Kapitel 23. Pirnaiſches Elend.

  1. Die Schwedennot im Jahre 1639.

In den erſten Zeiten des furchtbaren dreißigjährigen Krieges wurde die Stadt Pirna wenig in Mitleidenſchaft gezogen. Wohl waren öfters arme evangeliſche Auswanderer aus Böhmen, Steiermark und Öſterreich, welche ihrer Religion wegen die Heimat verlaſſen mußten, gekommen und hatten unterſtützt werden müſſen, wohl hatte die Stadt auch mehrfach Beſatzungen und durchziehende Truppen zu verpflegen gehabt, wohl auch mehrmals Lieferungen an Lebensmitteln und Kriegsbedarf in die kurfürſtlich ſächſiſchen Feldlager leiſten und zu der im Lande erhobenen Kriegsſteuer, der ſogenannten Soldatenſteuer, erheblich beitragen müſſen, wohl hatten auch kaiſerliche Streifcorps die Stadt berührt und in den Vorſtädten und der Umgebung gehauſt; immerhin waren die eigentlichen Schrecken des Krieges den Bewohnern erſpart geblieben. Doch ſollte es nach 1635 anders werden. Der Kurfürſt Johann Georg I. hatte, nachdem am 24. November 1634 zu Pirna die Bedingungen feſtgeſetzt worden waren, am 30. Mai 1635 zu Prag mit dem Kaiſer Frieden geſchloſſen und ſich von dem bisher mit den Schweden eingegangenen Bündniſſe losgeſagt. Zwar war ihm dadurch ein bedeutender Zu­ wachs an Land geworden, denn er erhielt das bisher als Pfand innegehabte Markgrafentum der Ober- und Niederlauſitz erbeigentümlich; aber er zog ſich auch dadurch die erbittertſte Feindſchaft der Schweden zu, unter welcher ſein armes Land in der Folge furchtbar zu leiden hatte.

Im Prager Frieden hatte ſich Johann Georg I. auch verpflichtet, zur Ver­ treibung der Schweden aus Deutſchland mitzuwirken. Noch im Jahre 1635 war er deshalb mit einem ſtarken Heere ins Magdeburgiſche Gebiet eingerückt und hatte dasſelbe bald von den Schweden geſäubert. Doch wurde er im ſelben Jahre zweimal von den Schweden geſchlagen und erlitt auch, trotzdem er ſich mit dem öſterreichiſchen General Hatzfeld verbunden hatte, 1636 bei Wittſtock und 1637 bei Eilenburg durch den ſchwediſchen General Baner ſchwere Niederlagen. Baner rückte bis Leipzig vor, konnte dasſelbe zwar nicht einnehmen, ließ aber dafür die Umgebung meilenweit verwüſten. Die Jahrbücher der Städte Wurzen, Leisnig, Colditz, Grimma, Strehla, Meißen u. a. m. wiſſen davon zu erzählen. 1638 hatte Bauer die Kaiſerlichen nach Schleſien und Böhmen gedrängt, die Städte Zwickau und Chemnitz beſetzt und war zur Belagerung von Freiberg verſchritten.

Wohl war Freiberg durch kaiſerliche und kurfürſtliche Truppen entſetzt worden, und es hatten die Schweden weichen müſſen; am 4. April 1639 aber wurden die Verbündeten im unglücklichen Treffen bei Chemnitz völlig geſchlagen. Da ſie ſich hierauf nach Böhmen zurückzogen, ſo war Sachſen nunmehr gänzlich ſchutzlos. Bauer rückte am 10. April mit ſeinem Heere abermals vor Freiberg.

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Wacker verteidigten die Freiberger die alte Bergſtadt, und die Schweden konnten nichts ausrichten. Am 15. April hob Baner die Belagerung auf und zog mit ſeinem Heere der Elbe zu, um nach Böhmen vorzudringen. Daß er auf dieſem Zuge ſich des wichtigen Ortes Pirna und ſeines feſten Schloſſes zu bemächtigen ſuchen würde, lag klar auf der Hand. Deshalb hatte der Kurfürſt den Oberbefehl über Stadt und Schloß einem ſehr tüchtigen Manne anvertraut, dem Oberſt­ lieutenant der Artillerie, Johann Siegmund von Liebenau. Derſelbe hatte alles gethan, was in ſeiner Macht ſtand, um die Verteidigungsfähigkeit der beiden ihm anvertrauten Poſten zu erhöhen und dem zu erwartenden Angriffe die Spitze zu bieten.

