Meißen, die altehrwürdige Markgrafenſtadt, am ſtolzen Elbſtrom, in lieb licher, reich geſegneter Landſchaft gelegen, berühmt durch ſeine prächtige Albrechts burg, durch ſeinen altersgrauen Dom und durch ſeine altehrwürdige Fürſtenſchule, nicht minder auch durch ſein geſuchtes Porzellan: wer kennt ſie nicht, dieſe Perle ſächſiſcher Städte! Tauſende von Fremden pilgern jährlich hierhier: ſei es, um ſich an den herrlichen Denkmalen gotiſcher Baukunſt zu erfreuen; ſei es, um die weit berühmte Kunſtſtätte der Porzellanbereitung zu beſuchen; es ſei vielleicht auch nur, um ein Schöpplein Meißner Rebenſaftes zu trinken, der wahrhaftig beſſer iſt als ſein Ruf.
Am linken Elbufer, da, wo das klare Waſſer der Triebiſch dem Elbſtrome zueilt, breitet ſich die freundliche Stadt aus, an zwei Seiten eingeſchloſſen durch weinumrankte Höhenzüge, welche das Triebiſchthal bilden. Elbabwärts von der Triebiſchmündung erhebt ſich der Schloßberg, den einſtmals drei Schlöſſer krönten:
Anſicht von Meißen.
das Markgrafenſchloß, das Biſchofsſchloß und das burggräfliche Schloß. Von dem Burggrafenſchloß iſt längſt ſchon nichts mehr zu ſehen; das Biſchofsſchloß mit ſeinem runden, plumpen Turme wird als Königl. Amtsgerichtsgebäude benutzt, und an Stelle des alten Markgrafenſchloſſes erhebt ſich ſtolz die Albrechtsburg. An dieſelbe ſchließt ſich der ehrwürdige Dom mit dem eigenartig gebauten höckrigen Turme, der gleich der Albrechtsburg als ein hervorragendes Kunſtwerk gotiſcher Bauart gerühmt wird. Der Dom, welcher in ſeiner heutigen Grundform aus dem 13. Jahrhundert ſtammt, iſt in ſeiner äußeren Form durch Anbauten zahlreicher Kapellen nicht unweſentlich verändert worden. Die bedeutendſte dieſer Kapellen iſt die Begräbniskapelle Friedrichs des Streitbaren, welche leider das künſtleriſch ausgeführte einſtmalige Hauptportal verdeckt.
Von dem Schloßberge führt eine ſteinerne Brücke nach dem Afraberg, auf deſſen Plateau ſich die Afrakirche erhebt. Mit derſelben war in früherer Zeit das Afrakloſter verbunden, deſſen Räume und Einkünfte der Herzog Moritz nach Auſ- hebung des Kloſters der von ihm 1543 begründeten Fürſtenſchule überwies. 1879 trat an Stelle der alten Kloſterräume, die im Laufe der Zeit verſchiedent lich erneuert und erweitert worden waren, ein Neubau, der in ſeiner nüchternen Architektur den benachbarten ſtilvollen Bauten der Albrechtsburg und des Domes leider gar nicht entſpricht.
An den Afraberg ſchließt ſich der Jüdenberg, der ſeinen Namen dem Um ſtande verdankt, daß die Juden, die im Mittelalter in größerer Anzahl in einer Vorſtadt Meißens wohnten, hier ihren beſonderen Kirchhof hatten. Eine eiſerne Säule, zu Ehren des „ehernen Reichskanzlers“, des Fürſten Bismarck, errichtet ſchmückt die kahle Höhe des Jüdenberges.
Dem Schloßberge gegenüber in öſtlicher Richtung liegt der Martinsberg, von dem ein ſchlichtes Kirchlein, die Martinskirche genannt, freundlich ins Thal herabſchaut. An den Martinsberg lehnt ſich in der Richtung der Triebiſch der Ploſſenberg, und an dieſen reiht ſich der Breite Berg, an deſſen Abhang ſich der ſchattige Stadtpark ausbreitet.
Zwiſchen dieſen beiden, das Triebiſchthal umſäumenden Bergzügen liegt die untere Stadt, während die Gebäude des Schloß- und Afraberges die Oberſtadt bilden. Die Häuſer haben vielfach noch ein altertümliches Anſehen; große Neu bauten verdrängen aber die alten Gebäude mehr und mehr. Die Straßen ſind zum Teil ſehr eng und winkelig.
