Kapitel 16. Dresden vor 400 Jahren.

Dresden beſtand gegen Ende des 15. Jahrhunderts aus zwei Städten, Alten­ dresden, dem jetzigen Neuſtadt-Dresden, welches am früheſten von beiden ge­ gründet worden war, und Neudresden, der jetzigen Altſtadt. Beide Städte hatten einen eigenen Stadtrat und eine eigene Stadtverwaltung, einen eigenen Markt u. ſ. w. und wurden erſt 50 Jahre ſpäter zu einer einzigen Stadt vereinigt.

Von Altendresden, der jetzigen Neuſtadt, wiſſen wir aus jener Zeit nur wenig. Es war ein offener Ort an der Elbe, nicht mit Mauern umgeben, weshalb es auch im 15. Jahrhundert viel durch Feinde, beſonders die Huſſiten, zu leiden gehabt hat, die es angezündet und ausgeplündert haben.

Altendresden war ſehr unregelmäßig gebaut; eigentliche Straßen gab es nicht; Scheunen, Gärten und Häuſer ſtanden in bunter Miſchung untereinander. Erſt zwei Jahrhunderte ſpäter wurde es von Auguſt dem Starken völlig umgeſtaltet.

Bis nahe an die Stadt ging die Dresdner Heide. Dieſe muß damals eine ſchreckliche Wildnis geweſen ſein; denn es wird uns erzählt, daß im Jahre 1407 in ihr zwei Schüler von Wölfen gefreſſen wurden, und daß noch im 16. Jahr­ hundert in derſelben zahlreiche Raubtiere hauſten. In der Heide wurde viel Bienenzucht getrieben, ſo beſonders von den Bewohnern von Klotzſche. Erſt Kurfürſt Moritz, welcher Altendresden mit Mauern umgeben wollte, ließ einen Teil der Heide niederſchlagen.

Weit mehr als von Altendresden läßt ſich von Neudresden, der jetzigen Altſtadt, ſagen. Neudresden war zwar von Altendresden aus gegründet worden, hatte aber das letztere ſehr bald überflügelt und war die bei weitem wichtigere der beiden Städte. Beſonders ſeitdem es im 15. Jahrhundert die Herzöge von

78

Sachſen zur dauernden Reſidenz gemacht hatten, war es in ſtetem Aufblühen begriffen.

Neudresden — wir wollen es kurz Dresden nennen — glich in ſeiner Geſtalt noch ſehr einem kleinen Landſtädtchen. Es hatte etwa 4—5000 Einwohner, welche im Jahre 1490 in 472 ftädtiſchen und 249 Vorſtadthäuſern wohnten.

