Kapitel 17. Das Wettinfeſt in Dresden.

Das waren ſonnendurchleuchtete Lenztage — die Tage vom 15. bis 19. Juni 1889!

Schien es doch, als wolle die Mutter Natur, die auf unſer geliebtes Sachſenland ihre Reize in gar verſchwenderiſcher Fülle ausgeſtreut hat, auch ihrerſeits dazu beitragen, die ſeltene Feier eines achthundertjährigen Regierungs­ jubiläums zu verſchönen. Der Himmel, der ſich über den Türmen und Dächern Dresdens wölbt, ſtrahlte im reinſten Blau, und die liebe Gottesſonne lachte mit ſo feſtlich heitrem Antlitz auf die Straßen und Plätze der Reſidenz hernieder und ſpiegelte ſich ſo ſeelenvergnügt in den Fluten des breiten Elbſtroms, daß ihr Widerſchein auf Tauſenden und Abertauſenden von Menſchengeſichtern zu leuchten ſchien. Wie die Anhänger des Koran nach dem heiligen Mekka wall­ fahrten, um an der Kaaba zu beten, ſo ſtrömten die Bewohner des Sachſen­ landes von Norden und Oſten, von Süden und Weſten nach dem ſchönen Elb­ florenz. Galt es doch, dem Herrſcherhauſe der Wettiner, das jahrhundertelang kraftvoll und milde, gerecht und weiſe über unſerer Heimat gewaltet und während dieſer langen Zeit Leid und Freud’ gemeinſam mit dem Volke getragen hat, Dankbarkeit und Verehrung zu beweiſen. Um dieſes Gefühl der Zuſammen­ gehörigkeit von Fürſt und Volk, ein Zweig vom Baume der alten deutſchen Treue.

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kam am Wettinfeſte überall, ſoweit die grünweißen Grenzpfähle ein glückliches Land umſchließen, in geradezu erhebender Weiſe zum Ausdruck.

Wer in jenen ſonnigen Tagen durch die Straßen Dresdens ſchritt, kannte die altvertraute Heimat kaum wieder. Sie hatte ihr Werktagskleid abgelegt und ſich in ein leuchtendes, farbenſchimmerndes Feſtgewand gehüllt. Wohin auch der entzückte Blick ſich wandte, überall traf er auf Fahnen, Flaggen, Guirlanden, Kränze und Teppiche. Die Behörden der Stadt hatten auf allen Straßen und Plätzen, die vom Feſtzuge berührt werden ſollten, herrliche Tribünen und Pavillons erbauen laſſen, die in Gold und Purpur ſchimmerten. Vor dem Böhmiſchen Bahnhofe begrüßten den ankommenden Fremden zwei mächtige Obelisken und zwei Türme, die mit Feſtroſetten, Ranken und Wappenſchildern reich geſchmückt waren. — Gigantiſche doriſche Säulen, verbunden durch einen prachtvoll gemalten Teppich (Velarium) und geziert mit rieſigen Blumenkörben, bildeten ein Triumph­ thor, das den Eingang zu der Feſtſtraße bezeichnete. Auf dem Altmarkte, dem Schloßplatze der Elbbrücke, dem Neuſtädter Markte, der Hauptſtraße, dem Albert­ platze — überall waren Ehrenpforten, Fahnenmaſten, Triumphbögen, Obelisken, Tribünen und Pavillons aufgerichtet, deren blendende, farbenprächtige Ausſtattung einen feenhaften Anblick gewährte. Ganz beſonders koſtbar war der Königspavillon auf dem Neumarkte, der für die Königlichen Majeſtäten und deren hohe Gäſte beſtimmt war. In reicher Vergoldung ſtieg ſein ſchlanker mit purpurnem Samt und ſtrahlendem Netzwerk geſchmückter Bau in die Lüfte empor, und wohl mochte man bedauern, daß all dieſe Herrlichkeit „nur für den Augenblick geboren“ war.

