Kapitel 25. Eine Wanderung durch die ſächſiſche Schweiz.

Mit dem Namen „ſächſiſche Schweiz“ bezeichnet man gewöhnlich denjenigen Teil des zu beiden Seiten des Elbſtromes gelegenen Sandſteingebirges oder Meißener Hochlandes, welcher durch ganz beſonders eigentümliche und groß- artige Felsbildungen ausgezeichnet iſt. Es iſt dieſer Teil zwiſchen der ſächſiſchen Stadt Pirna und dem erſten böhmiſchen Dorfe Hernskretſchen gelegen.

Die Sandſteinfelſen erſcheinen hier wie aufeinander gepackt und ſemmel­ zeilenartig geſchichtet und ſind infolge der Verwitterung, namentlich durch den zerſtörenden Einfluß des Waſſers, aller ſcharfen Ecken und Kanten beraubt und ſehr zerklüftet. Einzelne haben ganz wunderliche Formen; man ſpricht von einem Lamm, einer Lokomotive, einem ſteinernen Sarge, einem ſteinernen Hauſe, einem Froſchmaul u. dgl. Auch an Höhlen und Klüften iſt die ſächſiſche Schweiz reich.

Zwiſchen den hohen Steinwänden ziehen ſich enge, oft ſchauerliche Thäler und Schluchten hin, und ſo iſt es denn kein Wunder, daß die vom dem Meißel des Steinbrechers noch verſchonten Teile des Gebirges, in denen die genannten Eigentümlichkeiten in voller Schönheit zu beobachten ſind, alljährlich durch Hundert­ tauſende von Naturfreunden aus allen Teilen Deutſchlands, beſonders aber aus

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Ein Blick von der Baſtei in der ſächſiſchen Schweiz. Ein Blick von der Baſtei in der ſächſiſchen Schweiz.

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den ſächſiſchen Großſtädten und aus Berlin, auſgeſucht und bewundert werden. Es iſt dies jedoch noch nicht allzulange der Fall.

In früheren Jahrhunderten waren dieſe einſamen Thäler und Schluchten faſt ganz unbekannt, ſo unbekannt, daß man ſie während des 30jährigen Krieges als ſichere Zufluchtsſtätten für Menſchen und Vieh benutzen konnte. Das Verdienſt, die ſächſiſche Schweiz aufgeſchloſſen zu haben, gebührt namentlich zwei ſächſiſchen Geiſtlichen, Wilhelm Leberecht Götzinger, Pfarrer in Neuſtadt bei Stolpen, geſtorben im Jahre 1818, und C. H. Nicolai, Pfarrer in Lohmen, geſtorben 1823. Neben ihnen ſind zu nennen der Maler Anton Graff an der Dresdner Kunſtakademie, geſtorben 1813, und der Kupferſtecher Adrian Zingg, geſtorben 1816. Während die erſteren durch ihre Schriften auf die Schönheiten des Gebirges aufmerkſam machten, brachten die letzteren durch wohlgelungene Bilder die Reize desſelben zur Anſchauung. Auch in den „Maleriſchen Wande­ rungen durch Sachſen“ von Karl Auguſt Engelhardt iſt die Gegend, welche ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts den Namen „ſächſiſche Schweiz“ trägt, erwähnt und zu einem Teile beſchrieben. Neuerdings hat der Gebirgsverein für die ſächſiſche Schweiz auch den entlegeneren Punkten die allgemeine Aufmerkſamkeit zu­ gewendet, indem er Weg und Steg zu denſelben bezeichnet und geebnet hat.

Treten wir nun einmal eine Wanderung in die große „Felſenſtadt“ an! Freilich, die Großartigkeit und Pracht läßt ſich nicht durch Worte ausdrücken, man muß ſie ſehen; und auch die Bilder, die nachfolgender Beſchreibung beigegeben ſind, können nur als ein ſehr unvollkommener Erſatz für das, was die Wirklichkeit dem Auge bietet, bezeichnet werden.

