Nach längerer Zeit mal wieder ein Text von Alfred Leuschke (1845–1932, Oberlehrer und Vorsitzender des Dresdner Lehrervereins), der im Rahmen meines Projektes »Bunte Bilder aus dem Sachsenlande«  (Bd. I, 1902, Neunte Auflage, S.112–116) fertig korrigiert wurde.

Die Feſtung Königſtein.

Einer der intereſſanteſten Gipfel der Felſenwelt der ſächſiſchen Schweiz iſt der Königſtein, zugleich auch eine der berühmteſten und merkwürdigſten Berg-feſtungen Deutſchlands. Beſpült an ſeinem Fuße von den Fluten des lieblichen Elbſtroms, liegt der Königſtein, ein freiſtehender Felskegel, gegenüber ſeinem auf der rechten Seite der Elbe aus dem Thale mächtig emporſteigenden Zwillings–bruder, dem durch kühne, hochaufſtrebende Formen ſich auszeichnenden Lilienſtein.
Schon aus weiter Ferne durch die weißſchimmernden Felſenwände und die auf der Plattform befindlichen Gebäude erkennbar, gleicht der Königſtein einem Felſenneſte, das durch ſeine drohend ins Thal hinabſchauenden Kanonen den Elbſtrom und die Böhmiſche Bahn gegen eine durch das Elbthal vordringende feindliche Armee beherrſcht.

Schon in den älteſten Zeiten hat der Königſtein als wichtiger Punkt gegolten.
Als in grauer Vorzeit die Sorben, immer weiter nach Weſten vordringend, ihre Wohnplätze in unſerm jetzigen Vaterlande aufſchlugen, befeſtigten ſie verſchiedene Punkte an der Elbe, auch den „Stain“ oder „Kunygenſtein“, wie dieſer Felſen in alten Urkunden genannt wurde. In jener Zeit erhob ſich aber auf dem „Stain“ noch keine Burg, ſondern aufgehäufte Steinhaufen, übereinandergeſchichtete Baumſtämme und  Balken, aus Reiſig und Steinen errichtete Verhaue bildeten die Befeſtigungen, hinter welchen die Sorben den Angriffen ihrer Feinde Widerſtand zu leiſten verſuchten. Erſt ſpäter wurde auf der Plattform des „Stains“ eine Steinburg errichtet. Oft wechſelten die Beſitzer, und der „Stain“ bildete in jener Zeit vielfach den Gegenſtand der Fehde. Lange iſt der Berg mit der darauf errichteten Burg im Beſitze der Böhmen geweſen. Den mächtigen Burggrafen zu Dohna gehörte er als böhmiſches Lehen, bis er endlich in den bleibenden Beſitz der Markgrafen von Meißen kam.

Die Huſſiten, die jahrelang raubend, ſengend und brennend durch die ſächſiſchen Lande zogen, Städte Und Dörfer unbarmherzig zerſtörten und die fruchtbaren Fluren verwüſteten, hatten auch das alte Schloß auf dem Königſtein niedergebrannt. Man hielt die Wiederherſtellung der Burg für unnötig, weil der ſtarkbefeſtigte Sonnenſtein bei Pirna als Hauptfeſtung gegen Böhmen von jetzt an dienen ſollte.

Georg der Bärtige, zwar ein Zeitgenoſſe des großen Reformators Luther und Friedrichs des Weiſen, trotzdem aber ein eifriger Gegner der neuen Lehre und ein gehorſamer, treuer Sohn der katholiſchen Kirche, erbaute auf dem Felſen ein Cöleſtinerkloſter, in das er zwölf Mönche aus dem Kloſter Oybin bei Zittau berief. Dieſes Kloſter ſollte aber nicht von langem Beſtande ſein; denn im Herzogtume Sachſen gewann die Reformation trotz der außerordentlichen Strenge, mit der Georg die Anhänger der neuen Lehre verfolgte, immer mehr Boden, das Morgenrot einer neuen Zeit leuchtete auch in die Zellen des auf einſamer Höhe gelegenen Kloſters, und bewegt von dem wunderbaren Geſange der Wittenberger Nachtigal und mächtig ergriffen durch die kühnen, weltbewegenden Worte des Wittenberger Mönchs, deſſen gewaltige Hammerſchläge auch an die Thore des Cöleſtinerkloſters vernehmlich gepocht hatten, verließ die kleine Schar der Mönche, der würdige Prior an der Spitze, das Kloſter auf dem Königſtein und zog mit Jauchzen und Frohlocken durch die finſtere Kloſterpforte hinaus in Gottes ſchöne, weite Welt.

