtalten, deren Anblick nichts Gutes ahnen ließ. Sie hantierten mit
wuchtigen Degen und großkolbigen Piſtolen, und unter ihrem Lederkoller ſchlug ein Herz, das nichts von Schonung wußte.
Im erſten Morgengrauen kamen vom Dome her drei Männer, welche ſich ſchon in der Nacht vereinigt hatten, um zu beraten, wie man zu Werke gehen müſſe, damit Unheil von der Stadt abgewendet werde. Es waren dieſe drei Männer der Bürgermeiſter Schöffel nebſt zwei Ratsherren, Paul Marth und Friedrich Reppiſch.
Sie hatten beſchloſſen, ſich an den Kommandierenden zu wenden. Zum Zeichen ihrer Würde erſchienen ſie im Ornate. Von der Scene überraſcht, ſtutzten ſie einen Augenblick. Dann ſahen ſie umher, um aus dem wüſten Treiben den Mann herauszufinden, den ſie ſuchten.
Es war dies der Oberſtleutnant Rauſcher von Monſchein, der mit dem Kapitän Romany an einem Tiſche Platz genommen hatte. Letzterer, der mit bei Breitenfeld gefochten, erzählte: wie es dem kaiſerlichen Regiment Madloi gegangen ſei, das zuerſt Reißaus genommen; wie der Henker auf der Femſtätte die Fahnen und Standarten des Regiments öffentlich verbrannt; wie man den Offizieren die Degen vor dem Munde zerbrochen, Galgennägel daraus geſchmiedet, dann den zehnten Mann in Reih und Glied erſchoſſen und die übrigen in alle Welt gejagt habe.
Unterdeſſen hatten ſich die drei Männer den am Tiſche Sitzenden genähert, und demütig ſchritten ſie nun mit entblößtem Haupte auf den Oberſtleutnant zu. Auf die barſche Frage, was ihr Begehr ſei, ergriff der Bürgermeiſter Schöffel das Wort und bat um Schonung für die Stadt, welche durch das Erſcheinen der fremden Krieger in die größte Beſtürzung geraten ſei, indem die Bewohner während der letzten Jahre ſchon vielfache Durchmärſche und ſomit der Drangſale mehr denn zu viele gehabt hätten.
Noch ehe er ſeine Worte geendet hatte, unterbrach ihn der Kommandierende und ſagte kurz: „Ich kann nicht ſchonen, dafür iſt Krieg!“
Der Bürgermeiſter faßte ſich und entgegnete: „Halten zu Gnaden, ſintemal wir vermeinten, eine allergnädigſte Salvaquanti erhalten zu haben, bitten wir um Schonung für die Stadt.“
Da fuhr der Schwede zornig empor und ſchrie: „Es iſt Krieg! Der Soldat will Brot, und ich beſehle Euch hiermit, ſolches zu ſchaffen, Brot und Branntwein!“
„Verzeihung, hochgebietender Herr!“ ſprach der Bürgermeiſter. „Es iſt Euch vielleicht unbekannt, daß wir ſchon den Torgauer Accord erhalten.“
„Ich kümmere mich nicht um Euren Accord. Bin nicht von denjenigen, die ſolche Dinge reſpektieren. Mit Wetterfahnen, wie Ihr ſeid, muß man anders umſpringen. Hand ſo, Hand ſo! Geſtern kaiſerlich, heute ſchwediſch geſinnt. Mein Accord iſt der, daß Ihr binnen drei Tagen 12000 Thaler ſchafft!“
Da zuckte der Bürgermeiſter mit den Achſeln und ſtammelte: „Zwölſ–tau ſend–Tha–ler? Geſtrenger Herr Oberſtleutnant, wie ſoll die arme Stadt eine ſolche Summe erſchwingen? Und wenn ich alle Kiſten und Kaſten umſtoße, nicht ſo viel der Pfennige fallen heraus. Und in ſo kurzer Zeit! Unmöglich!“
„Nichts iſt unmöglich in der Welt, wenn nur der Wille da iſt. Ich bin es müde, mich mit trockenen Worten abſpeiſen zu laſſen.“
„Herr, ſchenkt uns Erbarmen!“
„Nichts da! Eine Bedenkzeit will ich Euch ſchenken und zwar bis morgen früh.“ Hiermit wendete er den Männern den Rücken und ging zu dem Kapitän, der, auf ſeinen Degen geſtützt, den Worten zugehört hatte.
