© Andreas Romeyke (sh. Rechtliche Hinweise)

Zeit

(entstanden 1994, 98, 99)

Vor langer, langer Zeit in einer unbekannten Welt, in einer öden Landschaft, wo die Bäume nur vertrocknete Blätter trugen und der Wind den Sand in die Erdspalten wehte, stand einsam ein steinernes Haus. Kein Tier und kein Lebewesen begab sich in dessen Nähe, wie durch Zauberhand mieden sie den reichen Garten und begnügten sich mit den kärglichen Resten, den die Natur ab und an mühsam hervorbrachte. In dem kleinen Häuschen lebte ein alter Mann, grau sein Bart, weiß sein schlohendes Haar, mit dessen unendlich zerzausten Windungen zwei kleine Kinderhände spielten. Tag für Tag wuchsen sie kräftiger und schneller, konnten nun gar kräftige Eisenstangen halten und den alten Mann stützen, der ahnte, das sein Ende nahe war. Und so stand eines Tages auf dem kleinen Garten ein schlichtes Kreuz, in dem voller Liebe die Symbole von Feuer, Wasser und Wind eingeschnitzt waren. Die Tür des Häuschens stand weit offen, der Wind schickte seinen kalten Atem her um die Zeit weiterzutragen, in der untergehenden Sonne, weit am Horizont wehte ein Mantel, dessen Träger sich zum letzten Male umschaute.

Der Wanderer war müde und kehrte in ein Gasthaus ein, dessen Wahrzeichen eine alte Linde, schon von weitem zu sehen war. Er bestellte ein Bier, ein Getränk, das ihm nach seinen langen, staubigen Irrungen wie Labsal die Kehle hinunterrann. Aus einem wurden zwei und drei. Die Nacht brach herein, der Mond schien prall und voll in die Wirtsstube und eine Frau setzte sich zu ihm. Betört und benebelt, berauscht und verzaubert, fand er sich wieder in seinem Quartier, nicht allein, sondern ein dunkler Schatten umschlich ihn und säuselte mit feiner Stimme, umgarnte und umstrickte ihn. Langsam, unfähig, sich zu bewegen, kam der Schatten auf ihn zu, ein dunkles Gesicht vor ihm wandelte sich langsam zur Spukgestalt einer Kobra, der schwarze Körper wickelte sich um ihn, wurde fester und glatter, drehte sich und würgte, schlängelte sich und paralysierte ihn. Das Fenster zersprang und eine kleine schwarze Katze mit funkelnden Augen fauchte ins Zimmerverbiß sich in das Gespenst der Schlange und blutete im Auge. Langsam löste sich der Spuk und eine leblose Haut aus Leder fiel von seinem Körper. Erschöpft hob er die blutende Katze auf und versorgte ihr Auge, in dem ein kleines, helles Feuer brannte. Er schloß das Fenster, bereitete sein Nachtlager und legte sie zu sich. Im Traume geschah es ihm, als ob die Katze erwachte und ihm eine Karte zeigte, wo ein Feuer brannte, welches so hell war, als wäre es die Sonne selbst.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, war die Katze verschwunden, stattdessen lag ein Kristall am Boden, in dessen Auge ein Feuer loderte und ihm seinen weiteren Weg wies. Er durchquerte Wälder, in denen es nach frischem Moos duftete und sich Sonnenstrahlen in Spinnengespinsten brachen. Er folgte Bächen, die von Windung zu Windung zu großen Flüssen wuchsen und deren Strömung den Wanderer weiter tragen konnten. Er kehrte in alten Dörfern ein, wo die Zeit die Menschen vergessen hatte, er durchquerte Berge, die in den blauen Himmel ragten. Und so vergingen glücklich Jahr auf Jahr, in denen er eins mit sich selbst war und sein Feuer leuchtete jeden Tag und jede Nacht. Doch eines Tages kehrte er an einen Ort zurück, der in seiner Erinnerung nur ein blasser Hauch war. Der Wind säuselte durch die Nacht, und dunkel ragte eine alte Linde vor ihm auf. Es schien, als ob tausend Stimmen in ihr waren, die von Begebenheiten aus alter Zeit sprachen, doch verstand er keine Worte. Es schien ihm als würden tausend Augen ihn anflehen umzukehren. Doch weil er müden Fußes war, gelüstete ihm nach einer Pause, und er beschloß weiterzugehen und den Aberglauben zu verscheuchen. Raschen Schrittes betrat er das Wirtshaus, Schwaden alten Rauches begrüßten ihn. Keine Stimmen waren zu hören und kaum das er im Raume war, schnappten Tür und Fenster zu. Der Rauch zog bei Seite und an der Wand war eine Katze genagelt, deren Auge sich halbblind auf ihn richtete. Drinnen spiegelte sich ein Feuer, das im Erlöschen war. Und die Zeit kehrte zurück.