Neudresden war beſſer als Altendresden vor Feinden geſchützt; denn es war nicht wie dieſes ein offener Ort, ſondern wie die meiften Städte in damaliger Zeit mit einer feſten Mauer umgeben. Rings um die innere Stadt lief eine Steinmauer, mehrere Meter hoch und ſo breit, daß man bequem auf ihr gehen konnte. Zur Deckung der Verteidiger auf den Mauern dienten in die Mauer­ krone eingeſchnittene Ziegel oder Zinnen, von welchen man einen weiten Fernblick in die Umgegend hatte. Als wichtigſte Verſtärkung der Mauer ragten ſtattliche Mauertürme empor, welche einer größern Zahl von Verteidigern Raum boten. Außerhalb der Mauer befand ſich ein breiter und tiefer Graben, welcher von der Elbe reichlich mit Waſſer geſpeiſt wurde und gleichfalls ein Hindernis für die Feinde bildete. Die Stadtmauer war an gewiſſen Stellen des Verkehrs halber unterbrochen. Wollte man aus der innern Stadt nach den Vorſtädten hinausgehen, ſo mußte man ſeinen Weg durch ein Mauerthor nehmen. Ein ſolches Thor zeichnete ſich durch große Feſtigkeit aus; die Thorflügel waren aus ſtarken Eichenbohlen gezimmert und mit dauerhaften Eiſenbeſchlägen, Schlöſſern und Ketten verſehen. Es wurde von gewaltigen Thortürmen überragt. Vom Thore aus führte über den Graben eine mächtige Fallbrücke, welche, wenn Feinde nahten, vom Thorwächter emporgezogen wurde. Solcher Thore beſaß Dresden vor 400 Jahren ſechs. (Einzelne Thore haben ſich, wenn auch in etwas ver­ änderter Form, noch bis in die neuere Zeit erhalten, wie die nachſtehende Abbil­ dung zeigt.) Das eine Thor mit einem feſten Turme befand ſich am Ende der Wilsdruffer Straße, wo der jetzige Poſtplatz ſeinen Anfang nimmt, und hieß das Wilsdruffer Thor. Den Eingang der Elbbrücke ſchützte das Elbthor mit großem viereckigen Turme. Von dieſem aus führte der Wall zu dem Frauenthore, welches ſich auf dem jetzigen Neumarkte befand, ſodann zu der Kreuzpforte am Ende der Kreuzſtraße und von da quer bis zum Seethore an dem Ende der Seeſtraße und wieder zurück zum Wilsdruffer Thore. Die Namen „Wallſtraße“ und „An der Mauer“ erinnern noch heutigestags an die Zeit, in welcher Dresden mit Feſtungsmauern umgeben war.

Zur Verteidigung der Stadt waren die Bürger derſelben verpflichtet, welche darum auch den Wachtdienſt an den Thoren und auf den Mauern zu beſorgen hatten. Der Waffendienſt gehörte zu den wichtigſten Bürgerpflichten. So mußte der Bürger neben dem Werkzeug, das ihn nährte, zugleich die Waffe führen. Neben großen, ſchweren Feuergewehren gebrauchte man auch noch vielfach die Armbruſt. Wollte der Bürger nun dieſe Waffen geſchickt handhaben, ſo mußte er ſich fleißig üben. Zu dieſem Zwecke entſtanden die Schützengeſellſchaften oder Schützengilden und zwar die Armbruſt- und Büchſenſchützen. Die letztern ſchoſſen nach der Scheibe; ihre Schießübungen hielten ſie in der Nähe des Oſtrageheges auf der ſogenannten Viehweide ab, einem freien Platze, auf welchem die Fleiſcher

zugleich ihr Schlachtvieh weideten. Auf dieſem Schützenplatze ſtand auch ihr Schießhaus. Ihre Schießfeſte waren ſchon damals heitere Volksfeſte, welche durch allerhand Beluſtigungen die geſamten Bewohner der Stadt zu feſſeln wußten.

Alles, was innerhalb der Stadtmauer lag, war die eigentliche innere Stadt. Außerhalb des Walles und Grabens lagen die Vorſtädte und Vordörfer Dresdens. Vieles, was jetzt zur eigentlichen Stadt gehört, war damals Vor­ ſtadt. Die wichtigſte der Vorſtädte lag vor dem Frauenthore; zu ihr gehörte auch die Frauenkirche, welche von einem Friedhofe umgeben war.

Das Pirnaiſche Thor zu Dresden vor der Demolierung 1813. Das Pirnaiſche Thor zu Dresden vor der Demolierung 1813.

Wenn man auf der entgegengeſetzten Seite der Stadt durch das Wilsdruffer Thor nach Südweſten ging, ſo kam man nach einiger Zeit an zwei Dörfer, die ein weites Stück draußen vor den Mauern lagen; es waren Poppitz und Fiſchers­ dorf, welche den Raum der jetzigen Wilsdruffer Vorſtadt bedeckten. An das eine derſelben erinnert noch jetzt der Poppitzplatz. Erſt gegen Mitte des 16. Jahr­ hunderts wurden die beiden Dörfer mit Dresden vereinigt, und nun entwickelten ſie ſich zu einer wirklichen Vorſtadt.