Mit den Worten „Jeſus helfe!“ ging der Bürgermeiſter mit den Ratsherren von dannen, und gar bald verbreitete ſich unter den Wurzener Bürgern die traurige Kunde, welche jedes Gemüt niederbeugte.
An den Wachtfeuern ging es unterdeſſen bunt zu. Mehrere der Reiter meinten, Sachſen wäre ein Land, das etwas einzubrocken habe; denn es floriere der Bergbau und die Viehzucht. „Deshalb,“ ſchrie einer mit rauher Kehle, „wollen wir nicht ſo trocken zuſehen. Wir wollen das Sachſenvolk nicht ſchonen; denn ſie ſind kaiſerlich geſinnt. Nicht umſonſt hat unſer König für ſie ſein Leben in die Schanze geſchlagen.“
„Seit ſeinem Tode hat der Georg geſchwankt!“ rief ein zweiter. „Die In terpoſitionstage von Eger,“ ſchrie ein anderer, „ſind das Vorſpiel geweſen. Ja, ja, als die Affaire bei Nördlingen geſchah, da war’s vorbei mit ihren Siegen bei Lützen und Breitenfeld.“
„Ganz recht!“ brummte ein Wachtmeiſter, „dem Volke ſoll der Teufel die Stange halten! Ein Wetter fahre ihnen auf die Köpfe, wenn es einem einfällt, uns für Fremde anzuſehen! Nun erſt der Prager Friede! Höll’ und Teufel! Es zuckt mir in allen Fingern, und ich möchte Feuer ſpeien, wenn ich daran denke!“
Als der Erzürnte ſo geſprochen hatte, gab er einem Reiter Befehl, die nächſte Hausthür einzuſchlagen und ſie als Brennholz herbeizuſchleppen, damit das Feuer nicht ausgehe. Es geſchah. Der Oberſtleutnant hatte unterdeſſen ein Haus am Markte zum Quartier genommen. Der Beſitzer desſelben, ein Zeug- und Borten wirker, mußte es mit ſeiner Familie verlaſſen.
Die Reiter auf dem Marktplatze hatten ſich in Mantel und Decken gehüllt, um der Raſt und des Schlafes zu pflegen. Da plötzlich ſtürzt der von Haus und Hof vertriebene Bortenwirker zurück und ſchreit: „Helft, helſt! Feuer, Feuer!“ über dem nördlichen Thore ſchlug die hellrote Flamme auf, und weithin ſprühten die Funken über die Stadt. Da erklang die Trompete, und die Reiter eilten nach den Pferden.
„Wozu dieſen Heidenlärm!“ fluchte der Wachtmeiſter. „Es brennen außer halb der Stadt ein paar elende Scheunen. Mögen ſie brennen und verkohlen, was kümmert dies ſchwediſche Reiter?“ Bald kehrte die Ruhe im Lager zurück. — Die Reiter ſchliefen; düſter durch den Nebel glühte der Brand, welcher die Türme rot anleuchtete.
„Ein Morgenrot ſchrecklicher Tage!“ ſeufzte der Bürgermeiſter, der mit den Ratsherren umherirrte und ſann, wie und auf welche Art man der Forderung des Kommandanten gerecht werden wolle. Das Kirchenärar, die Stadtkaſſe, ach, ſie waren dem nie verſiegenden Ölkrüglein der Witwe nicht ähnlich!
Da erhoben ſich die Schweden von ihrem Lager; es ertönte das Signal einer Trompete.
