Kapitel 44. Chriſtian Fürchtegott Gellert.

Am 4. Juli 1715 wurde dem Pfarrer Gellert in Hainichen und ſeiner Gattin, einer geborenen Schütz, ein Knäblein geboren, das in der Taufe die Namen Chriſtian Fürchtegott erhielt. Freilich war dem neuen Weltbürger keine ſehr fröhliche Jugend beſchieden; von Kindheit an war er ſchwächlich, und im

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Hauſe der Eltern ging es äußerſt knapp her. Die Gemeinde Hainichen war damals ſo arm, daß ſie nicht einmal ein neues Pfarrhaus bauen konnte, ſondern das alte mit 14 Holzſtämmen ſtützen mußte, damit es nicht einfiel. Außer unſerem Fürchtegott waren noch 12 Geſchwiſter in der Pfarre zu finden, die alle­ ſamt die Hilfe der Eltern ſtark in Anſpruch nahmen. Wenn dennoch fünf Söhne des Pfarrers Gellert eine wiſſenſchaftliche Ausbildung erhalten konnten, ſo wird dadurch bewieſen, wie ſparſam er mit ſeiner Frau wirtſchaftete.

Fürchtegott Gellert beſuchte von ſeinem 6. Lebensjahre ab die Schule ſeiner Vaterſtadt. Zwar hat er dort, wie er ſpäter ſelbſt zugeſtand, nicht viel gelernt; aber er rühmt doch von ſeinen Lehrern, daß ſie ihn zum Gehorſam, wie auch dazu erzogen hätten, die Unan­ nehmlichkeiten des Lebens mit Ruhe und Gelaſſenheit zu er­ tragen.

Chriſtian Fürchtegott Gellert. Chriſtian Fürchtegott Gellert.

Vom elften Jahre ab ver­ diente ſich der Knabe ſchon Geld mit Abſ chreiben von Aktenſtücken oder mit der Anfertigung von Briefen und Aufſätzen für andere Leute. Er ſagte ſpäter oft ſelbſt im Scherze, daß ſeine Vaterſtadt an ſchriftlichen Aufzeichnungen, alſo an Abſchriften von Kauf­ briefen, Kontrakten u. dergl. von ihm mehr aufzuweiſen hätte, als er ſpäter als Schriftſteller ge­ ſchrieben habe. Das, was er ſich durch ſeine ſchöne Handſchrift erwarb, gab er der Mutter für die Wirtſchaft, zuweilen machte er auch ſeinen Eltern und Geſchwiſ- tern zu Geburtstagen oder zu Weihnacht damit eine Freude.

Daß er ſchon als Knabe eine dichteriſche Ader hatte, bewies er durch ein Gedicht, das er als 13jähriger Schüler dem Vater zum Geburtstage widmete. Darin war der Vater mit dem alten Pfarrhauſe verglichen, das von 14 Stützen gehalten wurde. Als Stützen bezeichnete er die Mutter mit den 13 Kindern. Der Vater hatte eine recht herzliche Freude über das dichteriſche Erſtlingswerk ſeines. Fürchtegott, und ſein Lehrer betrachtete ihn von da ab mit einer gewiſſen Hoch­ achtung.

Die Sorge im elterlichen Hauſe war für die Erziehung des jungen Gellert von beſtem Einfluſſe; denn er lernte frühzeitig die Entbehrungen des Lebens kennen, und darum klagte er auch im ſpätern Leben nie über Mangel, wenn es bei ihm einmal knapp herging. An eitlem Mammon hing ſein Herz nicht.

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im Jahre 1729 kam er auf die Fürſtenſchule zu Meißen. Damals wurden die alten griechiſchen und römiſchen Schriftſteller nur Wort für Wort überſetzt; die Lehrer legten keinen Wert darauf, ihre Schüler in den Geiſt und Inhalt der Schriften einzuführen. Unſerem Gellert mag der fremdſprachliche Unterricht etwas trocken und geiſtlos erſchienen ſein, weshalb er mit ſeinen Freunden, unter denen namentlich Gärtner und Rabener zu nennen ſind, vielfach heimlich deutſche Schriftſteller las. Meiſt waren dieſe jedoch von untergeordnetem Range, weshalb ſein Gefühl für das Schöne und Edle dabei nicht viel gewinnen konnte.