Wo jetzt die Friedrichſtadt liegt, die auch längere Zeit den Namen Neuſtadt Oſtra führte, da lag das Dorf Oſtra. Hier wohnten in zerſtreuten Gärten viele Bauern und Häusler, auch befand ſich hier ein großes Rittergut. Später hat Vater Auguſt das geſamte Ackerland aufgekauft und zu dem Kammergut Oſtra vereinigt.

80

In den Vorſtädten und Vordörfern, beſonders im Südweſten der Stadt, war ein reicher Pflanzenwuchs in ſchönen, wohlangebauten Obſt- und Luſtgärten zu finden, ſo daß die Stadt faſt wie mit einem Gebüſch eingeſchloſſen erſchien, aus welchem der Geſang der Nachtigallen und anderer lieblicher Singvögel erſchallte.

Die weitere Umgebung Dresdens bildeten Feld und Wald; im Süden und Südweſten aber lagen mehrere Seen, weit größer und tiefer als der jetzige Carolaſee im Großen Garten. Der wichtigſte von dieſen Seen war der Oberſee vor dem Wilsdruffer Thore. Die Straße „Am See“ und die „Oberſeergaſſe“ wurden ſpäter dort erbaut, wo der See rauſchte, und haben von ihm ihre Namen. Dieſer Oberſee, welcher bis zum vorigen Jahrhundert vorhanden war, wurde durch Felder von einem zweiten See, dein Unterſee, getrennt. Letzterer dehnte ſich hinter dem Seethore aus und erfüllte das ganze niedrige Land im Süden der Stadt, welches jetzt ein großer Teil der Seevorſtadt bedeckt. Vom Georgplatze an dehnte ſich von Norden nach Süden vor der jetzigen Kreuzſchule zur Bürger­ wieſe hin ein dritter See, der Jüden- oder Judenteich, aus, welcher erſt 1848 zugeſchüttet wurde. Alle die genannten Seen waren ſehr fiſchreich.

Wollte man von Altſtadt nach Neuſtadt gehen, ſo konnte man nur über eine einzige ſteinerne Brücke dahin gelangen, welche an der Stelle der jetzigen Auguſtus­ brücke lag. Dieſe Brücke reichte bis dicht an das Georgenthor und an das Schloß heran, welches mit ihr durch eine Zugbrücke in Verbindung ſtand. Sie hatte 24 Pfeiler und 23 Bogen und war aus ſchönen Quaderſteinen auſgeführt, die durch eiſerne Klammern miteinander verbunden waren. Statt des jetzigen eiſernen Geländers trug ſie nur ſteinerne Zinnen. An einem ihrer Pfeiler war ein merk­ würdiges Bild zu ſehen, das ſogenannte Brückenmännchen; es hatte die Geſtalt eines kleinen, gebückt ſitzenden Männchens mit untergeſtemmten Armen, zuſammen­ geſchloſſenen Füßen und tief in die Augen gezogenem Mützchen und ſoll der Sage nach den Baumeiſter der Brücke dargeſtellt haben. Als im Jahre 1813 die Franzoſen zwei Pfeiler der Brücke ſprengten, verſchwand das Brückenmännchen, wurde aber durch ein anderes erſetzt. Auf einem ſtarken Pfeiler der Brücke, nicht weit vom Brückenthore, ſtand eine Kapelle zum heiligen Leichnam, in welcher von einem Kaplan Gottesdienſt gehalten wurde.

Kaufleute, Bauern u. ſ. w., welche mit beladenen Wagen über die Brücke fuhren, mußten einen Zoll, den Brückenzoll entrichten, welcher zur Ausbeſſerung der Brücke diente. Der Ausbau, ſowie die Beſſerung der Brücke lag dem Brücken­ amte ob, deſſen Vorſtand, der Brückenmeiſter, vom Stadtrat gewählt wurde.

