Kapitel 13. Das Luftlager bei Zeithain.

Der Kurfürſt Friedrich Auguſt I. von Sachſen war bekanntlich ein äußerſt prachtliebender Fürſt, ein Freund großer Feſte und luftiger Gelage. Wie er an außerordentlicher Körperkraft, an gutem Geſchmacke und klarem Verſtändniſſe des Schönen unter ſeinen Zeitgenoſſen hervorragte, ſo ſollte auch ſein Hof durch Pracht und Aufwand, Pomp und Schaugepränge unter den Höfen aller Fürſten Deutſch­ lands ſich auszeichnen.

In folgendem ſoll von einem Feſte erzählt werden, das an Zeitdauer, Groß- artigkeit und verſchwenderiſcher Pracht alle ähnlichen Veranſtaltungen in den Schatten ſtellt, das vielleicht einzig daſteht in der Geſchichte unſeres engeren und weiteren Vaterlandes und das Leben und Treiben am Hofe Auguſts des Starken in trefflichſter Weiſe charakteriſiert. Das Feſt iſt bekannt unter der Bezeichnung „Luftlager bei Zeithain“.

Das faſt ſagenhaft gewordene Luftlager bei Zeithain nahm ſeinen Anfang am 31. Mai und endete am 26. Juni des Jahres 1730. Mit dieſem Feſte be­ gann für das nördliche Sachſen eine Zeit des Jubels, der Freude und der Ab­ wechslung, aber auch der Beſchwerden und drückender Laſten.

Schon lange hatte den Kurfürſten die Idee beſchäftigt, einmal ein großes Manöver im Sinne damaliger Zeit abzuhalten. Greifbarere Formen hatte ſie an­ angenommen, als die beſtehenden Zwiſtigkeiten und Mißhelligkeiten zwiſchen ihm und dem Könige Friedrich Wilhelm I. von Preußen durch mehrmalige Beſuche ausgeglichen worden waren, und Auguſt etlichen großen Truppenrevüen in Preußen beigewohnt hatte. Dem preußiſchen Soldatenkönig zu Ehren, der ſeinen Beſuch bei dem Kurfürſten angeſagt hatte, wollte nun Auguſt der Starke ein Manöver veranſtalten, das alles bisher Dageweſene übertreffen ſollte.

Die Vorbereitungen zu dem Feſte begannen ſchon im Jahre 1728.

Beſtimmungen über Kleidung und Ausrüſtung wurden gegeben, 4000 Rekruten wurden ausgehoben und neue Regimenter gebildet, ſo daß die Armee bei ihrem Einzuge in das Luftlager aus faſt 30000 Mann beſtand.

Zum Manöverplatz hatte man ein Rechteck von etwa 5 km Länge und 5 km Breite eingerichtet, das ſich zwiſchen den Dörfern Zeithain, Glaubitz, Radewitz, Streumen, Wülknitz und Lichtenſee ausdehnte. Der anſtoßende Goriſch­ wald mußte zu einem guten Teile ausgerodet werden, wobei 500 Bauern und 250 Bergleute beſchäftigt waren. Die im Bereiche des Luftlagers liegenden

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Felder durften ſchon 1729 nicht wieder beſtellt werden. Hohe Steinſäulen, die heuti­ gentages noch ſtehen, bezeichnen ganz genau den Aufſtellungs- und Manöverplatz.

Die Armee war in Zeithain ſelbſt und außerdem viele Stunden im Umkreiſe in den Dörfern einquartiert. Die zum Feſte erſchienenen Gäſte, etwa 40 Herzöge Prinzen und Fürſten, wohnten mit ihrer Begleitung und ihrer Dienerſchaft auf den Schlöſſern in der Umgebung. Wie groß die Dienerſchaft war, läßt ſich daraus ermeſſen, daß der Kurprinz, der in Tiefenau in einem beſonders für ihn erbauten Palais wohnte, zur Unterbringung der ſeinigen noch die drei Dörfer Nieska, Spans­ berg und Nauwalde brauchte. Für dieſe Gäſte und ihre Bedienſteten hatten natürlich die Dörfer, in denen ſie im Quartier lagen, den Lebensunterhalt und ſonſtigen Bedarf zu beſorgen.