Schon in ſeiner früheſten Jugend hatte ſich Gellert das Ziel geſteckt, einmal Prediger zu werden. Als ſolcher hatte er ſich nach ſeinen eigenen Angaben ſchon als 15jähriger Burſche einmal verſucht, als es galt, einem verſtorbenen Kinde, bei dem er Patenſtelle übernommen hatte, die Leichenrede zu halten. Er blieb jedoch in der Rede ſtecken und mußte das Papier, auf dem er ſie aus­ gearbeitet hatte, hervorholen. Dabei war er ſelbſt ängſtlich geworden und hatte auch ſeinen Zuhörern einige peinliche Minuten bereitet. Sein Gedächtnis war ganz und gar nicht fürs Auswendiglernen geſchaffen. Das wußte er, ehe er die Univerſität Leipzig bezog; er wollte aber dennoch keinen anderen Beruf wählen.

In Leipzig, wo er vom Jahre 1734 ab ſtudierte, traf er nicht nur ſeine Freunde Gärtner und Rabener wieder, ſondern erwarb ſich noch neue dazu. Er wurde dort zuerſt ein Schüler von Gottſched, der damals in ganz Deutſchland in dem Rufe ſtand, daß er die deutſche Dichtkunſt in beſſere Bahnen leiten würde. Leider ſah er mehr auf die Regeln als auf den Inhalt eines Gedichtes; er ſelbſt hatte für Dichtkunſt gar keine Begabung. Später, als die Schweizer unter Bodmers Führung die Schwächen Gottſcheds aufgedeckt hatten, verlor er ſehr an Anſehen. Gellert hatte ſich ſchon früher von ihm getrennt, weil er ſich von dem etwas hoch­ mütigen Manne abgeſtoßen fühlte.

Nachdem Gellert ſeine Prüfungen gut beſtanden hatte, ging er zunächſt auf ein Jahr wieder nach Hainichen und unterſtützte ſeinen Vater in ſeinen amtlichen Verrichtungen. Leider lernte auch er in dieſer Zeit wieder erkennen, daß er ſich auf ſein Gedächtnis nicht verlaſſen konnte. Einmal, als er ſeine Predigt beginnen wollte, hatte er alles vergeſſen und mußte wieder von der Kanzel herabſteigen, ohne gepredigt zu haben. Zwar kam das nie wieder vor, aber er mußte oft acht Tage lang auswendiglernen, ehe er es wagte, vor die Gemeinde zu treten. Darum ergriff er eine ſich ihm im Jahre 1739 darbietende Gelegenheit zur An­ nahme einer Hauslehrerſtelle in dem Hauſe des Herrn von Lüttichau mit großer Freude. Schon im nächſten Jahre war er wieder im väterlichen Hauſe, um ſeinen Bruder Gotthold für das Gymnaſium und den Sohn ſeiner Schweſter für die Univerſität vorzubereiten. Als der letztere nach Leipzig ging, begleitete er ihn. Er wollte dort ſelbſt weiter ſtudieren und ſich namentlich in die Geſchichte der Dichtkunſt mehr vertiefen. Um Geld für ſeinen Unterhalt zu gewinnen, mußte er Stunden geben, und es kam nicht ſelten vor, daß er Mangel leiden mußte. Sein Gottvertrauen und ſeine Frömmigkeit ließen ihn jedoch niemals mur­ ren; er ertrug alles Mißgeſchick mit größter Ergebung in Gottes Willen und dankte dem Herrn auſrichtig für alles Gute, das ihm widerfuhr.

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Neue Freunde ſchloſſen ſich ihm hier an, ſo z. B. Klopſtock, Elias und Adolf Schlegel, Gieſecke, Andreas Cramer und andere. Sie hatten ſich vor­ genommen, ihre Gedichte erſt einander vorzuleſen, ehe ſie veröffentlicht wurden. Dadurch bildeten ſie eine Art Schule und lenkten damit die ganze deutſche Litte­ ratur in beſſere Bahnen.

Vom Jahre 1744 ab bis zu ſeinem Tode wirkte Gellert als Lehrer an der Univerſität Leipzig. Er las nicht nur über Dichtkunſt und deren Geſchichte, ſondern auch über ſittliche Fragen. Die Studenten drängten ſich ſo zahlreich zu ſeinen Vorleſungen, daß oft der Hörſaal zu klein war. Mit großer Liebe hingen ſie an ihm, weil er nicht nur ein guter Lehrer, ſondern auch ein treuer Freund und Berater war. Durch ſeinen tadelloſen Lebenswandel ſpornte er ſie auch zur Nacheiferung an. Hiermit übte er einen wohlthätigen ſittlichen Einfluß auf die ganze Studentenſchaft aus. In jener Zeit war das von großem Werte, da mancher junge Mann, anſtatt zu ſtudieren, lieber andere Dinge trieb.

