Kapitel 11. Miescos Eiche.

11.1. Sage von der Burg Siebeneichen.

I.

Auf einer der Gebirgshöhen, welche, das herrliche Elbthal umſäumend zwiſchen Dresden und Meißen am linken Ufer des Fluſſes anſteigen, liegt am Abhange einer jähen Schlucht das Schloß Siebeneichen. Vergebens fragt man die Geſchichte nach dem Urſprunge dieſes Namens. Die ſchlanken Erlen, die, ein jüngeres Baumgeſchlecht, auf der Aſche verſunkener und vergangener Vegetationen fußen, geben auch keine Kunde von den längſt zerfallenen ſtarken Eichen, welche als einſtige Zierde dieſes Bodens dem Schloſſe den Namen verliehen. Nur die Sage leitet uns zurück in die fernere Vergangenheit jener romantiſchen Orte, welche die Natur unter ihre Lieblinge zählt.

Im 10. Jahrhundert, als das Eroberungsſchwert Heinrichs des Finklers Chriſtentum und deutſche Geſittung in jene Gegenden führte und der Gewaltige das alte, faſt tauſendjährige Meißen gründete, hauſte auf dem Schloſſe, welches wir unter dem Namen „Siebeneichen“ kennen, ein reichbegütertes ſorbiſches Ge­ ſchlecht. Es war dem großen Kaiſer befreundet, hatte für ihn ſiegreich gegen die Ungarn und Wenden gefochten und ſeinen Dank verdient.

Kaiſer Heinrich ſprach einſt bei dem Burgherrn Wratislav, dem Beſitzer des Schloſſes, ein, und dieſer, erfreut über eine ſolche Gunſt, ſtellte ihm ſeine ſechs Söhne vor und bat ihn, daß er auch ſie ſeines Dienſtes würdigen möge. Heinrich freute ſich der ſchönen, kräftigen Jünglinge und fragte den Vater, ob er keinen Sohn weiter habe. Da verſtummte dieſer und wollte nicht mit der Antwort her­

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aus. Als aber der Kaiſer freundlich in ihn drang, geſtand er, daß ſein älteſter Sohn, Miesco, erbittert über den ſiegreichen Fortgang der deutſchen Waffen und über die Anhänglichkeit der Seinen an den Kaiſer, ſchon ſeit länger als Jahres­ friſt aus der väterlichen Burg entwichen ſei und ſich den ſlaviſchen Volksſtämmen beigeſellt habe, mit denen der Kaiſer im Kriege lebte. Heinrich hörte ihn teilnehmend an und ſuchte ihn zu tröſten. „Die Treue des Vaters,“ ſagte er, „kann nicht durch den Verrat eines entarteten Sohnes ge­ trübt werden. Noch bleiben Euch ſechs Söhne, Eichen deutſcher Ritterſchaft. Glaubt mir, ſie werden herrlich fortgrünen im Laufe der Jahrhunderte und ſtolz. hinausblicken in ferne Zeiten.“ Hierauf gebot er den ſechs Jünglingen ihm in den Schloßgarten zu folgen. Dort ließ er jeden der Brüder einen jungen Eich­ baum pflanzen und wünſchte, daß ihr Geſchlecht wachſen und gedeihen möge wie dieſe Bäume. Dann ließ er ſie niederknien, erteilte ihnen den Ritterſchlag und nannte ſie Herren von Sechseichen.

Leider traten nur zu bald Unfälle ein, welche des Kaiſers frohe Hoffnungen für das Gedeihen des Geſchlechts zu zertrümmern ſuchten. Die ſlaviſchen Stämme ſammelten ihre letzte Kraft, um ihren Glauben und ihre Unabhängigkeit gegen den deutſchen Einfluß zu behaupten. Uckern, Heveller, Daleminzier, Milzener Luſitzer und wie jene zürnenden altſlaviſchen Völker ſonſt heißen mochten, ſchloſſen ſich eng zuſammen, um ihre bedrohten Altäre zu verteidigen. Racheglühend brachen ſie wiederholt gegen die chriſtlichen Kolonien vor, und namentlich war die junge Burg Meißen, die Hauptſtütze deutſcher Macht in jenen Gegenden, der Brennpunkt ihres Haſſes und ihrer gemeinſamen Angriffe. Der alte Wratislav zog ihnen mit ſeinen ſechs Söhnen mutig entgegen und half ſie zu wiederholten Malen zurücktreiben. Aber immer ſtellte ſich ihnen da, wo ſie eben fochten, ein vom Kopfe bis zum Fuße gepanzerter Ritter entgegen, der, wie mit übermenſch­ licher Kraft begabt, ſich durch Freund und Feind zu ihnen vorkämpfte und nicht eher ruhte, bis einer der jungen Helden von „Sechseichen“ ſeinem Schwerte erlegen war.

Der Schmerz des alten Wratislav über den Verluſt des hoffnungsreichen Sohnes wurde von einer Ahnung durchzuckt, über welche er ſich ſelbſt nicht Rede ſtehen mochte. Ehe aber noch der erſchlagene Liebling ſein letztes Ruhebett in der Erbgruft der Burg gefunden hatte, brach ein neuer Schwarm von Feinden hervor. Da blieb nicht Zeit zur Trauer; Wratislav, jetzt nur noch Vater von fünf Söhnen, ſaß auf und ſtürmte den Heiden entgegen. Die Feinde wendeten ſich zur Flucht. Die Deutſchen mit ihren langen Schwertern folgten ihnen wütend nach, an ihrer Spitze Wratislav und die fünf Sechseichen. Da ſtellte ſich ihnen am Rande einer Anhöhe, welche die Flucht wie die Verfolgung hemmte, der heid­ niſche Ritter mit einem Häuflein Milzener entgegen. Zwar war ihr Widerſtand nur kurz; aber ehe ſie wichen, lag wiederum ein Sechseichen, von der Axt des gepanzerten Heiden zerſchmettert, am Boden.

Noch drei Gemetzel dieſer Art fanden ſtatt, ehe die Slaven das meißniſche Gebiet räumten oder ſich unterwarfen. In jedem derſelben blieben die Deutſchen Sieger, aber in jedem deckte auch ein Sechseichen, erſchlagen von dem gewaltigen Arme des unheimlichen Heiden, den Walplatz.

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So war nach wenigen Monaten von den herrlichen ſechs Jünglingen, den Lieblingsrittern des großen Kaiſers, nur noch der jüngſte, Boleslav, am Leben, und während die ſechs Eichen im Burggarten luſtig fortgrünten, moderten fünf ihrer Pfleger bereits in der Gruft.