Am 16. April — es war ein Oſterdienstag — langte die unſelige Nach­ richt an, daß das feindliche Heer im Anzuge gegen Pirna ſei. Trotzdem ging man zur Kirche, um, wie es damals noch üblich war, den dritten Feiertag zu feiern. Da (es war morgens 8 Uhr, eben hatte der Superintendent Reichhardt die Predigt begonnen) drang Kanonendonner in die feierliche Stille des Gotteshauſes. Der Kommandant Liebenau zeigte dadurch der Bürgerſchaft das Nahen des Banerſchen Heeres an. Jäh wurde die heilige Handlung unterbrochen. Alles eilte aus der Kirche nach Hauſe; galt es doch kräftigen Widerſtand zu leiſten, da die Stadt nur auf ihre Bürger und eine ſchwache Beſatzung angewieſen war. Um den Schweden möglichſt erfolgreich entgegentreten zu können, ließ der Kom­ mandant die Häuſer in den Vorſtädten auf 50 Schuh im Umkreiſe vom Stadt­ graben niederbrennen. Mehrere hundert Häuſer gingen dadurch zu Grunde. Sofort nach ihrer Ankunft trafen die Schweden die Vorbereitungen zu einer regelrechten Belagerung. Stadt und Schloß wurden von allen Seiten eingeſchloſſen, Schanzen aufgeworfen, Laufgräben gezogen, Minen gegraben. Tag und Nacht wurde gearbeitet. Die Feinde ließen ſich auch durch das heftige Feuer nicht ſtören, welches vom Schloſſe, von den Mauern und Türmen auf ſie eröffnet wurde.

Am 23. April war Baner mit ſeinen Arbeiten ſo weit vorgeſchritten, daß er den Sturm beginnen konnte. Von früh 8 Uhr an ließ er die Stadt aufs heftigſte beſchießen. Nachdem eine Aufforderung zur Übergabe von Liebenau abſchläglich beſchieden worden war, wurde am Dohnaiſchen Thore Breſche geſchoſſen. Baner ließ Minen ſpringen und die Gräben mit Faſchinen (Holzbündel) füllen. Mit­ tags 12 Uhr befahl er, Sturm zu blaſen. Der Kampf war ein kurzer. Die geringe Beſatzung und die wenigen bewaffneten Bürger — die meiſten Bürger waten beim Breſcheſchießen davongelaufen – waren der großen Anzahl der An­ greifer nicht gewachſen. Bald drangen die Schweden in die Stadt. Der Kom­ mandant Liebenau, einſehend, daß er dieſelben nicht mehr aus der Stadt vertreiben könne, zog ſich mit ſeinen Soldaten auf den Sonnenſtein zurück und überließ das unglückliche Pirna ſeinem Schickſale. Entmutigt durch den Abzug Liebenaus, ver­ ließen auch die Bürger ihre Poſten und flohen in ihre Häuſer. Unaufgehalten drangen die Schweden überall vor, und die Straßen der Stadt wurden nun der Schauplatz der ſchrecklichſten Scenen. Wer ſich ſehen ließ, wurde ohne Gnade niedergehauen, erſtochen, erſchoſſen oder totgeſchlagen. In kurzer Zeit verloren über 300 Bürger ihr Leben. Stellenweiſe lagen die Toten ſo dicht, daß eine An­

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zahl angeſehener Männer, welche man gefangen wegführte, über dieſelben hinweg­ ſchreiten mußte.