Jeder Ton gab dem Bürgermeiſter einen Stich ins Herz; denn es galt, dem Oberſtleutnant nochmals das Unmögliche vorzuſtellen. Schon warteten die drei Schwadronen ſeiner Ankunft. Sowie er das Haus verließ, trat der Bürger meiſter Schöffel mit Zagen an ihn heran. Der rauhe Kriegsmann gewahrte auf den erſten Blick, daß es wieder auf Bitten und Vorſtellungen abgeſehen ſei; des halb rief er: „Macht’s kurz! Ich habe keine Zeit!“
„Herr, beim allmächtigen Gott, es iſt unmöglich!“
„Schafft Geld,“ entgegnete ihm Rauſcher von Monſchein, „oder ich laſſe das verdammte Neſt in Grund und Boden ſchießen!“
„Und wenn wir alle Kräfte aufbieten, Herr, wir können das Geld in ſo kurzer Friſt nicht ſchaffen!“
„Nun wohlan, ich gebe längere Friſt. Ihr geltet mir als Geiſel!“
Da erſchraken die Männer, welche in dem Wahne ſtanden, der Schwede werde noch am ſelbigen Tage die Stadt verlaſſen. Der Oberſtleutnant hatte aber durch ſeine Spione in Erfahrung gebracht, daß die Gegend im Umkreiſe von zehn Meilen ſicher ſei vor jedem feindlichen Überfalle. Geſtützt auf dieſem Um ſtand, beſchloß er, noch länger zu verweilen, und ſprach zum Bürgermeiſter: „Ich verlängere meine Friſt auf zwölf Tage. Ihr ſeid Bürge, hört meinen Vorſchlag: Die Stadt zahlt nur täglich tauſend Thaler; kommt ſie meinem Willen nicht nach, ſo laſſe ich Euch aufhängen, die Stadt wird geplündert und angezündet an allen vier Ecken!“
Der Bürgermeiſter war ſtumm vor Schreck. Da aber trat der Ratsherr Paulus Marth hervor und ſprach: „Geſtrenger Herr Oberſtleutnant, unſere Scheunen . . . .“
„Was gehen mich dieſe an?“
„Herr, die Soldaten haben dieſen Morgen unſere Scheunen angezündet!“
„Wer hat dies mit angeſehen?“
„Wir haben den Thäter nicht geſehen, wir können nicht mit Fingern auf den Urheber dieſer Schandthat zeigen . . . .“
„Und doch behauptet ihr mit frecher Stirn, es wären meine Reiter geweſen?“
„Herr, nach allem, was wir gehört, es waren — Schweden!“
„Kecke Behauptung! Hütet Euch vor ſolcher Anklage!“
„Herr, wir haben einen Salvaquanti-Brief erhalten; auch hat uns der
gräflich Hatzfeldiſche
„Zum Henker mit Brief und Sekretär! Iſt’s aber erwieſen, daß einer von mei nen Soldaten die Scheunen angebrannt hat, dann ſoll er hängen am lichten Galgen!“
Mit lauter Stimme rief er jetzt: „Kapitäne und Wachtmeiſter!“ Augen blicklich traten dieſe zuſammen, und der Kommandierende fragte ſie, ob während der Nacht ein Mann die Beiwache verlaſſen habe. Es wurde mit einem lauten „Nein“ geantwortet.
„Thorpoſten!“ erklang es wiederum. Dieſelben traten hervor und wurden aufgefordert anzugeben, ob vergangene Nacht ein Schwede die Thore ver laſſen habe.
Einſtimmig wurde ein „Nein“ zur Antwort gegeben. Es entſtand eine peinliche Pauſe. Plötzlich aber ſchritt der Oberſtleutnant auf den Ratsherrn zu und rief mit dem größten Ingrimme: „Habt Ihr’s gehört? Ein Nein! Und abermaliges Nein! Hütet Eure Zunge, ehe Ihr Beweiſe in den Händen habt. Wagt es aber noch einer, meine Reiter zu verleumden, ſo laſſe ich den Buben auf einen Holzſtoß werfen und auf offenem Markte verbrennen!“
Mit dieſem Beſcheide wurden die Ratsherren entlaſſen, die nun im Verein mit den Bürgern alles aufboten, um den Schweden in jeder Hinſicht Genüge zu leiſten. Trank und Speiſe wurde herbeigeſchaſſt, oft mit den größten Opfern und Entbehrungen. An manchem Stück Brot hing eine Thräne, und mit Kummer blickte ſo mancher der nächſten Zukunft entgegen.