Der alte Wratislav konnte von ſo ſchwerer Trauer nie mehr geneſen. Mehr noch als der Verluſt der geliebten Söhne ſchien ihn ein anderer tiefgeheimer Ge­

Schloß Siebeneichen bei Meißen. Schloß Siebeneichen bei Meißen.

danke zu quälen, dem er nur, wenn er ſich unbelauſcht glaubte, nachzuhängen wagte, und er erſchrak über jede Andeutung, die ein fremdes Mitwiſſen ahnen ließ. Er nahm dieſen Gedanken mit in das Grab, das ihn nach wenigen Monden mit den gefallenen Helden wieder vereinigte.

Boleslav war nunmehr als der Letzte ſeines Stammes zu betrachten; denn der entflohene erſtgeborene Bruder, der nicht einmal teilhatte an dem jetzigen Namen des Geſchlechtes, der, geächtet als Verräter, ſich nie zurückwagen durfte, wenn er nicht anders ſchon im ungleichen Kampfe gefallen war, konnte nicht mehr in Rede

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kommen. Als rechtmäßiger Erbe nahm Boleslav Beſitz von der Burg und den reichen Gütern, welche mit ihr zuſammenhingen, und waltete als ein treuer Vaſall ſeines Kaiſers, als ein milder und gerechter Herr über ſeine Unterthanen.

Jahre waren verſtrichen. Der große Kaiſer Heinrich – der erſte Sachſe, welcher eine Krone trug — war heimgegangen und ſein ruhmgekrönter Sohn Otto ihm gefolgt. Boleslav hatte ſich mit der Tochter eines Edlen des Landes vermählt, mit welcher er auf ſeinem reizenden Stammſchloſſe in glücklicher, aber kinderloſer Ehe lebte, ein Umſtand, der ſeine Freuden nicht ſelten trübte, da er in ſich den letzten Sprößling eines unter ſo hoffnungsreichen Verhältniſſen auf­ gekommenen jungen Geſchlechtes erkennen mußte.

Eines Tages wurde ihm ein Fremdling gemeldet, der mit ihm in wichtigen Angelegenheiten zu ſprechen habe. Auf ſein Geheiß führte man den Fremden zu ihm. Es war ein ſtarker Mann, ſonnengebräunt und von verwilderten Zügen, die durch tiefe Narben nur noch mehr entſtellt waren. Das trotzige Geſicht ver­ zog ſich mühſam zu einer unnatürlichen Freundlichkeit, und die gewaltigen Arme öffneten ſich ungelenk zu einer Umarmung.

„Was ſucht Ihr hier?” fragte Boleslav zurücktretend und unangenehm er­ griffen von den abſtoßenden Mienen des Fremdlings.

„Ei ſieh doch, mein Boleslav,” entgegnete dieſer, „du haſt ein ſchlechtes Ge­ dächtnis für Züge, welche dir die teuerſten auf der Welt ſein ſollten. Nun freilich, du warſt noch ein kleiner Bube, als wir uns zum letzten Male an dieſer Stelle ſahen. Umarme mich, ich bin dein Bruder Miesco!”

Boleslav trat bei dieſen Worten zurück, und ſeine Hand zuckte unwillkürlich nach dem Schwerte.

„Ich hoffe,” fuhr Miesco fort, „der Sohn Wratislavs wird einen beſſeren Gruß für den wehrloſen Bruder haben als das Schwert. Ich weiß wohl, daß an meinen Namen ſich manche unfreundliche Erinnerung knüpft. Aber laß das Vergangene vergangen ſein! Ich kann vielleicht noch manches gut machen. Auch beanſpruche ich keineswegs mein väterliches Erbe; ich weiß, daß ich, der Rebell, damit nicht weit kommen würde. Ich bitte nur um Aufenthalt für mich und meine beiden Söhne; oder wenn du mich durchaus nicht haben willſt, für dieſe allein und allenfalls für eine Handvoll friedlicher, treuer Diener, denen ich, da ich ihnen nicht anders lohnen kann, wenigſtens eine ſichere Zuflucht geben möchte, wo ſie ihr Leben in Frieden beſchließen können.”

Boleslavs ernſte Miene wurde milder, als er den Bruder unverhofft ſo friedlich ſprechen hörte. Er fragte deshalb mit ſchwindendem Mißtrauen: „Und iſt es dir Ernſt mit dem, was du da ſagſt?”

„Gewiß, mein Bruder. Was ſoll ich als ein Geächteter noch für andere Hoffnungen nähren? Nur für meine Söhne, für meine wenigen Getreuen ſuche ich Schutz.”

Da ſchloß Boleslav den Bruder gerührt in die Arme. „Du ſollſt mehr als Schutz bei mir finden,” ſagte er. „Ich bin kinderlos, und ſind deine Söhne wackere Knaben, ſo werde ich ihnen Vater ſein, und ſie ſollen mich einſt beerben. Hole ſie, hole deine Getreuen; ſie ſollen mir willkommen ſein.”

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Miesco ließ ſich das nicht zweimal ſagen. Er eilte ſo haſtig fort, daß er ſogar den Abſchiedsgruß vergaß. Die Zugbrücke wurde niedergelaſſen, und bald hielt Miesco mit ſeinen beiden Söhnen an der Spitze eines ſtattlichen Reiter­ haufens ſeinen Einzug. Die angeblich „wenigen getreuen Diener“, welche dieſen Haufen bildeten, ſahen keineswegs ſo friedfertig aus, wie Miesco ſie geſchildert hatte; ſie ſahen ſich trotzig die Burg an, welche ſie gaſtlich aufnahm, und ſchwangen ihre gekrümmten ſorbiſchen Schwerter mit einer wilden Luſt, die keineswegs einem demütigen Gruße ähnlich ſah. Selbſt Miesco hatte, als er jetzt mit ſeiner wohl­ bewaffneten Begleitung zurückkehrte ſeine vorige beſcheidene Freundlichkeit abgelegt und trat dem Bruder, der ihn grüßend empfing, recht hochmütig entgegen.

Boleslavs Knechte ſahen kopfſchüttelnd die verdächtigen Gäſte einziehen, die ihnen der Zahl nach faſt überlegen ſchienen, und befolgten mit ſchüchterner Dienſt­ fertigkeit die hoffärtigen Winke und Forderungen der neuen Ankömmlinge. Seine Gattin brach in Thränen aus und verſchloß ſich, die Blutsverwandten ihres Gatten fliehend, in ihr Zimmer. Dieſe beeilten ſich auch nicht ſehr, der Burgfrau gebührendermaßen ihre Aufwartung zu machen.

