© Andreas Romeyke (sh. Rechtliche Hinweise)

Der, der verloren

(27.10.1996 by Andreas Romeyke)

Ich habe Hunger, die Pistole in meiner Hand zittert. Ich bin aufgeregt, wie noch nie. Das Pochen meines Herzens übertönt sogar die Geräusche der Straße, die durch das offene Fenster des Büros sich mit dem Gewimmer des verängstigten Häuflein Elends vor mir vereinigen. Ich brauche das Geld. Alles war exakt geplant, genau ausgetüftelt. Ich weiß, wo ich verschwinden muß, wieviel Geld hier lagert, wie dieser Angestellte hieß, das er keine Familie hat. Doch eins habe ich nicht berücksichtigt, das ich genauso viel Angst habe, wie er. Die Maske macht mir zu schaffen, es ist zwar schon Herbst, aber die Temperatur in dem Büro gereicht einer Wüste zu Ehre. Ich bin aufgregt, fuchtele mit meiner Pistole herum, doch dieser Kerl jammert bloß. Ich schaue auf die Uhr, es ist 14:36 Uhr, in vier Minuten muß ich alles hinter mich haben. Nein, ich will morgen mich nicht schon wieder nur mit Brot und Selters ernähren, ich möchte wieder in einem ganz normalen Bett schlafen. Wut steigt in mir hoch. Min Zorn konzentriert sich auf diesen Wurm. Nur weil er so feige ist, so unkooperativ. Mensch, ich brauche das Geld, schreie ich. Jetzt steht der Kerl endlich auf, geht langsam zum Geldschrank am Fenster, die Überwachungskamera zoomt mir hinterher. Ich hänge sie mit einer Gardine zu. Der Angestellte sucht sein Schlüsselbund ab, meine Erregung steigt. Gleich, gleich ist es geschafft. Nein, nein, nein! Ich, scheiße!, nein, das, nein, ich glaube das nicht, das darf doch nicht war sein, Mist.

Langsam schaue ich aus dem Fenster. Deutlich und in allen Details sehe ich das Bild vor mir. Den Kopf, völlig zerschmettert. Blut und weiße Gehirnmasse bilden langsam eine Lache. Die Beine sind unnatürlich verrenkt, der rechte Ellenbogenknochen ist sichtbar. Eine Menschenmasse sammelt sich, einige Passanten übergeben sich, ich gehe vom Fenster weg, und setze mich. Getötet. Ich habe jemanden getötet. Soweit wollte ich es nicht kommen lassen. Meine Hände zittern, ich spüre mein Blut durch die Adern flieÿen, ein kalter Schauer rinnt mir den Rücken hinunter. Ich bin wütend, auf mich, weil ich es nicht besser wußte, und auf die Leiche, weil sie alles versaut hatte. Ich sammle mich, und stehe auf. Meine Knie sind weich, ich öffne den Tresor und nehme das Geld. Wenigstens soll ich nicht umsonst ein schlechtes Gewissen haben. Ich bin erstaunt, wie schwer und doch wie leicht es ist, ein Krimineller, ein Abschaum zu sein. Ich verlasse das Büro und begebe mich zu meinem Zufluchtsort.

Ich habe lange nachgedacht. Der Schreck sitzt mir immer noch in den Knochen. Sobald ich die Augen zumache, sehe ich diesen Mann. Zusammengekauert und ängstlich. Sein Gesicht zuckt vor meinem geistigen Auge, ich spüre direkt, wie er alles an sich vorbei ziehen läßt, wie er sich an seine Kindheit erinnert, an den ersten Tag, als er im Büro angefangen hatte. Ich sehe, wie er zweifelte, wie er in seinem Herzen nach einem Gott suchte, den er so lange nicht kannte, wie er verschiedene Szenarien entwarf, aus dieser Situation herauszukommen, wie er erkannte, das sein Leben schon vor Jahren vorbei war, wie er den Widerstand vorm Tod überwand, wie er sprang. Ich fühle seinen Fall, fühle, wie er überrascht war, das es so einfach ging, fühle den Beton, und wie die Knochen splitterten, spüre den letzten stechenden Schmerz, der schnell vorbei war und sehe den zermatschten Körper, umringt von Passanten. Seine Haltung bildet eine Fratze, die mich auslacht. Ich bin schuldig.

Ich wähle die Notrufnummer, um meinem Gewissen Erleichterung zu verschaffen. Guten Tag. Gestern ist im Büro ein Mann umgebracht wurden. Nein, nein. Ich gehe direkt auf die Wache. Man legt auf. Sie sagen, ich soll sie in Ruhe lassen, sie hätten genug Sorgen. Schon gestern hätte es 37 Mörder gegeben, die den Mann umbrachten. Verrückt, durch und durch krank. Mich mit eingeschlossen. Irre, ich muß mit jemanden darüber sprechen. Ich gehe aus dem Haus und suche eine Kirche. Hier muß mir jemand zuhören. Ich betrete den Chor und fühle mich noch elendiger als vorher. Ich bin klein, nichts als Gewürm, was zertreten wird. Ich zweifele, das man mir hier zuhört und erwarte, von seinem Zorn vernichtet zu werden. Doch nichts geschieht, alles ist ruhig. Ich warte, doch die Stille breitet sich aus. Es ist so, als erwarte man etwas. Ich höre das leise Pochen meines Herzens. Zaghaft, Schritt für Schritt darauf achtend kein Geräusch zu machen, bewege ich mich in Richtung Altar, mit der leisen Hoffnung, das doch nichts passiert. Ich setze mich auf eine Bank und richte meine Gedanken darauf, was nun kommen soll. Muß ich beten? Ich glaubte noch nie an Gott, bis zu diesem Augenblick. Ich zweifele, suche Rat. Niemand ist hier, der mir zuhört, nur die vage Hoffnung das er mich nicht bemerkt.Oder wenn, dann nicht richtig. Doch hier ist nichts. Selbst das schwache Geräusch des Verkehrs läßt nach, sogar mein Herz höre ich nicht mehr. Nur die absolute Stille herrscht um mich. Ich will sprechen, doch Angst schnürt meine Kehle zusammen. Ich warte. Jede einzelne Faser meines Körpers ist angespannt, ich getraue mich nicht mich zu bewegen in Befürchtung diese Ruhe, diese absolute Ruhe zu stören.

Leise schlängelt sich ein dicker, gelber Wurm aus dem Nasenloch. Das Auge ist dunkel, ein summendes Geräusch und eine schwarze Wolke Fliegen hebt sich in die Lüfte. Am Fuö nagt eine kleine, verhungerte Ratte gierig am verwestem Fleisch. Ein ausgetrockneter, tiefroter Fleck auf dem Erdboden verschwindet langsam in der beginnenden Dämmerung. Es beginnt zu regnen.

Schweißgebadet wache ich auf. Meine Sachen sind durchtränkt. Auf der Bank aus schwarzen Holz verdunstet die Spur meines Schlafes. Ich höre den Hall einer zugeschlagenen Tür.