Kapitel 86. Evan Evans, der erſte Baumwollſpinner Sachſens.

Die Zeiten, in welchen die Hausfrau mit ihren Töchtern und Mägden während der langen Winterabende am Spinnrade ſaß und ſpann, ſind vorüber; nur dem Namen nach hat ſich das Andenken daran in verſchiedenen Gegenden erhalten. „Sie geht zu Rocken,“ ſagt man wohl noch heutzutage im Gebirge, wenn eine Nachbarin die andere beſucht; indes iſt an Stelle des Spinnrades und des Rockens oder der Kunkel das „Böckel“ getreten, worauf die „ſchwarze Arbeit“, welche zum Verzieren der Frauenkleider dient, aufgerollt wird. Das Spinnen beſorgen die großen Spinnereien, die ſich überall in unſerm Gebirge, wo irgend eine ge­ nügende Waſſerkraft vorhanden war, angeſiedelt haben. Und doch ſind noch nicht hundert Jahre verſtrichen, ſeitdem es überhaupt in Sachſen Spinnereien giebt!

Die Maſchinenſpinnerei iſt bekanntlich eine engliſche Erfindung; man ſchreibt ſie gewöhnlich Richard Arkwright zu. Doch haben ſpätere Nachforſchungen ergeben, daß Arkwright wohl ein großer Verbeſſerer, aber nicht der Erfinder der Spinnerei geweſen iſt. Schon im Jahre 1730 ſpann Wyatt in Litchfield einen Baumwollfaden ohne Hilfe der Finger; doch hatte ſein Verſuch keine weiteren Folgen. Im Königreiche Sachſen waren in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kleine Handmaſchinen zum Spinnen der Baumwolle in Gebrauch. Gegen Ende des Jahrhunderts führte Carl Friedrich Bernhard das engliſche Spinnereiſyſtem in Sachſen ein. Seine Maſchinen waren Mille­ maſchinen; ſie wurden in einem dazu errichteten Gebäude in Harthau bei Chemnitz durch einen Engländer, Namens Watſon, aufgeſtellt. Da Watſon als bloßer Maſchinenbauer die Maſchinen nicht in Gang zu bringen wußte, namentlich, ſo

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wird erzählt, die Trommelſchnur nicht aufzuziehen verſtand, wurde im März des Jahres 1802 der engliſche Spinner Evan Evans herübergezogen, der auch alsbald auf den Maſchinen Garn ſpann. C. F– Bernhard hatte ſich im Jahre 1801 mit ſeinem Bruder Ludwig vereinigt, und ſie führten die Firma: Ge­ brüder Bernhard.

Evan Evans ward 1765 in Llangellidt in Caernarvonſhire in Nord-Wales des Königreichs Großbritannien geboren und kam im März 1802, wie ſchon er­ wähnt, auf erhaltene Veranlaſſung aus Mancheſter als Werkmeiſter zu den Ge­ brüdern Bernhard in Harthau. Bei dieſen, denen das Verdienſt des Unternehmens gebührt, ſpann er auf neu von ihm konſtruierten Maſchinen die erſten Mulegarne, erfand hier die ſo weit verbreitete Spindelſchleifmaſchine, ehe eine dergleichen in England exiſtierte, erhielt auch dafür von der ſächſiſchen Staatsregierung außer 400 Thalern Prämie eine Verdienſtmedaille. Er war zugleich der Lehrer der erſten Spinner in Sachſen. Im Jahre 1806 fing er an, zu Dittersdorf ſelb­ ſtändig ſich mit Maſchinenbauen zu beſchäftigen, wählte aber 1809 Geyer zur Fortſetzung ſeiner zu immer höherer Anerkennung gelangenden Arbeiten. Evan Evans fertigte die Maſchinen für eine Menge neu entſtehender Fabriken in Erfen­ ſchlag, Wolkenburg, Wegeſahrt, Mühlau, Lugau, Plane, Schlettau u. ſ. w., auch für viele kleinere Etabliſſements im Erzgebirge und im Vogtlande ſowie in und um Chemnitz. Im Jahre 1810 brachte er die ſelbſterfundene, ſpäter vielfach kopierte Maſchine zum Cylinderreifeln am Waſſer in Gang, während man ſich damals ſelbſt in England noch der Handarbeiten dazu bediente. Zwei Jahre ſpäter, 1812, legte er den Grund zu ſeiner Fabrik in Siebenhöfen bei Geyer, die ſpäter im Beſitze eines ſeiner Söhne fortblühte. 1823 brachte er die erſte ſächſiſche Spulmaſchine (Flyer) nach eigner Erfindung in Gang und empfing dafür von der Regierung eine Belohnung von 500 Thalern. Ebenſo erfand er eine andere Spulmaſchine zum Abwickeln des Garns, deren Kopien weit ver­ breitet waren. Auf der im Jahre 1840 in Dresden ſtattgefundenen Ausſtellung von ſächſiſchen Gewerbeerzeugniſſen erhielt der rührige Spinnmeiſter und Spinnerei­ beſitzer die große ſilberne Medaille auf ein Bündel vou baumwollenem rohen, zweidrähtigen Zwirn, von welchem der amtliche Bericht ſagt, daß die ausgezeichnete Beſchaffenheit des Fadens, ſowohl hinſichtlich der Egalität als auch der Haltbar­ keit, alles zu übertreffen ſcheine, was bisher in dieſer Art in Sachſen geleiſtet worden ſei. Evan Evans iſt in einem Alter von 79 Jahren am 9. Dezember 1844 geſtorben und auf dem Friedhofe neben der Hauptkirche zu Geyer beerdigt.