Der noch immer argloſe Boleslav führte den Bruder im Schloſſe umher, ohne die begehrlichen Blicke wahrzunehmen, welche dieſer durch alle Räume der ſtattlichen Stammburg ſendete. Im gleichgiltigen Geſpräche waren ſie endlich auch in den Burggarten gekommen, wo Boleslav mit andächtigem Ernſte vor den ſechs jungen Eichen ſtehen blieb, welche ſchön und kräftig emporſtrebten.

„Was ſoll das elende Geſtrüpp?“ fragte Miesco wegwerfend und bezeigte nicht übel Luſt, die jungen Bäume durch einige kräftige Fußtritte zu zerknicken. Aber Boleslav hielt ihn ängſtlich zurück und erzählte ihm, in welch wichtiger Be­ ziehung zu ihm und ſeinem Hauſe dieſe Bäume ſtünden.

Da lächelte Miesco boshaft: „Und für den abweſenden Bruder hat niemand einen Baum gepflanzt? Ich ſehe nur ihrer ſechs. Und auch dem Namen auch bin ich ausgeſchloſſen?“

„Du hatteſt uns aufgegeben, nicht wir dich,“ entgegnete Boleslav begütigend.

„Nicht wahr,“ fuhr Miesco fort, „ich hätte wie ihr mich gegen unſer Volk und unſere Götter verſchwören ſollen? Ich mag kein Sklave dieſer Deutſchen ſein, die ich haſſe, wie alles, was ſich knechtiſch an ſie hängt. Ich frage dich, Boleslav, warum iſt für mich kein Baum gepflanzt worden?“

Boleslav, vor des Bruder hämiſcher Miene erſchreckend, zuckte die Achſel.

„So wirſt du doch hoffentlich geſtatten,“ fügte jener drohend hinzu, „daß ich, der alleinige rechtmäßige Erbe dieſes Bodens, der erſtgeborene Träger des neuen Geſchlechts, mir jetzt auch meinen Baum hierher neben die andern pflanze und zwar obenan, wie es ſich gebührt?“

„Gern, Bruder. Seit wir uns verſöhnt haben, gebührt auch dir eine Stelle im Familienheiligtume.“

„Alſo nur durch deine Verſöhnung bin ich dieſer Ehre teilhaftig geworden?“ lachte Miesco bitter. „Nun, ich hoffe, du wirſt in deiner Güte noch weiter gehen, wirſt geſtatten, daß, da ich jetzt wieder zur Familie gehöre, der neubackene Name ‚Sechseichen‘ fortan in den paſſenderen Namen ‚Siebeneichen‘ verwandelt werde.

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„Der Name kam vom Kaiſer und kann nur mit ſeiner Bewilligung geändert werden“ warf Boleslav ruhig, aber feſt hin. „In dieſem Punkte habe ich nichts zu gewähren.“

„Aber ich habe in dieſem Punkte zu fordern!“ höhnte Miesco „Ich bin ein Feind dieſes ſtolzen Sachſen und ſeiner Deutſchen, die unſere Altäre ſtürzten und uns in Ketten ſchlugen, und werde es ewig bleiben. Von ihm will ich keine Gnade; aber ich fordere mein gutes Recht, mein väterliches Erbe, und rate dir, meiner Forderung dich zu fügen.“

Voleslav ſchwieg betroffen über dieſe Sprache. Miesco aber riß mit ſeiner gewaltigen Fauſt aus dem Dickicht des Burggartens einen jungen Eichbaum und pflanzte ihn zu den Bäumchen ſeiner Brüder. „So, nun iſt es gethan,“ ſagte er, und Burg und Geſchlecht heißen künftig Siebeneichen.“

„Nicht ohne Bewilligung des Kaiſers, unſeres Herrn!“ rief Boleslav, den endlich der Zorn übermannte „Ich bin der Herr dieſes Bodens und nehme hier nur vom Kaiſer Geſetze an.“

„Du der Herr dieſes Bodens?“ lachte Miesco „Entſinne dich, daß ich der erſtgeborene bin, daß dieſe Burg mir gehört. Du biſt mein Gaſt, den ich nur dulden werde, ſolange er in mir den Herrn und Gebieter anerkennt. Wo nicht, ſo jage ich dich hinaus.“

„So verſuch’ es; denn ich halte dich nicht für den Herrn dieſes Bodens, ſon­ dern für einen Verräter und Räuber!“ rief Boleslav, ſein Schwert ziehend. Miesco, der darauf gewartet zu haben ſchien, folgte ſchnell ſeinem Beiſpiele, und beide fielen einander wutentbrannt an.

Als die Knechte der beiden Brüder das Schwertgeklirre hörten, eilten ſie herbei, die Deutſchen fielen über die Sorben, dieſe über die Deutſchen her, und während die Gebieter auf Leben und Tod kämpften, metzelten ihre Diener mit gleichem Grimm untereinander. Boleslavs Deutſche waren der Zahl nach Miescos Sorben unterlegen, aber ſie wehrten ſich wie Verzweifelte und auf beiden Seiten gab es Tode und Verwundete. Die Brüder fochten eine Weile mit gleichem Glücke; denn Miescos überwiegende Kraft konnte über Boleslavs größere Ge­ wandtheit keinen Vorteil erringen. Endlich ermattete der letztere, wich einige Schritte zurück, und Miescos Schwert traf ihn in dem Augenblicke, als ſein Fuß an dem neugepflanzten ſiebenten Baume ſtrauchelte. Tödlich verwundet ſank er zu Boden und blickte ernſt auf den Bruder, willens, ihm im Tode die Hand zur Verſöhnung zu bieten. Als er aber in Miescos Zügen nur kalte Blutgier und hämiſche Siegesluſt gewahrte, umfaßte er den Stamm vou Miescos junger Eiche und, die andere Hand drohend gegen den Mörder erhebend, ſprach er: „Höre mich, Miesco! Der Mund des Sterbenden ſpricht Wahrheit. Nicht lange wirſt du die Früchte deines Verrates genießen. Dieſer Baum, den du voll Hohn pflanzteſt, und den jetzt das Herzblut deines Bruders benetzt, wird dir zum Untergange wachſen und deinem ganzen kommenden Geſchlechte zum forterbenden Fluch werden. Er wird aufſproſſen, dir und deinen Enkeln zum Fluche; die Schmach deines Hauſes wirſt du an ihm großziehen, und nicht eher wird dieſer Fluch enden, bis der Letzte deines Geſchlechtes voll Elend und zerknirſchter Reue das unſelige Holz