Auf der Elbe ſelbſt wurde ſchon damals viel Handel getrieben.

Aus Böhmen führte man beſonders Sandſtein, Getreide, Wein und Obſt nach Norden, während elbaufwärts Salz, Honig und Wachs befördert wurde. Auch die Holzflößerei wurde eifrig betrieben.

Nachdem wir die nähere Umgebung der Stadt vor 400 Jahren kennen ge­ lernt haben, gehen wir in die Stadt ſelbſt hinein.

Unweit der Brücke ſtand das herzogliche Schloß, das von den Brüdern Ernſt und Albrecht im 15. Jahrhundert gänzlich umgebaut ward. Es war ſchmucklos,

81

nach Art einer Feſtung mit einem Turme verſehen und ringsum mit einem Graben umgeben. Was von dem jetzigen Schloßgebäude aus der Zeit Ernſts und Albrechts ſtammt, iſt ſchwer zu ermitteln; denn die Nachfolger, Georg der Bärtige und Kurfürſt Moritz, haben das Schloß ſehr verändert, größtenteils ganz neu gebaut.

Von den Straßen der eigentlichen Stadt erfahren wir Genaueres aus einem Briefe, welchen Herzog Georg an ſeinen in den Niederlanden weilenden Vater, Herzog Albrecht, ſandte. Im Jahre 1491, am 15. Juni früh 4 Uhr, brach nämlich bei einem Bäcker in der großen Webergaſſe, jetzt Scheffelſtraße, ein Feuer aus, welches, von einem heftigen Winde gefördert, ſich ſchnell bis an das See­ und das Frauenthor verbreitete und mehr als die halbe Stadt in Aſche legte. Auch die Kreuzkirche wurde ein Raub der Flammen. Der als Statthalter regierende Georg gab ſeinem Vater ſofort eingehend Bericht über das große Un­ glück, und dieſer kam bald darauf ſelbſt nach Dresden, um den ſchwerbetroffenen Einwohnern durch fein perſönliches Erſcheinen Troſt und Hilfe zu ſpenden. Aus jenem Bericht erfahren wir, daß die innere Stadt damals nur 20 Gaſſen zählte, welche zum Teil dieſelben Namen führten wie jetzt, z. B. Wilsdruffer Gaſſe, See­ gaſſe, Kreuzgaſſe u. ſ. w.

An der Stelle des jetzigen Altmarktes befand ſich auch früher der Markt­ platz. Nicht inmitten von Häuſerreihen, ſondern ganz frei auf dem Marktplatze ſtand das Rathaus (mit der Hauptſeite gegen die Schöſſergaſſe hin). Es war Abbildungen nach ein ziemlich ſtattliches Gebäude mit Giebeln, Erkern und vielen Räumen. In ihm verſammelten ſich die Ratsherren der Stadt zu ihren Sitzungen, zu welchen ſie durch die Ratsglocke herbeigerufen wurden. Vor Beginn derſelben begaben ſie ſich aber in die Rathauskapelle, welche im Rathauſe oder, wie ein anderer Geſchichtſchreiber Dresdens erzählt, demſelben gegenüber war; hier beteten ſie und wohnten der Meſſe bei. Nach dieſer Andacht betraten ſie den Rathausſaal, um der Beratung zu pflegen.

Die wichtigſten Gebäude außer dem Rathauſe waren die Kirchen. Die zwei ſchönſten waren die Kreuz- und die Frauenkirche. Die erſtere hatte ihren Namen von einigen Heiligtümern, welche in ihr verehrt wurden: einem Stück vom Kreuze Chriſti und einem hölzernen Kruzifix, welches der Sage nach auf der Elbe von Böhmen her nach Dresden geſchwommen war. Durch den großen Brand im Jahre 1491 fand ſie ſamt Turm und Glocken ihren Untergang, ward aber von 1492—1499 wieder neu aufgerichtet.