Der am meiſten beſuchte Punkt der ſächſiſchen Schweiz iſt die Baſtei; er wird faſt allgemein auch als der ſchönſte bezeichnet. Man erreicht ihn von Dresden aus in einigen Stunden. Wer Reiſende benutzt bis zur Station Pötzſcha die Eiſenbahn und fährt als dann über die Elbe nach dem Orte Wehlen. Nach kurzer Wanderung kommt er in den Wehlener und den ſich aufchließenden Uttewalder Grund. Heilige Stille wie in einem erhabenen Dome herrſcht zwiſchen den himmelanſtrebenden Felswänden. Hier und da treten dieſelben ganz nahe zu­ ſammen zu quetſchender Enge, anderwärts bilden ſie Thore, Niſchen und Höhlen. Bald ſind die Felſen in ehrwürdiges Grau gekleidet, bald leuchten ſie in dem freundlichen Gelb der Schwefelflechte. Bald wird der Weg geſperrt durch ge­ waltige Felsblöcke, bald wird er umſäumt von ſaftigem Grün; immer aber wölben majeſtätiſche Tannen und Fichten, die zuweilen förmlich an den Felſen empor­ klettern, ihre weithinragenden Äſte über dem Haupte des andächtig dahin­ ſchreitenden Wanderers.

Mitten im Grunde weiſt ein Täfelchen rechts nach der Baſtei. Schlägt man den an dieſer Stelle abzweigenden Weg ein, ſo gelangt man durch den ſchönen und in ſeinem erſten Teile ebenfalls ſehr großartigen Zſcherregrund in etwa einer Stunde ans Ziel der Wanderung, auf die Baſtei, einen jäh über die übrigen Felſenplatten hinausragenden Vorſprung, der 210 Meter hoch über der Sohle des Elbthals liegt.

Unvergleichlich ſchön iſt der Blick von dieſer Felſenkanzel aus. Ein ganzes

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Felſenmeer, ein wahres Labyrinth von großen und kleinen Blöcken, Spitzen und Kuppen liegt vor dem Beſchauer ausgebreitet: zu den Füßen der mit Dampf­ schiffen, Kähnen und Flößen belebte Strom, gegenüber die Rauenſteine, weiter

Das Felſenthor im Uttewalder Grunde in der ſächſiſchen Schweiz. Das Felſenthor im Uttewalder Grunde in der ſächſiſchen Schweiz.

nach links der Königſtein und Lilienſtein und daneben weithin ſich dehnende Hoch­ flächen mit ihren ſchwarzen Wäldern und felſigen Scheiteln.

Von hier aus lenkt man ſeine Schritte gewöhnlich nach dem Amſelgrunde. Nach Beſichtigung des unmittelbar hinter dem Gaſthauſe zur Baſtei liegenden Felſenkeſſels und der ebenſo kunſtvoll wie großartig ausgeführten Baſteibrücke, welche eine Anzahl ſchroffer, vereinzelt liegender Felſenkegel miteinander verbindet

Die Baſteibrücke in der ſächſiſchen Schweiz. Die Baſteibrücke in der ſächſiſchen Schweiz.

und die ſogenannte Martertelle, eine die Baſtei von den Felſen des Amſelgrundes ſcheidende Schlucht, überwölbt, ſteigt man raſch bergab zum Amſelgrunde und gelangt alsdann zum Amſelfall, der zwar mit den gewaltigen Waſſerfällen anderer Gebirge keinen Vergleich aushält, in ſeiner Beſcheidenheit aber dennoch zur Belebung und Verſchönerung der Gegend nicht wenig beiträgt.

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Vom Amſelfalle aus geht man den ſchönen Thalweg wieder zurück und kommt nach dem Dorfe Rathen, von wo aus man zu Schiff oder auch mit dem Dampfwagen die Weiterreiſe antreten kann.

Der Amſelfall in der ſächſiſchen Schweiz. Der Amſelfall in der ſächſiſchen Schweiz.

Touriſten, welche wenig Zeit haben, begnügen ſich meiſt mit der ſoeben be­ ſchriebenen Partie, die man bequem in einem Tage machen kann; andere, welche ein vollkommeners Bild gewinnen wollen, ſchließen daran die ſogenannte große Tour. Dieſe wird von der überaus reizend gelegenen Stadt Schandau aus an­ getreten. Zu Wagen erreicht man nach einer einſtündigen Fahrt den Lichtenhainer Waſſerfall. Von hier aus ſteigt man auf zum Kuhſtall, einer Felſenhöhlung

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von 4—11 Meter Höhe und 8—17 Meter Breite. Tritt man an den Ausgang der Höhlung, ſo eröffnet ſich dem Auge eine unvergleichliche Ausſicht. Eine wilde Wald- und Felſenlandſchaft liegt vor dem Blicke des Beſchauers ausgebreitet: überall dunkles Nadelholz, nur hier und da vom Grün der Buchen etwas erhellt, und überall zackige Hörner und zerklüftete Wände, nirgends das friedliche Bild menſchlicher Wohnungen. Wahrlich, trotz ſeiner Düſterkeit ein feſſelndes Bild! Durch eine enge Kluft, in die ſich ein etwas beleibter Menſch nur mit Bangen wagt, gelangt man auf die Plattform des Felſens, der über dem Kuhſtalle lagert. Hier findet man alte Mauerreſte, Wölbungen und auch die Andeutung einer

Der Kuhſtall in der ſächſiſchen Schweiz. Der Kuhſtall in der ſächſiſchen Schweiz.