48 dieſer Eiche durch ein frommes, ſchwer errungenes Werk heiligt und in tiefer Buße die Frevel des Ahnherrn ſühnt!“

Boleslav hörte nicht mehr das ſchallende Gelächter des Bruders; die erſtar­ rende Fauſt ließ den Baum los und ſank zurück. Der letzte Ritter von Sechs­ eichen lag tot unter den Zweigen des verhängnisvollen Baumes. Sein Tod be­ ſchleunigte auch die Niederlage der Seinigen. Die meiſten waren niedergehauen; was dem Schwerte der Sorben entronnen, wurde gefangen und unter Spott und Hohn zur Burg hinausgeſtoßen. Boleslavs Witwe teilte dieſes Schickſal und endete bald darauf ihre Tage in einem entfernten Kloſter.

Miesco war nunmehr Herr der Burg, die er jetzt Siebeneichen nannte, und hauſte übel in der Umgegend. Seine beiden Söhne Tugumir und Stomef, wild wie er, begleiteten ihn auf ſeinen Raubzügen, die er weithin in das Elbthal unternahm. Vor allem hatten die deutſchen Pilger und Kaufleute und diejenigen ſorbiſchen Anſiedler, welche ſich freiwillig dem deutſchen Schutze unterworfen und das Chriſtentum angenommen hatten, von ſeiner Grauſamkeit zu leiden.

Die geängſtigten und erbitterten Landleute beſchloſſen endlich, ſich ſelbſt Ruhe und Recht zu ſchaffen. In zahlreichen Haufen ſtrömten ſie von beiden Ufern der Elbe herbei; einige meißniſche Edelleute ſtellten ſich an ihre Spitze und ver­ liehen den rohen Maſſen kriegeriſche Ordnung. Ihr Vorhaben wurde dadurch erleichtert, daß unter Miescos eigenen Leuten ſich Mißvergnügte befanden, welche um reichen Lohn den Feinden zur Nachtzeit die Burg öffneten. Die wilden Rächer erſtiegen das Raubneſt. Miescos beiden Söhnen gelang es, im Tumulte zu ent­ kommen; er ſelbſt aber fiel nach verzweifeltem Widerſtande in die Hände der racheſchnaubenden Landleute, die ihn erbarmungslos an einen Baum banden — es war die von dem Übelthäter ſelbſt gepflanzte Eiche, die einſt den gemordeten Boleslav beſchattet hatte — und mit ihren Armbrüſten nach ihm ſchoſſen, bis er ſeinen ruchloſen Geiſt ausgehaucht hatte.

Die Feſte Siebeneichen wurde hierauf zerſtört und lag viele Jahre in Trüm­ mern, unbeachtet, unbetreten. Die ſieben Bäume aber, herrenlos und ungepflegt, ſproßten wie zum Hohne luſtig in die Höhe, und beſonders gedieh Miescos Eiche ſo prächtig, daß ſie bald alle ihre Genoſſen überragte, gleichſam als ob das Zeugnis des Verbrechens höher und feſter ſtehe als die Denkmäler des Unglücks.

II.

Zehn Jahre waren ſeither vergangen. Über die Mark Meißen und die be­ nachbarten Sprengel bis tief nach Nordthüringen hinein gebot der mächtige Mark­ graf Gero, ein kraftvoller, vom Glücke hochbegünſtigter Mann, der, trotzig und unbeugſam, kein Mittel verſchmähte, um zu irgend einem erwünſchten Ziele zu gelangen. Geehrt von allen, die der deutſchen Partei angehörten, war er den ſlaviſchen Stämmen, welche er beaufſichtigte, ein Gegenſtand unbegrenzten Haſſes. Aber ebenſo ſchlau und wachſam in Ausſpähung heimlicher Verſchwörungen, als ſchnell und thatkräftig in ihrer Unterdrückung, ſchien er beſtimmt zu ſein, die letzten Zuckungen ihres Widerſtandes zu brechen, und ſeine Macht ſtieg dergeſtalt, daß ſie ſelbſt die Eiferſucht Thankerarts, des Bruders Kaiſer Ottos, erregte

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und dieſer in geheime Einverſtändniſſe mit den Feinden des Kaiſerhauſes trat. Der mächtige Herzog Eberhard von Franken, der einen früher gegen ihn er­ gangenen kaiſerlichen Strafbefehl nicht verſchmerzen konnte, geſellte ſich zu ihnen, und noch einmal erhob die ſlaviſche Partei drohend ihr Haupt, langſam, aber ge­ waltig an dem deutſchen Throne rüttelnd. Wohin immer Gero im weiten Bereiche der von ihm anvertrauten Marken den Blick wendete, ſah er glimmende Anſchläge oder aufflammende Empörung. Nicht nur Gewalt, auch Liſt, ja Verrat mußte er zu Hilfe rufen, um ſich zu retten.

Siebeneichen lag noch in Schutt und Aſche. Wildes Schlingkraut um­ wucherte die Trümmer der einſt ſo ſtolzen Feſte, und der Wanderer eilte ſcheu daran vorüber, mit Entſetzen der Greuel gedenkend, die von hier ausgegangen, und der geſpenſtiſchen Schrecken, mit denen der Aberglaube die verlaſſene Stätte des Verbrechens bevölkerte.

Es war in einer ſtillen Nacht. Die Ruinen der Burg erhoben ſich geiſterhaft in dem fahlen Lichte des Mondes. Da klomm, durch das Geſtrüpp verdeckt, eine Geſtalt über Steine und Gerölle mühſam die Schlucht hinan und ſchritt dann durch den verfallenen Hof, daß es ſchaurig ringsum wiederhallte.

„So begrüßt dich dein Erbe wieder!“ murmelte der Fremde, die verwüſtete Burg überblickend. „ Ein Bettler unter Trümmern ſteht Miescos Sohn auf dem väterlichen Boden. Und doch ſoll von dieſen morſchen Steinwänden noch einmal der Ruf der Freiheit, der Rache ertönen, das niedergeworfene Geſchlecht der Siebeneichen ſich wieder ſtolz erheben und befreite Volksſtämme ſiegesfreudig um ſich ſammeln!“

Der Fremde ſchritt weiter und trat in den öden Burggarten. Mit An­ ſtrengung brach er ſich Bahn durch Geſträuch und Dornen. Die Nachtvögel, ſo lange im ungeſtörten Beſitze des Ortes, flogen kreiſchend auf, als läſterten ſie den eingedrungenen Gaſt. Endlich ſtand der Fremde in der Mitte des verwilderten Gartens, wo von einer kleinen Erhöhung herab ſieben ſchöne, ſtämmige Eichen ernſt auf ihn niederblickten. Hier warf ſich der Fremde heftig nieder. Es ſchien, daß Wehmut und Ingrimm in ſeiner Seele um die Herrſchaft kämpften; denn ab­ wechſelnd ballte er drohend die Hände und fuhr ſich dann über das Geſicht, als wolle er voreilige Thränen zurückſchrecken.