Die Hauptplätze der inneren Stadt ſind der Marktplatz, der Heinrichsplatz
und der Gewandhausplatz. Am Markte ſtehen die Stadt- oder Frauenkirche und
das Rathaus, beides alte Gebäude, welche dem Ausgange des 15. Jahrhunderts
entſtammen. Am Heinrichsplatze befindet ſich die dem Verfalle nahe Franziskaner
kirche, die einſtmals mit dem Franziskanerkloſter verbunden war. Geſchmückt
wird der Platz durch das Heinrichsdenkmal, die aus Sandſtein gehauene Statue
Heinrichs
Gewandhauſe, in deſſen eine Hälfte das Stadttheater eingebaut iſt, ſteht das
Siegesdenkmal, die
In den Straßen der Stadt herrſcht ſtets ein regeres Leben, als man bei den 18000 Einwohnern, die Meißen zählt, erwarten ſollte. Es liegt dies nicht nur in der volkreichen und geſegneten näheren Umgebung der Stadt, ſondern vor allem auch in dem bedeutenden Fremdenverkehr begründet, der ſeinen Höhe punkt an den ſchönen Sommerſonntagen und zur Zeit der Weinleſe findet. —
Meißen, in früherer Zeit „Miſni“ genannt, gehört mit zu den älteſten
Städten Sachſens. Wenn auch nicht anzunehmen iſt, daß Heinrich
Unter dem Schutze einer ſtarken Feſte, als Reſidenz, ſowie als politiſcher Mittelpunkt einer aufblühenden Mark und als Sitz eines einflußreichen Bistums, das Kaiſer Otto angelegt hatte, entwickelte ſich die Stadt raſch zu einem hoch wichtigen Mittel- und Ausgangspunkte deutſcher Kultur. Hier ſtrömten die Reichseinkünfte, die aus den verſchiedenſten Landesprodukten beſtanden, zuſammen; hierher hatten die Landbewohner den Zehnten zu bringen. Die günſtige Lage am ſchiffbaren Elbſtrome beförderte überdies den Verkehr, und es iſt anzunehmen, daß Meißen ſchon im 10. Jahrhundert das Marktrecht erhalten hat. Unter dieſen günſtigen Umſtänden gedieh auch das gewerbliche Leben; die Zünfte der Hand werker, namentlich der Tuchmacher und Fleiſcher, gelangten zu Wohlſtand und Anſehen, und frühzeitig ſchon kam das Stadtregiment, in das ſich vordem der Markgraf und der Burggraf teilten, in die Hände der freien Bürger.
Seine Bedeutung als dauernde Reſidenz verlor Meißen allerdings ſchon unter Heinrich dem Erlauchten (1221–1288), welcher Dresden zu ſeinem Wohn ſitze erkor. Seit dieſer Zeit nahmen einzelne Fürſten nur noch vorübergehend hier Aufenthalt.
Je mehr aber Meißen als weltliche Reſidenz an Anſehen einbüßte, um ſo mehr entwickelte ſich in ihm das kirchliche Leben. Unter dem Schutze mächtiger Biſchöfe, deren Bistum 400 Ml. mit 3000 Kirchen umfaßte, entſtanden in Meißen zahlreiche Kirchen und drei Klöſter: das Afrakloſter, das Franziskaner kloſter und das Nonnenkloſter zum heiligen Kreuz. Innerhalb der Stadtmauer zählte man im 15. Jahrhundert ſechs Kirchen und in der nächſten Umgebung der Stadt gab es 9 Kirchen und Kapellen. So mit Kirchen, Klöſtern und geiſtlichen Würdenträgern reich ausgeſtattet, bildete Meißen einen hochwichtigen Mittelpunkt geiſtlicher Herrſchaft und des römiſchen Kultus; ja, in jener Zeit, als ſich im erneſti niſchen Sachſen das Reformationswerk unter dem Schutze des Kurfürſten kräftig entwickelte, war Meißen unter der Regierung des lutherfeindlichen Herzogs Georg des Bärtigen „eine wahre Hochburg des katholiſchen Glaubens“. Namentlich bildete die Domkirche, mit reichen Stiftungen bedacht, einen Glanzpunkt katho licher Werkheiligkeit. So berichtet der Chroniſt Laurentius Fauſtus in ſeinem „Geſchichts- und Zeitbüchlein der berühmten Stadt Meißen“: „Es ſind aber zu ſolchen Kirchen und Thumbſtifft (Domſtift) gar viel Lehn | und bei 40 Altäre
geſtifftet |darzu viel Perſonen zum Singen vnd Meßhalten | vnd anderen Cere monien vnd Kirchengebreuchen verordnet geweſen | desgleichen man in Deutſch land vnd auch wohl zu Rom nicht funden | ſonderlich wie Anno 1400 vom Chur fürſten Erneſto eine Stifftung verordnet worden | das in der Thumbkirch | Tag vnd Nacht geſungen worden.”
