Als die Wogen der Völkerwanderung den in der heutigen Oberlauſitz einſt ſeß- haften germaniſchen Stamm der Semnonen weſtwärts hinweggeſchwemmt hatten, ergriffen von dem herrenlos gewordenen Lande im 6. oder 7. Jahrhunderte die wendiſchen Milzener Beſitz. Im Mittelpunkte ihrer Anſiedelungen erbauten dieſe auf ſteilem, von der Spree umfloſſenen Felſenvorgebirge nach allgemeiner ſlaviſcher Sitte ihre Stammesveſte, gleichwie die Czechen den Hradſchin von Prag und die Ruſſen den Kreml von Moskau. Neben der Burg entſtanden bald auch die un entbehrlichen Herbergen; Händler und Handwerker ſiedelten ſich an. So bildete ſich die Stadt „Buduſin“, ſpäter „Budiſſin“, zuweilen auch „Baudiſſen“ und erſt ſeit 1868 amtlich „Bautzen“ geſchrieben.
In das Dunkel der älteſten ſlaviſchen Vorzeit dieſer Stadt reicht kein ge fchichtliches Denkmal hinauf. Nur ein uraltes Volkslied der Wenden giebt uns einen ſchwachen Anhalt. Es erzählt uns, wie die Serben (ſo nennen ſich die Wenden ſelber) einſt gegen die Deutſchen, von deren Sprache ſie kein Sterbens wörtlein verſtanden, ins Feld gezogen ſeien, die Goldfüchſe alleſamt geſattelt, die klirrenden Sporen und blitzenden Schwerter angelegt und über die Deutſchen drei große Siege errungen hätten, und wie nach jedem ihr König die Krieger beſchenkt habe mit neuen, prächtigen Kleidern, mit Samt und Scharlach, mit Goldfüchſen und blanken Waffen.
Etwa drei Jahrhunderte lang erfreuten ſich die Milzener des Budiſſiner
Landes der Selbſtändigkeit; dann unterjochte ſie Kaiſer Heinrich der Städteerbauer
und zwang ſie, Zins zu entrichten. Markgraf Ekkehard
Eroberung ihrer Stammesburg Bautzen hat uns die Geſchichte ebenfalls keine Kunde aufbewahrt; doch ſcheint eine ſehr alte, rührend ſchöne Sage der Wenden jenes Ereignis als hiſtoriſchen Hintergrund zu haben. „Auf der Höhe eines Berges bei Budiſſin ſaßen, von dem kampfbereiten Heere umgeben, ſieben Wendenkönige und hielten Rat, wie ſie die Deutſchen beſiegen und ſich ihre Freiheit erkämpfen möchten. Die Schlacht begann. Sie war heiß und blutig. Alle ſieben wurden erſchlagen. Da begruben ſie die Ihrigen mit den goldenen Kronen auf den Häuptern unter den ſieben Steinen, worauf ſie geſeſſen, auf jener Höhe, welche deshalb noch heute ,Thronberg‘ heißt“. — In die gewonnene Veſte Budiſſin zog
Anſicht von Bautzen (Südſeite).
nun ein Statthalter des Markgrafen von Meißen ein. Von hieraus gebot derſelbe über das dem deutſchen Reiche einverleibte Land.
Dicht neben dem Schloſſe bauten ſich deutſche Ritter an und gründeten das ſogenannte Burglehn. Mit der deutſchen Herrſchaft wurde auch das Chriſtentum nach Budiſſin verpflanzt. Die Verbrennung der Leichen wurde unterſagt, die Urnenfriedhöfe wurden geſchloſſen, die Götzenaltäre zertrümmert. Dieſe Maß- nahmen konnten jedoch nur in der Hauptſtadt ſelber und in deren nächſter Um gebung durchgeführt werden. Auf den Bergen ſüdlich von Budiſſin loderten die Opferfeuer zu Ehren des Czorneboh, des ſchwarzen Gottes, und Bielebohs, des weißen Gottes, fort und fort. Dem Friedenswerke der Chriſtianiſierung und Germaniſation be reiteten kriegeriſche Zeitläufte ſchon in den erſten Anfängen ſchwere Hinderniſſe.
Der mächtige Polenherzog Boleslaus Chrobry, deſſen Reich ſich im Oſten bis nach Kiew erſtreckte, faßte den Entſchluß, die ehemaligen Slavenländer bis weſtwärts zur Saale unter ſeine Botmäßigkeit zu bringen. 27 Jahre lang, von 1002 bis 1029, dauerten die darob entbrannten Kämpfe. Bautzen ſollte während derſelben die Qualen des Krieges auf das bitterſte empfinden.