Der Ubermut des ſchwediſchen Kriegsvolkes nahm von Stunde zu Stunde mehr und mehr überhand. Das rohe Weſen desſelben überſtieg alle Grenzen, und das Anſehen der Perſon zu achten, der Religion nur noch einen ſchwachen Schimmer der Verehrung zu zollen, dies fiel keinem mehr ein. — So ging eines Tages der Superintendent Chriſtoph Bulänt nebſt ſeinen Söhnen in kirch licher Amtstracht über die Straße, um einem Sterbenden die Sakramente zu geben. In dieſem Augenblicke kamen mehrere ſchwediſche Offiziere dahergeſprengt, welche am Hauſe, wo der Kommandierende wohnte, Halt machten. Sobald ſie den Fuß aus dem Bügel geſetzt hatten und niemand erblickten, der ihnen die Pferde hielt, zwangen ſie den geiſtlichen Herrn, dies zu thun. Es half kein Sträuben, er mußte mit ſeinen Söhnen Knechtsdienſte verrichten. Da ſie ſolcher Hilfsleiſtungen unkundig und die Pferde unruhig waren, verwickelte ſich das Riemenzeug, was die zurückkehrenden Reiter gar übel vermerkten. Sie brachen in Zornesworte aus und hätten den Vater nebſt ſeinen Söhnen gemißhandelt, wenn nicht einer der Offiziere zum Frieden geſprochen häte.
Was nun die Völlerei und Unſittlichkeit unter dem gemeinen Heertroß an langt, ſo hatten dieſe faſt ihren Gipfelpunkt erreicht, und wir finden uns ver anlaßt, hier eine Begebenheit mitzuteilen, deren Folgen ſehr betrübend waren.
Unter den Reitern hatte ſich beſonders ein Wachtmeiſter bemerkbar gemacht, der ein junges, hübſches Weib ſchnöde beläſtigte. Das brave Weib wich ihm je doch beharrlich aus. Der Wachtmeiſter, ein wüſter, roher Menſch, wurde immer leidenſchaftlicher und ſchwur, Gewalt zu brauchen. Da, in dem Augenblicke, wo er ſeine Worte zur That machen wollte, gab ihm die Frau eine Ohrfeige. Jetzt ſtürzte er ſich auf dieſelbe und umſchlang ſie mit nervigen Armen. Verzweif lungsvoll wehrte ſich die Arme; die Not lieh ihr Kräfte, und ſo rang ſie mit dem Schweden. Schon entſchwand ihr faſt die Beſinnung, da ſtieß ſie noch einen Schrei der Verzweiflung aus, auf welchen ihr Mann herbeiſprang, der in dem Hofe beſchäftigt war.
Als dieſer die Gefahr erblickte, in der ſich ſein geliebtes Weib befand, er griff er in höchſter Aufregung einen Stuhl und verſetzte damit dem Wachtmeiſter einen Schlag auf den Kopf, daß der rohe Menſch zuſammenbrach. Das Ent ſetzlichſte war geſchehen. Die Wucht des Schlages hatte den Wachtmeiſter ge tötet. Nur noch ein kurzes Röcheln, und aus war es mit ſeinem Leben.
Johannes Kuhne, ſo hieß der Bürger, geriet über das ſo plötzlich Geſchehene in die größte Angſt. In der Notwehr hatte er einen Totſchlag begangen; er zitterte am ganzen Körper, und ſein Weib rang die Hände.
In demſelben Augenblicke ertönte draußen auf der Straße die Trompete zum Sammeln.
Ein Schimmer der Hoffnung ſtieg in den Armen auf, daß die Schweden vielleicht aufbrechen und die Stadt verlaſſen wollten. — Kuhnes Weib überblickte die Gefahr; jede Zögerung war vom übel; es galt, den Leichnam hinwegzuſchaffen. Beide beeilten ſich, dies zu thun. Schon hatten ſie Hand angelegt, den gefallenen Wachtmeiſter beiſeite zu ſchaffen, als einige Schweden durch die Thür ſtürmten, um den Wachtmeiſter zu rufen, den man beim Appell vermißte. Als ſie den Leich nam erblickten, fielen ſie wie Furien über den Bürger Kuhne her, ſchlugen ihn zu Boden und ſchleppten ihn dann unter den ſchwerſten Mißhandlungen vor den Oberſtleutnant. Zum Beweis ſeiner Schuld trug man auch den von ihm ge töteten Wachtmeiſter herbei.