Übertroffen wurde die Mordluſt der Schweden noch von ihrer Raubgier. Alle Häuſer wurden geſtürmt, die unglücklichen Bewohner durch ſcheußliche Mar­ tern und Greuelthaten zur Herausgabe von Geld und Gut gezwungen, alle bewegliche Habe, als Geräte, Getreide, Vieh, Eßwaren, Getränke u.ſ.w., wurde geraubt. Wer fliehen wollte, wurde erbarmungslos totgeſchlagen, keines Alters, Geſchlechtes und Standes wurde geſchont. Mehrere hundert Menſchen hatten ſich in die Hauptkirche und deren Sakriftei geflüchtet; aber auch das Heiligtum bot keine Sicherheit. Die entmenſchten Barbaren drangen auch hier ein, raubten alles, was ſie vorfanden, und verübten die ſcheußlichſten Grauſamkeiten, ſchoſſen auf die wehrloſen Flüchtlinge, verwundeten viele und töteten ſogar zwei Bürger am Altare. Auch in das Rathaus ſtürmten die wilden Horden; die alten Urkunden, Kaufbücher, Rechnungen und andere wertvolle Schriften, darunter auch die Handſchrift des Pirnaer Mönchs — eine ſehr wertvolle geſchichtliche Darſtellung — riß man aus den Schränken und warf ſie zu den Fenſtern hinaus. Schon begannen die Soldaten die Lagerfeuer auf dem Markte damit zu nähren und Patronen daraus zu fertigen, als der Bürgermeiſter Werner ſich an Baner wandte und die Erlaubnis erhielt, zu retten und ins Rathaus zurückzubringen, was zu retten war. Viele wertvolle Urkunden waren aber bereits vernichtet.

Die Plünderung und die Gewaltthätigkeiten der Schweden dauerten bis zum 25. April fort; kein Winkel, kein Loch blieb undurchſucht, ſogar die Keller wurden aufgegraben. Endlich, nachdem der Rat ſich in einem demütigen Schreiben an Bauer gewandt hatte, erteilte derſelbe am 26. den Bewohnern einen Schutzbrief; aber es war alles ausgeplündert, und es mangelte an der nötigen Nahrung. Über 400 Bürger und Einwohner verließen deshalb Haus und Hof, wanderten aus und ſuchten an anderen Orten ihr Fortkommen. Einer größeren Anzahl war es vorher gelungen, aus der Stadt zu fliehen und ſich gleich anderen Be­ wohnern der Umgegend in den ſchwer zugänglichen Felsklüften der ſächſiſchen Schweiz zu verbergen. Die Schwedenlöcher, der Kuhſtall u.a. erinnern noch heute daran. Traurig ſah es aber in Pirna aus. Die Leichen der Erſchlagenen blieben 8 Tage lang unbegraben auf den Gaſſen liegen; endlich wurden 200 auf dem Kloſterkirchhofe und ebenſo viele auf dem Stadtkirchhofe beerdigt. Särge zur Be­ erdigung fehlten faſt gänzlich, und die Leichen wurden deshalb ſchichtenweiſe in Gruben neben- und übereinander gebettet. Viele Einwohner lagen ſchwerverwundet darnieder, und eine große Zahl erlag den Verwundungen. In einem vom Rate zu Pirna 1639 abgeſandten Berichte über die Vorgänge bei der Einnahme Pirnas durch die Schweden wird der geſamte Verluſt Pirnas an Toten auf „600, die teils niedergehauen, teils geſtorben ſind,“ angegeben.

Die Schweden ſetzten ſich nun in der Stadt ernſtlich feſt und ſuchten auch das Schloß Sonnenſtein in ihre Gewalt zu bringen. Sie glaubten, daß ihnen dies keine großen Schwierigkeiten bereiten würde; aber ſie hatten ſich hierin ſehr getäuſcht. Liebenau war ein äußerſt tüchtiger Kommandant und ſchlug alle An­ griffe aufs tapferſte ab. Freilich litt Pirna ſehr darunter. Durch das heftige

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Feuer, welches die Beſatzung herabſandte, fand mancher Bewohner ſeinen Tod, und vieles Eigentum wurde vernichtet. Als Baner die Unmöglichkeit einſah, das feſte Schloß einzunehmen, wandte er ſich mit ſeiner Hauptmacht nach Böhmen, ließ aber eine ſtarke Beſatzung in der Stadt. Dieſe Beſatzung mußten die Bürger beherbergen und verpflegen; ſo wurden z. B. anfangs für die Offiziere allein wöchentlich 1500 Reichsthaler gefordert. Als die Bürger dieſe Steuer nicht be­ ſchaffen konnten, begnügte man ſich mit der Verpflegung durch die Wirte; zur Verpflegung des Kommandanten der Schweden mußte jedoch der Rat wöchentlich 100 Reichsthaler aufbringen.

