© Andreas Romeyke (sh. Rechtliche Hinweise)
© 1995 by Andreas Romeyke, Leipzig

Treues Teufelchen - oder - die List

Es wäre fatal, wenn ein Teufel keinen Spaß dabei haben würde.

Prolog (Aus: Faust, der Tragödie erster Teil; Goethe)

Der Herr:

Solang er auf der Erde lebt, So lange sei dir's nicht verboten. Es irrt der Mensch, solang er strebt.

Mephistopheles:

Da dank ich Euch; denn mit den Toten Hab ich mich niemals gern befangen. Am meisten lieb'ich mir die vollen, frischen Wangen. Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus; Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

Ich renne. Mein Puls schlägt hörbar. Er hat mich entdeckt. Wenn ich mich umdrehe, hat er mich schon wieder ein Stück näher eingeholt. Ich renne.Ich spüre die Hitze seines Atems, der mir von hinten in den Nacken bläst. Meine Nackenhaare sträuben sich. Ich habe Angst. Kalte Schauer laufen mir hinunter. Ich biege in die kleine Seitenstraße ein. Ich weiß, daß er alles verändert. Er täuscht gerne und hinterhältig. Mein Puls rast. Der Wind wird stärker und kälter. Mir fröstelt, obwohl ich noch nie so schnell rannte. Ich höre hintermir das schnelle, stumpfe Echo seiner Schritte. Ich habe nur noch den Gedanken abzuhauhen, ihn weit hinter mich zu lassen. Alles in meiner Umgebung ändert sich, der Himmel verfärbt sich grün. Ich renne. Die Häuser scheinen sich herunterzubeugen. Es dreht sich alles, und ich laufe weiter. Meine Zunge wird pelzig, trocken vom Staub. Ich höre mein Herz pochen. Ich verlaße mich nicht mehr auf meine Sinne. Er täuscht sie und er ist hinter mir. Sein Röcheln wird schneller und stärker. Ich versuche schneller zu werden. Da! Mein Haus. Es ist überall. Meine Beine spüre ich nicht mehr. Aber sie laufen. Eins. Zwei. Drei. Ich zähle jedes Gebäude und renne. Vier. Fünf. Dies muß es sein. Ich kann mich nicht täuschen. Er kann mich nicht täuschen. Ich öffne die Tür. Mir schwinden die Sinne. Ich stehe vor einem tiefen Abgrund. Ich habe Angst. Ich drehe mich um. Er kommt näher und grinst. Ich springe. Ich falle, tiefer und tiefer. Plötzlich erhellt sich alles. Ich bin im Haus. Er ist verschwunden. Ich verschnaufe. Mein Puls ist nahe am Zerspringen. Geistesgegenwärtig schließe ich die Tür. Ich werde ruhiger.Ich versuche nachzudenken. Doch das Pochen in meiner Schläfe ist stärker. Der Schweiß läßt meine Kleidung am Körper kleben. Mir wird frisch. Langsam gehe ich die Treppe hoch und atme tief durch.