Aber neben den Behörden der Stadt ließen es ſich auch die Dresdner Bürger nicht nehmen, dem angeſtammten Fürſtenhauſe gegenüber ihre Liebe und Verehrung zum Ausdruck zu bringen. Da war wohl kein Haus, das nicht einen Schmuck aufzuweiſen hatte: überall ſchimmerte und wehte es von Fahnen, Guirlanden und Teppichen, und ſelbſt die verwinkelten, unſcheinbaren Häuſer der inneren Stadt wie die Mietskaſernen der Vorſtädte trugen einige grüne Kränze und Ranken zur Schau und in dieſen prachtvoll geſchmückten Straßen, durch all dies Gewirr von Gold und Farben, von Rankenwerk und Blumen wogte eine froh geſtimmte und feſtlich gekleidete Menge, dem Sorgen und Haſten und Treiben des Alltagslebens entrückt, Sonnenſchein im Herzen und auf dem Antlitz mit offenem Auge all dieſe Herrlichkeiten in ſich aufnehmend.

Endlich waren die ſehnlichſt erwarteten Feſttage gekommen. Tauſend fleißige Hände hatten ſich geregt, um im munteren Bunde für das Gelingen der Feier zu wirken, aber nun war auch alles bereit. Es war wie bei einem Weihnachts­ feſte; es beglückten jedoch diesmal nicht die Eltern das kleine Volk der Kinder, ſondern ein ganzes Land hatte ſich vereinigt, dem geliebten Vater Gaben der Liebe darzubringen. Schon am Sonnabend, den 15. Juni, nahm der König die Glückwünſche der Stände, die zu einem außerordentlichen Landtage einberufen worden waren, entgegen. Der Abend ſchloß mit einem wohlgelungenen Fackel­ zuge, ausgeführt von den Studierenden der ſächſiſchen Hochſchulen. Am Sonntage aber läuteten die Glocken des ganzen Landes von den Türmen, und ihre ehernen Zungen riefen Hunderttauſende von Sachſen in die hehren Hallen der Gottes­

häuſer, um im Aufblicke zu Gott, dem König aller Könige, dem Feſte eine würdige Eröffnung und die rechte Weihe zu geben. Wohl mochte da mancher, der die Geſchichte ſeines Volkes durchforſcht hat, im raſchen Fluge die Jahrhunderte ſeines Werdens an dem Geiſte vorüberziehen laſſen und dankbar der Führung des Herrn gedenken, der unſre geliebte Heimat durch Nacht zum Licht, durch Kampf zum Frieden, durch Schmach und Not immer wieder zu Ehren und Wohlſtand führte. Am Abende aber gab das geſamte ſächſiſche Heer dem Könige und ſeinen erlauchten Gäſten in einer eigens zu dieſem Zwecke erbauten Arena ein glanzvolles Armeefeſt, das in wunderbarer Treue ein großes und bedeutungsvolles Stück Geſchichte Sachſens zur Darſtellung brachte.

Am folgenden Tage, dem Montage, fanden ſich im Königlichen Schloſſe zahlreiche Deputationen aus allen Teilen des Landes ein, um dem geliebten Fürſten, König Albert, Glückwünſche nebſt reichen Geſchenken zu überbringen.

Höher und höher ſchlugen die Wellen der Begeiſterung und der Feſtfreude. Hatte bis dahin nur das ſächſiſche Volk ſich beeifert, dem verehrten Landesvater ſeine Huldigungen darzubringen, ſo wollten nunmehr auch weitere Kreiſe ihre Teilnahme bekunden; das große deutſche Vaterland, vertreten durch die höchſte Spitze der Nation, den Kaiſer, nahte ſich glückwünſchend dem Throne des Königs. Der junge deutſche Herrſcher, Wilhelm II., zog am Dienstag unter dem Geläute der Glocken und dem endloſen Jubel der Bevölkerung in Dresdens Mauern ein. Zu Ehren der Anweſenheit des oberſten Kriegsherrn fand an demſelben Tage auf dem Alaunplatze eine glänzende Truppenparade ſtatt, der eine unabſehbare Menſchenmenge beiwohnte, und die einen prächtigen Verlauf nahm. Mit Stolz und Freude führte Generalfeldmarſchall König Albert dem Hohenzollernſproſſen einen Teil ſeines Heeres vor, jenes Heeres, das im blutigen Ringen der Jahre 1870—71 zum Bau des neuen deutſchen Reiches mit beigetragen hatte, das in den gewaltigen Schlachten von Gravelotte, St. Privat, Beaumont und endlich vor Patis die deutſche Kaiſerkrone mit ſchmieden half, deren lichter Schein jetzt das Haupt des jungen Monarchen umwob.

