Es war im Jahre 1089, als ſich auf der ſchmalen und ſteilen Straße, welche zur Burg Meißen hinanführte, ein feſtlich geſchmückter Zug emporwand. Ihn begrüßten Trompeten und Pauken, der Jubelruf der Deutſchen und das bange Seufzen der Slaven. Da ſah man die deutſchen Kriegsleute, die kräftige Bruſt bedeckt mit dem braunen Lederkoller, das breite Schwert an der Seite, die Arm bruſt auf der Achſel oder den ſchweren Speer in der Hand. Zwiſchen ſie drängte ſich, das kurze Schwert im Gürtel, froh gemutet der Landmann. In der Ferne aber ſtanden, ſcheu und ängſtlich im Vorgefühl hereinbrechender ſchwerer Zeiten, die ehemaligen Herren des Landes, die waffenloſen, ſchwarzhaarigen und dunkel äugigen Slaven. Alle blickten erwartungsvoll auf einen reich gekleideten Mann, der inmitten ſchwer bewaffneter Begleiter ein dunkles, ſtarkes Schlachtroß ritt. Seine Bruſt war mit einem blitzenden Kettenpanzer bekleidet; ſtreng und energiſch ſtreifte ſein ſcharfer Blick die verſammelte Menge.
Das war der neue Markgraf von Meißen, Heinrich von Eilenburg, der
Ahnherr unſeres Königshauſes. Dieſen hatte Kaiſer Heinrich
Letztere erſtreckte ſich damals vom heutigen Chemnitz bis Pulsnitz, von Lommatzſch bis Stolpen. Mit Ausnahme von Lommatzſch waren die genannten Orte zu jener Zeit nur kleine Dörfer oder noch gar nicht vorhanden. Meißen war kein fruchtbares, reiches Gebiet, da die häufigen Kämpfe, die ſtete Furcht vor den Polen, die hinter der Röder wohnten und jede Gelegenheit zum Einfall benützten, keinen einträglichen Ackerbau aufkommen ließen. Wo ſich aber Rodungen und Anſiedelungen fanden, waren dieſe meiſt von den Sorben oder Slaven angelegt und bei der Eroberung von den Deutſchen weggenommen worden. Ein Drittel der erkämpften Ländereien war dem Kaiſer, das andere dem Markgrafen, das dritte der Kirche zugefallen. Die früheren Eigentümer wurden zu faſt rechtloſen Knechten, Hörigen, herabgedrückt und mußten ſchwere Arbeiten verrichten; Heinrichs Vorgänger hatte die Unglücklichen ſogar an die Juden zu verkaufen gewagt. Die neuen Beſitzer, Kaiſer, Markgraf und Biſchof, verteilten ihr Land wiederum an ihre Dienſtleute, Vaſallen, zur Nutznießung. Dafür waren dieſe verpflichtet, auf einen Ruf von der Burg mit Roß und Waffen herbeizueilen, um den Markgrafen auf ſeinen Streifzügen zu begleiten oder einfallende Räuberhorden zurückzuwerfen.
In faſt allen Teilen des Meißner Gaues konnte man die ſtolze Burg ſehen, welche auf hohem, ſteilem Felſen das Elbthal überragte, allen zum Zeichen, daß hier der Mann wohne, der das wichtige Recht habe, über jeden die Todesſtrafe zu verhängen, und der allein dem Kaiſer verantwortlich war. Von den glasloſen, mit Häuten oder Fellen verhängten Fenſtern des Meißner Schloſſes konnte der Blick weit hinausſchweifen gegen Oſten, wo oftmals nächtlicherweile aufſteigende Flammen den Einſall der Polen anzeigten. Oder das Auge ſchaute gen Süden gegen die hohen, ſchwarzen Berge des Miriquidiwaldes, des heutigen Erzgebirges, in deſſen dunklem Tannicht Bär, Ur und Wolf hauſten, und deſſen Schluchten noch keines Deutſchen Fuß betreten hatte. Zwiſchen dieſer düſteren Gebirgs mauer und dem Schloſſe erhob ſich der weiße Turm der Burgwarte von Brießnitz. Zu Füßen desſelben lag inmitten von Seen und Sümpfen ein kleines Slavendorf, in dem, von einem rohen Erdwall geſchützt, nur einige arme Fiſcher und Schiffer wohnten; ſein Name war Dresdin.