Volkstümlich wurde Gellert durch ſeine Fabeln, die noch heute gerne geleſen werden; denn durch ſie gewann er ſich die Herzen des Volkes, ja ſelbſt die der Kinder. Wir nennen nur folgende: „Der Blinde und der Lahme; Die Bauern und der Amtmann; Der Prozeß; Die Geſchichte von dem Hute; Das Geſpenſt; Der Bauer und ſein Sohn.“ Auch hat er einen Roman geſchrieben, der den Titel führt: „Das Leben der ſchwediſchen Gräfin G.“ — Er wollte durch die Schilderung des Böſen von der Sünde abſchrecken, hatte aber doch nicht das getroffen, was die große Menge liebte.

Seine Luſtſpiele, durch die er, wie er ſelbſt ſagt, weniger zum Lachen reizen als mitleidige Thränen erwecken wollte, ſind nicht ſehr bekannt geworden; wohl aber hat er große Erfolge errungen mit ſeinen geiſtlichen Liedern, die noch heute in den evangeliſchen Kirchen Deutſchlands geſungen werden. Wir nennen davon nur: „Dies iſt der Tag, den Gott gemacht; Mein erſt Gefühl ſei Preis und Dank; Auf Gott und nicht auf meinen Rat; Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht; Wie groß iſt des Allmächt’gen Güte“ — Dieſe wurden zuerſt in das Leipziger Geſangbuch aufgenommen und dadurch weiter bekannt.

Gellert erhielt als Profeſſor 100 Thaler Gehalt jährlich, wovon er mit ſeinem treuen Diener Sauer nur ärmlich leben konnte. Dennoch hatte er für jeden Bittenden ein williges Ohr und eine offene Hand. Alltäglich kamen Not­ leidende zu ihm, und keiner ging ungetröſtet wieder hinweg; denn zur Linderung der Not und des Elendes gab er den letzten Groſchen hin.

Während des ſiebenjährigen Krieges, wo Leipzig hart heimgeſucht wurde, hatte er drei Jahre lang kein Gehalt bekommen, weil nur ſchwer Geld aufzutreiben war. Endlich ſollte er alles auf einmal nachgezahlt erhalten; aber er nahm es nicht an, weil er nicht einen Genuß haben wollte, während viele Bewohner der Stadt in Kummer und Sorge lebten. So war Gellert für ſich anſpruchslos und hatte doch dabei ein Herz voll Liebe gegen ſeine Mitmenſchen, um das ihn ein König hätte beneiden können.

Wie beliebt der Dichter Gellert im Volke war, das beweiſt folgende Ge­ ſchichte: Ein Bauer aus der Umgegend von Leipzig kam einſt mit einer Fuhre

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Holz in die Stadt und erkundigte ſich nach der Wohnung des berühmten Profeſſors. Als man ihn nach dem großen Fürſtenkollegium auf der Ritterſtraße gewieſen hatte, lud er dort ſein Holz ab, ließ ſich dann bei Gellert anmelden und wurde von dieſem, wie alle Leute, die zu ihm kamen, aufs freundlichſte aufgenommen. Auf die Frage des Dichters, was er wünſche, antwortete der Mann: „Ich will nichts von Euch haben, aber zum Danke für Eure ſchönen Fabeln habe ich Euch ein Fuder Holz gebracht.“ Solche Anerkennung that ſeinem weichen Herzen ungemein wohl.

Noch ſchmeichelhafter war für ihn die Anerkennung, die ihm Friedrich der Große von Preußen während ſeines Aufenthaltes in Leipzig im Jahre 1760 zollte. Friedrich war auf die deutſchen Dichter und Gelehrten nicht gut zu ſprechen; weit mehr Gefallen fand er an den Werken der großen franzöſiſchen Dichter. Er hatte aber von Gellert gehört und lud ihn zu ſich ein. Dieſer verweilte zwei volle Stunden bei dem Könige, trug ihm auf Verlangen ſein Gedicht: „Der Maler“ vor und erregte damit deſſen Beifall in dem Maße, daß Friedrich ſeiner Umgebung gegenüber äußerte: „Gellert iſt der vernünftigſte unter allen deutſchen Gelehrten“ Von dieſer Zeit ab fand der liebenswürdige Dichter allent­ halben Anerkennung. Die preußiſchen Offiziere grüßten ihn, wenn er ſich öffentlich ſehen ließ; die Studenten waren aber von nun an auch beſſer auf den „alten Fritz“ zu ſprechen, weil er ihren Profeſſor ſo freundlich empfangen und ſo wohlwollend beurteilt hatte.

Daß Gellerts Schriften damals allgemein geleſen wurden, dafür erzählt der Dichter ſelbſt einem Fräulein von Schönfeld, mit dem er in Briefwechſel ſtand, einige Beiſpiele.

