Die Univerſität Leipzig verdankt ihre Entſtehung huſſitiſchen und czechiſchen Umtrieben und Vergewaltigungen, welche im Mai 1409 die deutſchen Profeſſoren und Studenten der Prager Hochſchule zur Auswanderung beſtimmten. Die Vor gänge waren folgende.
Als am 7. April 1348 Kaiſer Karl
Die offenen Feindſeligkeiten begannen zu der Zeit, als die vier Nationen zu einer Wahl am 11. Mai 1408 im Collegium Carolinum zuſammengekommen waren. Hier griff Huß das Stimmrecht der drei fremden Nationen an; er wollte ihnen nur eine Stimme zugeſtehen, beanſpruchte aber für die Böhmen drei Stimmen. Man wandte ſich, um den Streit zum Austrage zu bringen, an den böhmiſchen König Wenzel, der bald Narr und Tyrann, bald Schwächling und Feigling war. Bevor dieſer das Urteil gefällt hatte, kam es jedoch zu gewalt ſamen Auftritten in Prag, ja zu Mord und Totſchlag. Noch waren die er hitzten Gemüter nicht beſänftigt, da nahte die Zeit einer neuen Rektorwahl heran; der Rektor der Univerſität wurde nämlich jedes Jahr neu gewählt. Anſtatt die Aufgebrachten zu beruhigen, handelte der König ohne alle Überlegung; er be ſtellte, ſo wird berichtet, einen Czechen zum Oberhaupte der Univerſität. Außer
dem ließ er am 18. Januar 1409 ein Dekret bekannt machen, welches zu gunſten der Böhmen entſchied und verordnete, daß fortan bei Abſtimmungen die Böhmen drei Stimmen und die Fremden zuſammen nur eine Stimme haben ſollten. Ein Ausgleich war nun nicht mehr möglich. Die Bayern, Polen und Sachſen ver pflichteten ſich eidlich, daß ſie lieber die Stadt Prag verlaſſen, als in die Änderung des bisherigen Stimmenverhältniſſes willigen wollten. Der inzwiſchen gewählte neue Rektor, Henning Boldenhagen, gab in der allgemeinen Nationalverſammlung vom 11. Mai 1409 die akademiſchen Abzeichen, Statuten u. ſ. w. ab, legte ſein Amt nieder und proteſtierte am Schluſſe der Verſammlung feierlichſt für das Recht der drei deutſchen Nationen; dieſe aber verließen die Univerſität Prag, welche ſeitdem mehr und mehr den Charakter einer Weltuniverſität verlor, den ſie ſeit etwa 50 Jahren gehabt hatte; bald ſank ſie zur czechiſchen Landesuniver ſität herab.
Wie groß die Zahl der Wegziehenden war, ſteht nicht feſt; einige Geſchicht ſchreiber reden von zwanzig und einigen Tauſenden, andere geben viel mehr, bis zu 44000 an.
Ein großer Teil begab ſich nach anderen deutſchen Univerſitäten, namentlich nach Erfurt; andere kehrten zurück in die Heimat; noch andere, es waren an 40 Magiſter und Doktoren nebſt 400 Baccalauren und Studenten, wandten ſich nach Meißen. Ihre Führer waren die Schleſier Magiſter Johann Hofmann und Magiſter Johann Otto aus Münſterberg, ſowie Magiſter Henning Boldenhagen, der letzte deutſche Rektor der Univerſität Prag.
Sie fanden bei dem fürſtlichen Brüderpaare Friedrich dem Streitbaren und Wilhelm die wohlwollendſte Aufnahme. Dieſe waren von der Bedeutung und den Vorteilen überzeugt, welche ihre Unterthanen und die Deutſchen über haupt erlangen würden, falls ſie die Flüchtigen bei ſich aufnähmen. Sie be ſchloſſen deshalb, in ihrem Lande eine Univerſität zu gründen. Als der geeignetſte Ort erſchien ihnen das handelstüchtige, an regen Verkehrsſtraßen gelegene Leipzig. Großen Einfluß auf ihre Entſchließung übte der Magiſter Vincenz Gruner aus, ein geborener Zwickauer, welcher als Lehrer der freien Künſte und der Theologie an dem Kloſter zu Altenzelle und früher an der Prager Univerſität wirkte und als einer der berühmteſten ſcholaſtiſchen Philoſophen ſeiner Zeit galt.