„So ſtehſt du noch unverſehrt, du Eiche Miescos,“ rief er, „während er ſelbſt längſt erſchlagen liegt und ſein Geſchlecht auf unſicherem Boden wandelt! Iſt es Verhängnis, iſt es Vergeltung — Vergeltung für Frevel, deſſen die Welt ihn und uns anklagt? Verirrt und flüchtig müſſen hier die Söhne des Starken ſich wiederfinden, und nicht einmal eine Waffe wagt Tugumir mitzubringen, weil ſeiner Späher Argwohn ſie entdecken könnte!“ — Er horchte auf, denn in der Nähe lieſ ſich ein Geräuſch vernehmem. Unwillkürlich fuhr ſeine Hand nach der unbewehrten linken Hüfte, inſtinktmäßig dort ſein Schwert ſuchend; dann aber hob er ſie drohend, und ein wildes Lächeln blitzte über ſeine Züge. „Wahrlich, ich bin ſo wehrlos,“ knirſchte er, „daß ein Wolf mich bewältigen könnte.“ Er blickte ſeufzend zu der Eiche empor und er ſah einen ſtarken niederhängenden Aſt. Schnell ergriff er ihn, riß ihn mit der Schwere ſeines Körpers vom Stamme los und

ſtreifte die Blätter ab. Dann ſchwang er ihn, ſeine Wucht prüfend, einige Male durch die Luft und ſagte zufrieden: „Fürwahr, die beſte Keule, welche je ein guter Arm ſchwang. Miescos Eiche liefert ſeinen Söhnen gute Waffen. Sie ſoll mich fortan überall begleiten!“

Er ergriff den Aſt und formte ihn mit einem aufgefundenen harten und ſcharfkantigen Feuerſtein zu einer Keule, welche er mit inniger Freude von allen Seiten beſah.

Fremde Schritte, welche ſich mehr und mehr näherten, ſtörten ihn in ſeiner Beſchäftigung. Er ſtellte ſich, ſeine neue Waffe in der Hand, zur Wehr, ließ jene aber beruhigt ſinken, als ſtatt eines Feindes eine wohlbekannte Geſtalt in den Burggarten trat und umherſpähend „Tugumir!“ rief.

„Hier bin ich, Bruder Stomef!“ antwortete der Angerufene. „Was bringſt du?“

Die Brüder ſchüttelten ſich mit einer wilden Freude die Hände; denn rauh und unbändig, wie ſie waren, hatten ſie doch in langer böſer Zeit treu bei einander ausgehalten, oft das Leben gegenſeitig für einander eingeſetzt, und wenn ihre Brudergefühle auch nicht der zarten Neigung edler Herzen glichen, ſo doch immerhin den Gefühlen zweier zuſammengeſchmiegten Tiger, die ihre Gefahren teilen, und von denen einer nur auf des anderen Leichnam verbluten will.

„Ich bringe gute Nachricht,“ ſagte Stomef nach einer Weile, „und leicht dürften wir jetzt dem Ziele näher ſtehen als jemals. Alle ſorbiſchen Marken ſind im vollen Feuer der Empörung. Selbſt der eiſerne Gero zittert, und doch ahnt er nicht, wie nahe ſeiner Perſon das Verderben iſt. Er hofft, durch gütliche Ver­ handlung den Aufruhr zu beſchwichtigen, ein Beweis, wie ſehr er diesmal ſeine Schwäche fühlt, da er zum erſten Male durch friedliche Maßregeln zu wirken ſucht. Morgen giebt er ein großes Bankett in der Burg zu Meißen; dreißig ſorbiſche Edle ſind von ihm geladen, und eben dieſe ſind es, die, ohne daß er es weiß, ſeinen Untergang beſchloſſen haben. An ſeiner eigenen Tafel wird er morgen durch ihre Schwerter fallen.“

„Trauet dem Gero nicht!“ warnte Tugumir. „Ich fürchte, daß eben dieſes Gaſtmahl ein Fallſtrick für uns alle ſein ſoll. Doch, wie es auch kommen möge, Gero wird bei dieſer Gelegenheit fallen; dafür ſtehe ich, wenn ich teil an der Tafel nehmen darf.“

„Es iſt ein freies, allgemeines Gaſtgebot,“ erwiderte Stomef. „Jeder Ritter darf erſcheinen, auch wenn er nicht beſonders geladen iſt. Dein Rang giebt dir ein Recht, Geros Gaſt zu ſein.“

„Nun wohl,“ rief Tugumir mit blitzenden Augen, ſeine Keule ſchwingend, „ſo iſt morgen Geros letzter Tag angebrochen. Dieſer Aſt von Miescos Eiche ſoll ihn zerſchmettern, wenn keine andere Waffe ihn erreicht! Höre mich, Bruder! Ich gehe morgen zu Geros Tafel. Du aber legſt dich mit einem kleinen Kahne, in ſchlichte Schiffertracht gekleidet, an das Ufer, dicht unter der Burg. Sinnt Gero auf Verrat, ſo wird er die Straße umſtellen laſſen; den ſchlechten Kahn aber wird er ſchwerlich bemerken und nicht glauben, daß ſeine Feinde ſich dem langſamen Strome anvertrauen werden, um ihm zu entfliehen. Sobald der Streich gefallen iſt, ſuche ich dich auf, und wir rudern unter der Maske armer

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Fiſcher raſch ſtromaufwärts. Nahe über Meißen gewinnen wir die nur von den Unſern bewohnten Elbhöhen, um von dort aus den letzten Schlag zu unter­ nehmen.“