Aber nicht genug, daß der Feind der armen übriggebliebenen Bürgerſchaft dieſe ſchweren Laſten aufbürdete, auch das Plündern und Erpreſſen wurde fort­ geſetzt. Faſt täglich wurden die Häuſer durchſucht; was gefunden wurde, wurde weggenommen, es half kein Bitten, kein Flehen, auch der erteilte Schatzbrief nicht. Wiederholt ſuchte der ſächſiſche Kurfürſt ſich der Stadt wieder zu bemächtigen oder wenigſtens das Schloß zu verproviantieren und Mannſchaften hineinzuwerfen; das letztere gelang, das erſtere aber nicht, denn auch die Schweden zogen fort­ während neue Mannſchaften herbei. Der Mangel an Lebensmitteln wurde da­ durch ein ſo großer, daß man in der Stadt keinen Biſſen Brot bekommen konnte und bald furchtbare Hungersnot herrſchte. Viele Perſonen, meiſt Frauen, wurden daher aus der Stadt gewieſen. Meilenweit ritten und liefen die Soldaten auf den Dörfern und in den Städten umher und raubten und brandſchatzten, ſoviel ſie konnten. Wehe der Ortſchaft, welche nicht lieferte! So wurde die ganze Gegend bis nach Sebnitz, Radeberg, Geiſing ausgeſogen. Vieh z. B. war nir­ gends mehr zu finden, alles hatten die Schweden zuſammengetrieben.

Tauſende von Dorf- und Stadtbewohnern waren infolge der furchtbaren Bedrückungen aus ihrer Heimat geflohen und hatten ſich unter den Schutz der Feſtung Königſtein begeben. Seit Oſtern hatten die meiſten von ihnen unter freiem Himmel gelegen, es waren deshalb Krankheiten aller Art unter ihnen aus­ gebrochen; dazu kam, daß nun auch Hunger eintrat. Vom 29. Auguſt an wurde in den Kirchen Dresdens für die unter dem Königſtein lagernden Bauern öffent­ lich Fürbitte gehalten. In dieſe Fürbitte wurden auch die armen Pirnaer eingeſchloſſen, denen es beſonders in der letzten Zeit der Schloßbelagerung ganz traurig erging. Nicht genug, daß die unglücklichen Bewohner ihr Hab und Gut hergeben mußten, ſie mußten auch die ſchwerſten Arbeiten verrichten. Männer, Weiber und Kinder wurden gezwungen, Schanzen aufzuwerfen, Gräben anzulegen, Waſſer zu pumpen, Getreide zu tragen und an den Kommißmühlen zu drehen, welche aus ſteinernen Thürſchwellen und Sitzſteinen gefertigt wurden (in der ganzen Umgebung Pirnas gab es nämlich nicht eine einzige Mühle mehr). Oft wurden ſie des Nachts zu dieſen Arbeiten aus den Betten geſchleppt, ſo daß viele durch Erkältung und Schreck krank wurden und ſtarben, darunter der Bürger­ meiſter Hans Promnitz.

Durch den fortwährenden Kampf ging natürlich auch alles das, was in den Vorſtädten und in der Umgebung noch übrig geblieben war, zu Grunde, ſo daß von über 300 Häuſern, 20 Vorwerken, 42 Scheunen, der Nikolaikirche, dem

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Hoſpital, dem Lazarett, dem Zollhauſe, dem Marſtalle, dem ganzen Dorfe Copitz und 6 Mühlen nichts mehr übrig war. Sämtliche Obſtanlagen, Gärten, Äcker und Weiden im Stadtgebiete waren ebenfalls vernichtet.