Ähnlicher Burgwarten gab es im Meißner Gebiete gar viele. In einer jeden lebte ein Burggraf, welcher die Steuern einzutreiben und den Bezirk in Ge horſam zu erhalten hatte. Hier waren auch noch begüterte Kirchen errichtet, bei denen Märkte abgehalten wurden, ſo daß wir faſt in jeder reichen Pfarrei des Meiſner Landes eine alte Burgwarte vermuten können.
In dieſer Weiſe war das geſamte Gebiet gegliedert, und die eiſerne Fauſt des Markgrafen lag ſchwer auf dem eroberten, unruhigen und viel umſtrittenen Lande. Wenn nun auch die Geſchichte von Heinrichs Thaten nichts berichtet, ſo wiſſen wir doch, daß es dem Eilenburger bald gelang, Ruhe und Frieden zu schaffen und ſich zu einem der mächtigſten Fürſten im deutſchen Reiche emporzu ſchwingen. Mit gutem Glücke hat er ſein kleines Stammhaus Wettin an der Saale mit dem großen Herrſcherſchloß Meißen an der Elbe vertauſcht.
Auch in dieſem Jahre müſſen wir zunächſt der Burg Meißen unſern Beſuch abſtatten. Aber welch eine Veränderung bemerken wir! Auf dem Wege zur Burg treten uns weder furchtſame Slaven noch bewaffnete Bauern entgegen; ſelbſt der Thorwächter am Burgeingange hält nur nachläſſig den Speer mit dem Fähn lein in der Hand, während ſeine Genoſſen dem Würfelſpiel huldigen. Auf dem Burghofe, der rings von freundlichen, ſtattlichen Häuſern umgeben iſt, ſehen wir Pagen, dienende Edelleute in bunten, pelzverbrämten Wämſern, das kleine Weid messer am geſtickten Riemen tragend. Sie geleiten Edelfrauen, deren weites, wallendes Gewand, mit breiten goldgeſtickten Säumen verziert, von einem präch tigen Gürtel mit kunſtvollen Schlöſſern zuſammengehalten wird. Im Stalle ſtehen meiſt leichte Jagd- und Reitpferde, im Schuppen ſchwerfällige Karoſſen und zierliche Sänften.
Und der Blick aus dem Fenſter, wie anders als vor einem Jahrhundert! Zwar finden wir hinter der Röder noch immer ein anderes Reich, das Böhmen reich, aber ſein König iſt dem Wettinerfürſten eng verwandt und verſchwägert. Wendet ſich unſer Auge gen Süden, ſo ſieht es den Miriquidiwald an vielen
Stellen gelichtet, ſieht den Rauch unzähliger Kohlenmeiler aufſteigen, ſieht ſogar
an einem Punkte eine große Anſammlung von Häuſern. Könnten wir mit
Fauſts Zaubermantel dahinfliegen, ſo würden wir in eine neuangelegte, lebhafte
Stadt kommen, die, von ſtarken Mauern umgeben, belebt wird von ledergekleideten
Männern, welche vorn ein Lämpchen, in der Hand Fäuſtel und Meißel tragen;
wir würden dieſe Leute beobachten können, wie ſie in die finſtere Tiefe hinab
fahren, um hellglänzendes Silber zu Tage zu fördern; denn wir ſind in Freiberg
das, vor kaum 10 Jahren gegründet, bereits reichen Segen über das Land ausgoß.
Was uns jedoch um jene Zeit noch mehr erfreut hätte, iſt die nächſte Um
gegend Meißens. Unſere damaligen Landsleute blickten mit ſtolzer Freude auf
die Hügel, an denen ſeit 30 Jahren die aus dem ſonnigen Süden eingeführte
Weintraube gedieh, während an den ſchattigeren Abhängen ſich Anpflanzungen
von Kirſch- und Apfelbäumen zu entwickeln begannen und den Enkeln reiche Ernte
verfprachen. In der Niederung aber reifte das Getreide der Sichel des Land
mannes entgegen, der in frohbewegten Prozeſſionen ſeine Felder umzog, um den
Segen des Himmels auf ſeine Saaten herabzuflehen und dankbaren Herzens den
Gründer all dieſer Herrlichkeit, den vor 29 Jahren (1160) verſtorbenen Biſchof
Benno von Meißen, ob ſeiner Weisheit und Frömmigkeit als Heiligen zu verehren.
Und das Leben in der Stadt! Blauäugige Bürgerstöchter erröteten ob des
Grußes ſchmuck gekleideter Meiſtersſöhne die zur Schule oder zum Turnier eilten.