Einſt ließ ſich ein preußiſcher Huſarenlieutenant, der dem armen Profeſſor durch ſein kriegeriſch-wildes Ausſehen faſt Furcht einflößte, bei ihm melden. Er kam, um den Mann von Angeſicht zu ſehen, der ſo ſchöne Bücher ſchreiben konnte, und um ſich darüber belehren zu laſſen, wie man das anfangen müſſe. Er wollte dem Dichter durchaus ein Andenken ſchenken, aber dieſer lehnte dankend ab; denn das Geld, das ihm der Huſar bot, war im Kriege erbeutet. Gellert ſchenkte aber dem Soldaten ein Buch, das dieſer mit Freuden in Empfang nahm.

Auf einer Reiſe, die der Dichter im Mai 1760, alſo während des ſieben­ jährigen Krieges, von Leipzig nach Bonau bei Weißenfels unternahm, um dort eine befreundete Familie zu beſuchen, wurde er in Rippach von mehreren preußiſchen Offizieren aufs freundlichſte begrüßt, zu Tiſch geladen und in jeder Weiſe aus­ gezeichnet. Trotzdem war er froh, als er weiter reiſen konnte. Überall, wohin er kam, ließen ihn die preußiſchen Soldaten ohne jede Schwierigkeit paſſieren. Durch ſeine Bekanntſchaft mit den Offizieren wurde auch die Familie in Bonau, bei der er wohnte, vor jeder Beläſtigung durch Soldaten geſchützt.

Ein Feldwebel der preußiſchen Armee, der während der Behandlung einer Verwundung im Hauſe eines Arztes die Schriften Gellerts kennen gelernt hatte, machte auf der Reiſe in ſeine Heimat einen Umweg von fünf Meilen über Leipzig, um den Dichter zu ſehen. Dieſer unterhielt ſich ſehr freundlich mit dem ſchlichten Soldaten und freute ſich der Anerkennung, die ihm der einfache Mann zollte, ebenſoſehr wie über die freundlichen Urteile jenes berühmten Königs.

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Als Prinz Heinrich von Preußen erfuhr, daß Gellert wegen Kränklichkeit nicht gut gehen könne, ſchenkte er ihm ein ſchönes Reitpferd. Nachdem dieſes ge­ ſtorben war, überſandte ihm Kurfürſt Friedrich Auguſt von Sachſen ein anderes, dazu ein prächtiges Geſchirr, einen Sattel von blauem Samt und eine ſchöne Reitdecke. Dieſes ehrenvolle Geſchenk nahm der Dichter vor verſammelten Bürgern und Studenten voll Dankbarkeit in Empfang. Alle Tage ritt er aus, namentlich gern ins Roſenthal, und wurde von allen Seiten ſtets freundlichſt gegrüßt. Er war der Liebling der Leipziger Bürger, ja ſogar der Schuljugend.

Als ſich ſeine Krankheit verſchlimmerte, ſchickte ihm der Kurfürſt ſeinen eigenen Leibarzt; doch auch dieſer konnte nicht helfen, und am 13. Dezember 1769 ſtarb der edle Mann ruhig und gottergeben. An ſeinem Begräbniſſe nahm faſt die geſamte Bürgerſchaft von Leipzig teil, und mancher, der ihm im Leben nicht beſonders nahe geſtanden hatte, weinte um ihn. Der alte Johannisfriedhof, wo er ſeine letzte Ruheſtätte fand, iſt jetzt zu einem öffentlichen Platze umgewandelt worden, aber Gellerts Grab, das mit einem eiſernen Gitter verſehen iſt, kann man noch heute dort finden. In der Johanniskirche, wie auch im Roſenthale, ſind Denkmäler aufgeſtellt, die an Gellert erinnern, und eine Straße iſt nach ihm benannt. Auch in ſeiner Geburtsſtadt Hainichen hat man zu ſeiner Ehre ein Denkmal errichtet.

Wiewohl Gellerts Schriften heute nicht mehr viel geleſen werden, hat der Dichter doch bei ſeinen Lebzeiten außerordentlichen Beifall gefunden. Das kam daher, daß er für arm und reich, für alt und jung verſtändlich zu ſchreiben ver­ ſtand, und daß er ſein ganzes Leben lang das ſelbſt befolgte, was er lehrte. Ein Freund widmete ihm den Nachruf:

„So lang dir in Kirche, Schul’ und Haus Des deutſchen Volkes Herzen offen ſtehen, So lange kann dies Volk nicht untergehen, Und Gellerts Name ſtirbt im Volk nicht aus.“ H.Arnold.