Die frühe Dämmerung eines Adventſonntags iſt hereingebrochen. Die Kinder des Hauſes ſind mit einigen Geſpielen aus der Nachbarſchaft um den Familien tiſch verſammelt, muſtern ihre Puppen und ſonſtigen Spielſachen und tauſchen ihre Meinungen und Wünſche darüber aus, was wohl das liebe Chriſtkindlein, zu deſſen würdigem Empfange ſich alles rüſtet, erſetzen, verbeſſern oder neu bringen möchte, oder bereiten ſich durch ernſte Lernarbeit, zu der ſie die Schule anleitet, zu tieferem Verſtändnis der Heilsthatſache des Chriſtfeſtes vor, — da plötzlich tönt die Hausglocke in heftigem, raſchem Ruck, und einige tüchtige Schläge dröhnen gegen die verſchloſſene Thür. Alles horcht auf. Die Spielenden laſſen ihre Hand vom bunten Flitterkram, die Lernenden ſchauen auf vom Buche. Auf allen Geſichtern malt ſich Erſtaunen und ein jäher Schreck, den jedoch der Gedanke ſänftigt: „Es wird das Chriſtkind mit ſeinem Engel und dem Knecht Ruprecht ein, das uns zu beſuchen kommt, wie uns jener in großen, ungeſchickten Zügen geſchriebene Brief ankündigte, den wir neulich früh auf der Schwelle fanden!“ Inzwiſchen wiederholen ſich der Glockenton und die Schläge gegen die Thür raſcher und heftiger, bis ſich die letztere geräuſchvoll öffnet und polternde Schritte und dumpfes Stimmengewirr in der Hausflur wiederhallen.
Da zuckt einen Augenblick innige Freude durch die kleinen Herzen. Aber auch nur einen Augenblick bleibt dieſelbe ungetrübt; denn das Zagen der zarten Gewiſſen miſcht ſich alsbald darein und dämpft dieſelbe. „Wird es uns würdig
finden ſeiner Gunſt? wird nicht der Knecht Ruprecht, der heilige
Tiefe Stille herrſcht im Gemach, und ſelbſt manches größere, kundige Kind verſchwindet, von unerklärlicher Scheu vor der geheimnisvollen Erſcheinung erfaßt, im düſteren Hintergrunde des Zimmers. Da tritt einer der Engel vor, ſchwingt ſeine mit bunten Bändern umwundene mächtige Rute und ſingt:
„Ein’ ſchön‘ guten Abend zu dieſer Friſt! Herein ſchickt mich der heil’ge Chriſt, Will ſehn, ob fromm die Kinder ſind, Sie Vater und Mutter gehorchen geſchwind, Sie hurtig in die Schule ſpringen Und dort auch fleißig beten und ſingen.“
Unmittelbar an dieſen Geſang ſchließt ſich die von dieſem oder dem begleitenden Engel in ernſtem Tone ausgeſprochene Mahnung: „Betet! Betet!“
Der Wunſch, das ungewohnte bunte Schauſpiel näher zu ſchauen, der freund lich lockende Ton des Geſanges hat die erſchrockenen Kleinen einigermaßen er mutigt. Zögernd treten ſie aus ihrem Verſteck im Dunkeln hervor und nahen ſich den Huldgeſtalten, und das kühnſte unter ihnen wagt es, mit zitternder Stimme ein Gebet oder ein der Gelegenheit oft recht wenig angepaßtes Sprüch lein, wie es ihm eben einfällt, leiſe herzuſtammeln. Ein beifälliges Nicken des Engels lohnt die entſchloſſene That. Oft aber findet derſelbe auch Anlaß, ſeine Rute zu gebrauchen, wenn niemand ſich hervorwagt oder kein Wort den zagenden Lippen ſich entringt.
Doch was iſt das wieder? Schwere Schritte ſchlürfen durch den Hausflur.