Am 22. September kehrte Baner ſelbſt wieder nach Pirna zurück. Da alle Anſtrengungen, den Sonnenſtein zu nehmen, vergeblich geweſen waren, ſo beſchloß er, ſich weiter nach Weſten zu wenden, vorher aber aus Rache für die ſchweren Verluſte, die er hier erlitten hatte (fluchend hat er ſelbſt eingeſtanden, daß ihm die Blockade des Schloſſes 1900 Mann, der Sturm auf die Stadt 1100 Mann gekoſtet habe), die Stadt gänzlich zu zerſtören, damit dem Gegner nichts übrig bliebe als eine leere Stätte. Als der Rat und die Bewohner dieſe ſchreckliche Ab­ ſicht erfuhren, beſchloſſen ſie, dem Feldmarſchall in einem demütigen Schreiben vorzuſtellen, welch große Not die Stadt bereits erlitten habe, und ihn um gnädige Schonung anzuflehen. Das Schreiben wurde durch eine Abordnung überreicht, von Baner auch angenommen und geleſen, dann aber vor den Augen der Ab­ geſandten zerriſſen und auf den Boden geworfen, wobei der Feldmarſchall hohn­ lachend auf das Beiſpiel des Kurfürſten hinwies, der auch kein Bedenken getragen habe, ſeine eigene Stadt zu bombardieren. Wohl verſuchten Rat und Bürger­ ſchaft noch zweimal, das eine Mal ſogar fußfällig, den Entſchluß Baners zu ändern, aber vergebens; ſie erhielten nur den troſtloſen Beſcheid, innerhalb zwei Stunden die Stadt zu verlaſſen, wenn ſie nicht verbrennen wollten.

Volle Verzweiflung bemächtigte ſich nun der armen Bürgerſchaft. Weinend und zitternd verließen die meiſten mit Weib und Kind und der geringen Habe, die ihnen noch geblieben war, unter ſtrömenden Regen ihre geliebte Heimatſtadt und wandten ſich nach Poſta, Wehlen, Rathen, Königſtein u. ſ. f.; nur wenige mutige Männer waren noch geblieben, um zu retten, was zu retten war.

Bereits war die Zerſtörung der Stadt in vollem Zuge; ſchon fing man an, die Stadtmauern einzureißen, die Thore und Türme in die Gräben zu werfen, die Wälle der Erde gleich zu machen; ſchon drangen die wilden Soldaten auf Befehl Baners in die Häuſer zur letzten Plünderung; bereits ſchlugen ſie Thüren, Fenſter und alles, was nicht niet- und nagelfeſt war, mutwillig entzwei; ſchon waren die Türme und viele Häuſer mit Stroh, Holz und Pechkränzen gefüllt worden; da rettete ein mutiger, wackerer Bürger, der Apotheker Theophilus Ja­ kobäer, mit Hilfe eines mitleidigen ſchwediſchen Offiziers des Oberſten Öſterling, welcher den Befehl zum Niederbrennen hatte, die Stadt vor dem völligen Unter­ gange. Auf den Rat dieſes menſchenfreundlichen Mannes unternahm Jakobäer mitten in der Nacht auf dem Pferde des Offiziers einen zu jener Zeit ſehr ge­ fährlichen Ritt zur Gemahlin des Kurprinzen, Magdalena Sibylla, welche mit dem ſchwediſchen Hofe verwandt war, und erlangte von dieſer eine ſchriftliche Fürbitte an Baner; und wirklich gab Baner derſelben auch Gehör; er ließ dem Rate und der Bürgerſchaft erklären, er wolle auf empfangene Fürbitte der Ge­ mahlin Herzog Johann Georgs zwar die Stadt mit dem angedrohten Brande verſchonen, aber die Türme, Thore und das Salzhaus müßten nach Kriegsbrauch angezündet und zerſtört werden. So war durch die kühne That Jakobäers die Stadt gerettet; noch heute hält man in Pirna das Andenken dieſes mutigen

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Mannes hoch in Ehren, und eine Gedenktafel an ſeinem ehemaligen Wohnhauſe (Markt Nr. 17) nennt ihn „den Reiter der Stadt“.

Der Kommandant der Stadt, Oberſt Jitzwitzky, erhielt nun von Baner den Befehl, ſchleunigſt von Pirna abzurücken. Am 25. September zog denn auch die ſchwediſche Beſatzung ab, nachdem ſie vorgenannte Gebäude noch in Brand geſteckt und zerſtört hatte. Nach und nach kehrte nun auch die geflüchtete Bürgerſchaft zurück. Traurig, unendlich traurig ſah es aber in Pirna aus. Thore, Türme, Mauern geſchleift, die Vorſtädte niedergebrannt, in der Stadt ſelbſt 70 Häuſer zerſtört, die Thüren und Fenſter der übrigen Gebäude eingeſchlagen, die Waſſer­ leitungen durch das fortwährende Minieren vollſtändig vernichtet, die Straßen voller Schutt und Unrat — bot die Stadt einen grauenhaften Anblick. Man be­ rechnete damals den etwa zu ſchätzenden Schaden, den die Schweden verurſacht, auf 100 000 Reichsthaler; unendlich größer war der nicht ſchätzbare, der durch) Stockung des Handels und Wandels in der alten Handelsſtadt entſtanden war. Schwer, ſehr ſchwer und ſehr langſam konnte ſich Pirna von dem „Pirnaiſchen Elend“ erholen; den früheren Standpunkt (Pirna war Ende des 15. Jahrhunderts mindeſtens ebenſo groß wie Dresden) hat es nie wieder erreicht.