Die zweite Hauptkirche, die Frauenkirche, lag außerhalb der Mauern vor dem Frauenthore in der Frauenvorſtadt und war von einem weiten Friedhofe umgeben; ſie beſaß ſechs Altäre und ein Marienbild von Wachs, zu welchem zahlreiche Wallfahrten unternommen wurden.

Außer den genannten Kirchen gab es noch zwei, welche mit Klöſtern ver­ bunden waren. Vor 400 Jahren war die Zahl der Klöſter, in welchen Mönche von der Welt zurückgezogen lebten, auch in unſerm Sachſenlande eine ſehr große. In den geſamten Wettiner Landen gab es gegen 100 derſelben. Auch in Dresden beſtanden bis zur Einführung der Reformation 1539 zwei Klöſter, in der jetzigen

6

82

Neuſtadt ein Auguſtiner-, in Altſtadt ein Franziskanerkloſter. Auguſtiner ſowohl wie auch Franziskaner waren Bettelmönche. Nach der Beſtimmung ihrer Ordens­ ſtifter waren ſie ohne Beſitz und lebten in Armut und Entbehrung; nur auf die Mildthätigkeit des Volkes angewieſen, mußten ſie ihren Lebensunterhalt erbetteln. Beſonders die Franziskanermönche ſcheinen ſehr arm geweſen zu ſein, ſo arm, daß ihnen der Herzog von Sachſen 1401 die Erlaubnis erteilt hatte, in der Dresdner Heide ſo viel dürres Holz zu ſammeln, als ſie für die Zwecke ihres Kloſters bedürften. Da ſie mit einer einfachen grauwollenen Kutte bekleidet waren und meiſt barfuß gingen, ſo wurden ſie auch Barfüßler oder graue Brüder genannt. Die große und kleine Brüdergaſſe, an deren Ausgang ihr Kloſter lag, haben von ihnen ihre Namen erhalten. Unmittelbar neben dem Franziskaner­ kloſter ſtand eine Kapelle mit drei Pfeilern, welche aber nicht zum allgemeinen Gottesdienſte, ſondern nur zu dem des Kloſters benutzt wurde. An ihrer Stelle wurde ſpäter die Sophienkirche erbaut.

Die Auguſtinermönche, deren Kloſter in Neuſtadt unweit der Auguſtusbrücke und der jetzigen Kloſtergaſſe lag, und deren Gottesdienſten die alte Dreikönigskirche diente, waren als die Urheber der Altdresdner Waſſerleitung für Dresden von Bedeutung. Auf ihr beſonderes Geſuch hatten ſie nämlich von Albrecht die Er­ laubnis erhalten, das in der Heide fließende Zſchorwaſſer zu faſſen und nach ihrem Kloſter zu leiten. Sie machten von dieſer Erlaubnis Gebrauch und legten die erſte Dresdner Waſſerleitung an.

Wenn wir nun noch kurz einen Blick auf die Straßen der Stadt werfen, ſo finden wir, daß dieſelben nicht, wie jetzt, aus geradlaufenden Häuſerreihen be­ ſtanden, ſondern ebenſo wie in den meiſten andern mitteldeutſchen Städten eng und winklig waren. Zwiſchen den Straßen und Häuſern gab es noch im 16. Jahrhundert leere Plätze, Gärten und Scheunen. Durch Baumgruppen und Raſenplätze erhielt die Stadt ein dorfartiges Ausſehen.

Die Häuſer waren von den unſern grundverſchieden; ſie waren faſt durch­ gängig aus Holz, Fachwerk und Lehm gebaut und mit Stroh oder Schindeln gedeckt, ſo daß ein ſolches Gebäude oft nur drei bis ſechs Gulden wert war. So einfach und ſchmucklos wie das Äußere war auch das Innere der Häuſer.