Als der Kommandant die unſelige, in höchſter Aufregung begangene That gewahrte, da traten ſeine Augen hervor, daß er ſchrecklich anzuſehen war. Er ballte die Fauſt und ſchrie mit furchtbarer Stimme der aufgeregten Rotte zu: „Schlagt die Kanaille tot!“
Jetzt war alle Hoffnung geſchwunden; der furchtbare Urteilsſpruch war ge ſchehen. Die Worte des Kommandierenden waren das Signal zu den unſäg lichſten Greuelſcenen, welche unter dem Namen der „Wurzener Kreuz- oder Marterwoche“ in der Chronik niedergeſchrieben ſind.
Johannes Kuhne wurde auf dem Marktplatze erſchlagen, und wehe dem, der es gewagt hätte, ſich des entſtellten Leichnams zu bemächtigen, um ihn vielleicht der Erde zu übergeben! Der Tote mußte liegen bleiben, bis die Hunde über ihn herfielen und ihn zerriſſen.
Und das arme Weib, die treue Hausfrau, die ihre Ehre gewahrt, furchtbar mußte ſie büßen! Sie wurde mit Strohfeuer geſengt, daß ihr die Haut vom Leibe abſprang. Auf offener Straße, unter freiem Himmel ließ man ſie liegen, bis ſie nach wenigen Tagen unter den entſetzlichſten Qualen ihren Geiſt aufgab.
Dies war aber nicht das einzige. Die Gier nach Beute, der Blutdurſt war entfeſſelt. Die ganze Stadt Wurzen fiel der Plünderung und Verwüſtung an heim. Natürlich waren die Kirchen das erſte, wo die Habſucht Beute witterte. Mit großen, ſchweren Äxten wurden die Thüren der Sakriſteien eingeſchlagen, und von Kanzel und Altar nahm man, was nur irgend einen Wert hatte. Alle Einwohner ohne Unterſchied der Perſon wurden angefallen, und das blanke Schwert oder die vor den Kopf gehaltenen Piſtolen dienten als ſtumme Sprache zur Er reichung des Zweckes.
Bei ſolch entſetzlichen Dingen konnte der Superintendent Bulänt nicht länger an ſich halten. Aber was beginnen? Er gedachte des Huſſitenanführers Pro kopius zu Naumburg, deſſen harter Sinn einſt dadurch erweicht wurde, daß die Kinder von Naumburg ſich zu ihm ins Lager verfügten und um Gnade baten. Er erinnerte ſich, daß erſt vor einigen Jahren zu Pegau der Superintendent
Lange mit etlichen Schülern ſich vor die Stadt zum General Holt begeben und durch den Geſang: „Wenn wir in höchſten Nöten ſein“ den rauhen Kriegsmann zur Milde und Schonung des Städtchens bewogen hatte.