II. Eine neue Schwedennot in den Jahren 1706 und 1707.

Kurfürſt Auguſt der Starke hatte, getrieben von perſönlicher Eitelkeit, die polniſche Königskrone erworben, eine Krone, um deretwillen unſerem armen, noch unter den Wehen des dreißigjährigen Krieges ſchwer ſeufzenden Vaterlande, beſonders aber wiederum der guten Stadt Pirna abermals die größten Opfer auf­ erlegt wurden. Sachſen wurde bekanntlich in den großen nordiſchen Krieg verwickelt, welcher dem Lande gegen 100000 Landeskinder und 88 Millionen Reichsthaler koſtete; denn faſt nur mit ſächſiſchem Gelde und mit ſächſiſchen Landes­ kindern führte Auguſt den im polniſchen Intereſſe unternommenen Krieg. Nach dem Frieden zu Altranſtädt (1706) blieb der Sieger Karl XII., König von Schweden, noch gegen ein Jahr in Sachſen, und das arme Land mußte während dieſer Zeit 20000 ſchwediſche Soldaten erhalten. Mit faſt unerſchwinglichen Laſten überlud der Schwedenkönig das Land. So forderte er monatlich die Summe von 625000 Reichsthalern, nämlich 500000 Reichsthalern bar und 125000 Reichsthaler in Fourage. Alle gegen dieſe Maßnahmen verſuchten Vor­ ſtellungen verwarf er. Leidliche Sicherheit der Perſon und des Eigentums war faſt das einzige, was er gewährte, und wodurch ſich die Schweden des nordiſchen Krieges von denen des dreißigjährigen unterſchieden.

Beim Wegzuge der Schweden war das Land völlig ausgeſogen, und herz­ brechend waren der Jammer und die Klagen der Bewohner. In einem Berichte heißt es: „Faſt kein Landmann hat noch eine Bürde Heu; ſein Zug- und Rind­ vieh wird noch vor herannahendem Frühling verſchmachten, und wegen Mangels an Samen und Vieh wird die Sommerſaat nicht beſtellt werden können.“ Ein anderer Bericht lautet: „Die Leute ſind bis auf den unterſten Grad des gänzlichen Verderbens getrieben, ſo daß viele ihre Häuſer verlaſſen und den Bettelſtab er­ griffen haben; andere ſind wegen Unvermögens mit ſchmählichem Arreſt beſtraft;

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Hausrat, Mobilien, Vieh wurden ihnen weggenommen; etliche ſind gar zu Selbſt­ mord und anderen ſeelen- und leibesverderblichen Extremitäten gebracht worden, ſo daß das Elend nicht genugſam beſchrieben werden kann.“

Furchtbar hatte auch wiederum das arme Pirna zu leiden. In Er­ innerung an die während des „Pirnaiſchen Elends“ verübten Grauſamkeiten ſeitens der Schweden waren viele der vornehmſten Bewohner mit ihrer Habe beim Herannahen der Schweden geflohen, die Zurückbleibenden aber beſchloſſen, wegen Mangels an Mehl, Pulver und Blei den Schweden keinen Widerſtand entgegen zuſetzen. Bald rückten denn auch die Schweden, 2 Schwadronen Meyerfeldſcher Dragoner, 300 Mann ſtark, in die Stadt. Sofort begann die regelrechte Er­ hebung der Kriegsſteuer und die Eintreibung der Fourage (Futter- und Mund­ vorrat). Die Erhebung der Kriegsſteuer geſchah auf Grundlage von 5 Millionen Steuerſchocken, die im ganzen Lande aufzubringen waren. Für ein Steuerſchock waren monatlich 3 Groſchen zu bezahlen. Da nun auch die wüſten und ver­ brannten Grundſtücke von der Zahlung nicht ausgenommen waren, wurde natür­ lich Pirna, das deren ſehr viele vom dreißigjährigen Kriege her noch beſaß, ſehr hart betroffen. An Fourage war täglich zu liefern für ein Pferd 16 Pfund Heu, eine Leipziger Metze Hafer, zwei Metzen Häckerling, in Ermangelung des Heues und Hafers zehn Metzen Häckerling und drei Metzen Roggenmehl oder vier Garben un­ gedroſchenen Getreides (Roggen). Dem Soldaten war es freigelaſſen, die Koſt in natura zu nehmen oder ſich bezahlen zu laſſen. Verlangt wurde in natura für jeden Mann täglich 2 Pfund Fleiſch, ½ Pfund Butter oder Speck und 2 Pfund Erbſen.