„So ſei es, Tugumir! Wie ſchwer es mir auch fällt, nicht ſelbſt Zeuge des Banketts zu ſein, wo Geros letzter Becher gefüllt wird, ſo willige ich doch zu unſerer gemeinſamen Sicherheit gern in deinen Vorſchlag ein. Mein Kahn wird dich dicht unter dem Schloſſe erwarten. Die Elbe iſt wegen der häufigen Schiffs­ räubereien jetzt ganz von Fahrzeugen geſäubert; um ſo weniger kann man uns auf dem naſſen Elemente folgen. Die Götter unſerer Väter mögen unſer Vor­ haben ſchützen!“

„Und möge des Vaters rächender Schatten uns zur Seite ſtehen!“ ſetzte Tugumir hinzu. „Darum brich dieſen breiten Aſt von ſeiner Eiche. Er diene dir morgen als Ruder und geleite den Kahn, der Miescos Söhne rettet, wenn dieſe derſelben Eiche abgenommene Keule den Feind unſeres Volkes niedergeſchmettert haben wird. Dies ſei das zwiefache Totenopfer, das wir dem Schatten des Vaters bringen!“

Bald hatte Stomefs nerviger Arm den bezeichneten Aſt losgeriſſen. Die Natur ſelbſt ſchien ihn zum Ruder gebildet zu haben; denn ſein ſchlanker, gerader Wuchs, nach oben breit und unten ſchmal ausgehend, bedurfte kaum der kleinſten Nachhilfe, um die vollkommene Form eines ſolchen Werkzeuges zu erlangen.

„Und nun laß uns gehen!“ mahnte Tugumir. „Viel iſt noch zu überlegen, zu beſchließen. Die Rache möge uns geleiten, Berſtuck und Czernebog, die zürnenden Götter, unſeren Armen tötende Kraft verleihen!“ Bald lag wieder Totenſtille über der unheimlichen Stätte, und die verſcheuchten Tiere wagten ſich wieder hervor.

III.

Am anderen Tage regte ſich in der neuerbauten Burg zu Meißen geſchäf­ tiges Leben. Eine umfangreiche eichene Tafel wurde von Geros Dienern ſorg­ ſam im Geſchmacke jener Zeit geziert. Die aufgeſtellten Trinkhörner kehrten ſich drohend gegeneinander, während in der Küche der erſchlagene Ur, der ge­ ſpieſte Eber und der vom Pfeil ereilte Hirſch in ſtummer Gemeinſchaft unter­ einander lagen.

Bald füllte ſich der Saal mit Gäſten. Die Deutſchen in ihren bauſchigen, einfarbigen Waffenkleidern, mit langen, breiten Schwertern, ſtachen von den Sorben, deren buntverbrämte Tracht ſich eng an ihren Körper ſchloß, ſeltſam ab.

Die ſchwerfälligen Stühle wurden gerückt. Umſonſt hatte Gero gehofft durch gemiſchte Reihen die getrennten Stämme einander zu nähern, abgeſehen von einem anderen unbekannten Plane, den er damit verband. Die Gäſte wider­ ſtrebten ſeiner Anordnung; Deutſche ſetzten ſich zu Deutſchen, Sorben zu Sorben. Wie im Felde, ſo ſaßen ſie an der Tafel einander in geſonderten Reihen gegen­ über, mürriſch, ſcheelen Auges, jede Annäherung meidend, jeder Loſung zu offenem Zwieſpalt begierig harrend und den Blick öfter nach dem Schwerte als nach der Tafel gekehrt.

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Gero, deſſen Vorhaben an dieſer feindſeligen Trennung ſeiner Gäſte ge­ ſcheitert war, blickte finſter vor ſich hin, und Tugumir, der, ſtatt des Schwertes die Keule an ſeiner Seite, mitten unter den ſorbiſchen Edelleuten ſaß, behielt ihn ſpähend im Auge.

Nach einer Weile erhob ſich plötzlich Gero von ſeinem Sitze, und ſprach, zu den deutſchen Rittern gewendet, mit flammendem Blicke und lauter, zorniger Stimme folgende Worte: „Waffenbrüder! Noch wurde mir nicht die Zeit, euch zu unterrichten, daß jene edlen Herren, welche, heute als freundliche Gäſte unſere Tafel zieren, aus keiner anderen Abſicht hierher gekommen ſind, als mich in meinem eigenen Hauſe zu töten. Ich glaube ihnen am beſten zu dienen, wenn ich ihnen ſelbſt die Loſung zum Angriffe gebe. Ziehet eure Schwerter, ſammelt euch um mich, ihr Deutſchen, und haut die Verräter nieder!“

Beiden Parteien war der Anlaß willkommen. Die Tafel wurde umgeſtürzt, und Sorben und Deutſche rannten mit blanker Waffe hart einander an. Der rieſige Gero mähte fürchterlich mit ſeinem langen Schwerte. Der Saal ſchwamm in Wein und Blut. Wem die Waffe entfallen war, der ſchleuderte die ſchweren Trinkgefäße gegen die Stirn des Feindes. Die Sorben, in der Zahl geringer, hieben verzweifelt um ſich; aber ſchon waren die meiſten derſelben gefallen, und Gero holte zu einem neuen Todesſtreiche aus, als Tugumirs wuchtige Keule ſeine Schulter traf, ſo daß er das Schwert fallen ließ und zurücktaumelte. Schnell erhob Tugumir von neuem die Keule, ließ ſie einige Mal pfeilſchnell in der Luft kreiſen, um die Wucht ihres Falles zu verſtärken, und ſchmetterte ſie dann nach dem Haupte des Feindes. Aber dieſer wich zurück, der Streich ging fehl, traf einen der dicken eichenen Seſſel und zertrümmerte ihn wie einen dünnen Span, ſo daß die Splitter weit umherflogen. Ehe aber Tugumir zu einem aber­ maligen Schlage ausholen konnte, wurde er von zwei Deutſchen rücklings gepackt und niedergeriſſen. Darauf ward ſeiner widerſtrebenden Fauſt die Keule ent­ wunden, welche ſich augenblicklich gegen ihn ſelbſt richtete.

„Sage uns, wo ſich dein Bruder Stomef aufhält, und ich ſchenke dir das Leben!“ rief Gero.

„Ich glaube es, daß ich dir damit keinen ſchlechten Gefallen erweiſen könnte,“ hohnlachte der am Boden feſtgehaltene Tugumir „Gelüſtet es dich nicht viel­ leicht auch zu wiſſen, wo mein Weib und mein Sohn weilen? Nein, kluger Mann, auf dieſe Nachricht warteſt du vergebens. Stomef wird leben und den Fall des Bruders rächen! Zögert nicht mit dem Todesſtreiche! Ein Siebeneichen weiß zu ſterben!“

„So macht dem Leben des Verräters ein Ende!“ ſchrie Gero, und die Keule von Miescos Eiche fiel ſchwer auf den daliegenden Tugumir hernieder, ihren eigenen Beſitzer zermalmend. Es war der Dritte des Geſchlechtes, deſſen Blut an dem verhängnisvollen Holze rann.

