© Andreas Romeyke (sh. Rechtliche Hinweise)

Eliza

© 8.4.1996 by Andreas Romeyke

Ja, sie hatte sich diesen Urlaub wirklich verdient. Ihr Jeep fährt den kleinen Steinweg hinauf. Sie kurbelt das Fenster hinunter, kühlender, frischer Wind strömt in ihren Wagen. Als sie durch die Kurve kam, entbot sich ihr ein atemberaubender Anblick. Die untergehende Sonne tauchte die Felsen in ein golden-orangenes Licht. Das Tal lag ausgebreitet vor ihr, der Wald schien sie mit einem leichten Wippen zu begrüßen, die kupfernen Strahlen der versinkenden Sonne spendeten nochmals Wärme, als letzen Akt der zeremoniellen Begrüßung. Leise knirschend schieben die Räder ihres Fahrzeuges den Kies unter sich weg, um sich ohne Anstrengung weiter den Weg nach oben zu bahnen...

...öffnete sie die alte Tür der Holzhütte. Dies würde für die nächste Zeit ihr Zuhause sein. Sie war müde und angestrengt von der langen Fahrt. Die Holzhütte war geradezu komfortabel eingerichtet. Ein kleiner Generator hinter dem Haus würde sie mit Strom versorgen. Der große Raum drinnen, er gab ein gutes Arbeitszimmer ab, war ausgestattet mit Regalen, einem Schreibtisch direkt am Fenster, mit Sicht zu dem Wildgarten, der vor Jahren hier angelegt wurde und so ziemlich alles an Kräutern barg, die irgendwo je existiert haben, einem bequemen Schaukelstuhl (Ja, sie liebte diesen Schaukelstuhl, er erinnerte sie immer an ihren alten Großvater, der eine Pfeife schmauchend, im Sessel sich ständig über Großmutter lustig machte, und welche ihm dann jedesmal drohte, die lange Heckenschere aus dem Schuppen zu holen, sie beim Dorfschmied extra schärfen zu lassen und seinen "Gottverflucht"-langen Bart abzuschneiden, worauf er dann meistens konterte, das er sich einen Kranz aus ihrer in der Gegend so bewunderten Rosenstrauchzüchtung flechten würde und solange tragen würde, bis sein ganzer Stolz nachgewachsen wäre.), einem eher langweiligen, aber doch wärmendem Fliesteppich und einem funktionalem Kamin aus Lehm. Die Küche barg dagegen nichts, was ein moderner Mensch zum Kochen benötigte. Einige scharfe Messer stakten in einem an der Wand befestigten Holzblock. Die Kochstelle war ein einfache Metallplatte über einer Feuergrube aus Lehm. An ihr war eine klappbare Holzplatte angebracht, die als Arbeitsplatte diente. An der Wand hingen die nötigsten Gewürze, in der Tür waren Aufbewahrungstaschen eingelassen, in der hinteren Ecke ein kleines Kühlaggregat. Sie würde sich zwar etwas einschränken müssen, aber ihr würde diese Abgeschiedenheit sicherlich gut tun und ihr letztlich wenigstens soviel Kreativität entlocken, das sie ihr Buch zu Ende schreiben k÷nnte...

Der Bankangestellte blickte kurz auf. Was für ein Anblick! Es war doch die richtige Wahl. Was konnte man hier für Leute treffen. In solchen Augenblicken mochte er gar nicht mit den Arbeitern unten, an der Werft tauschen. Diese Augen. Seine Gedanken schweiften ab, diese Frau ließ ihn träumen und seine Arbeit war vergessen...

... "Alles auf den Boden! Dies ist ein Überfall", noch im Schreien riß sie ihr Kleid auf, ein Knopf fiel auf den Boden und verstummte mitsamt den Gemurmel in der Bank. "Los! Ab auf den Boden, keiner bewegt sich!". Schnell, sicher, aber ohne Panik oder Hast zielte sie auf die Leute...

... Er war erschrocken. Wie konnte so eine Frau... Hat so eine Frau es nötig... Gelähmt, teilweise aus Angst, teilweise durch die Überraschung vergingen die folgenden Sekunden nur langsam...

... Glas splitterte, der Bankangestellte schrie, der Alarm ging los, jetzt mußte es schnell gehen... Sie ging zu dem Mann, den sie angeschossen hatte...

... Sie kam auf ihn zu, zielstrebig. Panik durchkroch seinen Körper, In seinem Kopf blitzten die Gedanken und suchten nach Gründen, warum er den Knopf drücken mußte. Sie suchten nach anderen Gründen, warum sie jetzt auf ihn zukam.Sie wollte ihn töten. Warum hat er den Knopf gedrückt? Schweiß perlt von seiner Stirn, das Blut tropft von seiner Schulter den Arm hinunter. Sie kommt näher...

... "Ich will alles an Pfennigen, was ihr habt..." sagt sie, sie blickt sich um und schaut in die verängstigten Gesichter, nach einer verdächtigen Bewegung suchend...

... Pfennige? Er traute sich nicht mehr, er wußte nicht, ob seine Sinne noch funktionierten, der Schuß, der Schock, der Blutverlust, die Frau, hatte er richtig gehört, oder? Wenn er fragte, würde er tot sein? Und wenn er sie falsch verstand, sie womöglich deswegen provozierte, indem er Pfennige einpackte. Nein, er mußte sich verhört haben. Nervös fingerte er die Scheine in den Plastiksack, die sie auf die Theke knallte...

... "Eh, bist Du schwerhörig!", sie wußte, das ihr das nicht allzugut stand, aber das hatte jetzt keine Rolle zu spielen, "Pack alle Pfennige in die Tüte!"...

