Kapitel 34. Die Goldgrotte auf dem Valtenberge.

34.1. Eine Volksſage.

Wenn man den Lauf des Weſenitzflüßchens, welches ſich unterhalb der Stadt Pirna in die Elbe ergießt, aufwärts verfolgt bis zu deſſen Ouelle, ſo gelangt man auf eine im Sachſenlande wohlbekannte Höhe. Sie heißt der Valtenberg. Weit hinaus ſchweift dort der Blick, vom Kamme des Rieſengebirges bis zum Kolm­ berge bei Oſchatz und der Burgruine Frauenſtein, von den in zartblauem Dufte verſchwimmenden Ebenen Preußens bis zu den bekannten Bergen Böhmens, dem Kleis, Geltſch und Milleſchauer. Mit Wohlgefallen weilt das Auge auch auf den nächſten Umgebungen. Hier wogt und rauſcht ein weites, grünes Meer, das des großen Weltenmeiſters Hand erſchuf, dem Wanderer zur Freude. Um rieſige Felsblöcke ſchlingen ſchlanke Fichten ihre knorrigen Wurzeln. Das Hellgrün des Buchenlaubes miſcht ſich wohlthuend mit der ernſtem Farbe der Edeltannen. Tiefe Stille waltet auf der luftigen Höhe; nicht ſtört ſie das Flöten der Droſſel oder das Hämmern des emſigen Spechtes. Dazu umrankt den Valtenberg ein duftiger Sagenkranz.

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Großmütterchen wußte einſt viel zu erzählen von den Wundern, die ſeine dunkle Waldnacht deckt, von unermeßlichen Schätzen, die tief drunten in des Berges Innern, bewacht von Gnomen und Zwergen, ſchlummern, von welſchen Männern aus der fernen Lagunenſtadt Venedig, die ehedem in den Bächen des Valtenberges Gold gewaſchen und ungezählte Reichtümer nach ihrer ſüdlichen Heimat geſchleppt haben, von der verſunkenen Valtenburg, die dereinſt, wenn Dresden und Bautzen untergehen werden, zu neuem Glanze erſtehen ſoll, von der Wunderblume, die aller hundert Jahre nur einmal am Johannistage hier blüht, von dem gutmütigen Zwergenvolk der Querxe, die hier mit goldenen Kugeln nach goldenen Kegeln ſchieben, von Berndietrich, der hier als wilder Jäger nachts durch die Lüfte zieht und nicht der abmahnenden Worte ſeines Begleiters, des heiligen Bonifazius, achtet, von einer vielgenannten Goldgrotte endlich, die nur der Zauber des Karfreitags jährlich einmal öffnet. Letztere Sage ſei an dieſer Stelle mit­ geteilt. Sie knüpft ſich an die ſehr alte Meinung von dem Goldreichtume des Valtenberges und ſeiner Umgebung. Schon Kaiſer Ludwig der Bayer verlieh ein Goldbergwerk in dieſer Gegend im Jahre 1333 dem Markgrafen Friedrich dem Ernſthaſten von Meißen. Lange Zeit, ſelbſt noch im vorigen Jahrhunderte, baute man hier auf Gold. Die eingangs erwähnte Weſenitz quillt aus dem ver­ rollten Mundloch eines Stollens, den das Volk noch heute „das Bergwerk“ nennt. Doch hören wir, was es für eine Bewandtnis mit der Goldgrotte hat!

Es war Karfreitag. Vom Chor der Kirche erklang die heilige Paſſion, als eine arme Frau, die ihr zweijähriges Knäblein auf dem Rücken trug, über den Valtenberg wanderte. Sie kam aus Böhmen, wo ſie Handelsgeſchäfte erledigt hatte, und ging nach ihrer Heimat, dem ſächſiſchen Dorfe Neukirch, zurück. Unweit des Berggipfels gewahrte ſie plötzlich eine Öffnung in einem Felſen neben dem Wege. Neugierig lugte ſie hinein. Der Spalt bildete den Eingang zu einer Höhle. Kein lebendes Weſen ließ ſich drin bemerken. Nur die Wände glitzerten und funkelten wie buntes Feuer. Unten ſeitlich ſtand ein mächtig großes Gefäß, eine kupferne Braupfanne, gefüllt mit Goldſtücken bis oben an. „Welch Glück!“ jubelte die Frau. Sie hatte die Goldgrotte gefunden, von der ihr in ſtiller Dämmerſtunde einſt erzählt worden war. Nun lag die Zukunft roſig vor ihren Augen. Mit einem Schlage ſchien ſich jetzt ihre bisherige Armut in Reichtum verwandeln zu wollen. Zitternd vor Freude trat ſie ein, ſetzte ihr Knäblein auf den Boden der Grotte nieder und raffte haſtig ſo viel der blanken Goldſtücke zu­ ſammen, als ihre Schürze nur zu faſſen vermochte. Dann eilte ſie hinaus und ſchüttete das Gold vor dem Felſen aus. Noch zwei andere Male betrat ſie die Höhle, jedesmal eine gleiche koſtbare Laſt hervorſchleppend. Als ſie aber zum dritten Male die Grotte verließ, hörte ſie hinter ſich einen Donnerſchlag. Sich umblickend, gewahrte ſie, daß ſich der Fels geſchloſſen hatte. Vergeblich ſuchte ſie nach rechts und links, bergauf- und bergabwärts nach einem Zugange. „Mein Kind, mein Kind will ich nur noch holen,“ jammerte die Mutter, „o öffne dich nur noch ein einziges Mal, ſtarrer Felſen, und gieb mir meinen Liebling heraus! Kein Stück von deinem Golde will ich dann mit mir hinwegnehmen!“ Doch ihr antwortete nur kaltes Schweigen. Drüben vom Dorfe her erklangen leiſe die

