In der Schlacht an der Göltzſch, durch welche die Deutſchen die Herrſchaft der Sorben-Wenden in den Flußgebieten der Saale, Elſter und Mulde brachen, verlor auch ein adeliger Sorbe das Leben, deſſen Burg inmitten ſeines anſehn lichen Grundbeſitzes auf dem Vorberg[14] lag. Bevor er in den Kampf gezogen
war, hatte er ſeine zahlreichen Schätze dicht neben dem Burgbrunnen vergraben, ſeine Kinder aber, drei Mädchen von großer Schönheit, hinausgeführt in den heiligen Hain und ſie hier geloben laſſen, dem Glauben ihrer Väter treu zu bleiben und die heiligen Gebräuche ihres Volkes fortzuüben. Als die Deutſchen in die Gegend einrückten, brannten ſie die Burg nieder, ließen aber die drei Schweſtern, welche Unterdeſſen ein kleines Gehöft am Berge bezogen hatten, ziemlich Unbe läſtigt in ihrer Verborgenheit leben. Allerdings traf auch ſie, was jetzt über alle ihre Stammesgenoſſen in der Umgegend erging: ſie mußten den Weiſungen der deutſchen Herrſchaft willigen Gehorſam leiſten und die Taufe und den chriſt lichen Glauben annehmen. Letzterer Anordnung kamen ſie indeſſen nur wider willig nach; denn der neue Glaube ſtand im Widerſpruch mit ihrem dem Vater geleiſteten Gelübde und erlaubte ihnen nicht, manchen alten, liebgewordenen Ge brauch weiter zu pflegen; ſie fühlten ſich darum oft in ihrem Herzen beſchwert und gingen häufig zur Nachtzeit mit anderen Genoſſen hinaus zum zerſchlagenen Opferſtein und huldigten allda ihren heidniſchen Gebräuchen.
Lange blieb das Treiben der Schweſtern und ihres Anhanges verborgen. Als aber gegenüber ihrer Wohnung aus dem Wald am Geiersberg heraus ein Kirchlein ſich erhob und die Mönche dort das geiſtliche Amt mit Strenge übten, da ſetzten dieſe auch den Zuſammenkünften am Opferſtein ein Ziel und zogen die Schweſtern, als die Veranſtalterinnen derſelben, zu ſtrenger Rechenſchaft. „Ihr dient dem Herrſcher der Hölle,“ eiferten ſie; „wohlan, da ihr unſere Warnungen und Mahnungen nicht beachtet habt, ſo ſollt ihr auch dem Böſen verfallen ſein. Wir ſprechen den Bann über euch; freud- und friedlos ſollt ihr ſein, bis es euch gelingt, ein Chriſtenkind zu herzen und zu küſſen, das man aus dem Walde herein nach Sankt Margareten zur Taufe trägt.“
In der That gewann es den Anſchein, als walte über den aus der Ge ſellſchaft Geſtoßenen von Stund an kein freundlicher Stern mehr. Jedermann mied den Umgang mit ihnen; ſie hatten weder Raſt noch Ruhe und mußten öfters in der Nachtzeit, wenn die wilde Jagd anhob, ihren ſchauerlichen Umzug zu halten, wie das gehetzte Wild den finſteren Wald durchirren. Das waren böſe, harte Zeiten für die Schweſtern, traurige Erlebniſſe, welche endlich in ihrem Herzen die Reue aufkeimen ließen, dem Willen des Vaters gemäß gehandelt zu haben. Ver geblich erwies ſich auch das Bemühen, den wenigen, zufällig in ihre Nähe kom menden Menſchen ſich freundlich zu nahen; vergeblich war die Bitte bei den Mönchen zu St. Margareten, den böſen Zauber zu löſen, welchen ihr Bann über ſie gebracht hatte: die Not blieb und nahm zu, je älter ſie wurden.
Manches Jahr war bereits verſchwunden, und noch immer harrten die Schweſtern des Zuſammentreffens mit einem Kinde, das im nahen Kirchlein die Taufe empfangen ſollte. Zwar hatte der Zufall die Gelegenheit hierzu einige Male geboten; aber die Scheu vor den Gebannten war ſo groß, daß man bei
Burgbau krönte. Manche laſſen ſich durch die erwähnten Bautrümmer beſtimmen, die Höhe als eine heidniſche Opferſtätte zu erklären. Der Berg, welcher über die Stadt Kirchberg und deren Umgebung eine reizende Ausſicht darbietet, hat ſeine Sage, die es verdient, daß ſie in weiteren Kreiſen bekannt werde.
ihrem Erſcheinen ſtets zur Seite wich und ſchon aus der Ferne den Verſuch einer Annäherung zu hindern ſuchte. — Da gewahrte einſt in einer Nacht die jüngſte der Schweſtern in der Gegend, wo, umgeben vom dichten Wald, eines Köhlers Hütte ſtand, noch helles Licht. Von dem Wahrgenommenen unterrichtet, ſchlichen alle drei, begleitet von zwei treuen Knechten, bis zur Hütte und bemerkten, daß des Köhlers Weib ein Kind geboren hatte. Sogleich ſtand der Entſchluß in ihnen feſt, dem Kinde, wenn es zur Taufe getragen würde, zu nahen und deſſen Begleitung um die Erfüllung ihres Wunſches anzugehen.