Derſelbe Tag war einem Akte der Pietät und Dankbarkeit gewidmet, der Enthüllung des Denkmals für den verewigten König Johann, dieſen gerechten, weiſen und frommen Fürſten, dieſen Denker und Dichter auf dem Throne. Es war ein erhebender Augenblick, als die Hülle fiel und die edle Geſtalt des hoch­ ſeligen Königs im Sonnenlichte ſchimmernd ſichtbar ward. Da ſtanden ſie rings­ um auf dem Theaterplatze zu Tauſenden, da ſaßen ſie auf allen Dächern, da wogte und wallte es dumpfbrauſend wie ein Meer unter den Maſſen, und hoch über der Flut thronte auf bronzenem Poſtamente in ruhiger Majeſtät der Herrſcher auf dem Roſſe, den Königsmantel um die Schulter geſchlagen, das Scepter in der Rechten — das Bild einer in ſich gefeſtigten, geiſtig hochbedeutenden Perſönlichkeit.

Und nun kam endlich der Haupttag des Feſtes, der Tag, an dem der Feſtzug ſtattfinden ſollte, von dem man ſchon lange vorher in allen Zeitungen Wunderdinge geleſen hatte. So etwas Prächtiges, hieß es, habe Dresden ſeit der Zeit Auguſts des Starken nicht geſehen und werde es auch ſobald nicht wieder ſchauen. Die in Dresden einmündenden Bahnen brachten ſchon tags vorher

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Sonderzüge von erſchreckender Länge, die ſich am Morgen des ereignisvollen Tages, Mittwoch, den 19.Juni, in raſcher Folge drängten, um aus der Provinz unzählige Schauluſtige der Reſidenz zuzuführen. Ein breiter Menſchenſtrom ergoß ſich in alle Straßen und Plätze, die der Feſtzug berühren ſollte. Ein­ gekeilt in drangvoll fürchterlicher Enge ſtand das Volk ſchon ſeit ſechs Uhr mor­ gens Kopf an Kopf auf den Fußſteigen und deren Bordkanten auf den Ge­ ſimſen der Schaufenſter und den Sproſſen angelegter Leitern, auf raſch herbei­ geholten Tiſchen und Bänken, auf Laternenpfählen und Dächern und harrte der Dinge, die da kommen ſollten. Die aber das Glück hatten, an der Feſtſtraße zu wohnen, hatten die Fenſter weit geöffnet und ſchauten nun, umringt von Freunden und Bekannten, feſtlich gekleidet und leuchtenden Blickes über die zu ihnen Füßen flutende Menſchenwoge hin. Die Knaben wehten mit kleinen Fähnchen in den Landesfarben zum Fenſter hinaus, und die Mädchen zupften die Schleifen am weißen Kleidchen und den Blätterkranz im Haar zurecht und blickten mit großen erſtaunten Augen hinab. Und immer noch ging es wie ein Fluten und Rauſchen und Raunen durch die Menſchenmenge da unten, die in ſtetem Auf- und Niederwogen die Erregung kundgab, mit der alles auf den kommenden Feſtzug harrte. Und die Sonne ſchien ſo freudeſtrahlend auf all die geputzten Menſchen herab, und die Fahnen flatterten im jungen Morgenwinde — da auf einmal eine erwartungsvolle Stille, dann eine ſtärker anſchwellende Be­ wegung, dann ein fernes Jauchzen und Hurrarufen und — „Sie kommen! Sie kommen!“ ertönte es aus tauſend Kehlen in ſtürmiſcher Begeiſterung. Alles ſtreckte den Hals ſoweit als möglich vor oder ſtellte ſich auf die Zehen, um ja nichts von all den Herrlichkeiten zu verpaſſen. — Endlich kam er, der Feſtzug: ſinnberückend, blendend in all ſeiner Pracht.