Der Handwerker wohnte mit ſeiner Familie in niedern, engen Wohnräumen, in denen auch die Werkſtatt mit aufgeſchlagen war. Die Wohnſtube war meiſt der gemeinſchaftliche Aufenthalt für Menſchen und Tiere, wie noch jetzt in manchen Gegenden Polens. Der Fußboden mußte deshalb mit Gras, Heu und Stroh beſtreut werden. Eine Schütte Stroh oder eine Bank zunächſt dem Feuer­ herde vertrat die Stelle des Sofas. Rauchfänge fehlten meiſt. Die Fenſter waren nur runde Wandlöcher, durch Scheiben von Horn oder Marienglas ge­ ſchloſſen; Glas fing damals erſt in den Häuſern der reichſten Kaufherren an in Gebrauch zu kommen.

Auch die Straßen ließen vor 400 Jahren ſehr viel zu wünſchen übrig. Dieſelben waren ſehr unſauber; denn ſie waren bis zum Jahre 1556 gar nicht gepflaſtert. Nur die Hauptwege wurden durch Sand und kleine Steine aus­ gebeſſert. Wer bei ſchlechtem Wetter ausging, fuhr in ſchwere Holzſchuhe.

83

Vermehrt wurde die Unſauberkeit dadurch, daß die Schleuſen fehlten. Das unreine Waſſer rieſelte mitten auf dem Wege dahin und ſammelte ſich in ſtinkenden Pfützen. Die Kaitzbach floß offen durch die Stadt; in ſie ſowohl, wie auch über die Zugbrücke in die Elbe ſchüttete man Schutt, Kehricht und andere Unſauberkeiten, was erſt 1560 durch Kurfürſt Auguſt ernſtlich verboten wurde. Auf den Straßen fand man häufig Brunnen, welche wie auf dem Lande mit Schwengel und Rad gezogen wurden.

Viele Bürger beſchäftigten ſich mit Landwirtſchaft und Viehzucht, be­ ſonders mit Zucht von Schweinen und Federvieh; ſie beſaßen vor der Stadt Äcker und Gärten, manche auch Weinberge in der Lößnitz. Wer am Morgen zum Wils­ druffer Thore hereinkam, konnte dem Stadtvieh begegnen, welches auf die Vieh­ weide getrieben wurde. Vielfach liefen auch Schweine, Hühner und Gänſe auf den Straßen umher. Infolge der Viehzucht gab es auch in der Stadt viele Vieh­ ſtälle, welche zur Verſchönerung derſelben ebenſowenig beitrugen wie der Um­ ſtand, daß man das Feuerholz zum Abtrocknen vor den Häuſern aufſetzte.

Die Unſauberkeit in den Straßen hemmte nicht nur den Verkehr, ſondern trug auch weſentlich zur Entſtehung und Verbreitung furchtbarer Seuchen bei. Die entſetzlichſte derſelben war die Peſt oder der ſchwarze Tod, welche Krankheit oftmals die Stadt heimgeſucht und, wie z. B. 1484—1485, Hunderte von Menſchen hinweggerafft hat.

Außer Landwirtſchaft und Viehzucht trieben viele, ja ſogar die meiſten Bürger ein Handwerk. Diejenigen, welche einem und demſelben Handwerke an­ gehörten, bildeten eine geſchloſſene Geſellſchaft oder Vereinigung, die Zunft oder Innung hieß. Mit der Aufnahme in die Zunft waren viele Rechte verbunden. Die Aufnahme war ſehr feierlich. Nur ſtreng ehrenhafte Männer deutſcher Zunge durften Mitglieder der Innung ſein; ſchlechter Lebenswandel ſchloß von der Mitgliedſchaft aus. Die Glieder einer und derſelben Zunft wohnten meiſt in beſtimmten Gaſſen beiſammen; daran erinnert noch die Bezeichnung gewiſſer Straßen, wie Weber-, Fiſcher-, Schuhmachergaſſe u. ſ. w. Sie hatten auf dem Markte ihre Hallen und Stände nebeneinander, in denen ſie ihre Waren ausboten. Vielfach hielten ſie auch in ihrem eigenen Hauſe feil. Die Zünfte ſorgten für gute Ware und bekämpften Betrug und ſchlechte Arbeit. Alle Tuche z. B. wurden, ehe ſie zum Verkaufe ausgelegt werden durften, von verpflichteten Älteſten der Tuchmacherinnung unterſucht, geprüft und geſtempelt; ähnlich war es mit den Erzeugniſſen der Leinweber. Die Zunftgenoſſen zeigten bei jeder Gelegenheit großen Gemeingeiſt. In der Not erhielt jeder Angehörige der Zunft eine Unter­ ſtützung aus der gemeinſamen Kaſſe. Von Innungsgenoſſen wurde er auch zur Gruft getragen.