Die arme Stadt geriet dadurch in die ärgſte Bedrängnis. Meilenweit mußte das Futter für die Pferde herbeigeholt werden, und ungeheuer ſchwer wurde es dem Rate, die Gelder für die Steuerkontribution aufzutreiben. Ein wehmütiges Bittſchreiben an Karl XII. brachte keine Erleichterung. Eine Ab­ ordnung von Bürgern unter Führung des Ratskämmerers Günther, die nach Altranſtädt reiſte und dem Könige das Elend der Stadt in den beweglichſten Worten ſchilderte, würdigte derſelbe gar keiner Antwort, auch kehrte er ſich nicht im geringſten an ihre Klagen. Da keine Möglichkeit war, die Kriegsſteuer zu bezahlen, wurden am 25. Juli 1707 der Bürgermeiſter Großmann und zwei Ratsherren nach Dippoldiswalde ins Schuldgefängnis geführt. Die Stadt machte nun die größten Anſtrengungen, um Kapitalien zu leihen. Zwanzig der angeſehenſten Bürger ſchoſſen 1696 Reichsthaler vor. Nach vieler Mühe gelang es auch, von der Gräfin Coſel erſt 4000, ſpäter noch 2000 Reichsthaler zu 6 Prozent zu erhalten, ſo daß nach zwölftägiger Haft die gefangenen Ratsleute in Freiheit geſetzt werden konnten. Auch wertvolle Gerechtſame mußte Pirna, um nur Zahlung leiſten zu können, in dieſer ſchweren Zeit der Schwedennot opfern, ſo unter anderen die Braugerechtigkeit zu Gamig für 4000 Reichsthaler an den Geheim­ rat von Boſe.

Endlich, am 3. September 1707, ſchlug für Pirna die Stunde der Erlöſung; die einquartierten Schweden rückten ab. Freilich hatte die Stadt immer noch Lieferungen für durchziehende Soldaten zu leiſten, allein dieſe waren gering zu

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achten gegen die vorerwähnten. Am 17. September 1707 waren die letzten Schweden in Pirna; es waren 25 Dragoner unter Führung eines Kornett, dem der Rat ein Atteſt mitgeben mußte, daß der General Meyerfeld gutes Kommando geführt, „wodurch wir“ — ſo ſchreibt der damalige Syndikus Barth — „denen Schweden gäntzlich losgeworden“, welchen Worten er am Schluſſe der betreffenden Ratsniederſchrift ein jedenfalls aus tiefſtem Herzensgrunde kommendes „Deo sit laus et gloria“ (Gott ſei Lob und Dank) beigefügt hat.

Pirna berechnet die Koſten dieſer ſchwediſchen Invaſion auf 111730 Reichs­ thaler 13 Groſchen 5 Pfennige. Lange Zeit hatte die Stadt mit der Abtragung der Schwedenſchuld zu kämpfen. Noch 1712 hatte es 6102 Reichsthaler 17 Groſchen Schwedenſchuld. Zu den ungeſtümſten Gläubigern gehörte die Gräfin Coſel. Dieſe ließ wegen Säumigkeit in der Zahlung im April 1712 den Bürgermeiſter und zwei Ratsherren gefangen ſehen, außerdem jedem zwei Soldaten ins Haus legen und vier Tage darauf aus demſelben Grunde noch drei angeſehene Bürger feſtnehmen und durch den Amtslandsknecht ins Schuldgefängnis werfen. Erſt nach einem Monat erlangte der Syndikus Dr. Barth durch Beſchaffung der Gelder die Befreiung dieſer ſechs Männer. ErnſtKünzel.