Das Kloſter wurde geſchloſſen, und da, wo vor kurzem noch das Kloſterglöckchen die Beter aus dem Thale hinauf nach der Kapelle gerufen, die Mönche ihre Meſſe geleſen und das Ave Maria gebetet hatten, ertönte jetzt das Klirren der Sporen und das Raſſeln der Säbel. Die mutigen Söhne des Mars hatten auf der alten Veſte ihren Einzug gehalten und ſich in den alten Kloſtergebäuden häuslich niedergelaſſen, wo ſie ſich wohler fühlten als vor ihnen die Männer mit der Tonſur und der langen Kutte.

Durch Vater Auguſt erhielt der Königſtein zuerſt ſeine große Bedeutung als Feſtung, und unter ſeinen Nachfolgern wurde auf die weitere Befeſtigung immer mehr Sorgfalt verwendet. Ein in die Felſen gearbeitetes Thor bildete den Zugang zur Feſtung. Bei Aufführung der großen, mächtigen Wände wurden teilweiſe die ſteilen Felſen mit benutzt. Eine größere Anzahl Gebäude, wie die Georgenburg, die Friedrichs— oder Chriſtiansburg, nach ihren fürſtlichen Erbauern
genannt, wurden auf der Plattform des Felſens errichtet. Bombenfeſte, in die Felſen gearbeitete gewölbte Kaſematten wurden angelegt, in welchen bei einer Belagerung die Beſatzung vor den feindlichen Kugeln geſchützt ſein ſollte. Außerdem errichtete man rings um den Felſen am Rande der Plattform zahlreiche Baſtionen und hohe Bruſtwehren, durch deren Schießſcharten die Mündungen der Kanonen lugen, aus denen in Zeiten des Krieges die Tod und Verderben bringenden Kugeln hinab ins friedliche, blühende Thal geſchleudert werden. Liebliche Gärten mit den duftigſten Blumen und blühenden Obſtbäumen, welche die Wohnungen der Offiziere und Beamten umgeben, und gut gepflegte Anlagen mit lauſchigen Plätzen laſſen auf Augenblicke ganz vergeſſen, daß man ſich auf einer Bergveſte befindet.

Beſonders erwähnenswert iſt der auf Anordnung des Kurfürſten Auguſt I. angelegte Brunnen, deſſen Ausführung wegen der vereinzelten Lage des Felſens und der Durchläſſigkeit der Sandſteinſchichten große Schwierigkeiten verurſachte, und der gewiß als eins der großartigſten Werke dieſer Gattung bezeichnet werden darf. Er iſt durchaus in Sandſteinfelſen gehauen. Seine Tiefe beträgt 187 m, der Waſſerſtand 17 m, und zu ſeiner Herſtellung war ein Zeitraum von 40 Jahren erforderlich.

Steht man am Fuße der Feſtung und ſchaut an den hohen, ſenkrechten, ſtellenweiſe ſogar überhängenden Felſen empor, ſo wird man es begreiflich finden, daß die Feſtung früher für unüberwindlich gehalten wurde. Ein Aushungern ſchien ebenſo unmöglich zu ſein wie eine Erſtürmung; denn die in den Kaſematten untergebrachten Vorräte konnten nicht vernichtet, der Erſatz infolge der Möglichkeit eigener Wiederherſtellung nicht verhindert und das Brunnenwaſſer nicht abgegraben werden. Die Feſtung iſt denn auch in keinem der vielen Kriege, in welchen Sachſen als Kriegsſchauplatz diente, von Feindeshand genommen worden. Daß ſie auch heute noch den weittragenden Geſchützen widerſtehen könne, wird allerdings bezweifelt. Hat aber auch der Königſtein infolge der großartigen Verbeſſerung der Geſchütze und der heutigen Kriegsführung nicht mehr ſeine frühere Bedeutung, ſo ſcheint man doch in militäriſchen Kreiſen dieſem Felſenneſte noch heute einen nahen Wert beizumeſſen, da die Feſtung ſtets in gutem Zuſtande erhalten wird und erſt neuerdings bedeutende bauliche Veränderungen und Wiederherſtellungen ſowohl im Innern, als auch an den Mauern der Feſtung vorgenommen worden ſind.