Der Ruhm der Evansſchen Spinnerei lebte unter Eli Evans, dem Sohne des Gründers, eine lange Zeit fort. 1845 erhielt die Spinnerei auf der Dresdner Ausſtellung die goldene Medaille für die ausgeſtellten zweidrähtigen Zwirne (Lacethread) Nr. 70 bis Nr. 120. Sie erſchienen nicht nur an ſich vollkommen, ſondern auch in dieſer Vollkommenheit und in Darſtellung der höheren Nummern in ganz Deutſchland als einzig in ihrer Art, und auch die Preiſe ſtellten verhältnismäßig billig.

über Evan Evans Perſönlichkeit berichtet Paſtor F. G. Blüher: „In einem 24jährigen Umgange habe ich Herrn Evans kennen, ſchätzen, verehren

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gelernt als einen Mann, der unter allen Wechſeln der Zeit eine Redlichkeit, eine Hoheit des Charakters bewahrt hat, wie ſie uns hienieden nur ſelten begegnet. Alle, die ihn kannten, werden mir beiſtimmen.“ Ja, Blüher hat mit folgenden Worten in der „Leipziger Zeitung“ zur Errichtung eines Denkmals für Evan Evans aufgefordert: „Möge mich die Hochachtung für den Hingeſchiedenen ent­ ſchuldigen, wenn ich es wage, dem Gedanken vieler ſeiner dankbaren Verehrer eine Sprache zu geben und den Vorſchlag zu einem Denkmale zu machen, das dem um das ganze Sachſenland ſo hochverdienten Manne geſetzt werden möge an der Stätte, wo er ſeinen letzten Schlummer ſchläft. Ja Geyer hatte er zuerſt ſeine ſelbſtändige Werkſtätte auf dauernde Weiſe errichtet, in Geyer ſich durch die Thätig­ keit ſeines hochbegabten Geiſtes die Mittel zur Begründung der eignen Fabrik in dem angrenzenden Siebenhöfen erworben; Geyer galt ihm immer als ſeine zweite Heimat, und hier war es, wo er ſich ſeine letzte Ruheſtätte neben Gattin und Enkeln ſelbſt erwählte. Hier dürfte ſonach die paſſendſte Stätte für das Ehren­ denkmal ſein, das ſeine Verdienſte erheiſchen und ſeine dankbaren Verehrer ihm wünſchen. Wohlan alſo, laſſen Sie den gethanen Vorſchlag Wiederhall in Ihrem Herzen finden! Das Denkmal jenes Mannes ſei zugleich ein EhrendenkmalSachſens und gebe Zeugnis, daß das Vaterland die Männer zu würdigen weiß, die ſeinen Ruhm und ſein Wohl erhöhen!“

Die erwerbsloſen Jahre, welche den politiſch ſo hochbewegten Jahren voraus­ gingen, ließen den ſchönen Vorſchlag Blühers nicht zur Reiſe gedeihen; der ge­ ſammelte Betrag wurde zu einer Evansſtiftung an den techniſchen Staatslehr­ anſtalten in Chemnitz verwendet. Ein Denkmal von Stein erwarb ſich Evan Evans nicht, wohl aber das Gedenken in den Herzen aller Edelgeſinnten. Die Saat, die Evans geſtreut, grünt und blüht noch heute im Gebirge und im ganzen König­ reiche fort. Zwar iſt in dem mächtigen, von doriſchen Halbſäulen flankierten Baue in Siebenhöfen jetzt eine ſchwunghaft betriebene Pappenfabrik und Präg­ anſtalt untergebracht; aber es haben ſich doch an den Ufern der Zſchopau und ihrer Zuflüſſe, zu denen auch der Geyerſche Stadtbach zu rechnen iſt, der kurz unterhalb der ehemaligen Evansſchen Spinnerei einmündet, die größten und bedeutendſten Spinnereien des Sachſenlandes angeſiedelt.

Zu den beiden Faktoren, Steinkohle und Eiſen, welche die Welt regieren, iſt als dritter die Baumwolle hinzugekommen. Der dünne baumwollene Faden bildet eine ſtarke Kette von Erdteil zu Erdteil, von Volk zu Volk, von Werkſtatt zu Werkſtatt. Taufend fleißige Hände müſſen ſich regen, ehe die Baumwolle verarbeitet in den Beſitz des Produzenten zurückkehrt. Zum Beleg für das Ge­ ſagte diene folgendes Beiſpiel. Ein Neger arbeitet in einer Baumwollplantage Braſiliens. Die gewonnene Baumwolle wird dem Händler eingeliefert, wandert über den Ocean und kommt, nehmen wir an, in die Spinnerei von Arno und Moritz Meiſter in Erdmannsdorf im ſächſiſchen Erzgebirge. Als geſponnenes Garn geht ſie nach Thum, wird hier gewirkt, und die Weltfirma Moritz Samuel Eſche in Chemnitz ſchickt ſie über das Weltmeer zurück nach Amerika, und hier gelangt ſie ſchließlich als Strumpf wieder in die Hände desjenigen Negers, der ſie ſeinerzeit als Wolle in der Kapſel von der Staude pflückte. HermannLungwitz.

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