Es währte auch nur kurze Zeit, bis an einem ſpäten Nachmittage der Köhler in Geſellſchaft weniger Perſonen auf dem ſchmalen Waldpfade dahergeſchritten kam, um ſeinen Neugeborenen nach St. Margareten zur Taufe zu bringen. Alſo bald trat die älteſte der Schweſtern an ihn heran und ſprach: „Lieber, laß mich dein Kind ſehen und herzen; du ſollſt dafür auch dieſen ſchönen, glänzenden Stein haben! Schau nur, wie er in der Sonne blitzt und funkelt.“ Doch der Angeredete wandte ſich ab und entgegnete: „Ich begehre weder deinen Stein, noch ſollſt du mein Kind ſehen: halte mich nicht auf und laß mich weiter gehen!“ Bald darauf kam auch die zweite Schweſter und ſagte: „Lieber, ſieh dieſes Geldſtück, es ſoll dir gehören, ſobald du mir erlaubſt, dein Kind einen Augenblick auf meinen Armen wiegen zu dürfen.“ „Nein,“ rief unwillig der Köhler, „deines Geldſtücks wegen gebe ich den Kleinen nicht aus meinen Händen; blicke nur empor, welch ſchweres Wetter um Himmel dräuet; ich will eilen, weiche zur Seite!“ Abermals, einen Steinmurf weiter, kam die dritte Schweſter dem Taufzuge entgegen. „Ei, lieber Köhler,“ begann ſie im munteren Ton, „Freya, die liebreiche, hat dir ein Kind beſchert, welches du ohne Zweifel jetzt zur Taufe trägſt; hier nimm dieſen Wickel Flachs als Taufgeſchenk, er ſoll deinem Kinde Segen bringen; doch erlaube mir, den Kleinen auf einen Augenblick zu ſehen“ Da reichte der Vater dem Mädchen, weil es gar ſo herzlich bat, das Kind, und dieſes drückte raſch einen warmen Kuß auf deſſen Lippen. Noch redeten beide miteinander, als das Glöcklein von der Kapelle eifrig mahnte, das Geſpräch einzuſtellen. Über den brauſenden Bach auf ſchwankendem Steg eilte der Köhler hinauf zur Kapelle, das Mädchen aber raſchen Laufes zu den in banger Erwartung harrenden Schweſtern. Wie fröhlich lenkten dieſe jetzt die Schritte ihrem Hofe zu, wie glücklich ſaßen ſie, nachdem der jüngſten die Ausführung des längſt gehegten Vorhabens gelungen war, dort beiſammen! Die That, einſt als Bedingung für die Löſung des auf ihnen laſtenden Bannes geſtellt, war erfüllt, und von nun an ſollte der Böſe keine Macht mehr über ſie haben.
Die Taufhandlung in der Kapelle war längſt beendet; aber das inzwiſchen zum Ausbruch gekommene Gewitter hinderte bis zum ſpäten Abend den Köhler an der Rückkehr zu ſeiner Hütte. Mit mächtiger Gewalt toſete diesmal der Donner gott. Mehr als einmal fuhr der blendende Strahl, wie von der Kapelle aus zu bemerken war, in die Waldung des Vorberges nieder und mußte zuletzt auch ge zündet haben; denn man ſah trotz ſtrömenden Regens dort dichten Qualm und Rauch aufſteigen. Dazu ließ ſich ein Pfeifen, Rollen und Poltern in der Luft vernehmen, als wenn der Fürſt der Hölle ſelbſt ſein Weſen triebe. Letzteres war
in der That auch der Fall; denn erzürnt darüber, daß drei durch den Bann ihm verfallene Seelen ſeiner Herrſchaft zu entrinnen gewußt hatten, fuhr er grimmig und tobend im Wetter davon.
