Kapitel 3. Auf der Stammburg der Wettiner.

„Dort ſind ſchon die Schachtberge, und drüben ſehen Sie den Schweizerling. Auf ſeine bewaldete Höhe wandert das junge Volk Wettins an Sonn- und Feſt­ tagen gern hinauf; denn es iſt gar ſchön da droben. Wenn wir die beiden Wind­ mühlen im Rücken haben, ſehen wir Wettin drunten im Thale.“

So berichtete der biedere Wettiner Ackerbürger, indem er angeſichts der beiden Windmühlen ſtehen blieb und ſeinen langſchößigen Sonntagsrock wieder anzog. Seine kugelrunde, geſprächige Ehehälfte, mit der er von einer kleinen Reiſe zurückkehrte, klappte hierauf den Regenſchirm zuſammen, den ſie in Ermangelung eines Sonnenſchirms als Schutz gegen die brennenden Strahlen der Frühlings­ ſonne aufgeſpannt hatte. Der Tag war heiß, und die Luft war ſtill.

Der holperige Feldweg, auf dem wir ein und eine halbe Stunde lang von der Station Nauendorf an durch unabſehbare Feldpläne rüſtig vorwärts geſchritten waren, wurde allmählich ſteinig, und hier und dort traten bereits die breiten verwetterten Schichten des rötlichen Porphyrs zu Tage.

„Unſer Städtchen iſt ſteinreich und doch arm,“ ſagte mein Begleiter, als er fah, daß ich einige Porphyrſtücke aufhob und ſie prüfend betrachtete. „Freilich,“ fuhr er fort, „müſſen wir dem Himmel auch für dieſen Reichtum danken; denn außer in den Schächten und Cichoriendarren und auf den Schiffen des Saal­ stromes ſind viele Menſchen in den Steinbrüchen beſchäftigt und haben da ihr kümmerliches Brot. Doch wir ſind dem Ziele nahe, – da drunten liegt Wettin!“

Mit einem Schlage hatte ſich die Scenerie verändert. Von der Höhe eines Bergkammes blickte ich hinunter in das Thal. Meine Blicke ſchweiften über die altersgrauen Ziegeldächer des kleinen Bergſtädtchens hin, deſſen Häuschen dicht gedrängt wie Schwalbenneſter jenſeits am Berghange klebten und ſich bis auf den Rücken desſelben hinaufzogen. Eins wie das andere gebaut, harmonierten ſie prächtig mit dem Felsgeſtein, auf dem ſie ſtanden. Nur einige hoben ſich durch lebhaftern Anſtrich aus dem Häuſermeer heraus, das die Türme der Kirche, des Rathauſes und der Burg überragten. Der Tag war ſtill und heiter und bot eine weite Fernſicht. Hier und dort glänzte das rötliche Geſtein der ſchroffen Felswände. Drüben im Blauen ſangen die Lerchen. Drunten zur Linken blinkte

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und blitzte das ſilberne, vielfach gewundene Band des Saalſtromes, der aus ſeinen Ufern getreten war und das Wieſengelände überſchwemmt hatte. Und nun leuchtete und flimmerte es in dem wäſſerigen Grün der Auen und zwiſchen den knoſpenden Bäumen und Büſchen kleiner Strominſelchen, als habe die Sonne einen Demant­ regen über ſie ausgeſchüttet.