Während jenes blutigen Vorganges im Burgſaale zu Meißen harrte Stomef in ſeinem Kahne mit ſteigender Ungeduld auf den Bruder. Die Elbe, von einem Sturme gepeitſcht und durch Regengüſſe angeſchwollen, ſchlug toſend gegen die felſigen Ufer, und der feſtgebundene Kahn wurde vom Strome heftig geſchaukelt.

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Der ſchreckliche Lärm in der Burg hallte bis in die Tiefe herab. Stomef hörte das Gebrüll des Kampfes, ohne ſeine Entſcheidung zu kennen. Da ſtürzte plötzlich einer der Gäſte, ein Sorbe, der dem Blutbade entronnen, atemlos dem Ufer zu. „Flieht, flieht!“ ſchrie er verzweiflungsvoll dem Schiffer zu. „Wir ſind über­ mannt; Euer Bruder iſt erſchlagen, Gero lebt!“ Und in angſtvoller Haſt rannte er fort. Stomef antwortete nicht; er fah mit einem entſetzlichen Blicke zum Himmel auf, und ein tiefer, ſchrecklicher Seufzer ſchwellte ſeine ſtarke Bruſt. Dann machte ſich ſein Jammer in einem unartikulierten Geheule Luft. „Auch Tugumir tot und ich allein? — Ich will mich retten, um ihn zu rächen. Der Feind ſoll es empfinden, daß noch ein Siebeneichen am Leben iſt!“ Mit dieſen Worten ſchnitt er mit feinem Dolche das Seil entzwei, das den Kahn am Ufer feſtgehalten hatte, und dieſer ſchoß mit raſender Geſchwindigkeit in die Brandung hinein. Stomef, unerſchrocken vor der neuen Gefahr, ſetzte kraftvoll das Ruder ein, welches der Eiche ſeines Vaters entſtammte, und teilte die widerſtrebenden Wogen. Da, als ſtecke der Fluß einen unſichtbaren Arm aus ſeinen toſenden Wellen, zerknickte das eingeſtemmte Ruder. Mit einem Schrei ſah Stomef die Trümmer des letzten Rettungswerkzeuges in den Strom fallen und gab ſich jetzt verloren. Einige Augenblicke hielt ſich das Boot noch über dem Waſſer; dann erfaßte die reißende Flut plötzlich ihr ohnmächtiges Spielzeug, ſchleuderte es krachend gegen eine Klippe und verſchlang Kahn und Schiffer. — Niemand ahnte, wer hier unter­ gegangen war, niemand erkannte den entſtellten Leichnam, den nach einigen Tagen das Waſſer an einem weit entfernten Geſtade auswarf, und den herbeikommende Landleute mitleidig begruben. Einige Stunden nach jenem vorhin erwähnten Gemetzel zog ein ſtattlicher Reiterhaufe aus der Meißner Burg, an ſeiner Spitze der Markgraf Gero mit verbundenem Arme. „Meine ausgeſendeten Leute haben alſo niemand gefunden, der Stomef ähnelt, und man hat ihn auch vorher nicht in der Nähe der Burg geſehen?“ fragte er einige ſeiner nächſten Begleiter mit ungeduldigem Tone.

Dieſe ſchüttelten verneinend die Köpfe und ritten dem Gebieter näher, um ſeine Befehle zu empfangen.

„Es wäre verwünſcht, wenn er uns entginge!“ fuhr Gero heftig fort. „Von den Siebeneichenern ſoll uns keiner entrinnen; ſie ſind die Seele der ewigen Em­ pörung, und ſolange noch einer von ihnen atmet, wird kein Frieden und keine Ruhe in meinen Marken werden.“

„Wie wäre es, gnädigſter Herr,“ nahm einer der Begleiter das Wort, „wenn wir gegen Siebeneichen hinritten? Gewiß harrt Stomef unter den Trümmern der Burg auf ſeinen Bruder. Wenn wir von verſchiedenen Seiten zugleich vor­ dringen, ſo kann er uns nicht entgehen.“

„Deine Mutmaßung iſt gut,“ erwiderte Gero, und auf ſeinen Wink ſchlugen die Reiter den Weg nach Siebeneichen ein. Am Fuße des Berges ſtiegen ſie von ihren Pferden und ſchlichen vorſichtig in verſchiedenen Richtungen auf die Ruinen zu. Aber alle Vorſicht war vergebens, die verfallene Burg war öde, ausgeſtorben, nirgends war die Spur eines menſchlichen Weſens zu finden.

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Unmutig über das fehlgeſchlagene Unternehmen blieb Gero in dem Burg­ garten ſtehen. „Er iſt alſo entflohen,“ ſagte er, „und vergebens ſuchen wir ihn. Wohlan, iſt uns ſeine Perſon entgangen, ſo ſoll wenigſtens ſein Name geächtet und gebrandmarkt ſein. Noch ſteht hier die Eiche ſeines Vaters; ich erkenne ſie an der Spur des Wappens, das Miesco in ihren Stamm eingeſchnitten. Sie möge ſtehen bleiben zu ſeiner Schande! Ihr Hauptaſt aber, von Henkers Hand abgeſägt, erhebe ſich auf der Höhe dieſes Berges als Schandpfahl, und an ihm mögen Wappen, Name und Bildnis des verfemten Stomef prangen. Seine Schmach teile, wer mit ihm verkehrt, wer ihn aufnimmt oder ſchützt! Sorgt, daß mein Ausſpruch morgen vollzogen werde!“

Und ſo geſchah es. Der mächtigſte Aſt der Eiche, die ſchon ſo vielen Glie­ dern des Geſchlechts tödlich geworden war, und auf welcher der Fluch eines ge­ mordeten Bruders ruhte, erhob ſich am anderen Tage durch Henkershand zum Schandpfahle an welchem Name und Bildnis Stomefs und das gebrochene Wappen der Siebeneichener hingen.

IV.

Wieder waren vierzig Jahre verfloſſen. Gero lag im Grabe, ohne einen Erben ſeines gewaltigen Ruhmes und ſeiner Macht hinterlaſſen zu haben. Sein letzter Sieg über die Polen und Luſitzer hatte ihm den einzigen Sohn gekoſtet, und gramgebeugt ſtieg der alte Held darauf aus der Stille des Kloſters, dem er ſeine letzten Tage anvertraute, hinab in die Gruft. Ein neues Fürſtengeſchlecht, das der Wettiner, gebot im Meißner Lande, und die Stürme früherer Zeiten waren vorüber.