... er mußte sich setzen. Ihm war speiübel. Sie war jetzt draußen, die Welt drehte sich um ihn, das Gemurmel hebte an, aus der Ferne vernahm er die Sirenen. Sie wollte nur die Pfennige...

Der Polizeikommissar schüttelte den Kopf. Das war nun diesen Monat schon der siebente Fall. Und jedesmal wollte diese Frau nur Pfennige. Sein Leben riskieren für nur ein paar hundert Mark in Pfennigen, die keine Bank je in den Mengen umtauschen würde, nein, das ergab alles keinen Sinn. Er wußte schon immer, daß Frauen merkwürdig waren. Aber diese Vorfälle bekräftigten nur sein Vorurteil: Weiber sind bar jeder Logik. Er konnte das zwar auch an seiner Frau zu Hause beobachten, wenn sie mit ihm zu einer Party eingeladen war, oder er mal Karten für das Theater holte (was für ihn eigentlich eher ein Alibi für die immer öfter vorkommenden Nächte war, die er hier im Büro, anstatt zu Hause verbrachte), aber so hatte ihn das noch nie verblüfft. Entweder war das eine totale Irre ( Frauen waren für ihn ja schon immer ein wenig verrückt), oder eine ganz raffinierte (die zweite mögliche Alternative, die in sein Weltbild paßte), so das wesentlich mehr dahinter stecken mußte, als offensichtlich war. Sein Interesse war geweckt, er hatte seine Chance, sich zu beweisen, das Männer noch lange jedes Weibsbild in die Tasche stecken können. Sie würde Fehler machen, darauf wartete er.

Gendinger Nachrichten:

Erneuter Pfennigüberfall

Am gestrigen Tage, gegen 13 Uhr wurde die Holding Bank erneut Opfer der mysteriösen Pfennigräuber. Ein Polizeisprecher berichtete, das die erbeutete Menge wieder weit unter tausend Mark lag. Nach den Hintergründen dieser Tatserie wird weiter gesucht. Alle bisherigen Ermittlungen verliefen im Sande, ein Expertenteam, bestehend aus Polizeipsychologen und erfahrenen Kriminalogen wurde gebildet. Die Holding Bank AG kündigte ein Sicherheitspaket an, dem sich weitere Banken anschließen wollen. Dies ist mittlerweile der 97. Banküberfall der Pfennigfetischistin. Hier nochmal die Personenbeschreibung der Täterin: - 168-170 cm groß - schlanke Figur - spricht akzentfreies Deutsch - ca. 25 bis 30 Jahre alt

Pressekonferenz Holding Bank AG:

... ist durch den erneuten Überfall eine Expertenkommision in Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Kreditinstituten gegründet wurden.
"Ja? Ja, sie, in der zweiten Reihe..."
"Wie gedenken sie die Kunden zu schützen?"
"Unsere erste Maßnahme war der verstärkte Einsatz von Sicherheitskräften und eine Verbesserung der relevanten Schutzeinrichtungen"
"Wie sieht diese Verbesserung aus?"
"Der Münzverkehr wird stark eingeschränkt, zusätzlich werden weitere Kameras installiert. Eine Beschreibung der Täterin wird veröffentlicht. Weitere Maßnahmen werden intern geregelt und können in Anbetracht der Situation nicht bekanntgegeben"
"Können sie schon ein Tatmotiv erkennen, das zu dieser sehr ungewöhnlichen Überfallserie führte? Haben sie weitere Erkenntnisse zur Täterin?"
"Zur Täterin sind keine neuen Erkenntnisse bekannt."
"Können sie uns ..."

Ihr Jeep sprang an. Heute früh mußte sie ein Stück in den Wald fahren. Es wurde langsam kühler, vor allem in Nächten, in denen der Wind aus Nordost kam. Die Herdplatte hatte sie seit einigen Tagen nicht mehr beheizt, sie fühlte sich nicht wohl, und verspürte seit geraumer Zeit keinen Hunger mehr. Ihr Körper war dünner geworden und sie akzeptierte das. Der kleine Kräutergarten gedeihte und bot die Würze für ihr heutiges Mahl. Ja, sie hatte heute Appetit. Das Holz war verbraucht und so startete sie ihren Jeep. Das Geräusch des Motors durchdrang den Wald, sie fuhr hoch zur alten Schneiße. Dreck und Schlamm verlangten ihre volle Konzentration, die Axt auf dem Rücksitz schlug an die Tür, wenn sie wieder eine, von Mücken bevölkerte und von alten Wurzeln durchzogene Lache durchfuhr. Die Zweige und Äste des in allen Facetten schimmernden Unterholzes wichen vor ihrem Jeep zurück. Wasser spritzte davon und schließlich kam sie auf die Lichtung, wo vor langer Zeit die letzten Köhler ihr Zuhause hatten. Sie liebte mittlerweile das Leben in der freien Natur, und gewann jeden Tag Kraft für ein paar weitere Seiten auf ihrer Schreibmaschine. Ihre kleine Grippe hatte sie zurückgeworfen, aber jetzt war sie wieder da. Bedächtig stieg sie aus und holte die schwere Axt. Ein alter, kränklicher Baum war das Ziel ihrer braunen Augen. Langsam näherte sie sich ihrem eingebildeten Feind, genauestens darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Früher hätte sie befürchtet, das irgendjemand ihr zuschauen würde, und es war damals peinlich. Jetzt ließ sie ihrer Phantasie freien Lauf. Sie spürte die Anspannung, ihre Muskeln zitterten, als wollten sie jeden Augenblick explodieren. Das Blut pochte, sie atmete schneller, die Zeit kam zum Stillstand. Stahl in Holz, der Baum splitterte, das Harz tropfte aus der blanken Wunde, um rötlich glänzend die aufgehende Sonne zu spiegeln...

Und auf dem Boden funkelte ein kupfernes Pfennigstück.