Ciſterne. Man will aus dieſen Anzeichen ſchließen, daß der Felſen einmal bewohnt geweſen iſt. Gewiß iſt nur ſo viel, daß während der Drangſale des dreißig­ jährigen Krieges die Landleute aus der Um­ gegend zeitweiſe ſich hierher flüchteten und namentlich ihr Vieh hier verborgen hielten. Die­ ſer Umſtand hat der Felſenhöhlung auch den Namen Kuhſtall ver­ liehen. In nächſter Nähe des Kuhſtalles befinden ſich noch ver­ ſchiedene andere, nur ſchwer zugängliche Höh­ len, unter anderen das Schneiderloch und das Pfaffenloch, beide nach den Perſonen genannt, die in Zeiten der Gefahr in denſelben Zuflucht ſuchten.

Von dem Fuße des Kuhſtalles aus fährt ein prächtiger Waldweg, zum Teil im Zickzack angelegt, nach den Winterbergen, von denen der große, 555 Meter hoch, die höchſte Erhebung des ganzen Meißner Hochlandes iſt. Eine umfaſſende Ausſicht genießt man von dem Turme des Winterberges aus auf die in unmittel­ barer Nähe liegenden Felſenpartien der ſächſiſchen Schweiz und über einen großen Teil des öſtlichen Sachſen, ſowie über die an Naturſchönheiten reichen Gegenden des benachbarten Böhmens.

Man kann die große Tour durch die ſächſiſche Schweiz nicht beenden, ohne noch einen kleinen Teil der böhmiſchen Schweiz hinzuzunehmen. Auf dem Wege nach dem Orte Hernskretſchen, von welchem aus man gewöhnlich die Rückfahrt antritt, überſchreitet man die ſächſiſch-böhmiſche Landesgrenze, und drüben im

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Böhmerlande berührt man nun noch einen Glanzpunkt des Gebirges, das Pre­ biſchthor. Das Prebiſchthor wird gebildet aus einem ganz frei in ein ſteil ab­ fallendes Thal hinaustretenden Felſenpfeiler, der mit der Wand, zu der er offenbar urſprünglich gehört hat, nur durch eine ſtarke, etwas gewölbt erſcheinende Platte verbunden iſt. Die Wand, der Pfeiler und die darüber liegende Decke

Das Prebiſchthor in der ſächſiſch-böhmiſchen Schweiz. Das Prebiſchthor in der ſächſiſch-böhmiſchen Schweiz.

geben dem Ganzen eine höchſt merkwürdige Form, die allerdings einem Rieſen­ thore nicht unähnlich iſt. An der Seite des Thores kann man bis zur Deckplatte (443 Meter Meereshöhe) hinaufſteigen, um von dieſem hohen Punkte aus einen Blick auf die von mächtigen Wäldern umſäumte Felſenwelt der nächſten Um­ gebung zu thun. Am intereſſanteſten erſcheinen der Prebiſchkegel und die zahl­ loſen unregelmäßigen kleinen Säulen und Pyramiden am Fuße desſelben, ſowie die ſonſtigen durch eine Verwitterung entſtandenen wunderlichen Steingebilde.

Der Weg vom Prebiſchthor aus bis nach Hernskretſchen führt nun immer abwärts und endet in einem prächtigen Grunde, dem Kamnitzthale, das an ſeinem Ausgange vom Elbſtrome abgeſchloſſen wird.

Anſicht von Schandau (Elbſeite). Anſicht von Schandau (Elbſeite).

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Die beſchriebene Partie wird die große Tour genannt; damit ſoll aber nicht geſagt ſein, daß der Touriſt auf derſelben die Reize der Landſchaft völlig und erſchöpfend kennen lerne; nein, man könnte wochenlang in dem Gebirge der ſächſiſchen Schweiz umherſtreifen und würde bei jedem Ausfluge immer neue Schön­ heiten entdecken. MoritzBaron.