Mit gleichem Vertrauen und mit einem Blick gen Himmel, der ſeinen Gang ſegnen möge, begab er ſich in vollem Ornat zu dem Oberſtleutnant Rauſcher von Monſchein. Bei der Gnade und Barmherzigkeit des ewigen Gottes flehte er ihn an, ſeinen Reitern Befehl zu geben, daß ſie ablaſſen möchten von ſolcher Unthat, die aufſchreie zum Himmel– „Ich flehe, laßt ab, den Zorn zu ſchleudern über dieſe Stadt, die Ihr zu einem Trümmerhaufen gemacht. Der Gott, der einſt gewollt den Untergang des Königs Pharao und ſeines ganzen Heeres im Roten Meere; der Gott, der den Sanherib ſchlug, er herrſcht noch über uns, und ſein Arm möchte Euch erreichen, ehe Ihr es denkt!“
Der fromme Mann ſprach mit wahrhaft heiliger Begeiſterung, aber ſeine Worte fanden kein Gehör. Der Kommandant meinte, es ſei Krieg, und die Wurzener hätten ſich all dies Unglück ſelbſt zuzuſchreiben. „Ja,“ fügte er hinzu, „es nimmt mich wunder, daß die Soldaten nicht ärger gehauſt haben.“
Kaum ſeiner mächtig, ging der Superintendent von dannen. In der Haus flur ſeiner Wohnung angekommen, drückte er die Ballen ſeiner Hände auf die Augen und rief: „O, du mein Herr Gott, barmherziger Vater! Gedenke an deine Worte: Rufe mich an in der Not und klopfe an meine Pforte, ſo will ich dir Er rettung erweiſen!“
Was der Befehlshaber in kurzer Rede angedeutet hatte, nämlich, daß es die Soldaten noch ärger treiben würden, ſollte nur zu bald volle Geltung erlangen. Nicht genügte ihnen das, was ſie erbeutet hatten; der Gedanke: „Hier und da iſt gewiß noch ſo manches verborgen“ ließ ihnen keine Ruhe, und ſo erſannen ſie allerhand Qualen, die zum Ziele führen ſollten.
Auf barbariſche Art preßten ſie den Einwohnern Wurzens den letzten Heller, die kleinſte Habe noch heraus. Schließlich war nichts mehr zu finden, und aus dieſem Grunde wurde beſchloſſen, weiterzuziehen. Ehe dies aber geſchah, verfielen die Unmenſchen noch auf eine Beluſtigung, zu welcher man vielleicht nur ein Gegen ſtück in den Greuelthaten bei der Zerſtörung Magdeburgs findet.
Da dem Raub eine Grenze geſetzt war, indem alles, Geld und Geldeswert, ſich ſchon in den Händen der Schweden befand, ſo mußten die armen unſchuldigen Kinder zur Kurzweil dienen. Unbarmherzig griff man dieſelben auf und nagelte ſie mit Händen und Füßen an die Thorwege. War dies geſchehen, ſo ſchoß man mit Karabinern nach ihnen wie nach einer Scheibe. Je mehr die armen Opfer ſchrieen und jammerten, deſto höher ſtieg die Luſt. Die Erwachſenen traf gleiches Schickſal. Sie wurden gehenkt, geköpft, gekreuzigt oder verſtümmelt. Andere wurden mit Schwefel und Pech begoſſen, oder es wurde ihnen ſiedendes Öl in den Mund gefüllt. —
Waren alle dieſe Unthaten nicht durch die Geſchichte verbürgt, wahrlich, das Gefühl würde ſich ſträuben, ſie zu erzählen; ſo aber beruht alles auf ſchauerlicher Wahrheit, und was der Geſchichte angehört, muß ihr bleiben, unverkürzt und ungeſchminkt, durch alle Zeiten. —
Endlich geſchah der Aufbruch; es war am 7. April 1637. Ehe die Schweden aber der Stadt den Rücken kehrten, zündeten ſie dieſelbe an verſchiedenen Orten an, vergnügten ſich damit, die Leute ins Feuer zu jagen, und labten ſich daran, zuzuſehen, wie die armen Menſchen elend in den Flammen umkamen.
An ein menſchliches Gefühl war bei ihnen nicht zu denken; ſie waren „leben dige Teufel“, wie ſie ſich ſelbſt nannten, als der Superintendent ihnen einmal zu bedenken gab, daß ſie Chriſten und Menſchen ſeien.
Als ſie aus der Stadt fortzogen, da leuchtete ihnen noch eine ſchreckliche Fackel; denn eine lange, unabſehbare Rauchwolke lag über „Worzyhn“, wie die Stadt damals geſchrieben wurde. Der Turm der Wenzeslauskirche und die beiden Domtürme ragten wohl noch empor; allein der größte Teil der Stadt lag als Brandſtätte da. Von 5500 Bewohnern in dem damals gewerbreichen Orte waren kaum noch 500 übriggeblieben; an 1500 hatten die Flucht ergriffen; die anderen waren ein Opfer des blutgierigen Feindes geworden.