Wenn nun auch die Wettiner „den ausgetriebnen Künſten,“ wie es heißt,
„Herbrige vergunnten“, ſo bedurfte es doch zur Gründung der Hochſchule der
päpſtlichen Beſtätigung; denn die Päpſte beanſpruchten dieſe als ihr Recht.
Nun gab es damals drei Päpſte, Alexander
Die Gründung erfolgte nach dem Vorbilde der Prager und der Pariſer Univerſität. Die landesherrliche Stiſtungsurkunde wurde am 2. De zember 1409 früh 9 Uhr im Refektorium (gemeinſchaftlicher Speiſeſaal) der re gulären Chorherren des Kloſters des heiligen Thomas zu Leipzig verkündigt. Zugegen waren die fürſtlichen Stiſter, mehrere Biſchöfe, dann Prälaten und Magiſter, welche hierzu beſonders eingeladen waren.
Auch in Leipzig wurden Lehrende und Lernende in vier große Nationen oder Körperſchaften geſchieden und zwar in die ſächſiſche, meißniſche, bayriſche und polniſche. Es gehörten ſpäter zu der ſächſiſchen: der Kurkreis, die Mark Branden burg, Pommern, Mecklenburg, Holſtein, Magdeburg, Halberſtadt, Hildesheim, Verden, Weſtfalen, Trier, Köln, die Niederlande, Bremen, Schweden, Norwegen
Die neue Univerſität (Vorderanſicht).
und Dänemark; zu der meißniſchen: Meißen und Thüringen; zu der bayriſchen Oſt- und Weſtfranken, Bayern, Schwaben, Öſterreich, Ober- und Niederpfalz, der Oberrhein, Mainz, Heſſen, die Wetterau, Brabant, Lothringen, Elſaß, die Schweiz, Tirol, Kärnten, Steiermark, Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, England, Schottland und Irland; zur polniſchen: die Ober- und Niederlauſitz, Polen, Böhmen, Mähren, Ungarn, Schleſien, Preußen, Kurland, Livland und Rußland. — Mannigfache Änderungen in der Zugehörigkeit des einen oder andern Landes zu einer der vier Nationen traten im Laufe der Zeiten ein. Die Ordnung der vier Nationen wurde nach dem alten Verſe beſtimmt:
Saxo, Misnensis, Bavarus tandemque
Sie hatten gleiche Rechte bei den Ratsſitzungen der Univerſität und den Sitzungen der Artiſtenfakultät, bei den Einkünften u. ſ. w.
An der Spitze jeder Nation ſtand der Senior oder Prokurator, der, von ihr gewählt, die nationalen Angelegenheiten nach den Statuten, welche jede Nation beſaß, verwaltete; an der Spitze aller vier Nationen befand ſich der Rektor,
welchem die Ausübung der richterlichen Funktionen übertragen war. Als ſeine Leibwache und als Gerichtsdiener erſcheinen ſchon 1410 die Pedelle (servitores universitatis). Der Rektor, dem man den Titel magnificus beilegte, ſtand im Range höher denn ein Biſchof; wie dem Fürſten, wurde ihm bei öffentlichen Feier lichkeiten das Scepter vorgetragen, eine Sitte, die noch heute geübt wird. Der erſte Leipziger Univerſitätsrektor war Magiſter Otto von Münſterberg in Schleſien; er gehörte alſo der polniſchen Nation an. Nach ſeinem Tode († 24. März 1416) erfolgte aller halben Jahre eine neue Rektorwahl, welche alle Lehrenden vor nahmen. Erſt ſeit 1830 iſt die Amtszeit des Rektors auf ein Jahr ausgedehnt. Das Rektorat wechſelte in beſtimmter Reihenfolge unter den vier Nationen. Jetzt werden die Rektoren aus den vier Fakultäten der Reihe nach gewählt.
Die neue Univerſität (Hof).