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neun Schläge der Betglocke. Schmerzbewegt ſank ſie in die Kniee. Da erinnerte ſie ſich, daß Großmütterlein bei der Erzählung von der Goldgrotte des Valtenberges ſtets auch geſagt hatte:

„Biſt du nicht reines Herzens, So bringt es dich in Not; Wohl Schätze wirſt du finden, Doch aber auch den Tod!“

So war die Strafe für ihre Habſucht nun hereingebrochen. Der Mutter war das Söhnlein, ihr beſtes Kleinod auf dieſer Welt, entriſſen. Wehklagend dachte die Ärmſte endlich an den Heimweg. In ihrer Schürze nahm ſie einen Teil des Goldes mit, das übrige verbarg ſie unter Waldſpreu, Geäſt und Steinen. Erſt gegen abend erreichte ſie ihre Wohnung. Unter lautem Schluchzen berichtete ſie ihrem Manne, was ſie verloren und was ſie gefunden habe. Der Gatte war geblendet von dem Glanze des nie beſeſſenen Goldes. Der Gedanke an das ſorgen­ loſe, prächtige Leben, das ihm nun bevorſtand, machte ihn den Verluſt des Kindes vergeſſen. Anders die Mutter. Von ihren Augen wich der Schlaf. Frühzeitig weckte ſie am anderen Tage den Mann. Nachdem der mitgebrachte Schatz ſorg­ fältig im Keller verſteckt worden war, brach man auf, um auch das andere Gold einzuheimſen.

Es lag noch am nämlichen Orte. Der Mann lud es in einen mitgebrachten Karren und bedeckte es mit einem Grastuche. Während deſſen ſuchte die Frau mit blutendem Herzen nach dem Eingange. Er war nicht zu finden. Der Felſen blieb geſchloſſen. Schweigend ſchritt die Bekümmerte auf dem Heimwege neben dem Gatten einher. Des letzteren liebreiche Worte von den Sorgen, welche oft ſelbſt die beſten Kinder den Eltern bereiten, und von den Annehmlichkeiten, die der Beſitz des Geldes doch allenthalben ſchaffe, ſpendeten ihr keinen Troſt.

Je näher die beiden dem Dorfe kamen, deſto leichter ſchien der Karren zu werden. Daheim angelangt, erſahen ſie mit Schrecken, daß ſich nichts als welkes Laub auf dem Wäglein befand. Auch die Goldſtücke im Keller waren verwandelt. Dort lag nur ein Haufen wertloſer Scherben. Wer beſchreibt die Enttäuſchung und den Ärger des Mannes, wer die Wehmut der Frau? Letztere erkannte ihre Schuld und ſuchte dieſelbe durch allerlei fromme Büßungen zu ſühnen. An jedem Feſttage pilgerte ſie hinauf nach dem Baltenberge, um vielleicht doch ihr verlorenes Glück wiederzuerlangen. Und ihr Sehnen ſollte geſtillt werden. Am nächſten Karfreitage, als wiederum vom Chor der Kirche die heilige Paſſion geſungen wurde, fand die Hoffende auch die Pforte zur Goldgrotte wieder geöffnet. Wonne­ trunken eilte ſie hinein. Alles war noch wie vorm Jahre. Die goldgefüllte Brau­ pfanne ſtand noch am ſelben Orte, und am Boden, wo ſie es verlaſſen, ſaß auch ihr holdes Knäblein, unverſehrt und ſpielend mit einer lichten Engelsgeſtalt, welche der Eintretenden mit einem Lilienſtengel ſchelmiſch drohte und dann verſchwand.

Die Mutter drückte den wiedergewonnenen Liebling an ihre Bruſt und ſtürmte mit ihm hinaus. Nicht dachte ſie mehr an Gold und Wohlleben — ihr Mutter­ herz erfüllte die höchſte Seligkeit; ſie ſchwelgte nur in dem einen Gedanken: „Das Kind, das teure Kind iſt wieder mein!“ Dr.GeorgPilk.

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