Endlich hatte die Natur ihre Ruhe wieder gefunden; um Himmel leuchteten bereits die Sterne, und in reicher Fülle ſandte der Mond ſein ſilbernes Licht zur Erde, als der Köhler mit ſeiner Begleitung den Heimweg antrat. Ohne Aufent halt kam er aber auch diesmal nicht am Berge vorüber. Mitten auf dem Wege an derſelben Stelle, wo vor wenig Stunden eine der Schweſtern den Anblick ſeines Kindes erbeten hatte, hörte er plötzlich ſeinen Namen rufen. Er blickte empor und ſah zwiſchen den Bäumen hindurch oben auf einem vorſpringenden Felſen die drei Mädchen in langen, weißen Gewändern ſtehen und hörte zugleich, wie ſie ihm zuriefen: „Lieber Köhler, habe Dank, daß du dem Kind unſerer Jüngſten zum Kuſſe reichteſt! Du haſt uns dadurch aus ſchwerer Not und Drang ſal befreit. Komm nur onder Scheu herauf und nimm an den Schatz, mit dem wir dir lohnen wollen!“ – Aber dem Angerufenen und ſeinen Begleitern liefen bei dieſen Worten die Schauer bald kalt, bald heiß über den Rücken; ſie ſchlugen eiligſt ein Kreuz und ſuchten ſchnell weiter zu kommen.
Gegen den anbrechenden Morgen hin mochte es jedoch den Köhler gereuen, der Einladung nicht Folge geleiſtet zu haben. Die Gedanken an den dargebotenen, von ihm aber ſo leichtfertig verſchmähten Schatz beherrſchten ſeine ganze Seele, und es peinigten ihn wegen ſeines Verhaltens um ſo mehr allerlei Vorwürfe, als ja die Schweſtern ſich ihm immer freundlich erwieſen hatten. Mit dem erſten Morgenſtrahl, der ſeine Hütte traf, war er darum auch ſchon auf den Beinen, ging auf den Berg und forſchte nach den drei Mädchen. Er kam zu ihrem Hof, doch dieſer lag ſtill und ausgebrannt vor ihm; er ſtieg hinauf zum zerklüfteten Gemäuer der Burg, aber auch hier war nichts von den Geſuchten zu ſehen und zu hören. Mißmutig lagerte er ſich nunmehr in das Gras und rief mit faſt weinerlicher Stimme und allerlei zärtlichen Worten nach den Schweſtern. Doch auch dies ſchien lange keinen Erfolg zu haben. Endlich gewahrten ſeine Augen hinter einem großen Steine ein kleines, graues Männlein mit langem, weißem Barte, welches alſo zu ihm redete: „Thörichter, warum ſtörſt du die kaum be gonnene Ruhe der Schweſtern? Warum lohnteſt du ihr Vertrauen nicht wieder mit Vertrauen? Du haſt dein Glück verſcherzt; doch deines Sohnes werden ſie gedenken, ſobald die Sonne ſiebenmal über den Berg gegangen ſein wird. Wiffe, die einſt Vielgeplagten ſchlafen jetzt bei ihren Schätzen im Berge; wenn ſie erwachen, erſcheinen ſie wieder an dem Brunnen, und begegnet ihnen dann ein Menſchenkind, dem ſie wohlwollen, ſo beglücken ſie es mit großem Gute.“
An des Köhlers Kinde iſt die Verheißung zur Wahrheit geworden; ebenſo ſind im Verlaufe der Zeiten die Schweſtern mehreren nächtlichen Wanderern glück bringend erſchienen. Aber es ſollen die von ihnen gehüteten Schätze ſo groß ſein, daß ſie noch vielen Erwählten zu ſpenden vermögen. Wer davon haben will, der gehe nur zur Zeit der Frühlings- und Herbſtſonnenwende, ſobald es nächtet, auf den Berg; vielleicht erſcheinen die Schweſtern und laſſen ihn Gnade finden vor ihren Augen.
[14] Der Vorberg, eine von den Höhen, welche in nächſter Nähe die Stadt Kirchberg umgrenzen, erhebt ſich, vollſtändig freiſtehend, als ſchön geformter Kegel aus dem ihn umgebenden Berggelände. Oben bewaldet, ſchmücken ſeine Höhe ſchöne Anlagen, darunter ein ſteinerner Ausſichtsturm und dicht unter dieſem ein Gedenkſtein, welcher an die am 3. Juli 1883 ſtattgehabte Anweſenheit Sr. Majeſtät des Königs Albert erinnert. In einigen aufgefundenen alten Stadtbüchern wird der Berg Burg- oder Burgkberg genannt; dieſer Umſtand, ſowie der andere, daß auf ſeiner Höhe außer einer wallartigen Um- ſchließung im Nordweſten mehrere große, jedenfalls durch den Zuſammenbruch von Mauerwerk entſtandene, jetzt übergraſte Steinhaufen und viele wirr durcheinander liegende Steine zu ſehen ſind, denen man die einſtige Bearbeitung noch heute anſieht, ſtellen es außer Zweifel, daß den Scheitel des Berges einſt, vielleicht ſchon in der Sorbenzeit, ein