Kapitel 18. Johannes Schilling, ein Meiſter der bildenden Kunſt in Dresden.

Von den Künſten, welche im Laufe unſeres Jahrhunderts einen neuen, un­ geahnten Aufſchwung genommen haben, iſt insbeſondere die Bildhauerkunſt oder Plaſtik zu nennen. Die ſtattliche Reihe derer, die auf dieſem Gebiete Großes geleiſtet haben, wurde durch Antonio Canova in Venedig eröffnet. Ihm folgte Berthel Thorwaldſen in Kopenhagen, der mit ſeinem berühmten Relief: „Sieges­ einzug Alexanders in Babylon“ ſelbſt einen Siegeszug durch Europa machte, dieſem Chriſtian Rauch, deſſen Denkmal Friedrichs des Großen in Berlin und Grabmal der Königin Luiſe in Charlottenburg weltbekannt ſind. Sein größter Schüler war Ernſt Rietſchel, der Schöpfer des Lutherdenkmals in Worms und der Gründer der ſogenannten Dresdner Bildhauerſchule, die im deutſchen Kunſtleben eine hervorragende Stellung einnimmt. Gegenwärtig dürfen als die

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bedeutendſten Meiſter dieſer Schule der vor kurzem verſtorbene Ernſt Hähnel dem wir das Denkmal König Friedrich Auguſts II. und Theodor Körners in Dresden verdanken, und Johannes Schilling gelten. Letzterer, unter den lebenden Dresdner Bildhauern der berühmteſte, verdient es, daß über ihn etwas Näheres bekannt wird, da über ſeinen Lebensgang bis jetzt noch wenig in die Welt gedrungen iſt.

Schilling wurde geboren den 23. Juni 1828 in der ſächſiſchen Stadt Mittweida. Seine Eltern zogen bald darauf nach Dresden, und ſo kam der ſinnige Knabe frühzeitig in die kunſtliebende Reſidenzſtadt. Mit fünfzehn Jahren

Johannes Schilling. Johannes Schilling.

wurde er als Schüler in die Akademie der Künſte, die zu jener Zeit noch ein ſchlichtes Heim auf der Brühlſchen Terraſſe beſaß, auſgenommen. Schon nach weiteren zwei Jahren trat er in das Atelier des hochberühmten Meiſters Ernſt Rietſchel ein, unter deſſen Leitung er fünf Jahre lang ſich in ernſteſter Weiſe den Studien ſeiner Kunſt widmete. Zu ſeiner weiteren Aus­ bildung ging er 1851 auf zwei Jahre nach Berlin zu dem Bildhauer Friedrich Drake, der wie auch Rietſchel einſt Schüler Rauchs geweſen war. Wieder nach Dresden zurückgekehrt, fand er über ein Jahr bei Profeſſor Ernſt Hähnel an­ regende Beſchäftigung. Dieſem Meiſter ſchloß ſich Schilling aufs engſte an, und in dieſer Zeit gingen aus ſeiner Hand zwei prächtige Medaillons hervor, welche von der Dresdner Kunſtakademie mit Preiſen gekrönt wurden; Schilling erhielt

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das ſogenannte große Reiſeſtipendium und ging auf drei Jahre nach dem Lande ſeiner Sehnſucht, nach Italien, um im Anſchauen der alten Kunſtwerke der Römer und Griechen ſeinen Sinn für das Schöne zu feſtigen und ſeinen Studien die Krone aufzuſetzen. Zwei Jahre, nämlich von 1854 bis 1856, lebte er in

Der Abend. Der Abend.

Rom, der ewigen Stadt. Erfüllt von den herrlichſten Eindrücken und voll von Schaffensluſt kehrte er 1856 nach Dresden zurück. Hier wurde ihm zu ſeinen Arbeiten zunächſt ein Teil des akademiſchen Ateliers überlaſſen, bis er ſelbſt ein eigenes Atelier (gegenwärtig auf der Eliasſtraße) ſich gründete, wo er bald einen Kreis eifriger und begeiſterter Schüler um ſich ſammelte. 1868 wurde er zum Profeſſor an der Kunſtakademie ernannt. Still und mit großer Hingabe

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lebte er dieſem Amte. Aus ſeiner Werkſtatt gingen nunmehr viele herrliche Schöpfungen hervor, die den Namen des gottbegnadeten Künſtlers weit über die Grenzen des deutſchen Vaterlandes hinaustrugen und dem Sachſenſohne unſterblichen Ruhm bereiteten. Sie alle aufzuzählen, iſt hier nicht der Platz.