Wenden wir uns nun dem Luftlager zu.

Zwiſchen dem Dorfe Streumen und dem heutigen Artillerie-Schießplatze hatte man auf einem mächtigen Unterbaue einen zwei Stock hohen, hölzernen, reich vergoldeten Pavillon errichtet. Das Dach war in Grün und Gold gehalten, und von den goldenen Knöpfen wehten rot und weiße Fahnen. In der oberen Etage, die in der Mitte ihrer Längsſeite einen reich mit Purpur und Gold­ franſen geſchmückten Balkon mit mächtigem darüber geſpannten Thronhimmel zeigte, hielt ſich die kurfürſtliche Familie während der Manöverſtunden auf; die untere Etage hatte man der Küche, der Kellerei und Konditorei eingeräumt. In dem mit Brettern ausgeſchlagenen Graben ſtanden des Kurfürſten Reitpferde und auf einem freien Platze 10 Kanonen, deren Schüſſe die Signale für die einzelnen Teile des Manövers bildeten. Unweit des Pavillons war ein Opernhaus erbaut. Hier wirkte die Hofkapelle und eine italieniſche Sängergeſellſchaft in Opern und Konzerten.

Auf einer Anhöhe zwiſchen den Dörfern Radewitz und Glaubitz erhob ſich in einer Länge von 700 m und einer Breite von 400 m in Form eines Kreuzes das eigentliche Hoflager. Ein Graben und ein Wall, durch vier Eingänge unter­ brochen, umſchloſſen das Ganze. Das Innere, aus 17 prachtvollen großen und vielen kleinen Zelten beſtehend, bildete eine kleine Stadt. Die Gänge waren äußerſt kunſtvoll in bunten Farben parkettiert und überdacht. In der Mitte liefen Galerien nach allen vier Armen des Kreuzes hin, die in vier große Zelte mündeten. Dieſe dienten als Salon, Speiſe- und Schlafzimmer und hatten bedeuten­ den Wert. Sie ſtammten aus der Kriegsbeute bei Wien 1683. Sie waren zwar nur aus Leinwand; allein auf dieſe waren Muſter in den denkbarſten Formen und den bunteſten Farben mit der größten Kunſtfertigkeit in Seide und Gold genäht, gewebt und geſtickt.

Das Innere der Zelte war mit verſchwenderiſcher Pracht ausgeſtattet. So befanden ſich in jedem der beiden Speiſezelte zwei Schwenkkeſſel aus Silber mit einem Gewicht von vier Centnern, außerdem die koſtbarſten Möbel, Teppiche, Uhren, Lampen, Bilder und anderes mehr. Für den Kurfürſten hatte man außer dem Pavillon noch einen prunkvollen Palaſt errichtet; weiter war ein Komödienhaus bei Streumen und eine Baracke für den Hoftaſchenſpieler und Hofnarren des Kurfürſten, außerdem eine mächtige Holzkuliſſe erbaut worden. Dieſe Holzkuliſſe konnte durch Feuerbrände erleuchtet und illuminiert werden

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und hatte eine Länge von 200 Ellen und eine Höhe von 100 Ellen. An ihr hatten 200 Zimmerleute und Holzſchnitzer über ½ Jahr gearbeitet, und ſechs Italiener hatten auf die 6000 Ellen Leinwand, mit denen das Gerüſt bezogen war, ein Schloß gezeichnet, ſo täuſchend, daß man von einiger Entfernung glaubte, das Schloß ſei wirklich vorhanden. Zeitgenoſſen behaupteten, dergleichen ſei noch niemals auf der ganzen Welt geſehen worden.

Zu allen dieſen Baulichkeiten, die nach dem Plane des genialen Hofbau­ meiſters Pöppelmann, des Erbauers des Dresdner Zwingers, errichtet worden waren, hatte das Holz aus dem Goriſchwalde nicht ausgereicht, ſo daß man noch 500 ſtarke Baumſtämme aus dem Oberlande hatte herbeiſchaffen müſſen.