An der ſtädtiſchen Verwaltung hatten vor 400 Jahren die Handwerker nur wenig teil. Das Regiment in der Stadt führte der Rat, welcher aus den Grund­ beſitzern und Kaufleuten, den Patriziern, gewählt wurde. Die Mitglieder des Rats waren bis zum 16. Jahrhundert unbeſoldet und verteilten die einzelnen Geſchäfte der Stadtverwaltung unter ſich, ſo daß jeder Ratsmann einen beſondern Zweig derſelben übernahm. Der Rat hatte eine bedeutende Macht. Er ver­

84

waltete alle Einkünfte, beſonders aus den Zöllen, ſowie auch den Grundbeſitz der Stadt, welcher freilich damals ſehr gering war, beſtimmte die Gemeindeſteuern und übte durch den Stadtrichter Polizei und Gerichtsbarkeit aus. Seit 1484 hatte der Stadtrat Dresdens ſogar das Recht, Vergehen mit dem Tode zu beſtrafen, das ſogenannte Obergericht. Wer ſich dem Rechtsausſpruche des Stadtgerichts, welches aus dem Stadtrichter und elf Geſchworenen beſtand, nicht fügen wollte, mußte beim Landesherrn ſelbſt Beſchwerde einreichen. — Wie in allen Städten Deutſchlands, ſo machten auch in Dresden die Handwerker öfters den Verſuch, in großer Anzahl in den Rat zu kommen. Aber die Herzöge Albrecht und Ernſt unterdrückten dieſen Verſuch, indem ſie beſtimmten, daß nicht mehr als zwei Handwerker im Rate ſitzen ſollten.

