Kapitel 10. König Albert in Meißen.

Ich lobe mir den Knaben, der wacker läuft und ſpringt, Trotz aller Hinderniſſe zu ſeinem Ziele dringt. Ich lobe mir den Knaben, der kühn und keck was wagt Und nicht lang um die Meinung und um Erlaubnis fragt.

So war es jüngſt zu Meißen, als König Albert kam. Ein Bürſchlein, roſenwangig die Kunde froh vernahm: „Es kommt zu uns der König!“ Wie ſchlägt ſein Herz ſo laut! Hätt’ gerne ſchon dem Fürſten ins Angeſicht geſchaut!

Wie klopft’s ihm unterm Röcklein! Wer zähmt des Knaben Luſt? Iſt doch des Glücks der Sachſen er freudig ſich bewußt! Doch ach, — wie ſoll er ſchauen den lieben König heut’, Da alles Vorwärtsdrängen die Polizei verbeut?

Hier ſtehn Soldatenreihen in überlegner Zahl, Dahinter Menſchenmaſſen, — das macht dem Burſchen Qual. Wie ſoll er ſie durchbrechen, die dichtgeſchloſſ’nen Reihn, Die gliederreichen Ketten? Iſt er doch ſchwach und klein!

Von ferne hört er’s ſchallen: „Hoch! deutſcher Feldmarſchall Heil dir, geliebter König! Willkommen tauſendmal!“ Das gab ein Tücherſchwenken, ein Fahnenflattern ſchön; Man hört die Böllerſchüſſe von nahen Bergeshöhn.

Da kommt dem jecken Buben ein plötzlicher Entſchluß: Er zwängt ſich durch die Menge, gar manchem zum Verdruß. Manch Scheltwort muß er hören; viel Pfiffe ſteckt er ein, Was kümmert das den Knaben! Kann er nur Sieger ſein!

Doch vor der Doppelkette der Schützen heißt es: „Halt!“ Wie aber jetzo weiter? Mein Burſch weiß Rat alsbald: Als hoch zu Roß der Oberſt ſein Tier zur Seite ſchwenkt, Der Kleine unterm Pferde den Weg zur Straße lenkt.

Hier fährt des Königs Wagen; der Burſch läuft nebenhin Und blickt mit Stolz und Freude auf ſeinen König drin. Wie glühn die Purpurwangen, vom Laufen roſenrot! Das Staubgewölk, das Raſſeln, ihm macht es keine Not.

42 Kann er doch ſatt ſich ſchauen am Helden, ſchlachtbewährt; Wie iſt von ſolchem Glücke ſo froh ſein Blick verklärt! Als drauf die Wagen ſtehen, ruft ihm der König zu: „Was liefſt du ſo behende, ſag an, was wollteſt du?“

Der Junge ſchaut dem König gar feſt ins Angeſicht: „Wollt’ gern den König ſchauen! Ich kannte Sie noch nicht.“ „So, ſo,“ verſetzt der König, „nun ſchaue mich recht an; Denk' immer deines Königs und werd’ ein braver Mann!“

Drauf reichte ihm der König ein Goldſtück freundlich hin: „Nimm dies, mein kleiner Läufer, als deiner Müh' Gewinn! Damit zu allen Zeiten du ſchauen kannſt mein Bild:

Hier iſt es drauf!“ – Es lächelt der König ſanft und mild.

Uns iſt dein Bild, o König, in unſer Herz geprägt, Und wir bekennen’s heute, daß treu es für dich ſchlägt.

Rich.Freytag.