Bedächtig ſchritten Ratsherren im ſchwarzen Talar und Barett einher. Innungs
meiſter eilten zur Verſammlung. In den offenen Läden hielten die Gewerbe feil,
da boten die Bäcker
heute ſo gnädig behütet hat. Wir treten ein in die Herberge, wofür wir ja das neue mächtige Haus, das da vor uns ſteht, halten müſſen. Welch ein Gewühl! Vom rötlichen Lichte flackernder Kienfackeln beleuchtet, ſitzen an dem einen Tiſche Edelleute und trinken aus mächtigen Humpen feurigen italiſchen Wein. In einem Winkel ſehen wir Bergleute; ſie kommen aus dem Harze und wollen nach dem „Freien Berge“ wandern, wo die Erde unendliche Schätze bergen ſoll. Weiter erblicken wir Fuhrleute; die einen ſind aus Nürnberg und wollen nach den Oſt ſeehäfen, die andern kommen vom Rhein, von der Oder, von der Donau — ein buntes Gemiſch!
Wo bleibt aber die ſchmucke Kellnerin, die uns nach ſtaubiger Reiſe mit einem Kruge ſchäumenden Bieres erfriſchen ſoll? Wir ſuchen ſie vergeblich. Statt ihrer kommt ein freundlich lächelnder Mönch in langer Kutte, deſſen Körperumfang gerade nicht auf ſchmale Koſt deutet, und bringt, was unſer Herz begehrt. Zahlung nimmt er von niemand, es ſei denn, daß man etwas für die Armen in den Opferſtock lege. Wir ſind ja in einem Kloſter, dem neueſten und reichſten im ganzen Meißnerlande, im Kloſter Altenzella bei Noſſen. Erſt vor kurzem iſt es vom Markgrafen begründet und reich beſchenkt worden; erhielt es doch für die erzhaltigen Striche des Miriquidiwaldes, von denen es 800 Hufen beſaß, das liebliche Städtchen Roßwein als Beſitztum. Wir fragen den dienenden Mönch nach der Urſache des ſtarken Verkehrs. Er antwortet, daß dies meiſt ſo ſei, daß neben der Entdeckung des Silbers bei Freiberg auch die Meſſe in Leipzig mitwirke; denn mit dieſer habe der Markgraf vor einigen Jahren die freundliche Lindenſtadt beſchenkt. Dort kämen nun aus allen Himmelsgegenden, aus allen Ländern die Waren zuſammem aus Brabant Spitzen, aus Nürnberg der Tand, aus Augsburg Webereien, aus dem Norden Pelze und was ſonſt noch die Welt biete. Man könne es gar nicht aufzählen. —
So ſehen wir das Land um Meißen im Zuſtande ſchönſter Blüte, ſehen den wohlthätigen Einfluß des neuentdeckten Silbers und den Kulturfleiß der Mönche. Und dasſelbe würden wir bemerken im geſamten Meißnerlande, von der Röder und der ſchwarzen Elſter bis zur Saale und der weißen Elſter, bis zu den Höhen des Erzgebirges. — Wahrlich, ein Fürſt, der über ſolch ein Land herrſcht, muß glücklich ſein! könnten wir meinen. Und doch gilt auch von dieſem Fürſten: „Niemand iſt vor ſeinem Tode glücklich zu preiſen!“ Denn ſo glänzend es im Lande „Ottos des Reichen“ ausſah, ſo traurig geſtalteten ſich ſeine Familien verhältniſſe. Seine Gemahlin Hedwig hatte den nachgiebigen Gatten beſtimmt, bei einer Teilung des Landes ihren Liebling Dietrich, den jüngſten Sohn, zu be vorzugen. In ſeinem Rechte gekränkt, erhob ſich der erſtgeborene Albrecht gegen den alternden Vater und ſetzte ihn in der Burg Döben bei Grimma gefangen. Zwar wurde der unglückliche Otto, nachdem Albrechts Erbrecht durch Vertrag geſichert war, auf Vermittlung Friedrich Rotbarts befreit; doch hatten dieſe trüben Erfahrungen den greiſen Fürſten ſo darniedergebeugt, daß er bald darauf, im Jahre 1190, an der Zukunft ſeines Hauſes verzagend und faſt verzweifelnd ſtarb. In Altenzella fand ſein müder Leib die erſehnte Ruheſtätte.
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