Er nahte heran, eröffnet von Meißner Bürgern aus dem Jahre 1089, gefolgt von Rittern in blitzender Rüſtung und wehenden Fähnchen und nun drängte ſich Gruppe an Gruppe in ſchier endloſer Reihe. Geleitet von den ſchmetternden Fanfaren zahlreicher Muſikchors, ſchritten ſtolze Ratsherren mit ſamtnen Baretts und goldnen Ehrenketten, Kaufleute und Bürger in ſeltſam prächtigen Trachten vergangener Jahrhunderte; es erſchienen Studenten im vollen Wichs, ehrſame Handwerker mit den Zeichen ihres Gewerbes, reiſige Reiter auf ſtattlichen Roſſen, Bauern mit den Erzeugniſſen des Feldes, ein ganzes Volk in ſeiner Arbeit und ſeiner Freude darſtellend, geſchart um zahlloſe Prunkwagen, die in märchenhaftem Glanze ſchimmerten. Da fahren auf grünen Wellen ſtolze dreimaſtige Schiffe, gefüllt mit den köſtlichſten Kaufmannsgütern und belebt von raſtlos arbeitenden Matroſen; da nicken mächtige Palmen und Dracänen zu Häupten ſtrahlender Feen, die ſiegsgewaltig, umgeben von guten Genien, auf goldnem Throne ruhen; da ſchwankt ein ungeheurer Erzberg vorbei, in deſſen Innern Gnomen mit Hacke und Meißel eifrig ſchürfen; da bekränzen Turner in kleidſamer Turnertracht die Büſte Vater Jahns auf hohem Poſtamente; da verkörpern reizende Knaben und Mädchen in Rokokokoſtüm, in ihren geſtickten Kleidchen und gepuderten Zöpfchen wunderlieblich anzuſchauen, die Meißner Porzellanmanufaktur, da puſten Lokomotiven vorüber; da klingt und dröhnt es

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von den Schlägen des Dampfhammers, der ſchwer und wuchtig vorüberſchwankt; da thront Gambrinus, den Becher hoch ſchwingend, auf umranktem Rieſenfaſſe; da wird ein ungeheurer Lederſtiefel von wackeren Schuſtern vorübergetragen; da ſchimmert und glänzt es von tauſend Farben, von den herrlichſten Samt­ und Seidenſtoffen — ein Bild von ſo blendend berückender Pracht wie ein Märchen aus „Tauſend und eine Nacht“. Dazu ſchmettern die Trompeten, jauchzt das Volk, wehen die Fahnen und flattern Blumen aus allen Fenſtern hernieder, und ſo gleitet der Zug in immer neuen entzückenden Bildern an dem ſchier ermüdenden Augen vorüber und will nicht enden. Der König aber mit ſeiner hohen Gemahlin — er ſteht inmitten ſeiner Umgebung im Königs­ pavillon auf dem Neumarkte und läßt den Zug, den Treue erſonnen und Be­ geiſterung ausgeführt, vorüberziehen; und wenn das brauſende Hurra der Tauſende zu ſeinem Thronſeſſel hinaufdrängt, wenn ſich alle Fahnen ſenken und alle Blicke ſein Antlitz ſuchen: da mag ſich wohl ſein Auge feuchten bei dieſen Zeichen der Liebe und Verehrung eines ganzen Volkes.

Am Abende des Feſttages loderten von allen Höhen des ſächſiſchen Landes Flammen empor, und ein zauberiſches Feuerwerk am Ufer der Elbe ſchloß die Reihe der Darbietungen dieſer ſchönen Tage, Tage, wie ſie einem Volke und einem Fürſten in ſolch harmoniſchem Ausklingen nur ſelten beſchieden ſind. König Albert aber darf mit Stolz und Freude auf jene Frühlingstage zurückblicken, denn:

Verklungen ſind der Glocken Feierklänge, Verrauſcht das Wettinfeſt mit ſeiner Pracht, Verblaßt der Straßen zauberiſch Gepränge, Der Feuerglanz verſunken tief in Nacht, Verſtummt der Millionen Feſtgeſänge, Dem Fürſtenhauſe jubelnd dargebracht — Doch nimmer ſchwand, was uns dazu getrieben: Des Sachſenvolkes treu und innig Lieben.

OttoLangebach.