Die Nacht. Abend und Nacht, zwei Treppenfiguren an der Brühlſchen Terraſſe in Dresden. Die Nacht. Abend und Nacht

Wer aber je einmal nach Dresden kommt, der hat gegenwärtig Gelegenheit, die herrlichſten Werke der Schillingſchen Muſe beiſammen zu ſehen und in ihrem An­ blicke einzig ſchöne Stunden zu genießen. Hier befindet ſich das Schilling­ muſeum, ein tempelartiges Gebäude, das vor noch nicht zu langer Zeit unter Leitung des Baumeiſters Rudolf Schilling, des Sohnes des Bildhauers, ent­

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ſtanden iſt, und in deſſen ſchönen Räumen die Gipsmodelle der meiſten Schilling­ ſchen Werke Aufſtellung gefunden haben.

Im erſten Saale ſehen wir die Panther-Quadriga des Königlichen Hof­ theaters in Dresden, das Schillerdenkmal, welches der Meiſter für Wien ſchuf, die Büſten Sr. Majeſtät des Königs Albert und Ihrer Majeſtät der Königin Carola und das Rietſcheldenkmal. Im nächſten Saale ſchauen wir ſtaunend die ehrfurchtgebietende Koloſſalſtatue der Germania, die, in Erz gegoſſen, vom Niederwalde aus gar treulich Wacht hält am grünen Rheinſtrome. Kaum daß wir uns von dieſem Anblicke trennen können; ja, hier iſt heiliger Boden! In einem anderen Saale erblicken wir das Kriegerdenkmal, das die Stadt Hamburg für ihre 1870—71 gefallenen Söhne bei Meiſter Schilling beſtellte, wiederum in einem anderen das Reformationsdenkmal für Leipzig, Luther und Melanchthon darſtellend, und das Modell für das in Trieſt errichtete Denkmal des unglücklichen Kaiſers von Mexiko, Maximilians von Öſterreich. Dem Ausgange uns wieder zu­ kehrend, verweilen wir bewundernd bei den herrlichen Gruppen der „Tageszeiten“, welche bekanntlich die große Aufgangstreppe der Brühlſchen Terraſſe in Dresden ſchmücken. Sie gehören mit zu dem Schönſten, was Schilling geſchaffen hat; ja, ſie ſtehen unter den Meiſterwerken unſerer Tage faſt unerreicht da. Es ſind vier Gruppen. Die erſte, auf der oberſten Stufe der berühmten Terraſſentreppe ſtehend, ſtellt den „Morgen“ dar. Wir erblicken vor allem eine friſche, herrliche Jungfrauengeſtalt, in ihrem Haar erglänzt der Morgenſtern; ſie lüftet, vom Schlafe geſtärkt, das Gewand und atmet auf, freudig, das Tagewerk aufs neue beginnen zu dürfen. Ihr zur Seite ſehen wir ein Mädchen, das, eben auch er­ wacht, die Sandale an den Fuß befeſtigt, zur anderen Seite ein zweites, das aus einem Taukrüglein die Blumen tränkt. Die zweite Gruppe, ebenfalls den oberen Abſchluß der Treppe zierend, ſtellt den „Mittag“ dar. Eine Mannes­ geſtalt, das Haupt mit einer Strahlenkrone geſchmückt, hält mit der Rechten den Ruhmeskranz empor; ein Jüngling erhebt die Hand nach demſelben, das Streben nach Ruhm andeutend, während daneben eine Knabengeſtalt, mit dem Spaten arbeitend, das ſchlichte Schaffen am Tage verſinnlicht. Am Fuße der Treppe erheben ſich die herrlichen Gruppen „Abend“ und „Nacht“. Der „Abend“ iſt dargeſtellt durch eine kräftige Mannesgeſtalt, die nach vollendetem Tagewerke ſich dem behaglichen Genuſſe überläßt, dabei dem Saitenſpiele des ihm zu Füßen ruhenden Mädchens lauſcht, während ein zweites, ein Tambourin in der Hand, ſich zum Tanze anſchickt. Von noch größerer Schönheit iſt die „Nacht“. Sie iſt als Frauengeſtalt gedacht; die Mondſichel über der Stirn, ſitzt ſie da, ſchützend ihr Gewand um einen in Schlaf geſunkenen Knaben legend, während der geflügelte Morpheus dem Schlummernden ſüße Träume zuflüſtert.

Die neueſten Werke Schillings ſind das Reiterſtandbild des Königs Johann auf dem Theaterplatze und das Semperdenkmal auf der Brühlſchen Terraſſe in Dresden.

Möge es dem bereits im höheren Mannesalter ſtehenden Künſtler beſchieden ſein, noch lange in rüſtiger Kraft zu ſchaffen und durch die Werke ſeiner Hand und ſeines Geiſtes die Welt zur Erkenntnis und zur Bewunderung wahrer Schön­ heit anzuleiten!

BrunoMüller.

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