Kapitel 38. Die Cöleſtiner auf dem Oybin.

In Deutſchland ſind die Cöleſtiner längſt verſchwunden, und nur die Ge­ ſchichte giebt Kunde von ihrem einſtigen Beſtehen. Indeſſen iſt auch ein Ort ihrem Andenken geweiht, der jährlich von Tauſenden beſucht und ſtets mit Be­ wunderung verlaſſen wird. Auf einem herrlichen in ſeiner Art einzigen Felſen bei Zittau in der ſächſiſchen Oberlaufitz ſteht eine der ſchönſten Ruinen Deutſch­ lands, ein ehemaliger Sitz der Cöleſtiner. In jener Zeit des oft verleumdeten Mittelalters, als an ſo vielen Orten Ordensleute ſich verdient machten, beſiedelten ernſte Männer auch den Felſen Oybin. Er gehörte damals unter Böhmens Scepter, deſſen Fürſten zwei Orden aus Frankreich in ihr Land verpflanzten, nämlich die Prämonſtratenſer und die Cöleſtiner, welch letztere ſich faſt gar nicht weiter verbreiteten und nach ein paar Jahrhunderten wieder verſchwanden.

Kaiſer Karl IV. lud ſolche aus Avignon ein, als er den damals dort weilen­ den Papſt beſuchte. Die Cöleſtiner, ein Zweig der Benediktiner, geſtiftet im 13. Jahrhundert von Peter von Murrhone, der 1293 als Cöleſtin V. eine kurze Zeit Papſt war, lebten nach ſtrengen Regeln. Sie verbreiteten ſich von Unter­ italien nach Frankreich und wählten zu ihren Andachtsſtätten und Wohnungen

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einſame Höhen, hatten aber auch in benachbarten Städten Kirchen, wo ſtets mehrere aus den Klöſtern dem Herrn lobſangen. Gerade ihr Geſang gewann des Kaiſers Wohlgefallen und muß ausgezeichnet geweſen ſein, weil er von einem Für­ ſten gelobt ward, der für kirchliche Dinge hohes Verſtändnis beſaß. Der fromme Fürſt gedachte ſolche Diener des Herrn in ſein Land Böhmen zu verpflanzen und bat einige, mit ihm heimzureiſen und ſich dort eine ihnen zuſagende Stätte zu wählen. Es geſchah; aber ſie fanden keinen Berg einſam und abgelegen genug bis endlich, da ſie beinahe wieder ſcheiden wollten, dem Kaiſer noch der Oybin bei Zittau einfiel.

Der Berg Oybin im Zittauer Gebirge. Der Berg Oybin im Zittauer Gebirge.

Dies iſt ein romantiſcher Felshügel aus gelbem Sandſtein von 103 Meter Höhe, mit mannigfachen Felſenlagern, Klippen, tiefen Spalten und Schluchten, überall umgrünt von mancherlei Blumen und Strauchwerk. Er liegt in einem kleinen Thale, umgeben von höheren Bergwänden.

Kaiſerliche Jäger hatten im 13. Jahrhunderte die hübſche Lage des Oybins zu ſchätzen gewußt und deshalb auf demſelben ein Haus erbaut, in dem ſich jedoch ſpäter Raubritter feſtſetzten, welche die von Zittau nach Prag ziehenden Handels­ leute plünderten, und denen nicht beizukommen war, bis Karl IV. mit bewaffneter Hand ihnen den Berg entreißen ließ. Als nun die Cöleſtiner ſich den Berg Oybin erbeten hatten, errichtete Karl an Stelle des zerſtörten Raubſchloſſes da­ ſelbſt ein Kloſter, zunächſt für zwölf Brüder unter einem Prior, die den Abt

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zu Sulmona in Unteritalien als ihr Oberhaupt verehrten. Von 1369 bis 1384 ließ der Kaiſer ſodann eine majeſtätiſche Kirche im ſchönſten Stil, vermutlich durch ſeinen Hofbaumeiſter Arler von Gmünd, erbauen. Noch ſtehen die Grund­ mauern dieſes aus maſſiven Quadern hergeſtellten Gotteshauſes, deſſen ſüdliche Wand aus dem natürlichen Felſen gebildet wurde; noch ſchmücken architektoniſche Reſte das Gebäude, wenn auch ſeine Al­ täre und Heiligtümer längſt dem Zahn der Zeit anheimfielen.

Nicht fern von der Kirche ſtand das Kloſter, aus deſſen Fenſtern man die Ausſicht auf ein en­ ges, liebliches Thal und dahinter auf die Städte Zittau und Görlitz hat. Das Kloſter wurde mit Meierhöfen und rei­ chen Waldungen aus­ geſtattet und mit einem Baufonds aus den Erträgniſſen der Kuttenberger Werke verſehen. Karl IV. erlebte die Vollen­ dung der Bauten nicht, beſuchte jedoch wiederholt den Berg und hatte den Plan, im Alter ſich manch­ mal eine Zeit lang zur Andacht dorthin

Die Kloſterruinen auf dem Oybin. Die Kloſterruinen auf dem Oybin.

zurückzuziehen, gleichwie er es in Karlſtein bei Prag zuweilen gethan. Die Weihe der dem hei­ ligen Geiſte gewidmeten Kirche und der Wenzelkapelle daneben wurde im Jahre 1384 vollzogen und zwar durch den bekannten Prager Erzbiſchof Johann von Genſtein.

Dieſe Cöleſtiner auf Oybin waren, mit Ausnahme der allererſten, Deutſche, meiſt aus Schleſien gebürtig, und man kennt noch von vielen die Namen. Schauerlich mochte der einſame Ort im Winter ſein, wo Schneemaſſen dort reich­ licher als anderswo lagen. Aber die Geiſtlichen, als Zweig der gelehrten

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Benediktiner, ſtudierten eifrig, zumal ihnen eine gute Bibliothek zu Gebote ſtand. Zeugnis von ihrem theologiſchen Fleiße geben heute noch viele ihrer Manu­ ſkripte, die aus ſchleſiſchen Klöſtern in die Bibliothek der Univerſität Breslau gelangten. Ihre Gelehrſamkeit und Bildung beſtätigt der urteilsfähige Paul Lang, den der berühmte Abt Trithemius viele Klöſter beſuchen ließ, um Ge­ ſchichtsſtudien zu machen. Jener verweilte tagelang auf dem Oybin, und er giebt den Cöleſtinern ein ſehr rühmliches Zeugnis. Dieſe breiteten ſich aber in Böhmen nicht weiter aus wie etwa die Prämonſtratenſer; zu Prag hatten ſie ein kleines Filialkloſter, ſowie ſie auf dem Königſtein in Sachſen eine kurze Zeit lang und auch im weſtlichen Deutſchland eine Niederlaſſung – in Verbindung mit dem Oybin — gehabt zu haben ſcheinen.

Während der Reformation flüchteten zwar mehrere fremde Mönche zu den Cöleſtinern auf den Oybin, aber neue Ordensbrüder gewann man nicht mehr. Vielmehr verließen nach und nach alle ihren heiligen Berg. Die Güter zog die böhmiſche Regierung zurück, und die Bibliothek ward den Jeſuiten in Prag über­ geben. Den Berg ſelbſt und die dazu gehörigen Felder und Wälder kaufte die Stadt Zittau, welche ſie auch heute noch beſitzt. Ein Blitzſchlag zerſtörte die Ge­ bäude, und das jetzige Geſchlecht erfreut ſich nur noch der großartigen Ruinen.

B.Schlegel.