So, wie es da vor mir lag, und nicht anders hatte ich mir das alte Berg­ ſtädtchen Wettin gedacht: im Äußern unberührt vom Strome der Neuzeit, ein Denkmal ferner ſchöner Vergangenheit, ein würdiger Zeuge deutſchen Fürſtenruhms und deutſcher Fürſtengröße! Und voll Freude und Stolz hing mein Blick an den hohen Mauern und an den Turmzinnen der alten Burg, die ſich im Süden auf einer ſcharf vorgeſtreckten Felszunge trotzig und kühn erhebt und die Dächer der Stadt weit überragt. Dieſer ehrwürdige, ſchlichte, feſte Bau, der mit dem Fels verwachſen ſcheint, der den Stürmen und Wettern faſt eines Jahrtauſends getrotzt hat, iſt das ſchönſte Symbol des edlen ruhmreichen Fürſtenhauſes der Wettiner. Nicht der romantiſche Hauch der Sage umwebt die alten Mauern — unſer Volk weiß nichts Wunderſames von dieſer Burg zu ſingen und zu ſagen —, wohl aber der Geiſt hoher, tapferer und großherziger Ahnen und der Geiſt einer glorreichen achthundertjährigen Vergangenheit! Sie ſchützen die Wiege unſeres teueren Herrſchergeſchlechtes und werden auch das Haus Wettin auf ſtolzer, ſonniger Höhe erhalten, wenn Bau und Fels längſt in Trümmer geſunken ſind! . . .

„Schade um unſere ſchöne alte Burg,“ plauderte mein Reiſegefährte, als wir auf ſteilem, ſchmalem Pfade abwärts ſtiegen und durch die engen, gewundenen Gäßchen des Städtchens dem alten Rathauſe zuwanderten. „Wir Wettiner wiſſen wohl, welche Bedeutung ſie hat,“ fuhr er fort, „und wir würden uns freuen, wenn unſer junger Kaiſer die Burg Ihrem König Albert ſchenkte. Die Schaf­ herden, welche in den Räumen kampieren, könnte man wohl noch auf dem Amts­ hofe unterbringen und auch die Kornböden dorthin verlegen; die Bierbrauerei, ſeither in dem Flügel nach der Stadtſeite zu gelegen, hat man ſo wie ſo ſeit Neu­ jahr eingeſtellt. Arme alte Invaliden müßten da hinein, die einſt mit Gott für König und Vaterland ihr Blut und ihre Geſundheit gelaſſen haben; dann würde die Burg ihren Zweck erfüllen.“ Ich konnte ihm aus vollem Herzen beiſtimmen.

Im kühlen Rathauskeller zur Seite des kleinen abſchüſſigen Marktplatzes er­ holte ich mich nach der ermüdenden Fußwanderung und forſchte bei Wirt und Gäſten nach der Geſchichte der Burg und Stadt Wettin. Die Leutchen wußten mir ſehr wenig zu erzählen. Das chroniſtiſche Material iſt bei dem großen Brande im Jahre 1666 verloren gegangen und das Rathaus von Grund auf neu gebaut worden.

Nach einigen alten Chroniſten iſt der römiſche Feldherr Claudius Drufus Nero als Gründer anzuſehen, der auf ſeinen Heereszügen in den Jahren 12-9 v. Chr. in Germanien bis in die Saalgegend gekommen und außer einem feſten Kaſtell, der jetzigen Burg Wettin, auch auf dem Lauterberge (Petersberg bei Halle) einen Tempel zu Ehren des Mars und der Bellona errichtet haben ſoll. Ähn­ lichkeiten des Namens haben andere verleitet, den Herzog Wittekind als Ahnherrn des Hauſes Wettin und Erbauer des alten Stammſitzes zu nennen; doch iſt

Die Burg Wettin. Die Burg Wettin.

6 längſt ſicher nachgewieſen, daß die Beſitztümer dieſes Geſchlechts in Weſtfalen lagen, und daß die Wettiner aus Nordſchwaben ſtammen.

Und wird auch der Urſprung der Burg in Dunkel gehüllt bleiben: das alte Bauwerk redet lauter als alle Chroniken und verweiſt uns in die erſten Jahr­ hunderte unſerer Zeitrechnung.

Wettin (Wittin) iſt ein wendiſches oder ſlaviſches Wort. In den älteſten Chro­ niken wird die Stadt Vidin genannt und bereits im Jahre 960 n. Chr. als civitas (Stadt), im pago (Diſtrikt) Nuzini oder Buzini gelegen, aufgeſührt. Aus dieſem Gau ſchenkte Kaiſer Otto I. der Kirche zu Magdeburg den Zehnten der Einkünfte.