Den Verkehr über die Elbe vermittelten außer der Fähre noch vier bloß zu dieſem Zwecke geſchlagene Brücken. Die bedeutendſte war die Schiffbrücke bei Moritz; außer ihr gab es noch eine Faß-, Floß- und Klotzbrücke. Auf der Elbe lag auch die Königliche Flotte, die aus 6 Fregatten, 9 Brigatinen und 30 Schaluppen beſtand und von 550 nach holländiſcher Mode gekleideten Matroſen bedient wurde. Das prächtigſte Schiff war das Admiralſchiff „Buzentaur“ ge­ nannt, das von einem Italiener nach dem Muſter eines venezianiſchen Dogen­ schiffes erbaut und mit dem denkbarſten Pompe ausgeſtattet war. Die äußere Vergoldung ſoll allein über 9000 Thaler gekoſtet haben.

Das Luftlager war in erſter Linie ein großes Soldatenfeſt, und darum war auch die außerordentlich vergrößerte Armee bis auf den letzten Mann daran beteiligt. Sogar polniſche und litthauiſche Truppen waren mit hinzugezogen worden. Obgleich aber die Armee aus einer überaus großen Anzahl von Soldaten beſtand, ſo entſprach ſie doch durchaus nicht einer Truppe nach unſeren Begriffen. Die Musketiere waren z. B. nur prächtig herausgeputzte Rieſen; eine andere Abteilung war an Kleidung und Ausrüſtung den Türken nachgebildet und einſt; das Janitſcharen-Regiment. Bei der Uniformierung der übrigen Truppen herrſchte die rote Farbe vor; dazu kamen noch die Lanzenfähnlein, Säbel­ troddeln, Bruſtſchnüre, Helmbüſche, Rockfütterungen, Rockkragen und Bandeliers, um das Bild recht bunt zu machen. Außer der Reiterei hatte man eine Ab­ teilung von 48 Mauleſeln, die mit Federn, Silberblechen, Klingeln und Troddeln geſchmückt waren, bei den großen Paraden den Schluß bildeten und zum Transport des Tafelgeſchirres dienten.

Am 31. Mai trafen der König von Preußen und ſein Sohn Friedrich, nachmals der Große genannt, mit einem zahlreichen Gefolge ein, und mit dieſem Tage nahm das „militäriſche Feſt“ ſeinen Anfang. Dasſelbe trug freilich nicht das Gepräge eines Manövers unſerer Zeit; es beſtand vielmehr nur aus Aufſtellungen, Aufmärſchen und Reihungen der Truppen, Bildung von allerlei Figuren unter den Klängen der Muſik und dem Donner der Kanonen in allen möglichen Tempo- und Schrittarten, ähnlich den Turnreigen unſerer Tage.

Während der Zeit dieſer Manöver- und Feſttage war für die leiblichen Bedürfniſſe ausgezeichnet geſorgt. Im Hoflager ſelbſt wurde täglich auf des Kur­ fürſten Koſten an zwölf großen Tafeln von 15 Ellen Länge geſpeiſt. Die Speiſe­ geſchirre waren aus Gold, Silber und Zinn. Die kurfürſtliche Dienerſchaft be­

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ſtand aus den Pagen, den Lakaien und Knechten, 16 Bockpfeifern, 24 Mohren, 108 Grenadieren und 252 Janitſcharen. Außerdem hatte der König von Preußen 150 Offiziere zu ſeiner Begleitung mitgebracht, die ebenfalls an der kurfürſtlichen Tafel ſpeiſten.

Zu den Großartigkeiten des Luftlagers gehört auch der faſt ſagenhaſt ge­ wordene Rieſenkuchen. Derſelbe wurde von dem Bäckermeiſter Andreas Zacharias und 60 „Beckenknechten“ gebacken. Der Backofen, in dem er ſechs volle Stunden buk, war beſonders dazu erbaut und ſchon acht Tage vorher angeheizt worden. Man verwendete zu dem Kuchen 16½ Scheffel Mehl, 3600 Eier, 4 Tonnen Milch, und 1½ Tonne Hefen; die Menge des Zuckers, der Roſinen und Mandeln iſt nicht mehr zu ermitteln. Seine Länge betrug 16 Ellen, die Breite 6 Ellen, die Dicke ½ Elle und das Gewicht 40 Centner. Um ihn in den Backofen hinein, und aus demſelben wieder herauszubringen, waren 100 Perſonen erforderlich. Ein Zimmermann zerteilte ihn mit einem Meſſer von 3 Ellen Länge und zwar ſo, daß er erſt ein Loch ſchnitt, in dasſelbe hineintrat und dann von der Mitte aus ein­ zelne Stücke abſäbelte. Als die Stücke unter das Volk verteilt wurden, entſtand ein großer Kampf, der allen Anweſenden unſäglichen Spaß bereitete.