Die Handwerker der Stadt waren bemüht, die Rohſtoffe, aus denen ſie ihre Waren fertigten, möglichſt billig einzukaufen, die Kaufleute aber, die daheim ge­ fertigten Waren mit möglichſt großem Gewinn zu verkaufen. Vor allem waren zwei Gerechtſame für Gewerbe und Handel ſehr vorteilhaft. Wir wollen dieſelben an einem Beiſpiele kennen lernen. Ein Großkaufmann iſt mit mehreren Wagen, welche unter hochgeſpannter Leinwanddecke koſtbares Kaufmannsgut bergen, auf der Reiſe von Norddeutſchland nach Böhmen begriffen. Derſelbe darf nicht an Dresden vorüberfahren, wenn ihm auch aus der Berührung der Stadt großer Zeitverluſt und Schaden erwächſt; die einzige Landſtraße, welche alle Frachtgüter zu benutzen gezwungen ſind, führt durch die Stadt, er muß durch dieſelbe hin­ durchfahren; denn der Stadt Dresden war durch die Verordnungen des Landes­ fürſten ein ſehr wichtiges Recht verliehen, das Recht des Straßenzwanges. Hätte der Kaufmann mit ſeinen Wagen Dresden umgangen, ſo wäre er mit Wegnahme der Waren und des Fuhrwerks beſtraft worden. Er kommt alſo mit ſeinen Wagen an ein Dresdner Stadtthor. Hier muß er zunächſt den Brückenzoll be­ zahlen, welcher zur Inſtandhaltung der Zugbrücke beſtimmt iſt. Die Wagen rollen nun über die Brücke durch die gewölbten Thorbogen in die Stadt hinein. Am Thorbogen muß der Kaufmann noch einen Zoll, das ſogenannte Geleitsgeld, entrichten, von dem die Wege der Stadt in gutem Zuſtande erhalten werden, und zwar für jeden Wagen ein paar Pfennige. Nachdem unſer Kaufmann dieſe Abgaben entrichtet hat, darf er aber nicht etwa einfach durch die Stadt hindurch­ fahren, ſondern er muß ſeine Waren in der Stadt abladen und eine gewiſſe Zeit, mindeſtens drei Tage lang, zum öffentlichen Verkaufe feilhalten. Die Klein­ händler und Kaufleute der Stadt kommen nun in den folgenden Tagen zum Verkaufsplatze und ſuchen die für ſie paſſenden Waren aus. Dieſes Recht der Stadt hieß, weil die Waren aufgeſtapelt wurden, das Stapelrecht. Es bezog ſich auch auf die Güter, welche zu Schiffe Dresden berührten; auch dieſe mußten ausgeladen und feilgehalten werden. Erſt nach Ablauf der Stapelzeit fuhr der Kaufmann ſeine Fracht weiter. Das Stapelrecht, welches Dresden jedoch nicht immer durchführen konnte, war ein großes Hemmnis für den Handel; denn durch das unaufhörliche Umladen wurde die Beförderung der Waren verzögert, und die Ware ſelbſt wurde verſchlechtert und verteuert. Wenn darum ein Kauf­ mann Waren, wie Salz, Wachs, Fiſche u. ſ. w. führte, welche durch das Auf­

85

und Abladen leicht Schaden nehmen konnten, ſo war er des Abladens enthoben, wenn er einen neuen Groſchen zahlte.

Den Kleinhandel im Orte durften nur einheimiſche Bürger betreiben, und ſtreng wachten die Kaufleute darüber, daß nicht ein fremder Kaufmann ſich des Kleinverkaufs erdreiſtete. Nur an gewiſſen Tagen, zu den Märkten, war freier Handel, an welchem Fremde und Einheimiſche teilnehmen durften.

Da in der Stadt Gewerbe und Handel blühten, ſo wurden die Bürger wohlhabend; dazu brachte der Reichtum der Schneeberger und Freiberger Silber­ bergwerke viel Geld ins Land. Wohlſtand und Reichtum verleiteten viele Bürger zu Luxus und zu einem verſchwenderiſchen Leben. Der Luxus zeigte ſich be­ ſonders in unmäßigem Eſſen und Trinken, ſowie in der Kleiderpracht. Familien­ feſte, wie Hochzeiten, Taufen u. ſ. w. dauerten oft viele Tage; große Mengen von Gäſten wurden dazu geladen, Unmaſſen von Speiſen und Getränken dabei vertilgt.

Die Herzöge und auch der Rat erließen öfters Verordnungen, in denen ſie den übermäßigen Luxus verboten und ganz genau vorſchrieben, wie weit die Leute in der Kleidung gehen durften. Wie wenig aber dieſe Verordnungen fruchteten, beweiſt der Umſtand, daß dieſelben immer und immer erneuert und wieder verſchärft werden mußten.

So ſah es vor 400 Jahren in Dresden aus. In den folgenden Jahr­ hunderten nahm die Stadt einen gewaltigen Aufſchwung, und aus dem kleinen, meiſt hölzernen Landſtädtchen wurde nach und nach die prächtige Großſtadt, die in der Gegenwart auf Hunderttauſende von Fremden eine mächtige Anziehungs­ kraft ausübt.

R.Trenkler.

Das sächſiſche Königspaar. Das sächſiſche Königspaar.