In alter Zeit hatte die Grafſchaft Wettin einen bedeutenden Umfang. Außer dem eigentlichen Burglehn gehörte der Petersberg mit allen ſeinen Gütern, das Schloß Kroſigk, Löbejün mit ſeinen Dörfern und vielleicht auch die Stadt Halle zu dieſem Diſtrikt. Die ſtark befeſtigte Burg Wettin galt als eins der beſten und ſicherſten Bollwerke, die man im Elb- und Saalgau errichtet hatte, um dem energiſchen Vordringen der kriegeriſchen, Ackerbau treibenden Sorben-Wenden Einhalt zu ge­ bieten. Das Wappen der Grafen zu Wettin zeigte einen roten Löwen in ſilbernem Felde. Auf dem Wappenhelme ſtieg aus ſilbernem Grund ein roter Adler mit ſchwarzen Flügeln auf. Die Flügel waren mit goldenen Herzchen oder kleinen Kleeblättern beſetzt.

Der erſte bekannte Graf von Wettin iſt Dietrich I., der den Kaiſer Otto II. auf ſeinem Zuge nach Italien begleitete und 982 bei Baſentello fiel. Von ſeinen Söhnen erbte Dedi I. Wettin und Friedrich die Grafſchaft Eilenburg. Friedrich ſtarb 1017 kinderlos, und nun vereinigte Dedis Sohn, Dietrich II., der 1009 ſeinem Vater gefolgt war, Eilenburg wieder mit Wettin. Dietrich II. ſtarb 1034 und hinter­ ließ ſechs Söhne, von denen Thimo, 1090 Markgraf von Meißen, ſich zuerſt nach ſeiner Burg Graf von Wettin nannte. Als ſein Sohn und Nachfolger Dedi III. 1124 auf ſeiner Heimfahrt aus dem gelobten Lande ſtarb, fiel Wettin an ſeinen Bruder, den Markgrafen Konrad den Großen von Meißen, und iſt danach längere Zeit der Mark Meißen als erblicher Beſitz verblieben.

1288 kamen Wettin und Salzmünde durch Schenkung zum Erzſtift Magde­ burg, und ſo ging dieſer ſchöne Beſitz dem ſächſiſchen Fürſtenhauſe für immer ver­ loren. Gegenwärtig iſt das ehemalige Burgamt eine königlich preußiſche Domäne.

Der Prinz Louis Ferdinand von Preußen, welcher am 10. Oktober 1806 in dem unglücklichen Gefecht bei Saalfeld fiel, weilte am Anfange dieſes Jahr­ hunderts oft und gern auf der alten Burg. Von ſeinem leutſeligen Weſen und ſeinen luſtigen Streichen wiſſen die lieben Wettiner noch heute zu erzählen.

Als ich in den Nachmittagsſtunden die Burg beſuchte, führte mich der In­ ſpektor des Amtsgutes auch in ein leeres Zimmer. Den einzigen Schmuck des­ ſelben bildeten zwei Niſchen, deren Bogen einfacher Rokoko-Ornamentenſchmuck zierte. Von den Fenſtern des kleinen Gemachs aus, das ſich im linken Burg­ flügel befindet, genoß ich eine herrliche Ausſicht auf die alte Stadt. Dies Prinzen­ zimmer iſt wohl noch der einzige bewohnbare Raum in der Burg; denn außer der Wohnung des Aufſehers und dem Betſaale für die kleine reformierte Gemeinde des Städtchens dienen alle übrigen landwirtſchaftlichen Zwecken.

