Im Nordoſten unſers Vaterlandes wohnen die letzten Überreſte der Slaven, welche einſt in einem großen Teile Deutſchlands ſeßhaft waren, die allbekannten Wenden. Mitten in dem Gebiete derſelben liegt Bautzen, eine jetzt größtenteils deutſche Stadt. Außer dieſer einzigen Stadt umfaßt die Wendei nur kleine Bauerndörfer, von denen manche noch nicht 100, wenige über 500 Einwohner zählen.
Die wendiſchen Dörfer ſind in ihrer Anlage von den deutſchen ſehr ver ſchieden. Die Häuſer reihen ſich meiſt dicht aneinander und kehren die Giebel der Gaſſe zu, während die Langſeite des Hauſes dem Hofe zugewandt iſt. Sie ſind im übrigen ebenſo einfach gebaut wie die Wohngebäude in den deutſchen Dörfern Sachſens. Während die älteren Häuſer meiſt aus Fachwerk beſtehen, mit Stroh gedeckt ſind und nur ein Erdgeſchoß enthalten, werden neue Häuſer aus Ziegeln aufgeführt und mit Ziegeln gedeckt.
Die Hausflur, welche gewöhnlich zwiſchen der der Dorfgaſſe zugekehrten Wohnſtube und dem derſelben entgegengeſetzten Stalle liegt, iſt in älteren Ge bäuden oft zugleich die Küche und aus dieſem Grunde mit Herd und Rauchfang verſehen; feſtgeſtampfte Erde oder in den Häuſern der Wohlhabenderen Ziegel ſteine, wohl auch Granitplatten, bedecken ihren Boden. Die Wohnſtube iſt ſchlicht eingerichtet und von niedriger Bauart. Ein ſtarker, großer Tiſch, mehrere Lehn ſchemel von Holz, Holzbänke, welche den mächtigen Kachelofen umgeben und auch längs der Wände hinlaufen, und ein Topfbrett an der Wand ſind Möbel, welche jedem Wohnzinnner eigen ſind. Diejenigen Wohnhäuſer freilich, welche in neuerer Zeit gebaut worden ſind und noch gebaut werden, zeigen die genannten Eigen tümlichkeiten in Bauart und Einrichtung nicht, ſind überhaupt von den Häuſern in deutſchen Gegenden nicht weſentlich verſchieden.
Im Gegenſatze zu den deutſchen Bewohnern der ſüdlichen Lauſitz, welche größtenteils durch Weberei, meiſt in Fabriken, ihr Brot verdienen, beſchäftigen ſich die Wenden faſt durchweg mit Ackerbau. Es giebt unter ihnen keinen Adel, und die Rittergüter inmitten der wendiſchen Gegenden ſind faſt ausſchließlich in den Händen von Deutſchen; doch herrſchte in früheren Zeiten unter den Begüterten ein großer Rangunterſchied. Die wendiſchen Bauern bildeten ehemals ſcharf von
einander abgegrenzte Stände, als Großbauern, Halbbauern und Häusler, welche ein ſehr verſchiedenes Anſehen genoſſen.
Neuerdings haben ſich dieſe Unterſchiede faſt ganz verwiſcht, und es haben ſich hier und da die Bauern, gleichviel ob ihr Beſitz anſehnlich oder gering iſt, zu Vereinen zuſammengeſchloſſen, in denen ſie gemeinſame Schritte zur Hebung der Landwirtſchaft beraten und durchführen. Sehr wohlhabende Bauern giebt es beſonders in dem weſtlichen Teile der Wendei, in der Nähe des Kloſters Marien ſtern, welche, wie die Wenden in dieſer Gegend überhaupt, meiſt katholiſch ſind. Der größere Teil der ſächſiſchen Wenden bekennt ſich jedoch zur lutheriſchen Kirche.
Die Arbeit in friſcher, freier Luft bewirkt, daß die Wenden meiſt ſtarke, kräftige Geſtalten mit roten, vollen Geſichtern und von blühender Geſundheit ſind, während man unter den deutſchen Webern in den ſüdlichen Berglandſchaften der Lauſitz infolge ihrer ungeſunden und wenig lohnenden Arbeit hinter dem Web ſtuhl ſehr viel hagere, dürftige Geſtalten erblickt.