Seinen Abſchluß fand das Feſt in einem prächtigen Feuerwerke am Abende des 24. Juni, das Tauſende von Zuſchauern zu ſtaunender Bewunderung hinriß. Von 80 Holzgeſtellen ſtiegen Raketen in allen Farben ununterbrochen zum Himmel auf, 48 Mörſer warfen Leuchtkugeln, 24 koloſſale Feuerräder und eine Unzahl von Lichtern, Sternen, Fackeln und Lampions verbreiteten einen Regen von feurigem Golde und einen Glanz, der nicht enden wollte. Die ſchon erwähnte große Leinwandkuliſſe war dabei auf das prächtigſte illuminiert; dazu donnerten 60 Ge­ ſchütze, dröhnten ſämtliche Pauken und ſpielten alle Muſikchöre ohne Unterbrechung.

Dem Landfeuerwerke ſchloß ſich das Waſſerfeuerwerk an, das ebenſo großartig war. Einem rieſengroßem feuerſprühenden Walfiſche folgten vier feurige Delphine, auf dieſe kam dann die ganze Flotte, ein Schiff nach dem andern in endloſer Reihe, langſam, lautlos und majeſtätiſch, dabei herrlich geſchmückt und illuminiert.

Am 25. Juni war Raſttag. Für den 26. war ein Abſchiedsfeſt angeſetzt, zu welchem der Kurfürſt ſeine ganze Armee zur Tafel geladen hatte. Bei dieſem Feſteſſen wurden von den Soldaten unter anderem 80 Ochſen verſpeiſt. Daß nach aufgehobener Tafel alle Holzteller von den Speiſenden in die Elbe geworfen worden ſeien, iſt, wie Nachforſchungen ergeben haben, eine Unwahrheit.

Nach dieſer Tafel nahmen die Offiziere Abſchied von dem König von Preußen, zertrümmerten dabei unter Hurrarufen alle Weingläſer, aus denen ſie auf des Königs Wohl getrunken hatten, und kehrten mit den Truppen in ihre Garniſonen zurück

Am 27. Juni begaben ſich der König von Preußen und der Kurfürſt von Sachſen mit einem zahlreichen Gefolge an Bord der Flotte und fuhren unter den Klängen der Muſik überall von den Uferbewohnern begrüßt und begleitet, über Belgern und Torgau nach Lichtenburg, um hier eine große Jagd abzuhalten. Die Bau­ lichkeiten des Luftlagers wurden nun abgebrochen und die Koſtbarkeiten nach Dresden gebracht, wo wir ſie heute noch in den großen Sammlungen bewundern können.

Einzelne Gebäude wurden aus ganz beſonderer königlicher und kurfürſtlicher

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Gnade den Bauern von Radewitz, die, wie ſie ſagten, während des Luftlagers große Verluſte und viel Schaden gehabt hatten, für den Spottpreis von 400 Thalern überlaſſen. Jahrzehntelang noch bauten ſie aus den vergoldeten Kapitälen und Säulen, aus den geſchnitzten Balken und Brettern ihre Häuſer oder kochten ihre Suppe davon.

Jenes Feſt wurde ſeinerzeit als „die Krone aller Magnifizenz und Herrlich­ keit des Königs von Polen Majeſtät“ bezeichnet, und der Dichter Jean Toncement ſagt von ihm: „All Leute glaubens ganz gewiß, was man da geſehen, Das wird in der ganzen Welt an keinem Ort geſchehen.“

OttoRühle.