Heftiges Pochen gegen die Thüre wird laut, und eine in rauhen Pelz vermummte,
bärtige Geſtalt ſtapft ins Zimmer. Es iſt Knecht Ruprecht, oder der Himmels
wächter
„Blitz, platz, Flederwiſch! Draußen iſt mir’s doch zu friſch, Will mich in die Stube machen, Und ſchaffen, daß die Kinder lachen;“
dann unter allerlei neckiſchen Gebärden und Sprüngen ununterbrochen mit ſeiner Rute fuchtelt und mit ſeinem Nußſacke klappert. Doch ehe er ganz das Feld beherrſcht, ſingt der Engel weiter:
„Wenn die Kinder fleißig beten und ſingen, Wird ihnen der heilige Chriſt was bringen; Wenn ſie aber nicht fleißig beten und ſingen, Wird ihnen die Rute auf den Nacken ſpringen!“
Er ſchwingt zum Schluſſe heftig ſeine Rute durch die Luft, jedoch ohne jemanden zu treffen; vielmehr ladet er wiederholt freundlich ein: „Betet, Betet!“
Dann wendet er ſich gegen die Thür und öffnet dieſelbe unter dem Geſange:
„Ach, heil’ger Chriſt, die Thür thu’ ich dir auf, Die Kinder warten ſchon mit Verlangen darauf!“
In feierlicher Erhabenheit tritt nun langſam der ebenfalls in ein weißes Gewand gekleidete und zur Auszeichnung reicher mit Goldzieraten und einer Krone ge ſchmückte heilige Chriſt herein und ſingt in einer von dem Geſange des Engels etwas abweichenden Weiſe:
„Ein’ ſchön‘ guten Abend geb‘ euch Gott! Ich komm’ herein ohn’ allen Spott, Ohn’ allen Spott komm ich herein, Ich will nur ſehn und fragen herein, Ob fromme Kinder drinnen ſein!“
Unverzüglich antwortet ihm der Engel: „Ach, heiliger Chriſt, ich hab vernomm’, Die Kinder ſind nicht geweſen fromm, Sie haben ſich gehadert und gezankt Und ſind geſprungen über Tiſch und Bank!“
Der Knecht Ruprecht nickt dabei zuſtimmend, ſchwingt ſeine Rute und erprobt deren Kraft an jedem, der in ihren Bereich kommt, giebt aber dabei immer durch ſeine Sprünge, ſowie dadurch, daß er beſtändig wie im Ungeſchick aus ſeinem Sacke Nüſſe auf den Boden poltern läßt, die Abſicht kund, die Kleinen zu erheitern.
Das Chriſtkind aber zieht ſich grollend und betrübt gegen die Thür zurück und ſingt mit etwas verſchleierter Stimme:
„Ei, ei, das iſt nicht gute Mär, Da wollen wir wieder zurücke kehr’n Und gehen in ein ander Haus Und teilen unſre Gaben aus!“
Doch Knecht Ruprecht vertritt ihm die Thür, und der Engel hält es ſanft zurück, indem er ſingt:
„Ach, heil’ger Chriſt, nicht ſo geſchwind! Verſchone doch das kleine Kind, Verſchone nur das junge Blut, Das den Eltern noch nichts zu leide thut. Ich hoff’, ſie werden ſich bekehr’n Und in acht Tagen frömmer wer’n!“
Schnell entſchloſſen und freudig bewegt wendet ſich der heilige Chriſt zurück zu den Kindern, ladet ſie mit freundlicher Gebärde ein, ſich ihm zu nahen, und ſingt:
„Hab Dank, du lieber Engel mein! Wir wollen nicht ſo ſtrenge ſein, Wollen ihnen eine kleine Gabe verehren Und hoffen, ſie werden ſich bekehren.“
Nun öffnen nach dem Vorbilde des Chriſtkinds die Engel und Knecht Ruprecht ihre Taſchen, werfen Nüſſe, Äpfel, Pfefferkuchen, Wachsſtöckchen, bunte Sterne oder ſonſt etwas, was Kinder erfreuen kann, unter die inzwiſchen kühner gewordene Schar, treten dabei zuſammen und ſingen gemeinſchaftlich das Lied: „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her.“
Haben die Kinder die ausgeſtreuten Gaben geſammelt und, der Weiſung der Eltern gehorſam, ſich den geheimnisvollen Geſtalten dankbar genaht, ſo ſingen dieſe gemeinſam:
„So wünſchen wir euch allen eine gute Nacht, Von Samt und Seide ein Bett gemacht, Von Zucker und Roſinen eine Streit Und die lieben Engel auch dabei!“
Unter dieſem Geſange ziehen ſich die Verkündiger des nahenden hohen Feſtes und
ſeiner Wonnen zurück. Hat ſich die Thür hinter ihnen geſchloſſen, ſo donnern
noch einige Rutenſchläge gegen dieſelbe, und unter leiſe verklingendem Geſang
und Stimmengewirr enteilen die als überirdiſch angeſtaunten Weſen durch die
wiederholt klingelnde, dann laut ins Schloß fallende Hausthür. Die anfänglich
ernſt bedrohten und dann freundlich beſchenkten Kinder aber ſtehen ſtamm, ver
ſuchen auch wohl, ihnen durch die bereiften Fenſterſcheiben nachzuſchauen, um zu
erforſchen, ob ſie geradewegs zum Himmel auffliegen oder etwa im Nachbarhauſe
bei den Freunden und Geſpielen den gleichen Zauber wiederholen. Durch die
jungen Herzen aber zittert die Erinnerung an alles Geſchaute und Vernommene
mächtig nach, und gute Vorſätze, ſich dem holden Chriſtkinde und ſeinen: für
bittenden Engel angenehm zu machen und ſo zu handeln, daß ſie den ſchrecklichen
Knecht Ruprecht nicht ferner fürchten müſſen, durchwogen, leider oft nur zu flüch
tig, die mächtig erregten jungen Seelen.