Neben dem Rektor ſtand der Kanzler; der Papſt ernannte den Biſchof von Merſeburg, in deſſen Diöceſe Leipzig lag, zum ſtändigen Univerſitätskanzler. Er war jederzeit Vorſitzender der Hochſchule, wachte über die Rechte derſelben, hatte die Cenſur über die Lehrgegenſtände, berief die Lehrer und verhinderte, daß ohne ſeine Erlaubnis irgend einer angeſtellt wurde, entſchied in allen er heblichen Strafſachen u. ſ. w. Dieſes Kanzleramt hat ſich bis heute, aber in anderer Form erhalten. Die philoſophiſche Fakultät wählt noch heute alljährlich ihren „Procancellar“ für die Promotionsangelegenheiten. Die andern drei Fakultäten erwählen zu gleichem Zwecke nur von Fall zu Fall. Die fürſtliche Stiftungsurkunde ſchenkte der Univerſität zwei Kollegien häuſer, die ſogenannten Fürſtenkollegien. Beide — das eine hieß das große,
das andere das kleine Kolleg – waren für die Vorleſungen, Disputationen und die übrigen Univerſitätsfeierlichkeiten beſtimmt und von allen Laſten, Steuern u. ſ. w. befreit.
Das große Fürſtenkolleg wurde wiederholt umgebaut und erweitert; noch heute iſt es unter dem Namen des „Schwarzen Brettes“ bekannt. Dieſer Name rührt daher, daß in Leipzig, wie auch auf anderen Univerſitäten, alle Verordnungen, Bekanntmachungen, Ankündigungen von Vorleſungen u. ſ. w. im Durchgange des Gebäudes auf ein ſchwarzes Brett geheftet wurden.
Das kleine Fürſtenkolleg war urſprünglich das jetzige Petrinum auf der Petersſtraße; erſt 1456 wurde es nach der Ritterſtraße verlegt, wo es ſich noch heute befindet. In den Kollegien wurden zuſammen 20 Kollegiaten oder be ſoldete Lehrer, Magiſtri, unterhalten; ſie führten die Oberaufſicht über die Stu denten und ihre Studien. Ein drittes Kolleg, das Frauenkolleg, Collegium Beatae Mariae Virginis, wurde 1440 eröffnet und beſteht als ſchleſiſche Stiftung noch heute. Auch in der Folgezeit erhielt die Univerſität ſehr häufig Schenkungen und Gerechtſame.
Als Lehrkörper zerfiel die Univerſität in vier Fakultäten oder Wiſſen ſchaften; an der Spitze einer jeden ſtand ein Dekan. In ſämtlichen Fakultäten hatten die Studierenden, Magiſter, Doktoren und andere Graduierte nach er päpſt lichen Verleihungsurkunde dieſelben Privilegien, deren ſich andere Hochſchulen er freuten; ebenſo waren ſie befugt, akademiſche Grade und Würden zu verleihen.
Die gemeinſame Grundlage für alle Studien bot die philoſophiſche oder Artiſten-Fakultät. Deswegen mußten auch ſämtliche Lehrer Mitglieder von ihr ſein; denn erſt derjenige, welcher die Meiſterſchaft in den Künſten erlangt hatte und Magister artium geworden war, durfte als Lehrer auftreten. Infolgedeſſen war das philoſophiſche Dekanat, obgleich der Rangſtufe nach das letzte, eine die geſamte Univerſität betreffende Würde und darum in mancher Beziehung wichtiger als die des Rektors. Die Magistri artium unterrichteten vor allem in Philoſophie, in lateiniſcher und griechiſcher Sprache, in Mathematik, Phyſik und in der Dicht kunſt. Den Profeſſorentitel führten urſprünglich nur die Theologen. Doch war die ſtrenge, jetzt vorhandene Teilung der Fakultäten in die theologiſche, juriſtiſche, mediziniſche und philoſophiſche urſprünglich nicht vorhanden.
So entſtand die Univerſität Leipzig. Gefördert von der Huld und Gnade
der Wettiner, hat ſie im Laufe der Zeiten ſich zu einer Bildungsſtätte erſten
Ranges entwickelt und iſt zu einem „Juwel in der Sächſiſchen Königskrone“ ge
worden.
[8] Das Wort für Hochſchule war in früheſter Zeit „studium generale“, nicht etwa ſchon „universitas litterarum“. Univerſität, universitas, bedeutete nach mittel- alterlichem Sprachgebrauche vielmehr ſoviel als: Körperſchaft oder Korporation über- haupt; Univerſität in dem jetzt üblichen Sinne: als eine universitas litterarum, eine Stätte, an der die Geſamtheit der Wiſſenſchaften gepflegt wird, gefaßt, gehört einer ſpäteren Zeit an.