Siebeneichens Trümmer blickten noch immer wüſt und ſchaurig von der Höhe hernieder. Geſtrüpp und wildes Geſträuch hemmten den Schritt des Wan­ derers, der trübſinnig dieſe morſchen Spuren einſtiger Macht zu begrüßen kam. Die verſöhnende Zeit hatte den Schandpfahl längſt geſtürzt und unter Schutt und Unkraut begraben. Von der Umzäunung des alten Burggartens war kaum mehr eine Spur übrig; wohl aber grünten im Widerſpruche zu dem Laufe der Dinge die ſieben Eichen üppig fort, am kräftigſten die Eiche Miescos, welche, wie der ewige Wanderer der Legende, unberührt vom Alter immer noch ſtattlich in die Höhe ragte, als ſei die ihr zugeteilte böſe Beſtimmung trotz alles vorgefallenen Unheils noch immer nicht erfüllt, oder als warte ſie auf eine erlöſende Hand, um den alten Fluch, der mit ihr aufgewachſen war, abzuſchütteln.

Düſtere Einſamkeit waltete um die Ruinen. Nur die gebeugte Geſtalt eines alten Bettlers, der an ſeiner Krücke beſchwerlich die Höhe erſtiegen hatte, ſchwankte inmitten der Trümmer und durch das dornige Gebüſch, das häufig ſeine zerfetzte Kleidung feſthielt. An dem Platze, wo die ſieben Eichen ſich erhoben, blieb er ſtehen. Das hagere, verwitterte Geſicht des Greiſes, das die ſengenden Strahlen der Sonne gebräunt hatte, drückte langen, ſchweren Jammer aus, und als er an der Eiche Miescos anlangte, ſank er wie erſchöpft von Kummer und Anſtrengung in die Knie und betete leiſe.

Der graue Leinenſack, den er auf der Schulter trug, fiel neben ihn auf den

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Raſen und klirrte, als ob er mit Gold- und Silbermünzen augefüllt wäre, was freilich mit dem Bilde tiefer Armut, das des Greiſes ganze Erſcheinung gewährte, nicht zuſammenpaſſen wollte.

Als er ſo eine geraume Weile im ſtummen Gebete zugebracht hatte, näherten ſich Schritte, und der Alte erhob ſich. Ein Steinmetz, dem mehrere Geſellen folgten trat auf den Bettler zu und grüßte ihn ehrerbietig: „Ihr habt mich hier­ her beſtellt, Herr, und da bin ich, um Eure Befehle zu erhalten. Ich bringe auch den Plan mit, den zu entwerfen Ihr mir aufgetragen habt. Seht ſelbſt und prüft, ob er Euch gefalle!“

Mit dieſen Worten reichte der Steinmetz dem Bettler einen Bauriß hin. Dieſer betrachtete ihn mit Aufmerkſamkeit und nickte beifällig. „Der Plan iſt gut,“ ſagte er, „und wenn Ihr mit dem Preiſe, den ich Euch angeboten, zufrieden ſeid, ſo könnt Ihr ſofort an die Arbeit gehen. Was Ihr an Geldvorſchuß be­ dürfet, enthält dieſer Sack. Zählt die Summe durch, ſie wird richtig ſein!“

Der Steinmetz öffnete den grauen Leinenſack, aus dem ſchöne, blanke Gold­ gulden hervorblitzten, und verneigte ſich tief. „Die Arbeit kann ſogleich begin­ nen,“ fügte er hinzu.

„Den Platz habe ich Euch bezeichnet; dort die Höhe vor uns, welche nach der Elbe niederblickt, wird das Gebäude tragen,“ nahm der Bettler wieder das Wort. „Und dieſer Baum“ – er deutete auf Miescos Eiche — „ſoll uns das Hauptgebälke liefern; ein Gelübde legt mir das auf. Fällt ihn und beginnt euer Werk!“

Flink eilten die Geſellen mit ihren Sägen und Äxten herbei, legten Hand an, und wenige Stunden danach ſtürzte Miescos Eiche ächzend zuſammen und lag mit ihren breiten Äſten gefällt am Boden.

Nach einigen Monden ſtieg auf der bezeichneten Höhe eine freundliche Kapelle empor und blickte weit hinaus in die herrliche Umgegend. Die Bewohner der umliegenden Dörfer ſtrömten gläubig herbei, um hier ihre Andacht zu verrichten und den erhebenden Worten des Einſiedlers, der das Gotteshaus errichtet hatte und in einer Hütte neben der Kapelle ſeine einſamen Tage verlebte, zu lauſchen. Er nannte ſich Bruder Martin[3]; doch verriet er nie ſeinen wahren Namen, und erſt nach feinem Tode erfuhr man aus ſeinen Aufzeichnungen mehr über ſeine Herkunft.

Bruder Martin war ſeiner Abkunft gemäß der letzte Siebeneichener, nämlich Thimo, der Sohn des unglücklichen Tugumir. Nach dem blutigen Ende ſeines Vaters floh er die Heimat, wurde Chriſt und ſtrebte in einem langen, ent­ ſagungsreichen Leben den Fluch zu tilgen, den die Verbrechen ſeiner Ahnen über das Geſchlecht hereingerufen hatten. Als Bettler durchzog er die entfernteſten Gaue des chriſtlichen Deutſchlands, überſtieg an ſeiner Krücke die Alpen, durchpilgerte Italien, Spanien und ruhte nicht eher, bis er einen Schatz erbettelt hatte, hin­ reichend, ein Gotteshaus errichten zu können. Miescos Eiche, die ſo lange zum Verderben des Geſchlechts gegrünt hatte, wurde durch ihn zum Träger des heiligen

Gebäudes und endigte ſo – die Prophezeiung des ſterbenden Boleslav er­ füllend — den Fluch, der über ihrem Daſein gewaltet. Voleslav, Miesco, Tu­ gumir und Stomef waren durch ſie und ihre weitreichenden Äſte untergegangen, durch ſie war die Schmach des Geſchlechts dereinſt zur Schau geſtellt worden; jetzt ruhte auf ihr der Bau, von dem aus der letzte des Stammes Gnade und Verſöhnung für den Frevel der Väter erflehte.

B.Schlegel.



[3] 1534 ſtand die St. Martinskapelle noch.