Die Lebensweiſ e der Wenden iſt eine ſehr einfache. Nur bei feſtlichen Ge legenheiten, bei Taufen, Hochzeiten u. ſ. w. geht es hoch her; ohne einen tüchtigen Schmaus und reichliche Bewirtung kann ſich der Wende dieſelben nicht denken. Freilich ſchwinden die alten Gebräuche, welche früher bei dieſen Familienfeſten üblich waren, immer mehr, und nur bei den reichen Großbauern kommen ſie noch in ihrer urſprünglichen Form vor. Streng überwacht hier bei Hochzeiten die Beobachtung der althergebrachten Gebräuche der Hochzeitbitter, deſſen Amt es iſt, die Gäſte zu laden und zu begrüßen, ihnen die Plätze an der Tafel anzuweiſen, das Tiſchgebet zu ſprechen und die Speiſen zu verteilen. – Der Hochzeitszug wird öfters durch Muſik und abgefeuerte Schüſſe begrüßt. Die Braut trägt auf einer hohen, turmartigen, mit grünen Bändern gezierten ſchwarzen Samtmütze einen Brautkranz von Raute und iſt mit grünen Bändern, goldenen und ſilbernen Ketten, Perlen und alten Schaumünzen geſchmückt. Bei reichen Bauern pflegt ein Hochzeitsfeſt bisweilen auf mehrere Tage ausgedehnt zu werden.
Wie die Gebräuche bei feſtlichen Gelegenheiten, ſo verſchwindet auch die den Wenden eigentümliche Tracht, beſonders diejenige der Männer, immer mehr. Die Frauen tragen noch allgemein eine Haube von Kattun, unter welcher ein weißes Stirnnetz hervorragt, bei Trauer aber ein weißes Stirnband. Weite, bauſchige Röcke, vor welche eine ſehr große Schürze gebunden wird, ſind gleichfalls den wendiſchen Frauen eigentümlich. Die Wochenmärkte in Bautzen bieten beſte Ge legenheit, die eigenartige Tracht der wendiſchen Bauerfrauen kennen zu lernen.
Der Charakter des Wenden zeigt viele gute Seiten. Man rühmt an ihm Fleiß, Genügſamkeit, Beſcheidenheit, Anſpruchsloſigkeit und Ehrlichkeit. In ſeinen ſchönen Grüßen „Gott helf!“ „Gott befohlen!“ u. ſ. w., in vielen volkstümlichen Redensarten, in einer ſtrengen Sonntagsheiligung und anderen Gewohnheiten ſpricht ſich ein religiöſer Sinn und ein tiefes Gemüt aus.
Mit Zähigkeit hängt der wendiſche Bauer wie an den althergebrachten Sitten, ſo auch an ſeiner Mutterſprache. Die wendiſche Sprache zeigt mit den andern ſlaviſchen Sprachen, beſonders mit der czechiſchen, große Ähnlichkeit; infolge ihrer
Eine wendiſche Hochzeitsgeſellſchaft.
vielen Ziſchlaute und der ſich häufenden Konſonanten iſt ſie für den Deutſchen ſchwer zu erlernen. Viel iſt in der letzten Zeit für die Pflege und Erhaltung der wendiſchen Sprache und des wendiſchen Volkstums vou ſeiten einzelner Perſonen, wie auch ganzer Vereine gethan worden. In den Schulen lernen die Kinder das Wendiſche wie auch das Deutſche mündlich und ſchriftlich gebrauchen; ihre Schul bildung iſt eine ſehr gute. Auch Bücher, in wendiſcher Sprache geſchrieben, ſind in Menge vorhanden. Die ſächſiſche Regierung hat überhaupt niemals den wendiſchen Volksſtamm gehindert, ſein Volkstum zu pflegen und zu erhalten, ſondern ihn darin ſogar unterſtützt, indem ſie in wendiſchen Gegenden der wendiſchen Sprache mächtige Geiſtliche und Lehrer anſtellt.
Trotzdem ſchmilzt die Zahl der Wenden immer mehr zuſammen. Im Jahre 1885 gab es in der Lauſitz nur noch 47 134, während in dem übrigen Sachſen lande 1782 als Dienſtboten, ländliche Arbeiter u. ſ. w. beſchäftigt waren. [6] Haben die letzteren in der Fremde durch ihren Fleiß ſich eine kleine Geldſumme erworben, ſo kehren ſie wieder in ihre Heimat zurück, an der der ganze Volks ſtamm mit treuer Liebe hängt.
Immer mehr aber dringt das Deutſchtum vor. Viele Dörfer, die vor
einigen Jahrzehnten noch rein wendiſch waren, ſind jetzt gemiſchtſprachig; viele,
in denen die Deutſchen die Mehrheit bildeten, ſind rein deutſch geworden; in vielen
iſt die wendiſche Sprache gleichfalls dem Verſchwinden nahe. Kaum wird es dem
Volksſtamme der Wenden, der überall von deutſchem Kulturleben umgeben iſt, auf
die Bauer möglich ſein, ſeine Sprache und ſein Volkstum vor dem Untergange
zu bewahren.
[6] Seit 1885 werden die Wenden bei Volkszählungen gar nicht mehr als beſonderer Volksſtamm aufgezeichnet, daher iſt ihre Zahl gegenwärtig nicht mehr feſtzuſtellen. Bunte Bilder aus dem Sachſenlande. I. 10