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Von ſchönen Aufgängen, Galerien, Eiſengeländern mit phantaſtiſcher Orna­ mentik und glänzenden Meſſingknäufen, geräumigen Hallen mit Kreuzbögen und Säulen iſt auf der Burg nichts mehr zu finden. Die dicken Mauern ſind abge­ tragen, und von dem runden, ſtumpfen Turm inmitten des Hofes iſt die Grund­ mauer nur noch im Steinpflaſter bezeichnet. Der Turm von den Burgleuten „die letzte Retirade“ genannt, weil man ihn bei harten Kämpfen als letzten Zufluchts­ ort benutzte, iſt bereits 1697 beſeitigt worden. Die Wallgräben ſind in Gärten umgewandelt, und durch die frühere Ausfallspforte tritt man jetzt auf eine Terraſſe, welche eine ſchöne Ausſicht gewährt. Iſt auch der Geſamtcharakter des alten Bau­ werkes erhalten geblieben, ſo hat es doch im einzelnen mancherlei Veränderungen erfahren. So z. B. ſind die Rokokoverzierungen an den Giebeln des Turmes neueren Datums, die Sandſteinzieraten ſind verſchwundem und das Dach hatte früher jedenfalls eine bedeutendere Höhe als jetzt. Der Ritterſaal, gegenwärtig durch einen Boden in zwei Geſchoſſe geteilt, dient zur Aufnahme von Ackergerät und beherbergt den Segen der Felder: große Lager von Weizen und Kartoffeln. Die Wandgemälde des Saales hat man in frommer Einfalt mit Kalk übertüncht. Hier und dort treten noch Überreſte von Kriegs- und Jagdſcenen hervor. Drunten im Burgverließ, wo an der Wand als Symbol ſeiner Beſtimmung eine Hand mit einer Keule und ein Kopf in Stein eingehauen ſichtbar ſind, breitet man Schafwolle zum Trocknen aus, und im oberen Gemach des Turmes, in dem einſt der Burg­ wart hauſte, niſten friedlich die Tauben.

Lange ſtand ich droben im Turmzimmer an dem geöffneten Fenſter und weidete Herz und Sinn an den tauſend Schönheiten der reizenden Landſchaft, die ſich vor meinen Blicken aufthat. Drunten im blinkenden Fluſſe ſpiegelten ſich die braunen Dächer und grauen Mauern langer Häuſerzeilen, und darüber hin fiel das Bild der hohen, ſteilen Porphyrfelſen. Tiefgehende Kähne und Holzflöße glitten ſtill ſtromabwärts. In dem braun und grün ſchimmernden Baumgezweig des Inſelwäldchens, der Burg gegenüber, hatten ſich Schwärme von Raben und Krähen niedergelaſſen und flickten eifrig an den zahlreichen Reiſigneſtern. Ihr Gekrächze und Geſchrei übertönte das Klirren der Stromkette, an der die Fähre von einem Ufer an das andere ſchwebte. Jenſeits des Fluſſes verlor ſich der Blick in einem fruchtbaren Hügellande mit braunen Ackerplänen und ſaftig grünen Saalfeldern.

Ein mit Akazienbäumen bepflanzter Weg führt von einer ſchmalen Mauer­ pforte aus an dem Burgberg entlang in das Saalthal hinab. Das geklüftete Gestein des Burgfelſens hatte ſich bereits mit Frühlingsgrün bekleidet. Das un­ durchdringliche Rutengewirr des Teufelszwirns – in uralter Zeit wohl als Schutz­ wehr angepflanzt — wetteiferte mit Hopfengerank und knorrigen Fliederſträuchern. Hier und da hatte auch der Epheu mit ſeinem dichten Netze die Mauer überſponnen. Eins der kleinen Fenſter, die droben in der dicken Burgmauer in geringen Zwiſchen­ räumen angebracht ſind, war geöffnet. Auf dem Geſims prangte ein Flor blühender Topfgewächſe, und das Fenſter war innen von weißen Gardinen umrahmt.

Mir kam der Wunſch meines biederen Reiſegefährten wieder in den Sinn und ich ſah im Geiſte droben auf der Turmzinne das deutſche und ſächſiſche Banner

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wehen … all die kleinen, dunklen Fenſter des Burgflügels waren durch Gar­ dinenſchmuck freundlich erhellt, und über einen niedlichen Wald von Geranium und Myrte ſchauten mit zufriedenen Blicken deutſche Invaliden in das Saalthal her­ nieder. FranzWoenig.

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