Den Tod Kaiſer Ottos
Die Stadt, wohl nur aus Holz erbaut, beſaß damals doch ſchon feſte Ring mauern mit Baſtionen; zudem hielt ſich die polniſche Beſatzung ſehr tapfer. Hier vor Bautzen wäre der Kaiſer, als er eines Tages ſeine Getreuen zum Sturm auf die Mauern ermunterte, beinahe von den Zinnen herab durch einen Bogenſchützen getötet worden. Dicht thut zur Seite traf der Pfeil ſeinen Nebenmann. „Der König aber erhob preiſend und dankend ſein Herz zum Herrn, der ihm ſeine un wandelbare väterliche Liebe und Obhut unverdientermaßen aufs neue offenbart hatte.“ So ſchreibt Biſchof Thietmar von Merſeburg in ſeinem ausführlichen Berichte über dieſen Feldzug. An jenem Tage waren die Deutſchen bereits im Begriff, durch herbeigeſchleppte Feuerbrände die Stadt den Flammen zu über geben, und ſie wäre ſicher vernichtet worden, wenn nicht ein Befehl Markgraf Gunzelins dies verhindert hätte.
Viele Deutſche fanden vor Bautzen den Tod. Unter ihnen zeichnete ſich durch große Tapferkeit ein Ritter, Namens Hemuza, aus. Er forderte die Belagerten wiederholt zum Kampfe heraus. Als dieſe einen Ausfall wagten, wurden ſie zu rückgetrieben. Allen voran ſetzte Hemuza ihnen bis dicht an die Stadtmauer nach. Dort aber traf ein von oben herabgeworfener halber Mühlſtein ſein mit dem Helme bedecktes Haupt, daß er tot niederſtürzte. Frohlockend zogen die Polen ſeinen Leichnam in die Stadt, von wo aus ihn erſt ſein ehemaliger Lehnsherr, Graf Heinrich, der Bruder Thietmars von Merſeburg, auslöſte und zurückbrachte. Am 25. Oktober wütete der wilde Kampf bis an die Spree hinab. Im Fluſſe ſtehend, leiſtete ein deutſcher Krieger, der wegen ſeines beſtändigen Jagens nur der wilde Tommo genannt wurde, den Feinden lange Zeit tapferen Widerſtand, bis er, auf den ſchlüpfrigen Kieſeln ausgleitend, zu Falle kam und alsdann trotz ſeines trefflichen Panzers den Tod erlitt. Es ſcheint bei den Belagerten Sitte geweſen zu ſein, daß man die Körper der Gefallenen mit ſich hinwegführte. Als der treue Knappe Tommos dies bei der Leiche ſeines Herrn verhindern wollte, ſtreckte auch ihn ein tödlicher Lanzenwurf nieder.
Durch Gewalt hatte Heinrich
1008 nahte von neuem ein Ungewitter. Der zwiſchen Boleslaus und dem Kaiſer geſchloſſene Friedensbund wurde von letzterem auſgekündigt. Nicht lange danach lag der gefürchtete Polenherzog vor Bautzen. Er entſandte Unterhändler in die Stadt mit der Aufforderung, ſich zu ergeben und dadurch ſich und ihm weitere Mühen zu erſparen, indem auf keinen Entſatz zu rechnen ſei. Während eines vereinbarten ſiebentägigen Waffenſtillſtandes traf Boleslaus alle Vorberei tungen zur Erſtürmung Bautzens. Die Belagerten richteten einen flehentlichen Hilferuf an den Markgrafen und die Reichsfürſten. Ihr Bote gab die Ver ſicherung, daß ſich die Stadt noch mindeſtens für ſieben Tage nach Ablauf der Waffenruhe zum Widerſtande fähig halte. Vergeblich aber ließ Markgraf Hermann alle Großen durch Geſandte um Beiſtandsleiſtung erſuchen, vergeblich ging er ſelber nach Magdeburg. Unter bitterer Beſchwerde, daß viele derſelben dort un thätig verweilten, konnte er für ſeine Truppen in Bautzen nichts thun als ſie vertröſten und zum Ausharren ermahnen.