Ich muß schmunzeln, als ich mich an frühere Zeiten erinnere. Die vielen Märchen und Geschichten, die ich verschlungen hatte. Alle hatten eines gemein, sie handelten von einem Bauern und vom Teufel. Der Bauer packte es immer wieder, den vermeintlich cleveren, überlegeneren Teufel auszutricksen. Wie einfach das doch war; Türe zu, verschnauft und Teufel abgehängt. Ich habe mich wieder beruhigt und muß lachen. Ein kalter Schauer läuft mir hinunter. Wie höhnisch das Echo wiederhallt? Mir wird wieder warm. Merkwürdig. Es wird mir nicht nur warm, sonder heiß. Nein. Ich drehe mich um. Knirschend zersplittert langsam das Holz. Warum wieder? Ein Geruch dringt in meine Nase. Aufdringlich und brennend, mein Körper ist alarmiert, ehe der Verstand reagiert. Ich haste. Zwei Sprünge, der erste Absatz. Lauf! Stufe um Stufe, die Nerven angespannt, ich renne. Erste Etage oder Zweite? Verflucht! Er versucht mich reinzulegen. Zähle! Erinnere Dich und zähle. Jede Etage ist gleich. Zähle die Stufen. Überall steht mein Name dran. Vergiß nicht zu zählen! Siebzehn, achtzehn, neunzehn, Absatz. Die Hitze seines Atems verbrennt mich. Und ich renne. Einundzwanzig, zweiundzwanzig. Der Schweiß verklebt meine Augen. Ein Kind. Bleibe oben, renne hoch! Neiiin! Geh nicht runter! Es wird zu Nebel. Weiter, lauf weiter! Er will dich nur reinlegen. Sechsunddreißig, siebenunddreißig, das Feuer brennt. Luft! Ich brauche Luft. Rauchschwaden hüllen mich ein. Einundvierzig, zweiundvierzig, ich muß es schaffen. Er lacht. Wut steigt in mir hoch. Achtundvierzig. Ich packe es! Der Rauch verschwindet. Neunundvierzig. Wo ist der Schlüssel? Fünfzig. Hier muß es sein. Mit zitternden Fingern drehe ich den Schlüssel im Schloß. Schnapp. Es ist offen. Er kommt. Er schafft es nicht mehr. Die Tür ist zu, und ich bin in Sicherheit. Ich lache und schließe ab. Tief durchatmen. Es war alles nur Illusion. Wie ist er ins Haus gekommen? Die Tür war zu. Schlüsselloch? Ja, er muß wohl durchgekrochen sein. Ich breche in schallendes Gelächter aus. Abrupt schoß mir ein gefährlicher Gedanke durch den Kopf: Loch. Ich muß es verstopfen. Schnell, überlege! Der Schlüssel, wo ist er? Ich schaue durch das Fenster. Nichts. Mist, er liegt draußen, ich habe ihn auf der Treppe gelassen. Wie kann ich das Loch schließen? Denke! Stop. Ich hatte doch abgeschlossen? Der Dreckskerl. Er wollte mich schon wieder rauslocken, aber wo ist der Schlüssel? Bleib ruhig. Überlege! Atme ruhiger! Er ist nicht hier, er ist draußen. Hä? Der Schlüssel steckt doch noch. Naklar, ich habe ja abgesperrt. Bing. Der Schlüssel ist heruntergefallen. Eine Stichflamme schlägt aus dem Schloß. Ich glaube es nicht. Er versucht durchzukommen. Langsam und ruhig wächst die Glut weiter. Das Metall tropft herunter. Ich fliehe in die Küche. Ich nehme den Eimer, der direkt unter der Spüle steht. Er ist mit Wasser gefüllt. Zurück bei der Tür ergießt sich der Schwall über das Schloß. Ergebnis: Nichts. Kein Wasser, kein Eimer, nichts. Nichts außer der kleinen Flamme, die sich durch das Schloß frißt. Ein Kichern dringt aus nächster Nähe an mein Ohr. Ich weiß nicht mehr weiter. "Ich gebe auf. Du hast gewonnen!" schreie ich verzweifelt. Das Kichern wandelt sich in ein höhnisches Lachen. Ich bin erschöpft. Mit tiefer Stimme ertönen von außen die Worte "Das Ende bestimme immer noch ich!". Zorn steigt in mir hoch. In tiefer Erschöpfung habe ich nur noch den einen Gedanken, alles zu beenden. Das Ende bestimme ich. Ich lasse mich nicht jagen. Es ist Schluß! Just in dem Moment erschüttert eine Explosion den Boden unter meinen Füßen. Ich habe die Nase voll. Gut. Er hat es geschafft, er ist drinnen. Doch jetzt ist Schluß. Du kriegst mich nicht! An der Stelle, wo gerade noch die Wohnungstür war, schaue ich in ein verdutztes Gedicht, doch mir ist es egal. Ich gehe würdevoll ins Bad und schließe leise die Tür. Schnapp, der Riegel ist zu. Sieh zu, wie Du weiterkommst! Der Schatten hinter der Tür bleibt unbeweglich. Ich schaue auf die Uhr und bin sauer: vier Stunden. Vier endlos lange Stunden war er hinter mir her. Ich starre auf den Zeiger. Meine Gedanken hängen irgendwo im tiefen Dschungel meines Unterbewußtseins. Tick, tick. Sekunden um Sekunden vergehen. Ich denke nichts, und beobachte den Zeiger, tick. Ich höre etwas. Schritte entfernen sich. Ich schaue in Richtung Tür. Am Fenster steht irgendwas. Ich gehe heran. "!redeiw snu nehes riw reba ,nennoweg tsah uD .thcameg ßapS tah sE" Ich muß lächeln , als ich mir vorstelle, wie ich es ihm sage: Danke, mir auch. Der Raum wird dunkel, ich bin glücklich, alles dreht sich...

Ich wache auf. Schweiß steht mir auf der Stirn, das Bett ist naß, und ich lache. Ich mache das Licht an, schnappe mir Stift und Buch und schreibe. Die letzten Zeilen und mir fällt die Pointe ein: Zur Badtür gab es keinen Schlüssel. Ich lege das Buch weg, lösche das Licht und schlafe ruhig bis in den nächsten Morgen.


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