Zur Zeit des Beginns der Reformation waren im Dome 50 Altäre noch
nicht hinreichend, den zahlreichen Meſſen zu genügen, ſo daß überdies noch Trag
altäre aufgeſtellt werden mußten. Der Meißner Domherr Hieronymus Emſer er
zählt vom Jahre 1512, daß im Dome zu Meißen tagtäglich von 12 Uhr mittags
bis zur nächtlichen Stunde des folgenden Tages ununterbrochen Gottes- und
Heiligendienſt gehalten worden ſei, und daß in ganz Deutſchland, ja ſelbſt in
Rom nicht Gott den Engelharmonien gleich geprieſen worden ſei, als in der
Stiftskirche zu Meißen. Einen beſonderen Anziehungspunkt beſaß der Dom in
dem Grabmal des Biſchofs Benno, das als wunderthätig galt. Biſchof Wittigo
Noch mehr wurde die Bedeutung der Domkirche durch die Heiligſprechung
des Biſchofs Benno erhöht, die auf Antrieb des Biſchofs Johann und des Herzogs
Georg 1523 durch den Papſt Hadrian
Aber all dieſe Herrlichkeit römiſcher Macht brach nach dem Tode des Her zogs Georg, der die Reformation mit allen nur möglichen Gewaltmitteln aus ſeinem Lande fernzuhalten geſucht hatte, zuſammen. Sein Nachfolger Heinrich der Fromme führte die Reformation ein. Die Klöſter wurden aufgehoben; der römiſche Ceremonien- und Heiligendienſt wurde aus den Kirchen verbannt, und die Macht der Meißner Biſchöfe und Domherren wurde, allerdings erſt nach langen Kämpfen, gebrochen. Die Räume und Einkünfte der aufgehobenen Klöſter wurden meiſt zu Schulzwecken beſtimmt. So überließ Heinrich der Fromme die Räume des Franziskanerkloſters dem Rate zu Meißen und beſtimmte, „das es gütigen und milden Sachen zugewendet und zur Förderung derſelbigen gereiche | und ſonderlich | das es von ihren Pfarrer und Schulen | imaſen es dazu an
gericht | gebraucht werde.” Der Rat zu Meißen errichtete daher 1540 in dieſen
Räumen eine lateiniſche Schule,
Mit jener Zeit aber hatte die Stadt Meißen ihre erſte Blütezeit erreicht, und ſichtlich nahmen nun Ruhm und Wohlſtand der Stadt ab. Und war dies nicht ſehr naheliegend? Die Räume des Schloſſes, einſt ein Glanzpunkt fürſtlicher Macht, waren verödet, und der Dom, ſonſt der Mittelpunkt eines prunkvollen Heiligendienſtes, der Tauſende von Wallfahrern nach Meißen lockte, hatte ſeine frühere Bedeutung verloren. Hierzu kamen die Reformationskriege, durch die Meißen hart bedrängt wurde. Schon in dem Huſſitenkriege war Meißen ſchwer mitgenommen worden, und auch in dem Schmalkaldiſchen Kriege hatte es viel zu leiden; aber der 30jährige Krieg, der den größten Teil der Stadt zur Ruine machte, vernichtete Handel, Gewerbe und Wohlſtand der Meißner Bürgerſchaft faſt vollſtändig. Und ſo drohte denn Meißen, der ehemaligen Fürſtenreſidenz, das herbe Geſchick, zum armſeligen, bedeutungsloſen Landſtädtchen herabzuſinken. Da trat ein Ereignis ein, das für Meißen und ſeine weitere Entwickelung von den weitgehendſten und ſegensreichſten Folgen ſein ſollte, nämlich die Erfindung des Porzellans durch den Alchimiſten Johann Friedrich Böttger.
Das gewaltige Häuſergeviert im Tribiſchthale, dem Induſtrieviertel Meißens, wo gegenwärtig die Böttgerſche Kunſt in größter Vollkommenheit betrieben wird, und das Böttgerdenkmal, das innerhalb der Mauern der Stadt im Jahre 1891 errichtet worden iſt, bezeugen ſattſam die Wertſchätzung, die dieſe Kunſt in unſerer Zeit genießt.
Das Aufblühen der Königlichen Manufaktur regte ſelbſtverſtändlich auch die Privatinduſtrie an, und da ſich in der nächſten Nähe unerſchöpfliche Thonlager fanden, entwickelte ſich Meißen zum Haupt- und Mittelpunkt der „keramiſchen Induſtrie” Sachſens. Aus beſcheidenen Töpfereien ſind nach und nach große Öfen- und Chamottefabriken entſtanden, deren Betrieb ſich teilweiſe auch auf die Porzellanbereitung erſtreckt. Die Porzellan-, Öfen- und Chamottefabriken der Stadt und ihrer Vororte beſchäftigen weit über 2000 Arbeiter, die alle einen lohnenden Verdienſt finden. Der geſamte Jahresumſatz dieſer Fabriken beziffert ſich auf nahezu 2¼ Millionen Mark.
Mit der Begründung der Königlichen Porzellanmanufaktur war für Meißen derGrund zu ſeiner nachmaligen induſtriellen Entwickelung und zu einem neuen Aufſchwunge gelegt. Außer der keramiſchen Induſtrie ſind namentlich Maſchinen bauanſtalten, Cigarrenfabriken und eine bedeutende Juteſpinnerei und -Weberei angelegt worden, die gleich den als Spezialität Meißens geltenden Zünderfabriken ihre Fabrikate in alle Weltteile verſenden.