Unterdeſſen ſtürmte Boleslaus unausgeſetzt gegen die Bollwerke der Stadt. Der mannhafte Verteidigungsmut wich erſt, als die Eingeſchloſſenen ohne alle Hilfe ſich allein überlaſſen ſahen. Nachdem ſie freien Abzug für ſich und alles, was ſie beſaßen, von dem Herzoge zugeſichert erhalten hatten, übergaben ſie dem ſelben die Stadt und zogen dann „traurigen Herzens“ heim. Seit dieſem Ge ſchehniſſe nahm Boleslaus ſtändigen Aufenthalt in Budiſſin. Von hier aus entſendete er 1010 auch eine Schar zur Überumplung Meißens. Der ge plante, mit Hilfe zweier Verräter auszuführende Handſtreich gelang jedoch nicht. Zwiſchen Furcht und Hoffnung ſchwebend, harrte Boleslaus in Bautzen auf die Rückkehr der Seinigen und wurde ob der Enttäuſchung ſehr unwillig. Doch war dies nur ein vereinzeltes Mißlingen. Im ganzen bekämpften ihn Kaiſer Heinrich Und die meißniſchen Markgrafen mit wenig Glück.
Die kriegeriſchen Unternehmungen wurden zuweilen von Friedensverhand lungen unterbrochen, ſo im Juli 1012 und im Januar 1017. Ein endgiltiger Friedensſchluß erfolgte erſt am 30. Januar 1018 zu Bautzen. Zu den Be dingungen desſelben gehörte, daß Boleslaus die Tochter des verſtorbenen Mark grafen Ekkehard, mit Namen Oda, uni die er lange ſchon geworben hatte, zur Gemahlin erhalten ſollte. Boleslaus ſchickte ſchleunigſt ſeinen Sohn Otto zur feierlichen Einholung der Markgräfin aus. In ſeiner Grenzveſte Seitſchen, einem Dorfe weſtlich von Bautzen, ließ er der Braut einen glänzenden Empfang bereiten. Es war in der Nacht des 3. Februar 1018, als ſich der Zug dem Orte näherte. Da flammten zahlreiche Lichter auf; beim Scheine von Fackeln und unter Zulauf einer ungeheuren Menſchenmenge begrüßte der glückliche Herzog die erſehnte Braut, mit der er ſich ſofort zu Bautzen vermählte. Obgleich Boleslaus Chriſt war, beging er doch in der Faſtenzeit ohne biſchöfliche Erlaubnis
die Hochzeit. Die kurze Ehe der ſchönen Oda mit dem Barbaren gehört nicht
mehr in den Bereich unſrer Betrachtung. 1024 ſtarb Boleslaus Chrobry.
Unter ſeinem Sohne und Nachfolger Mieczislaus loderten die Flammen des
Krieges von neuem empor. Während jener Wirren belagerte Kaiſer Konrad
Der Reiſende, welcher ſich der vielgetürmten Hauptſtadt Luſatiens von Weſten her nähert, iſt hoch entzückt über den maleriſchen Anblick, den dieſelbe gewährt. Noch ſtehen unverſehrt größere Teile der alten Ringmauern, „zeugend von dem eiſernen Sinne derer, die ſie gebaut“. Noch ragen darüber hinaus viele dicke Rundtürme, Baſteien genannt, manche ſchier vergeſſen, in Gärten, umrankt von Bäumen und Geſträuch. Noch blicken alte Thorhäuſ er aus längſt entſchwundenen Zeiten herab in das Gewimmel der Gegenwart. Noch walten die Türmer auf den hohen Auslugwarten ihres Amtes, jedoch nicht mehr nach nahenden Feinden ſpähend. Noch ſtreckt die Ortwins- oder Ortenburg, aller dings in erneuerter Geſtalt, ihre Zinnen ſtolz zum blauen Äther empor. Noch tragen hervorragende Bauwerke die ſteinernen Reliefbildniſſe mittelalterlicher Landesherren. Auf dem höchſtgelegenen Punkte der Stadt, an der nämlichen Stelle, wo Deutſche ehemals das älteſte Kirchlein als erſte Pflanzſtätte des Chriſten tums in der Lauſitz errichteten, thront der rieſenhafte Bau des Domes zu St. Peter. Andere Kirchen aus alter Zeit ſind noch als Ruinen vorhanden, ſo die mitten in der Stadt befindliche Franziskaner-Kloſterkirche mit ihren hohen gotiſchen Fenſterbögen aus rotem Ziegelwerk und die am Abhange des Spree thales wunderbar ſchön gelegene Nikolaikirche, deren leere Fenſterhöhlen einen kleinen, blumigen Friedhof umrahmen.
Welch ein Genuß für den Altertumsfreund, dieſe Stadt zu durchwandern!