Einmal iſt allerdings die Einnehmbarkeit der Feſtung bewieſen worden. Ein Schornſteinfeger ſtieg im Jahre 1848 an der Südſeite, in einer Felsſpalte aufwärtsklimmend, empor und erreichte glücklich, wenn auch mit blutenden Händen und Füßen, die Bruſtwehr.

In Kriegszeiten dient die Feſtung zur Aufnahme der Archive und der Schätze des Staates; wiederholt wurden hier oben die wertvollen und berühmten Kunſtſammlungen der Hauptſtadt, z. B. die Schätze des Grünen Gewölbes, geborgen. Auch die königliche Familie hat mehrfach in den Zeiten der Gefahr auf dem Königſtein eine ſichere Zufluchtsſtätte gefunden.

In früherer Zeit diente die Georgenburg auf der Feſtung als Staatsgefängnis. Einer der bedeutendſten Gefangenen war Nikolaus Crell, einſt allmächtiger Kanzler des Kurfürſten Chriſtian I., der mit Gewalt die reformierte Lehre in Sachſen einzuführen ſich bemühte und die härteſten Maßregeln gegen die Lutheraner anwandte. Crell wurde zehn Jahre lang in grauſamer Gefangenſchaft gehalten, bevor er durch Henkers Beil auf dem Neumarkte in Dresden hingerichtet wurde. Auch der Kanzliſt Menzel, der Friedrich dem Großen wichtige Papiere aus der kurfürſtlichen Kanzlei zukommen ließ, mußte hier oben dreiunddreißig Jahre lang den an ſeinem Vaterlande begangenen Verrat büßen.

Ein bequemer Weg, welcher prächtige Ausblicke auf das liebliche Elbthal bietet, fährt aus der am Fuße der Feſtung gelegenen freundlichen Stadt Königſtein hinauf nach der Feſtung. Über Brücken, durch Thore, auch durch einen in den Felſen gehauenen langen gewölbten Gang gelangt man in den
inneren Raum derſelben.

Nur in Begleitung eines Soldaten iſt es geſtattet, die Sehenswürdigkeiten der Feſtung in Augenſchein zu nehmen und einen Rundgang auf der Plattform zu machen, von der man eine wahrhaft entzückende Ausſicht auf den klaren Spiegel des Elbſtroms und die Berge und Thäler der ſächſiſchen Schweiz hat.

Die große Anzahl der buntbewimpelten Zillen und Kähne, welche die reichen Produkte Böhmens zu Thal fahren, die ſchmucken, grünweißen Raddampfer mit Hunderten von Vergnügungsreiſenden an Bord, welche die Schönheiten des Gebirges und die lieblichen Gelände der Elbe bewundern, und die von kundiger Hand geführten, langgeſtreckten böhmiſchen Holzflöße bieten ein ungemein belebtes und bewegtes Bild. Um den Königſtein aber gruppieren ſich viele andere mit prächtigem Walde bewachſene Berge und Bergkuppen und durch die mannigfaltigſten Formen ſich auszeichnende kahle Felſen und Wände. Die Berge der  Lauſitz, die ſtolzen Kegel des Böhmerlandes und des Erzgebirges, ſie alle ſchauen herüber aus weiter Ferne, und über alle die grünen Wälder, Wieſen und wogen den Saatenfelder ſchweift das Auge hinab in die Ebene, aus welcher uns bei klarem Wetter im Scheine der goldenen Abendſonne die Türme der königlichen Reſidenz begrüßen.

Alfred Leuſchke.